OGH 1Ob74/07z

OGH1Ob74/07z3.5.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** GesmbH, *****, vertreten durch Dr. Georg Lugert, Rechtsanwalt in St. Pölten, gegen die beklagte Partei Frank F*****, Deutschland, vertreten durch Dr. Stefan Gloß, Dr. Hans Pucher, Mag. Volker Leitner und Mag. Christian Schweinzer, Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen EUR 1.757 sA, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 16. November 2006, GZ 21 R 334/06k-29, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom 2. August 2006, GZ 6 C 776/05k-25, aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird eine meritorische Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen. Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Prozesskosten.

Text

Begründung

Die Klägerin begehrte vom Beklagten (früher: Zweitbeklagten) unter Berufung auf Art 8 Nr. 11 der 4. EVHGB die Zahlung des Klagebetrags samt Zinsen und brachte dazu im Wesentlichen vor, der Beklagte sei im Namen einer nicht exakt bezeichneten Gesellschaft aufgetreten und habe für diese bei der Klägerin Waren bestellt. Nachdem die Klägerin eine Auftragsbestätigung auf eine bestimmte GmbH ausgestellt habe, habe der Beklagte telefonisch die Richtigstellung auf eine näher bezeichnete OHG verlangt, deren persönlich haftender Gesellschafter er sei. Nachdem die Klägerin die bestellten Waren um den vereinbarten Preis geliefert habe, habe sich herausgestellt, dass die vom Beklagten bezeichnete OHG niemals existiert habe; ein Teilkaufpreis von EUR 1.757 sei noch offen. Da der Beklagte wegen der mangelnden Existenz der angeblich von ihm vertretenen Käuferin als falsus procurator Schadenersatz in Höhe des Erfüllungsinteresses zu leisten habe, komme der Klägerin der Gerichtsstand gemäß Art 5 Nr 3 EuGVVO zugute.

Der Beklagte erhob die Einreden der örtlichen Unzuständigkeit sowie der mangelnden inländischen Gerichtsbarkeit, da kein zuständigkeitsbegründender Anknüpfungspunkt gemäß Art 5 EuGVVO vorliege. Er sei für eine von ihm als Geschäftsführer vertretene GmbH aufgetreten. Diese sei insolvent geworden und zwischenzeitig liquidiert worden. Eine Haftung als falsus procurator treffe ihn nicht.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt, wobei es von folgenden wesentlichen Feststellungen ausging:

Der Beklagte war Geschäftsführer einer in Deutschland ansässigen GmbH, mit der die Klägerin bereits vor dem nun strittigen Geschäft in Geschäftsbeziehung gestanden war; Ansprechpartner auf Seiten der GmbH war stets der Beklagte gewesen. Bei den Vorgesprächen zur strittigen Lieferung ging der Geschäftsführer der Klägerin davon aus, dass wieder diese GmbH Vertragspartner werden solle. Nachdem eine telefonische Einigung erzielt worden war, übersandte die Klägerin per Telefax eine Auftragsbestätigung an den Beklagten, die die GmbH als Käuferin anführte. Die Ware wurde an die vom Beklagten bekannt gegebene Lieferadresse übermittelt. „Zwischenzeitig" ersuchte der Beklagte telefonisch, die Rechnung nicht auf die GmbH, sondern auf eine OHG mit dem sonst gleich lautenden Firmenwortlaut auszustellen. Eine solche OHG hat jedoch nie existiert. Kurz nach Lieferung der Ware wurde über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Restkaufpreis in Höhe des Klagebetrags blieb offen. Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt dahin, dass der Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach Art 5 Nr 1 EuGVVO vorliege. In der Sache bestehe das Ersatzbegehren zu Recht, weil der Beklagte zunächst nicht offen gelegt habe, für wen er das Geschäft schließen wolle, dies aber durch seine telefonische Bekanntgabe, er habe für die OHG kontrahiert, im Nachhinein konkretisiert habe.

Das Berufungsgericht hob über Berufung des Beklagten das Urteil des Erstgerichts als nichtig auf und wies die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit zurück. Die Klägerin habe ihren Anspruch primär auf einen Kaufvertragsabschluss und subsidiär auf eine falsus procurator-Haftung gestützt. Die Voraussetzungen für den Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach Art 5 Nr 1 EuGVVO seien für die Kaufpreisforderung nicht gegeben, weil die Ware nach Deutschland geliefert worden sei. Nach Art 5 Nr 3 EuGVVO könnten Klagen aus einer unerlaubten Handlung vor dem Gericht jenes Ortes erhoben werden, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Zufolge der einschlägigen Judikatur des Obersten Gerichtshofs sei ein Anspruch aus culpa in contrahendo ein vertraglicher Anspruch iSd Art 5 Nr 1 EuGVVO, wobei die für den Erfüllungsort maßgebliche Verpflichtung in der Aufklärungspflicht selbst zu sehen sei. Dem gegenüber habe der EuGH ausgesprochen, dass Ansprüche, mit denen die vorvertragliche Haftung des Beklagten geltend gemacht werde, unter den Begriff der unerlaubten Handlung nach Art 5 Nr 3 EuGVVO fielen, wenn ein Verstoß gegen die Rechtsvorschriften vorliege, nach welchen die Parteien bei Verhandlungen nach Treu und Glauben handeln müssten und keine von einer Partei gegenüber einer anderen bei diesen Vertragshandlungen freiwillig eingegangene Verpflichtung bestehe. Hier sei auf diese Judikaturdivergenz nicht näher einzugehen, weil der Beklagte jedenfalls - unbeschadet der Vollmachtsproblematik - freiwillig eine Verpflichtung (nämlich im Sinne eines Kaufvertrages) eingegangen sei. Auch in Art 8 Nr 11 Abs 1 der 4. EVHGB werde darauf abgestellt, ob jemand „als Vertreter ein Handelsgeschäft geschlossen" habe. Zumindest aber gebe die von der Klägerin getroffene Wahl des Erfüllungsanspruchs dem Vertreter die Stellung eines Vertragspartners. Damit sei auch eine inländische Gerichtsbarkeit und Zuständigkeit aus „unerlaubter Handlung" nicht begründet, weshalb sich das Gericht von Amts wegen gemäß Art 26 Abs 1 EuGVVO für unzuständig zu erklären habe. Das vorliegende Prozesshindernis bewirke die Nichtigkeit des Ersturteils, welches somit aufzuheben sei.

Der dagegen erhobene Rekurs der Klägerin ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Vorweg ist festzuhalten, dass die Klägerin ihre ursprüngliche Behauptung, der Beklagte wäre bei Abschluss des Kaufvertrags auch im eigenen Namen aufgetreten, nicht mehr aufrecht erhalten hat, sodass sich ein Eingehen darauf erübrigt.

Zu prüfen bleibt, ob sich aus den Prozessbehauptungen der Klägerin, nämlich dem Vorwurf an den Beklagten, wegen des rechtsgeschäftlichen Handelns im Namen einer nicht existenten Gesellschaft als falsus procurator ersatzpflichtig zu sein, die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts ergibt. Der Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach Art 5 Nr 1 EuGVVO kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil der Beklagte nach den maßgeblichen Prozessbehauptungen nicht im eigenen Namen aufgetreten und damit auch nicht freiwillig eine (eigene) Verpflichtung eingegangen ist. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann auch nicht daraus, dass ein falsus procurator nach (früherem) österreichischem Recht wahlweise auch auf Erfüllung haftet, der vertragliche oder vertragsähnliche Charakter des zu beurteilenden Rechtsverhältnisses abgeleitet werden, weil die in der EuGVVO enthaltenen Zuständigkeitstatbestände autonom auszulegen sind. Die vom Berufungsgericht für die Einordnung als vertraglicher Anspruch herangezogene Entscheidung 4 Ob 180/00z (= ZfRV 2001, 33) ist auch keineswegs für die Haftung des falsus procurator einschlägig, sondern betrifft eine ganz andere Konstellation, zumal dort nach dem Klagevorbringen bereits ein Vertragsverhältnis (Treuhandvertrag) bestand.

Zur Begründung der Zuständigkeit des Erstgerichts hat die Klägerin im Zusammenhang mit der Geltendmachung einer Haftung als falsus procurator den Gerichtsstand nach Art 5 Nr 3 EuGVVO herangezogen, dessen Anknüpfungsvoraussetzungen ebenfalls autonom zu bestimmen sind (SZ 2003/11; SZ 73/106 ua). Zur vorvertraglichen Haftung wegen Verstoßes gegen Rechtsgrundsätze für Vertragsverhandlungen hat der EuGH eine Einordnung als Ansprüche aus „unerlaubter Handlung" vertreten (vgl etwa C-334/00 ). Fehle eine von einer Partei gegenüber einer anderen bei Vertragsverhandlungen freiwillig eingegangene Verpflichtung und liege möglicherweise ein Verstoß gegen Rechtsvorschriften, namentlich diejenigen, wonach die Parteien bei diesen Verhandlungen nach Treu und Glauben handeln müssen, vor, so bilde bei einer Klage, mit der die vorvertragliche Haftung des Beklagten geltend gemacht werde, eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer solchen unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, im Sinne von Art 5 Nr 3 des (damals) Brüsseler Übereinkommens den Gegenstand des Verfahrens.

Gelangt man nun im Sinne dieser Ausführungen zur Anwendbarkeit des Art 5 Nr 3 EuGVVO, ist weiter zu fragen, ob das schädigende Ereignis am Ort der Niederlassung der Klägerin eingetreten ist, was weitere Voraussetzung für die Bejahung der internationalen Zuständigkeit wäre. Dabei ist zu betonen, dass eine Klagezurückweisung wegen Fehlens des notwendigen zuständigkeitsbegründenden Sachverhalts nicht in Betracht kommt, wenn die zuständigkeitsbegründenden Prozessbehauptungen gleichzeitig für die Beurteilung des materiellen Anspruchs maßgeblich („doppeltrelevante Tatsachen") sind (vgl nur 5 Ob 312/01w; RIS-Justiz RS0116404). Ergibt sich im Beweisverfahren, dass die behaupteten Tatsachen in Wahrheit nicht vorliegen, ist die Klage nicht zurückzuweisen, sondern meritorisch abzuweisen. Im vorliegenden Fall ist somit der Umstand, dass der Beklagte beim Vertragsabschluss als Geschäftsführer einer (von ihm tatsächlich vertretenen) GmbH aufgetreten ist, nicht zu berücksichtigen. Vielmehr ist bei Prüfung der Zuständigkeitsfrage von der Klagebehauptung auszugehen, der Kläger habe die vollständige Firma der Käuferin vorerst nicht ausreichend bestimmt genannt und den (beabsichtigten) Vertragspartner erst in der Folge durch Angabe der Firma einer (nicht existenten) OHG konkretisiert.

Zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist", hat der EuGH wiederholt Stellung genommen (vgl nur C-18/02 mwN). Danach hat der Kläger die Wahl, den Beklagten entweder an jenem Ort zu verklagen, an dem der reale Schaden eingetreten ist, oder an jenem, an dem das für die Auslösung einer Schadenersatzpflicht in Betracht kommende Ereignis stattgefunden hat. Hier hat die Klägerin die Haftung des Beklagten damit begründet, er habe ihr gegenüber telefonisch unrichtige Erklärungen abgegeben, die die Klägerin dazu veranlasst hätten, von einem wirksamen Vertragsabschluss mit einer OHG auszugehen. Da derartige Erklärungen erst dann rechtlich bedeutsam werden, wenn sie dem vorgesehenen Erklärungsempfänger zugehen, muss wohl davon ausgegangen werden, dass das schädigende Ereignis am Ort der Niederlassung der Klägerin stattgefunden hat, auch wenn sich der Beklagte bei dem betreffenden Telefongespräch vermutlich in Deutschland befunden haben wird. Aber auch eine Anknüpfung an den Ort, an dem der Schaden real eingetreten ist, führt zur Niederlassung der Klägerin. Diese hat ja nach ihren Behauptungen im Vertrauen auf die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts die Ware abgesandt und damit die Verfügungsmacht darüber verloren.

Damit erweist sich die Auffassung des Berufungsgerichts, der Gerichtsstand nach Art 5 Nr 3 EuGVVO liege nicht vor, als unzutreffend. Es wird im fortzusetzenden Verfahren die Berufung meritorisch zu erledigen haben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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