OGH 13Os104/06b

OGH13Os104/06b20.12.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Dezember 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Ratz, Hon. Prof. Dr. Schroll, Mag. Hetlinger und Mag. Lendl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kikinger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Rene K***** und weitere Angeklagte wegen des Verbrechens des räuberischen Diebstahls nach §§ 127, 130 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 12. Juni 2006, GZ 29 Hv 87/06d-29, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Text

Gründe:

Soweit mit Nichtigkeitsbeschwerde angefochten, wurden Rene K***** und Michael H***** - abweichend von der wegen des Verbrechens des räuberischen Diebstahls nach §§ 127, 130 erster Fall StGB erhobenen Anklage - des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt, Mario J***** dagegen vom Anklagevorwurf gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Die Anklage hatte Rene K*****, Mario J***** und Michael H***** vorgeworfen, am 15. Februar 2006 in Innsbruck mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz dem Christoph B***** 30 Euro weggenommen und, auf frischer Tat betreten, diesem und Philipp W***** mehrere Faustschläge verabreicht zu haben, um sich die weggenommene Sache zu erhalten.

Rechtliche Beurteilung

Der aus Z 4 des § 281 Abs 1 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft kommt keine Berechtigung zu. Der Antrag auf „Ladung und Einvernahme der Zeuginnen Sandra K*****, Carina Ko*****, Julia L***** und Jacqueline H***** als Tatzeuginnen" war „wegen hinreichend geklärtem Sachverhalt, zumal selbst das Opfer nicht von einem Diebstahl spricht und eine weitere Aufklärung des Sachverhaltes durch die Einvernahme der genannten Zeuginnen nicht zu erwarten ist" (S 149/II), abgewiesen worden.

Die Verfahrensrüge sieht in der Begründung dieser prozessleitenden Verfügung eine unzulässig vorgreifende Beweiswürdigung der - nachfolgend einverständlich (§ 252 Abs 1 Z 4 StPO) verlesenen - niederschriftlichen Angaben der vier als Zeuginnen beantragten Frauen vor der Polizei. Dort hatten drei von ihnen, dem Anklagevorwurf zuwider, bekundet, dass B***** kein Geld weggenommen worden sei, dieser vielmehr seinerseits eine Banknote übergeben habe; die Vierte hatte ausgesagt, „keinerlei Handlungen" beobachtet, sondern nur gesehen zu haben, „wie die Burschen wegliefen und B***** und W***** hinterher" (AZ 30 Ur 84/06z des Landesgerichtes Innsbruck, ON 103, S 243-245, 247-249, 255-257 und 259-261 sowie ON 133-135 und 137). Zudem betreffe die „Einvernahme von Tatzeugen immer eine schulderhebliche Tatsache" und habe daher keines Vorbringens bedurft, weshalb die beantragte Beweisaufnahme das vom Antragsteller behauptete Ergebnis erwarten lasse.

Wenn das Gericht eine der Vorschriften des § 238 StPO über die Vorgangsweise bei der Entscheidung über Anträge missachtet, kann zwar deren Einhaltung, mithin begehrt werden, dass über den Antrag sofort entschieden und die aus Sicht des erkennenden Gerichts maßgeblichen Gründe gleichzeitig verkündet und im Protokoll ersichtlich gemacht werden, und es kann die Missachtung eines derartigen Begehrens mit Verfahrensrüge (Z 4) bekämpft werden.

Die Richtigkeit der Begründung für eine abweisliche Entscheidung steht jedoch nicht unter Nichtigkeitssanktion, wenn nur dem Antrag auch nach der - auf den Zeitpunkt der Antragstellung bezogenen - Ansicht des Obersten Gerichtshofes (im Ergebnis) keine Berechtigung zukam.

§ 281 Abs 1 Z 4 StPO stellt nämlich auf das Zwischenerkenntnis selbst oder dessen Unterlassung, nicht aber auf die Gründe für das Zwischenerkenntnis oder dessen Unterlassung ab. So wird einerseits in verfahrensbeschleunigender Weise (vgl Art 6 Abs 1 MRK) verhindert, dass beantragte Beweisaufnahmen wegen der Möglichkeit eines Begründungsfehlers - obwohl unerheblich - zeitaufwändig veranstaltet werden, andererseits sichergestellt, dass Antragsteller auf Mängel ihrer Anträge (aus der Sicht des Erstgerichtes; § 3 StPO) aufmerksam gemacht werden und ein ergänzendes Vorbringen erstatten können (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 315 f, 318; ders, JBl 2005, 198 [200] und ÖJZ 2005, 705 [707]).

Vorliegend steht kein Antrag auf Bekanntgabe der Entscheidungsgründe nach § 238 Abs 2 StPO in Rede. Vielmehr ist das Schöffengericht seiner Entscheidungs- und Begründungspflicht ohnehin in der vom Gesetz vorgesehenen Weise nachgekommen.

Vorgreifend gewürdigt hat das Schöffengericht anlässlich der Antragsabweisung die Aussagen der als Zeuginnen beantragten Frauen im Übrigen trotz der in diese Richtung weisenden Worte „wegen hinreichend geklärtem Sachverhalt" ohnehin nicht.

Recht besehen hat es nämlich die Vernehmung keineswegs unter unzulässigem Vorgriff auf die fehlende Überzeugungskraft von Angaben der zur Abhörung beantragten Frauen abgelehnt; vielmehr deshalb, weil weder aus deren Aussage vor der Polizei noch aus sonstigen Umständen die Erwartung abzuleiten war, dass sie in der Hauptverhandlung überhaupt Angaben in Richtung des auf Sachwegnahme lautenden Anklagevorwurfs machen würden (zur Unterscheidung von Erkundungsbeweisführung und vorgreifender Beweiswürdigung: Lässig, ÖJZ 2006, 406 [408]; Danek, WK-StPO § 238 Rz 11; 14 Os 129/05k, JBl 2006, 536 [Burgstaller]).

Damit aber war es im Recht. Ist nämlich für das Gericht nicht ohne weiteres erkennbar, dass die beantragte Beweisaufnahme das vom Antragsteller behauptete Ergebnis erwarten lasse, muss dieser nach (Jahrzehnte zurückreichender) ständiger Rechtsprechung plausibel machen, warum dies dennoch der Fall sein sollte (Kirchbacher, WK-StPO § 246 Rz 18, 37; zustimmend: Schmoller, WK-StPO § 3 Rz 63; Burgstaller aaO; Schroll/Schillhammer, AnwBl 2006, 441 [448]; im Grundsatz auch Fuchs, Strafrecht im Wandel, Schriftenreihe des BMJ Bd 118, 5 [18 ff]).

Da der Staatsanwalt ein solches Vorbringen bei seiner Antragstellung in der Hauptverhandlung unterließ, zielte sein Antrag auf - zwar im Vorverfahren (vgl §§ 88 Abs 3, 96 [§ 97 Abs 1] StPO), nicht aber im Stadium der Hauptverhandlung zulässige (WK-StPO § 281 Rz 330) - Erkundungsbeweisführung ab und konnte sanktionslos abgewiesen werden. Die Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285d Abs 1 StPO) hat die Zuständigkeit des Oberlandesgerichtes Innsbruck zur Entscheidung über die Berufung zur Folge (§ 285i StPO).

Bleibt anzumerken, dass Anlass für amtswegiges Vorgehen des Obersten Gerichtshofes in Betreff der auch Michael H***** angelasteten Erfolgsqualifikation nach § 136 Abs 3 erster Fall StGB (B) nicht besteht, weil H***** nach den Urteilsfeststellungen die Fahrzeugschlüssel dem unter Alkohl-, Tabletten- und Suchtmitteleinfluss stehenden Rene K***** mit der Aufforderung überließ, das Fahrzeug in Betrieb zu nehmen (vgl US 14) und solcherart auch hinsichtlich eines 3.000 Euro übersteigenden Unfallschadens am Fahrzeug sorgfaltswidrig handelte (vgl Burgstaller in WK2 § 7 Rz 21 f).

Der rechtsirrige Schuldspruch des Rene K***** wegen mehrerer, statt nur eines Vergehens des Diebstahls (§ 29 StGB; 14 Os 65/99, JBl 2000, 262 [Schmoller]) erfordert amtswegiges Einschreiten deshalb nicht, weil dieser Umstand bei der Strafbemessung nicht aggravierend in Anschlag gebracht wurde.

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