OGH 13Os113/06a

OGH13Os113/06a20.12.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Dezember 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Ratz, Hon. Prof. Dr. Schroll, Mag. Hetlinger und Mag. Lendl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kikinger als Schriftführer in der Strafsache gegen Lavdrim O***** wegen Vergehen nach § 27 Abs 1 erster, zweiter und sechster Fall und Abs 2 Z 1 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Schöffengericht vom 19. Juni 2006, GZ 22 Hv 75/05b-103, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das ansonsten unberührt bleibt, im Schuldspruch zu A und D sowie im Strafausspruch, einschließlich der Vorhaftanrechnung, aufgehoben und im Umfang der Aufhebung an den Einzelrichter des Landesgerichtes Linz verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen. Mit seiner gegen den Strafausspruch gerichteten Berufung wird der Angeklagte auf das kassatorische Erkenntnis verwiesen. Zur Entscheidung über die gegen den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche ergriffene Berufung werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Lavdrim O***** wurde einer unbestimmten Anzahl von Vergehen nach § 27 Abs 1 erster, zweiter und sechster Fall und Abs 2 Z 1 SMG (A), des Vergehens der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (B), zweier Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (C/1 und 2) und des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (D) schuldig erkannt.

Danach hat er in Linz

A) den bestehenden Vorschriften zuwider ein Suchtgift erworben,

besessen (1. und 4.) und (teils, nämlich zu 2.) in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung der im § 27 Abs 1 sechster Fall SMG bezeichneten Tat eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, einem anderen überlassen (2. und 3.), indem er von Juni/Juli 2005 bis etwa 11. Juli 2005

  1. 1. täglich eine unbekannte Menge Kokain konsumierte;
  2. 2. beinahe täglich unbekannte Mengen Kokain zum Grammpreis von 100 Euro an unbekannte Personen und eine Person namens Mustafa, der in einem Fall einen Betrag von 2.000 Euro bezahlte, im Lokal „O*****" gewinnbringend verkaufte;

    3. je etwa zwei Mal eine unbekannte Menge Kokain an Ana Elena B***** und Rita Melinda A***** zum Konsum überließ;

    4. am 19. Juli 2005 gemeinsam mit Ferit O***** ca 1 Gramm Kokain besaß;

    B) am 19. Juli 2005 Fatjon T***** durch die telefonische Äußerung:

    „Wenn du das Mädchen nicht bringst, schneide ich Dir die Ohren ab und mache dich fertig", sohin durch Drohung mit zumindest einer Körperverletzung, zu einer Handlung, nämlich Ana Elena B***** zur Rückkehr in das Lokal „O*****" zu überreden bzw dorthin selbst zurückzubringen, zu nötigen versucht;

    C) am Körper verletzt, und zwar

    1. am 27. Mai 2005 Hüseyin E***** durch Versetzen eines Faustschlages ins Gesicht und gegen die linke Brustkorbseite in Form eines Nasenbeinbruchs und einer Prellung des Kopfes sowie der linken Brustkorbseite;

    2. am 18. September 2004 Barbara S***** durch Versetzen einer Ohrfeige und Schläge in Form einer Schädelprellung und Zerrung der Halswirbelsäule;

    D) von etwa Mitte Juni 2005 bis 19. Juli 2005 den ungarischen

    Reisepass der Ana Elena B*****, über den er nicht oder nicht allein verfügen durfte, durch Aufbewahrung in seiner Schreibtischschublade mit dem Willen unterdrückt, zu verhindern, dass dieser zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werde.

Rechtliche Beurteilung

Der aus Z 4, 5, 5a und 10 des § 281 Abs 1 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt teilweise Berechtigung zu.

Die aus Z 4 relevierte „nochmalige Einvernahme der Zeuginnen A***** und B***** zum Beweis dafür, dass der Zeuge Attila unter dem Vorwand, er werde für alle drei Zeugen eine Arbeitsbewilligung bzw Aufenthaltsbewilligung beschaffen, diese zu Falschaussagen gegen den Angeklagten überredet hat" (S 344/II), unterblieb zu Unrecht (vgl auch § 248 Abs 2 und 3 StPO). In der Hauptverhandlung hatte nämlich der Zeuge T***** mehrfach eine angebliche Bestimmung der beiden Zeuginnen zur Falschaussage durch einen gewissen Attila bekundet (S 246-265/II). Die Zeugin K***** (S 318-330/II) hinwieder hatte berichtet, dass B***** („Isabella"; vgl S 409/I) ihr davon erzählt habe, von A***** („Rita") zur Falschaussage gezwungen worden zu sein (S 329/II). A***** ihrerseits habe zugegeben, falsch ausgesagt zu haben (S 327 f/II).

Entgegen der Ansicht des Schöffengerichtes (S 346/II) war die begehrte Abhörung keineswegs wegen fehlenden Verzichts auf ein Entschlagungsrecht aus rechtlichen Gründen undurchführbar. Eine Sachverhaltsgrundlage für eine derartige Annahme ist der Begründung des Zwischenerkenntnisses nicht zu entnehmen. Dass Ana Elena B***** durch eine dem Angeklagten zur Last gelegte strafbare Handlung in ihrer Geschlechtssphäre verletzt worden sein könnte (§ 152 Abs 1 Z 2a StPO), war nicht ersichtlich (vgl WK-StPO § 281 Rz 50). Auch wenn man im Vorwurf der Zuhälterei nach § 216 Abs 2 erster und zweiter Fall StGB gegenüber Rita Melinda A***** einen dem § 152 Abs 1 Z 2a StPO subsumierbaren Sachverhalt erblickt, konnte dieser jedenfalls ohne weiteres von den dem Schuldspruch zugrundeliegenden Sachverhalten gesondert werden (§ 152 Abs 4 zweiter Satz StPO).

Eine Sachverhaltsgrundlage für den Entschlagungsgrund der Selbstbezichtigungsgefahr lag ebenso wenig vor (vgl WK-StPO § 281 Rz 226). Den zu A/3 erwähnten Suchtgiftkonsum haben die beiden Zeuginnen bei ihrer gerichtlichen Abhörung im Vorverfahren nach Belehrung gemäß § 152 Abs 1 Z 1 StPO zugestanden (ON 33 f).

Da der zu A und D ergangene Schuldspruch maßgeblich auch auf den als glaubwürdig beurteilten Angaben der zur Abhörung beantragten Zeuginnen fußt (vgl US 24 ff), ist schon aufgrund des aufgezeigten Verfahrensmangels Urteilsaufhebung in diesem Umfang erforderlich, ohne dass es der Erörterung darauf bezogener weiterer Beschwerdeargumente bedarf (§§ 281 Abs 3 erster Satz, 285e erster Satz, 288 Abs 2 Z 1 StPO). Die der Anklage noch zugrunde liegenden Taten fallen in die sachliche Zuständigkeit des Einzelrichters. Deshalb war die Sache in sinngemäßer Anwendung des § 288 Abs 2 Z 3 aE StPO an diesen zu verweisen (vgl 16 Os 30/90 sowie RIS-Justiz RS0100271).

Im Übrigen kommt der Nichtigkeitsbeschwerde keine Berechtigung zu. Die Bemerkung des zur Vernehmung des Zeugen Fatjon T***** zugezogenen Dolmetschers Biter K*****, wonach die Äußerung, einem anderen „die Ohren abschneiden" zu wollen, „eine harmlose Unmutsäußerung" darstelle (S 256/II), bedurfte schon angesichts des unmissverständlich drohenden Zusatzes „dann mache ich dich fertig" keiner Erörterung. Zudem war Gegenstand der Bemerkung nicht die Aussage des Zeugen Fatjon T*****, zu deren Übersetzung der Dolmetscher zugezogen wurde, sodass sie nicht zu dem der Beweiswürdigung zugänglichen Prozessstoff gehörte (§ 258 Abs 1 erster Satz StPO). Denn zum Bedeutungsinhalt der angeblichen Drohung des Angeklagten wurde Biter K***** nicht beigezogen. Andere „zur subjektiven Tatseite" der zu B genannten Drohung angeblich übergangene Beweismittel nennt die Beschwerde (Z 5 zweiter Fall) nicht.

Was aus der von T***** für Attila gebrauchten Bezeichnung „Kosovo-Albaner Vesir" zugunsten des Angeklagten abgeleitet hätte werden können, ist der Mängelrüge ebensowenig zu entnehmen (vgl WK-StPO § 281 Rz 424).

Indem das Schöffengericht den zu B ergangenen Schuldspruch auf die Angaben des Zeugen T***** im Vorverfahren gestützt und das deren Richtigkeit in Abrede stellende Deponat dieses Zeugen in der Hauptverhandlung mit eingehender Begründung als unglaubwürdig abgelehnt hat, ist es seiner Begründungspflicht keineswegs nur offenbar unzureichend nachgekommen. Dass Wahrnehmungen der erkennenden Richter im Protokoll vielfach keinen Niederschlag finden, liegt in der Natur der Sache und vermag einen Begründungsmangel nicht zu bewirken (WK-StPO § 281 Rz 412).

Die vorstehend erwähnte Bemerkung des der Aussage des Zeugen T***** zugezogenen Dolmetschers weckt schon angesichts des Zusatzes, T***** „fertig machen" zu wollen, keine erheblichen Bedenken am Ergebnis der von den Tatrichtern angestellten Beweiswürdigung (zu B), sodass auch der Tatsachenrüge (Z 5a) kein Erfolg zukommt.

Im nachfolgenden Rechtsgang wird zu beachten sein, dass für einen Schuldspruch wegen des Vergehens nach § 27 Abs 1 erster Fall SMG darauf bezogene Feststellungen erforderlich sind.

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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