Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, der Wahrspruch der Geschworenen und das darauf beruhende angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an ein anderes Geschworenengericht beim Landesgericht Salzburg verwiesen. Mit ihren Berufungen werden die Angeklagte und der Privatbeteiligte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Brigitte Elisabeth S***** aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen - abweichend von der wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB erhobenen Anklage - des Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB schuldig erkannt. Danach hat sie sich am 11. Oktober 2004 in Saalfelden in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu hinreißen lassen, ihre am 13. November 1998 geborene Tochter Sarah S***** (dadurch zu töten), dass sie diese zunächst mittels einer um den Hals gelegten Sprungschnur zu erdrosseln versuchte, anschließend in das Bad schleppte, in die zuvor mit Wasser befüllte Badewanne legte und ihren Kopf bis zum Eintritt des Ertrinkungstodes unter das Wasser hielt.
Die Staatsanwaltschaft bekämpft dieses Urteil mit einer auf die Gründe der Z 6 und 12 des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.
Rechtliche Beurteilung
Die Fragenrüge (Z 6), welche sich gegen die Stellung einer Eventualfrage nach dem Verbrechen des Totschlags nach § 76 StGB richtet, ist berechtigt.
Voraussetzung für Eventualfragen (§ 314 Abs 1 StPO) ist das Vorbringen von Tatsachen in der Hauptverhandlung, welche einen gegenüber der Anklage geänderten Sachverhalt und im Fall ihrer Bejahung die Basis für einen Schuldspruch wegen einer - anklagedifformen - gerichtlich strafbaren Handlung in den näheren Bereich der Möglichkeit rücken (Schindler, WK-StPO § 314 Rz 1). Essentielle Prämisse der gerügten Fragestellung wäre somit das Vorbringen von Tatsachen in der Hauptverhandlung gewesen, die das Vorliegen eines aus rechtlicher Sicht tiefgreifenden Affekts indizieren und diesen darüber hinaus als „allgemein begreiflich" erscheinen ließen. Denn unter einer heftigen Gemütsbewegung im Sinne des § 76 StGB ist ein vor allem durch äußere Gegebenheiten hervorgerufener, impulsiver und intensiver Erregungszustand der Gefühle von kurzer Dauer mit starken Handlungstendenzen und spürbaren körperlichen Begleiterscheinungen, die nicht der Willenskontrolle unterliegen, zu verstehen, der so mächtig ist, dass er die normale Motivationsfähigkeit der Gesamtpersönlichkeit und sogar starke sittliche Hemmungen gegen eine vorsätzliche Tötung ausschaltet (11 Os 22/05b, 15 Os 76/05y, Moos in WK2 § 76 Rz 12 ff; Kienapfel/Schroll BT I5 § 76 Rz 16 f). Nach dem Gesetzeswortlaut sind überdies nur Spontanreaktionen privilegiert, sodass sowohl Tatentschluss als auch Angriffshandlung wegen und während des Affekts erfolgen müssen (vgl Kienapfel/Schroll BT I5 § 76 Rz 18).
Allgemein begreiflich ist ein derartiger Affektzustand nur dann, wenn ein mit den rechtlich geschützten Werten verbundener Mensch in der Lage des Täters beim gegebenen Anlass samt seiner Vorgeschichte in eine derartig heftige Gemütsbewegung geraten könnte (vgl Kienapfel/Schroll BT I5 § 76 Rz 26; Moos in WK2 § 76 Rz 26 ff), also dem Täter kein sittlicher Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er in diesen Erregungszustand geriet (Moos in WK2 § 76 Rz 31). Tatsachen, die auf den Ablauf eines solchen Affektsturmes hingewiesen hätten, hat die Angeklagte in der Hauptverhandlung jedoch nicht vorgebracht und haben sich auch nicht im Beweisverfahren ergeben. Der psychiatrische Sachverständige Univ. Prof. Dr. Reinhard H***** - der bei seinem Gutachten von der Verantwortung der Angeklagten ausging - gestand dieser zwar heftige Affekte in Form von Gekränktsein, Enttäuschung, Verzweiflung und Depressivität zu, nicht aber eine die Kontrollfunktionen ausschaltende Affektexplosion. Denn die Affekte - so der Gutachter - waren mehr von vorbestehenden als von unmittelbaren Regungen getragen, wobei der psychischen Unterminierung und Labilisierung ein höherer Stellenwert als einen momentanen Außer-sich-Geraten zukam. Dazu kommt, dass sich die Tat in mehreren Etappen über einen längeren Zeitraum erstreckte und Anforderungen an psychische Präsenz sowie an das Denk- und Urteilsvermögen stellte (S 489/I, S 486/II).
Die Voraussetzungen für die Stellung einer Eventualfrage nach dem Verbrechen des Totschlags waren somit nicht gegeben, sodass der Schwurgerichtshof gegen die Vorschrift des § 314 Abs 1 StPO verstoßen hat. Da sich die Staatsanwaltschaft der Formverletzung widersetzt und sich die Nichtigkeitsbeschwerde vorbehalten hat (§ 345 Abs 4 StPO), sind die formellen Voraussetzungen für die Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes nach § 345 Abs 1 Z 6 StPO zum Nachteil der Angeklagten gegeben.
Es erübrigt sich daher ein Eingehen auf die Subsumtionsrüge (Z 12). Demnach war in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft der Wahrspruch der Geschworenen und das darauf beruhende Urteil aufzuheben und die Neudurchführung des Verfahrens anzuordnen.
Mit ihren Berufungen waren die Angeklagte und der Privatbeteiligte auf diese Entscheidung zu verweisen.
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