OGH 8Ob100/06y

OGH8Ob100/06y30.11.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Kuras sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lovrek und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Unterhaltsvorschusssache der Susanne K*****, über den ordentlichen Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom 26. Jänner 2006, GZ 20 R 135/05a-107, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Klosterneuburg vom 18. April 2005, GZ 1 P 1445/95w-85, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zurückverwiesen und diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern der Unterhaltsberechtigten wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts Klosterneuburg vom 14. 7. 1989 im Einvernehmen geschieden. Die am 6. 6. 1986 geborene Unterhaltsberechtigte und ihre vormals sorgeberechtigte Mutter sind österreichische Staatsbürger. Mit Vergleich vom 14. 9. 1989 verpflichtete sich der Vater, der (damals minderjährigen) Unterhaltsberechtigten bis zu deren Selbsterhaltungsfähigkeit einen monatlichen Unterhalt von ATS 2.000 zu bezahlen. Aufgrund dieses Vergleichs wurden der Unterhaltsberechtigten seit 1. 11. 1993 regelmäßig Unterhaltsvorschüsse nach §§ 3, 4 Z 1 UVG gewährt. Die letzte Vorschussgewährung erfolgte mit Beschluss des Erstgerichts vom 14. 10. 2002 bis 30. 6. 2005. Aufgrund einer am 15. 6. 2004 erfolgten Mitteilung der Großmutter der damals noch minderjährigen Unterhaltsberechtigten, dass sich diese seit Ende Oktober 2003 in Griechenland aufhalte, ordnete das Erstgericht telefonisch die Innehaltung der Vorschusszahlungen an.

Nach Durchführungen weiterer Erhebungen und Einholung aufgrund der Ergebnisse eines Rechtshilfeersuchens hob das Erstgericht am 15. 6. 2004 die Anordnung auf Innehaltung der Vorschusszahlungen auf. Dabei ging es davon aus, dass die Unterhaltsberechtigte seit September 2003 in Griechenland lebe und griechisch lerne. Sie sei von einer Familie in Rachoni, Thassos, als Gast aufgenommen worden, werde von dieser mit Kleidung, Kost und Unterkunft versorgt und besuche eine Schule, um die griechische Sprache zu erlernen. Sie gehe keiner Erwerbstätigkeit nach und habe keine Einkünfte. Sie werde finanziell von ihrer Mutter, Großmutter und Tante unterstützt. Sie wisse nicht, wielange sie sich dort aufhalten werde, beabsichtige aber die griechische Sprache zu erlernen, um zu arbeiten oder an einer Höheren Schule studieren zu können. Sie wolle nicht zu ihrer Familie zurückkehren. Rechtlich folgerte das Erstgericht, dass die Unterhaltsberechtigte noch nicht selbsterhaltungsfähig sei und über keinerlei Einkünfte verfüge, weshalb die Vorschüsse nach wie vor auszuzahlen seien.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien nicht Folge. Die Verordnung (EWG) Nr 1408/71 des Rates sehe eine „Exportverpflichtung" der Unterhaltsvorschüsse nach dem UVG, die als Familienleistungen im Sinn des § 73 der Verordnung zu qualifizieren seien, vor. Die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen sei nicht davon abhängig, ob sich der Unterhaltsberechtigte gemeinsam mit dem obsorgeberechtigten Elternteil im Ausland aufhalte. Es stehe fest, dass im Anwendungsbereich der Verordnung 1408/71 der Griechenlandaufenthalt der Unterhaltsberechtigten, sei er auch von Dauer, dem Anspruch auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen prinzipiell nicht entgegenstehe. Außerhalb des Anwendungsbereichs der Verordnung 1408/71 werde der erforderliche gewöhnliche Aufenthalt im Inland durch einen zeitweiligen Auslandsaufenthalt zu Ausbildungszwecken nicht aufgehoben, sofern beabsichtigt sei, nach Abschluss der Ausbildung den Aufenthalt wieder ins Inland zu verlegen. Vorliegend habe die Unterhaltsberechtigte lediglich angegeben, die griechische Sprache erlernen zu wollen, um dann einer Tätigkeit oder einem Studium nachzugehen. Auch habe sie angegeben, nicht zu ihrer Familie zurückkehren zu wollen. Eine Fragestellung an die Unterhaltsberechtigte, ob sie beabsichtige, nach Ende ihrer Ausbildung nach Österreich zurückzukehren, sei aus dem Akt nicht ersichtlich, sodass der Schluss, die Unterhaltsberechtigte habe ihren Lebensmittelpunkt bereits auf Dauer nach Griechenland verlegt, nicht geteilt werden könne.

Das Rekursgericht sprach zunächst aus, dass der Revisionsrekurs nicht zulässig sei, änderte diesen Ausspruch über Zulassungsvorstellung des Bundes jedoch dahin ab, dass es den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig erklärte. Erst zu einem Zeitpunkt nach Fassung des angefochtenen erstinstanzlichen Beschlusses sei aus dem Akt ersichtlich gewesen, dass sich der Unterhaltspflichtige möglicherweise seit Jahren in Kroatien aufhalte. Gesicherte Rechtsprechung zu dieser Frage liege nicht vor.

Der ordentliche Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, ist zulässig und im Sinn eines in jedem Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsantrags berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass durch die Übergangsbestimmung des Art XVIII § 5 zum KindRÄG 2001 ein Anspruch auf Weitergewährung der Vorschüsse bis zur Vollendung des 19. Lebensjahres besteht und die Unterhaltsberechtigte daher im entscheidungsrelevanten Zeitraum (15. 6. 2004 bis 30. 6. 2005) bereits volljährig - wenn auch noch nicht selbsterhaltungsfähig - war.

Gemäß § 2 Abs 1 UVG ist Voraussetzung für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen, dass die Unterhaltsberechtigten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und entweder österreichische Staatsbürger oder staatenlos sind. Der EuGH hat in seinen Entscheidungen vom 15. 3. 2001, RsC-85/99 , Vincent und Esther Offermanns und vom 5. 2. 2002, RsC-255/99 , Anna Humer, über Vorabentscheidungsersuchen des OGH (JBl 1999, 674 und JBl 2000, 49) festgestellt, dass es sich beim Unterhaltsvorschuss nach dem UVG um eine Familienleistung im Sinn des Art 4 Abs 1 lit h der Verordnung (EWG) 1408/71 des Rates vom 14. 6. 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, handelt. Die „Exportverpflichtung" von Unterhaltsvorschüssen (nach der hier noch anzuwendenden Rechtslage) hat allerdings zur Voraussetzung, dass sich der Unterhaltsschuldner im Inland aufhält; weiters muss ein grenzüberschreitender Bezug im EWR (Schweiz) gegeben sein. Dieser kann nicht nur dadurch zustande kommen, dass der Unterhaltsschuldner von der Freizügigkeit als tätiger oder arbeitsloser Arbeitnehmer oder Selbstständiger Gebrauch macht oder Grenzgänger ist, sondern auch dadurch, dass dies den Elternteil betrifft, bei dem sich das Kind aufhält (Neumayr aaO Rz 20 mwH). Im vorliegenden Fall fehlt es allerdings an einem grenzüberschreitenden Bezug. Weder ist einer der Elternteile der Unterhaltsberechtigten noch diese selbst „Wanderarbeitnehmer" im Sinn der VO 1408/71 . Vielmehr ist der Unterhaltsschuldner unbekannten Aufenthaltes bzw hält sich bereits seit Jahren in Kroatien auf; die Mutter des Unterhaltsberechtigten ist eine österreichische Staatsbürgerin und ausschließlich im Inland aufhältig und (allenfalls) beschäftigt, während sich die Unterhaltsberechtigte zwar in einem EWR Land aufhält, dort allerdings die Schule besucht und keiner Beschäftigung nachgeht.

Die VO 1408/71 ist daher auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt nicht anzuwenden.

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die vom Rekursgericht offensichtlich vertretene Auffassung, dass die Unterhaltsberechtigte ihren gewöhnlichen Aufenthalt jedenfalls im Inland hat, in dieser Form nicht geteilt werden kann. Der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes ist nicht von einem Elternteil abgeleitet, sondern auf die Person des Kindes bezogen zu prüfen. Ein gewöhnlicher Aufenthalt wird durch die körperliche Anwesenheit bestimmt und setzt eine dauerhafte, nicht nur vorübergehende Beziehung zwischen einer Person und ihrem Aufenthalt voraus, die sich in einer bestimmten längeren Dauer und Beständigkeit des Aufenthalts äußert und auch auf objektiv überprüfbare Umstände persönlicher oder beruflicher Art gegründet ist, die dauerhafte Beziehungen einer Person zu ihrem Aufenthaltsort anzeigen. Jedenfalls bilden die Dauer und die Dauerhaftigkeit einen wichtigen, wenn auch nicht allein entscheidenden Anhaltspunkt, wobei als Richtschnur eine Zeit von sechs Monaten zweckmäßig ist; bei einer so langen Aufenthaltsdauer kann im allgemeinen ein gewöhnlicher Aufenthalt bejaht werden. Wesentlich ist in jedem Fall, dass Umstände vorliegen, die dauernde Beziehungen der Person zu einem Ort anzeigen (Neumayr aaO § 2 UVG Rz 6 mwH). Zeitweilige Aufenthalte im Ausland, selbst wenn sie länger dauern, etwa in einer ausländischen Schule bzw zu Lehr- und Studienzwecken heben einen gewöhnlichen Aufenthalt des Minderjährigen im Inland nicht auf. Entscheidend ist, ob bei Wegfall des Anlasses des absehbar vorübergehenden Auslandsaufenthalts dieser sofort wieder aufgegeben und der Aufenthalt zur Gänze ins Inland verlegt wird. Ein gewichtiges Indiz bildet auch die soziale Integration am Aufenthaltsort (Neumayr aaO). Wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt auf Dauer ins Ausland verlegt hat, kann von einem gewöhnlichen Aufenthalt im Inland nicht mehr die Rede sein (vgl 6 Ob 183/04m). Das Erstgericht wird daher die für die Beurteilung der Frage, ob die Unterhaltsberechtigte ihren gewöhnlichen Aufenthalt nach Griechenland verlegt hat oder der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen nach wie vor im Inland besteht, erforderlichen Feststellungen zu treffen haben.

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