OGH 8Ob98/06d

OGH8Ob98/06d21.9.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Kuras und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Lovrek und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Erich R*****, vertreten durch Dr. Markus Kostner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Erwin W*****, vertreten durch Dr. Werner Beck, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 4.148,50 EUR sA, über die Revision des Klägers gegen das Endurteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 12. Mai 2006, GZ 3 R 109/06k-10, womit über Berufung des Beklagten das Teil- und Zwischenurteil des Bezirksgerichtes Telfs vom 30. Jänner 2006, GZ 2 C 699/05h-6, abgeändert wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat dem Beklagten die mit 399,74 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 66,62 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Ein eingespieltes „Mitarbeiterteam" des Beklagten, bestehend aus einem Fahrer und einem Hilfsarbeiter, säuberte am 4. 11. 2004 im Auftrag des Abwasserverbandes Z***** die Kanalschächte im Gemeindegebiet von Z*****. Zum Zeitpunkt des Unfalls wurde der Kanalschacht in einer Gemeindestraße gesäubert. Dabei war es notwendig, den Straßendeckel mit einem Pickel zu öffnen und die sogenannte „Schottertasse" herauszunehmen. Im Anschluss daran wurde der Schmutz im Kanal aufgesaugt. Der Hilfsarbeiter des Beklagten führte die Arbeit nach Anweisung und unter Kontrolle des Fahrers durch. Der Arbeitsbereich in der Gemeindestraße war durch das eingeschaltete Rundlicht am LKW des Beklagten abgesichert. Der Kläger fuhr in der Gemeindestraße mit seinem Fahrrad aus Richtung Norden kommend am rechten Fahrbahnrand mit einer Geschwindigkeit von 10 bis 15 km/h. Als er sich auf gleicher Höhe mit dem in Richtung Norden stehenden LKW befand, konnte er der vom Hilfsarbeiter des Beklagten in seine Fahrlinie geworfenen oder mit dem Fuß getretenen Schottertasse nicht mehr ausweichen. Er stürzte und zog sich mehrere Verletzungen zu.

Die Polizei führte einen Alkoholtest beim Hilfsarbeiter des Beklagten durch. Die Beamten nahmen deutlichen Alkoholgeruch wahr. Der Hilfsarbeiter hatte etwas mehr als eine Stunde nach dem Unfall einen Alkoholgehalt von 0,94 mg/l. Ob der Fahrer zuvor den Alkoholgeruch des Hilfsarbeiters wahrgenommen hatte, ist nicht feststellbar. Der Hilfsarbeiter wurde wegen dieses Vorfalles gemäß § 88 Abs 1 und 4 erster Fall StGB rechtskräftig zu einer Geldstrafe und zur Zahlung eines Teilschmerzengeldbetrages an den Kläger in Höhe von 2.000 EUR verurteilt.

Der Kläger begehrt 4.000 EUR Schmerzengeld; 100 EUR an Ersatz für Sachschaden; 8,50 EUR an Selbstbehalt des Krankentransportes und 40 EUR an pauschalen Unkosten. Den Beklagten treffe ein Organisationsbzw Überwachungsverschulden. Er habe seinen Mitarbeiter trotz der bestehenden Alkoholisierung eingesetzt. Beim Hilfsarbeiter des Beklagten liege ein auffallender Mangel an Gewissenhaftigkeit vor. Dem Beklagten hätte die Möglichkeit eines Schadenseintrittes durch ein Verhalten des Hilfsarbeiters bewusst sein müssen. Der Kläger erklärte, seinen Anspruch auf Schadenersatz, insbesondere auf die Bestimmungen über die Besorgungsgehilfenhaftung und Überwachungsverschulden sowie „auf jeden erdenklichen Rechtsgrund" zu stützen.

Der Beklagte wendet ein, sein Hilfsarbeiter sei durch Alkohol nicht merklich beeinträchtigt worden. Der Beklagte sei seiner Organisations- und Überwachungspflicht nachgekommen. Der Gefahrenbereich sei abgesichert worden. Die unfallkausale Handlung des Hilfsarbeiters sei vollkommen unvermittelt gesetzt worden. Der Mitarbeiter sei stets fleißig gewesen und habe ohne Probleme gearbeitet. Von einem habituellen Hang zur Unachtsamkeit oder Untüchtigkeit könne nicht ausgegangen werden. Er habe vielmehr eine unvermittelte zufällige Reflexreaktion gesetzt. Im Übrigen treffe den Kläger ein Mitverschulden.

Mit seinem Teil- und Zwischenurteil verpflichtete das Erstgericht den Beklagten zur Zahlung von 148,50 EUR sA und sprach aus, dass das (weitere) Klagebegehren in Höhe von 4.000 EUR sA (Schmerzengeld) dem Grunde nach zu Recht bestehe.

Rechtlich erachtete das Erstgericht, dass die Voraussetzungen des § 1315 ABGB nicht vorlägen. Es habe keinerlei Anzeichen für eine habituelle Untüchtigkeit oder Gefährlichkeit des Hilfsarbeiters des Beklagten gegeben. Allerdings treffe den Beklagten eine Repräsentantenhaftung: Der Fahrer habe gegenüber dem Hilfsarbeiter des Beklagten Kontroll- und Anweisungsbefugnisse gehabt. Zwar sei die Arbeitsstelle ausreichend abgesichert gewesen. Allerdings hätte dem Fahrer die Alkoholisierung des Hilfsarbeiters auffallen müssen. Ein Mitverschulden des Klägers erachtete das Erstgericht als nicht gegeben.

Das Berufungsgericht gab der dagegen vom Beklagten erhobenen Berufung Folge und änderte das Teil- und Zwischenurteil des Erstgerichtes im Sinne einer gänzlichen Klageabweisung ab und sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil hier vorhersehbar gewesen sei, dass bei Durchführung der Kanalarbeiten ein Kontakt mit Verkehrsteilnehmern eintreten könne. Es könnte daher auch die Auffassung vertreten werden, dass der Kläger als Begünstigter von nebenvertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflichten anzusehen sei und daher der Beklagte dem Kläger vertraglich hafte.

Rechtlich ging das Berufungsgericht davon aus, dass das Erstgericht zutreffend - mangels habitueller Untüchtigkeit des Hilfsarbeiters des Beklagten - eine Haftung nach § 1315 ABGB verneint habe. Auch eine Repräsentantenhaftung komme nicht in Betracht, weil der Fahrer im Unternehmen des Beklagten weder eine leitende Stellung innegehabt noch eine leitende Funktion ausgeübt habe. Der Fahrer sei nur gegenüber dem Hilfsarbeiter weisungsbefugt. Der Beklagte habe über 12 Fahrzeuge verfügt und 20 Mitarbeiter beschäftigt. Die Funktion des konkret eingesetzten Fahrers komme damit etwa der Hälfte aller Arbeitnehmer des Beklagten zu. Von einer „leitenden Stellung" könne daher nicht gesprochen werden.

Eine - vom Kläger allerdings nicht geltend gemachte - Haftung nach § 1313a ABGB verneinte das Berufungsgericht: Zwar bestünden nach ständiger Rechtsprechung Schutz- und Sorgfaltspflichten als vertragliche Nebenpflichten des Schuldners nicht nur gegenüber seinem Vertragspartner, sondern auch gegenüber einem bestimmten Kreis dritter Personen. Allerdings werde der Kreis der begünstigten Personen auf Dritte beschränkt, deren Kontakt mit der vertraglichen Hauptleistung beim Vertragsabschluss voraussehbar gewesen sei. Der Kreis der geschützten Personen sei jedoch eng zu ziehen, um die Grenze zwischen Vertrags- und Deliktshaftung nicht zu verwischen. Nicht vom Schutzbereich umfasst seien Personen, mit denen bei der Ausführung eines Werkvertrages rein gesellschaftlich oder im allgemeinen Verkehr mit der Umwelt in Kontakt getreten werde. Zwar sei hier vorhersehbar gewesen, dass es bei der Durchführung der Reinigungsarbeiten zu Kontakten mit Verkehrsteilnehmern kommen könne. Das ändere jedoch nichts daran, dass es sich bei diesem Personenkreis um „die Allgemeinheit" handle. In Bezug auf diesen Personenkreis werde für das Verschulden eines Gehilfen nicht nach § 1313a ABGB, sondern lediglich im Rahmen des § 1315 ABGB gehaftet.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Kläger erhobene Revision ist ungeachtet des den OGH nicht bindenden Zulässigkeitsausspruches des Berufungsgerichtes unzulässig:

Der Kläger bezweifelt in seiner Revision nicht, dass eine Besorgungsgehilfenhaftung des Beklagten deshalb ausscheidet, weil weder eine habituelle Untüchtigkeit des vom Beklagten eingesetzten Hilfsarbeiters vorlag noch dem Beklagten ein Wissen um die Gefährlichkeit seines Mitarbeiters im Sinn des § 1315 ABGB angelastet werden kann.

Die Revision zieht auch die Richtigkeit der Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes, dass die Voraussetzungen für eine Repräsentantenhaftung hier nicht vorliegen, zutreffend nicht mehr in Zweifel (vgl dazu RIS-Justiz RS0106862; 3 Ob 180/03x ua). Ebenfalls nicht strittig ist, dass die Mitarbeiter des Beklagten jenen Bereich, in dem die Arbeiten vorgenommen wurden, ordnungsgemäß absicherten.

Die Revisionsausführungen zielen vielmehr ausschließlich darauf ab, dass der Beklagte für seinen Mitarbeiter gemäß § 1313a ABGB hafte, weil von einem Schuldverhältnis mit Schutzwirkung zugunsten Dritter auszugehen sei.

Auch wenn diese Rechtsauffassung des Klägers zutrifft, ist damit für ihn nichts gewonnen: Selbst bei großzügiger Betrachtung hat sich der Kläger auf die Verletzung von Schutz- und Sorgfaltspflichten aus dem Vertragsverhältnis des Beklagten zum Werkbesteller niemals berufen:

Er hat nicht einmal vorgebracht, von wem der Beklagte mit der Durchführung von Kanalräumungsarbeiten beauftragt wurde. Demgemäß fehlt auch jedes Vorbringen darüber, in welchem Verhältnis der Werkbesteller (nach den Feststellungen des Erstgerichtes ein Abwasserverband) zur Gemeinde als Straßenhalterin stand. Der Kläger hat vielmehr seine Sachverhaltsbehauptungen ausschließlich darauf bezogen, dass sich der Beklagte eines untüchtigen bzw gefährlichen Besorgungsgehilfen im Sinne des § 1315 ABGB bediente und dass den Beklagten ein Organisations- bzw Überwachungsverschulden treffe. Dass sich der Kläger überdies „auf jeden sonstigen erdenklichen Rechtsgrund" stützte, reicht mangels jeglichen Sachvorbringens insbesondere zum Vertragsverhältnis zwischen dem Beklagten und dem Werkbesteller und den sich daraus ergebenden (Schutz)Pflichten nicht aus, das Institut des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter als Anspruchsgrundlage heranzuziehen. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der vom Berufungsgericht als erheblich bezeichneten Rechtsfrage hat daher zu unterbleiben. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision des Klägers hingewiesen. Die Kosten seiner Revisionsbeantwortung sind daher vom Kläger zu ersetzen.

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