OGH 1Ob594/91

OGH1Ob594/9118.9.1991

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann, Dr.Schlosser, Dr.Graf und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj.Mario S*****, geboren am 18.Februar 1975, infolge Revisionsrekurses des Präsidenten des Oberlandesgerichtes ***** gegen den Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt als Rekursgerichtes vom 30.April 1991, GZ 2 R 165/91-70, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Villach vom 20. März 1991, GZ P 210/75-67, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluß des Gerichtes zweiter Instanz wird dahin abgeändert, daß der erstgerichtliche Beschluß wiederhergestellt wird.

Text

Begründung

Mit Beschluß vom 14.März 1990 gewährte das Erstgericht dem Minderjährigen gemäß den §§ 18, 3 und 4 Z 1 UVG Unterhaltsvorschüsse von S 1.600 für die Zeit bis 31.März 1993 weiter. Mit Beschluß vom 13.September 1990 setzte es die Unterhaltsvorschüsse für die Zeit vom 1.Oktober 1990 bis 31.März 1993 wegen der vom Minderjährigen bezogenen Lehrlingsentschädigung auf monatlich S 1.000 herab. Auf Antrag des Vaters sprach das Erstgericht mit Beschluß vom 7.Februar 1991 aus, daß dessen Unterhaltsverpflichtung für die Zeit vom 3.Jänner 1991 an bis zu dessen Enthaftung ruhe, weil er sich seit diesem Zeitpunkt in gerichtlicher Strafhaft befinde.

Mit Beschluß vom 20.März 1991 stellte das Erstgericht die Vorschüsse mit Ablauf des 31.Jänner 1991 ein. Da die Unterhaltsverpflichtung des Vaters für die Dauer seiner Strafhaft ruhe, seien die Voraussetzungen für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen weggefallen.

Das Gericht zweiter Instanz hob diesen Beschluß (ersatzlos) auf und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Zwar seien die Vorschüsse an sich gemäß § 20 Abs 1 Z 4 lit a UVG einzustellen, wenn eine der Voraussetzungen für die Gewährung der Vorschüsse wegfalle, doch sei das Ruhen der Unterhaltsverpflichtung nur wegen der Strafhaft des Vaters ausgesprochen worden. Deshalb sei die Sondervorschrift des § 7 Abs 2 UVG anzuwenden, nach der die einem Kind nach den §§ 3 oder 4 Z 1, 2 oder 4 UVG gewährten Vorschüsse nicht zu versagen seien, wenn dem Unterhaltsschuldner dessen Freiheit im Sinn des § 4 Z 3 UVG entzogen werde. Nur wenn der Freiheitsentzug länger als sechs Monate dauere, seien nach Ablauf von sechs Monaten an Stelle der bisher gewährten Vorschüsse solche nach § 4 Z 3 UVG zu bewilligen. Nach der Vorschrift des § 7 Abs 2 UVG bilde der Freiheitsentzug deshalb auch keinen Grund, die Unterhaltsvorschüsse nach § 20 UVG einzustellen. Es sei erkennbarer Gesetzeszweck, Kindern selbst dann Vorschüsse zu gewähren, wenn dem Unterhaltsschuldner die Freiheit länger als einen Monat entzogen wurde und er daher seiner Unterhaltspflicht nicht nachkommen könne.

Der außerordentliche Revisionsrekurs des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Graz ist zulässig, weil zu dieser Frage Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehlt und die Entscheidung mit zweitinstanzlicher Rechtsprechung (vgl EFSlg 57.512 und 49.161) im Widerspruch steht; das Rechtsmittel ist aber auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Im Zeitpunkt, in dem das Erstgericht über Antrag des Vaters mit Beschluß vom 7.Februar 1991 aussprach, daß dessen Unterhaltspflicht wegen Freiheitsentzugs aufgrund strafgerichtlicher Anordnung vom 3.Jänner 1991 an ruhe, stand das Kind im Genuß wegen Bezuges einer Lehrlingsentschädigung auf monatlich S 1.000 herabgesetzter Vorschüsse gemäß den §§ 18, 3 und 4 Z 1 UVG. Mit Rücksicht auf die Entscheidung über das Ruhen der Unterhaltsverpflichtung stellte das Erstgericht die Vorschüsse mit Ablauf des 31.Jänner 1991 ein; das Rekursgericht meinte demgegenüber die "Sondervorschrift" des § 7 Abs 2 UVG stehe der Einstellung der Vorschüsse entgegen. Dieser Auffassung kann indessen nicht beigetreten werden:

Gemäß § 4 Z 1 UVG sind Vorschüsse zu gewähren, wenn zwar die Voraussetzungen des § 3 Z 1 (der Bestand eines im Inland vollstreckbaren Unterhaltstitels) gegeben sind, aber die Exekutionsführung nach § 3 Z 2 UVG aussichtslos scheint. § 20 Abs 1 Z 4 lit a UVG zufolge sind Vorschüsse auf Antrag oder von Amts wegen einzustellen, wenn eine der Voraussetzungen der Gewährung der Vorschüsse, ausgenommen § 3 Z 2 UVG, wegfällt. § 7 Abs 2 UVG ordnet an, daß es kein Grund ist, die bisher gewährten Vorschüsse zu versagen, wenn einem Kind Vorschüsse nach den §§ 3 oder 4 Z 1, 2 oder 4 UVG gewährt werden und dem Unterhaltsschuldner die Freiheit im Sinn des § 4 Z 3 UVG entzogen wird; wird dem Unterhaltsschuldner die Freiheit für länger als sechs Monate entzogen, so sind nach Ablauf dieser Zeit von Amts wegen anstelle der bisher gewährten Vorschüsse solche nach § 4 Z 3 UVG zu gewähren, soweit ein solcher Antrag nicht bereits früher gestellt worden ist. Demgemäß kann das Kind im Ergebnis für die ersten sechs Monate des Freiheitsentzuges bei Zutreffen der im § 7 Abs 2 UVG angeführten Voraussetzungen zwischen Vorschüssen gemäß § 3 oder § 4 Z 1, 2 oder 4 UVG einerseits und jenen nach § 4 Z 3 UVG wählen.

Im vorliegenden Fall waren dem Kind Vorschüsse nach den §§ 3 bzw 4 Z 1 UVG ("Titelvorschuß") gewährt worden, weil der Vater vom Pflegschaftsgericht zur entsprechenden Unterhaltsleistung verhalten war. Solche Vorschüsse dürfen in der Tat nur gewährt werden, wenn für den gesetzlichen Unterhaltsanspruch ein im Inland vollstreckbarer Exekutionstitel besteht. Gerade diese wesentliche Voraussetzung ermangelt jedoch im vorliegenden Fall, weil das Erstgericht - rechtskräftig - ausgesprochen hat, daß die Unterhaltsverpflichtung des Vaters vom 3.Jänner 1991 an für die Dauer seiner Strafhaft ruhe. Ist eine der Voraussetzungen für die Gewährung der Vorschüsse weggefallen, sind die Vorschüsse demgemäß auch nach der zwingenden Vorschrift des § 20 Abs 1 Z 4 lit a UVG - gegebenenfalls sogar rückwirkend (§ 20 Abs 2 UVG) - einzustellen. Dieser Rechtsfolge steht - wie der Revisionsrekurswerber zutreffend hervorhebt - die Bestimmung des § 7 Abs 2 UVG nicht entgegen, weil bisher gewährte Vorschüsse danach nur dann nicht versagt werden dürfen, wenn dem Kind - unter anderem - Vorschüsse nach § 3 bzw § 4 Z 1 UVG gewährt werden. Da solche Vorschüsse aber nicht bewilligt werden dürfen, wenn kein im Inland vorstreckbarer Unterhaltstitel besteht, oder aber einzustellen sind, wenn der Unterhaltstitel weggefallen ist, sind die Anwendungsbereiche des § 7 Abs 2 und des § 20 Abs 1 Z 4 lit a UVG bei systemgerechter Auslegung zwanglos derart voneinander abzugrenzen, daß solche Vorschüsse nur dann nicht versagt werden dürfen, wenn der Unterhaltstitel trotz des Freiheitsentzuges fortbesteht, wohl aber einzustellen sind, wenn der Unterhaltstitel - wie im vorliegenden Fall - weggefallen ist.

Zweck der erst mit der Novelle BGBl 1980/278 eingeführten Bestimmung des § 7 Abs 2 UVG ist nach den Materialien (276 BlgNR 15. GP 7, 13) die vereinfachte Abwicklung der Bevorschussung bzw die Vermeidung der vor der Novelle häufig vorgekommenen Unterbrechung von Vorschußleistungen: Das kann aber nur für solche Fälle gelten, in welchen der den gewährten Vorschüssen zugrunde liegende Unterhaltstitel vom Freiheitsentzug unberührt bleibt. Der Titelvorschuß kann schon seinem Wesen nach nicht vom Bestand des zugrunde gelegten Unterhaltstitels abgekoppelt werden; trotz des Wegfalles eines solchen Titels weitergewährte Vorschüsse könnten vom Unterhaltspflichtigen im übrigen gar nicht hereingebracht werden (vgl §§ 26, 27 und 30 UVG), weil dieser dem Kind gegenüber zu Unterhaltsleistungen für die fragliche Zeit nicht verpflichtet ist. Solche Zahlungen des Bundes wären demnach ihres - dessen zivilrechtliche Kompetenz (Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG) bedingenden - Charakters als Vorschüsse (§ 1 UVG) entkleidet.

Da der Vater seiner Unterhaltspflicht für die hier fragliche Zeit enthoben ist, entbehrt die Weitergewährung der Titelvorschüsse somit ihrer Rechtsgrundlage; dem Kind bleibt es in diesem Fall aber unbenommen, einen "Haftvorschuß" im Sinn des § 4 Z 3 UVG zu beantragen.

Da das Pflegschaftsgericht zu Recht rückwirkend (§ 20 Abs 1 Z 4 lit a und Abs 2 UVG) die Einstellung der Vorschüsse verfügt hat, ist der erstinstanzliche Beschluß in Stattgebung des Revisionsrekurses wieder herzustellen.

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