OGH 6Ob85/06b

OGH6Ob85/06b14.9.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ. Doz. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*****, Schweiz, vertreten durch Mag. Christof Korp, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Land Steiermark, *****, vertreten durch Dr. Arno Lerchbaumer, Rechtsanwalt in Graz, wegen 15.602,30 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 11. Jänner 2006, GZ 6 R 3/06t-18, mit dem der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 21. Oktober 2005, GZ 23 Cg 149/05a-13, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs verworfen wird. Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit 583,92 EUR (darin 97,32 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz und die mit 1.605,06 EUR (darin 267,51 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die beklagte Partei schrieb am 28. 5. 2002 zu GZ FA7B-39-60601/253-2002 die Lieferung von 20 bis 25 Stück Wärmebildkameras für den Feuerwehreinsatz aus. Die Kundmachung der Ausschreibung erfolgte am selben Tag. Innerhalb offener Anbotsfrist legte die Rechtsvorgängerin der Klägerin ein Haupt- und drei Alternativanbote.

Am 26. 7. 2002 teilte die beklagte Partei mit, dass zwei dieser Anbote als nicht ausschreibungskonform ausgeschieden, die beiden anderen in das Verfahren zur Bestbieterermittlung einbezogen worden seien. Bei der Bestbieterermittlung sei jedoch das Anbot eines anderen Unternehmens als bestes hervorgegangen.

Aufgrund dieser Verständigung leitete die Rechtsvorgängerin der Klägerin vor Zuschlagserteilung ein Nachprüfungsverfahren ein. Mit Bescheid vom 28. 10. 2002 erklärte der Vergabekontrollsenat des Landes Steiermark zu GZ VKS M9-2002/21 die Ausscheidung der beiden Anbote und die Entscheidung, den Zuschlag an das andere Unternehmen vergeben zu wollen, für nichtig. Aufgrund dieser Entscheidung stand das Vergabeverfahren wieder im Stadium nach Anbotseröffnung und vor Zuschlagserteilung.

Am 22. 11. 2002 widerrief die beklagte Partei die Ausschreibung. Die Rechtsvorgängerin der Klägerin rief dagegen am 13. 12. 2002 den Vergabekontrollsenat des Landes Steiermark an. Sie beantragte, einerseits die Unterlassung der beklagten Partei, ihr den Zuschlag zu erteilen, und andererseits den Widerruf der Ausschreibung für nichtig zu erklären.

Mit Bescheid vom 5. 3. 2003 wies der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark, auf den aufgrund einer Gesetzesänderung zwischenzeitig die Entscheidungskompetenz übergegangen war, zu GZ UVS 443.20-2/2003-5 beide Anträge zurück. Das Steiermärkische VergabeG 1998 biete einerseits keine Handhabe, Unterlassungen, die nicht als selbstständige Akte des Vergabeverfahrens nach außen in Erscheinung treten, für nichtig zu erklären. Andererseits wäre der Unabhängige Verwaltungssenat nach § 105 Abs 2 Steiermärkisches VergabeG lediglich zuständig festzustellen, ob die Ausschreibung entgegen den Vorschriften des Gesetzes widerrufen wurde; ein dahin gehendes Begehren habe die Rechtsvorgängerin der Klägerin aber nicht gestellt, sondern lediglich Nichtigerklärung des Widerrufs beantragt. Zu GZ B 618/03-3 lehnte der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 3. 12. 2004 die Behandlung einer dagegen von der Rechtsvorgängerin der Klägerin erhobenen Beschwerde ab.

Die Klägerin begehrt von der beklagten Partei aufgrund einer Verletzung vorvertraglicher Schutz- und Sorgfaltspflichten sowie vergaberechtlicher Vorschriften 15.602,30 EUR an in diesen Verfahren aufgelaufenen Vertretungskosten. Der Widerruf der Ausschreibung sei rechtswidrig gewesen.

Die beklagte Partei wendet (unter anderem) Unzulässigkeit des Rechtswegs ein. Nach § 118 Steiermärkisches VergabeG sei Zulässigkeitsvoraussetzung einer Schadenersatzklage die Feststellung einer Rechtsverletzung durch den Vergabekontrollsenat des Landes Steiermark; eine solche liege aber nicht vor.

Das Erstgericht erklärte nach Einschränkung der Verhandlung auf die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs das durchgeführte Verfahren für nichtig und wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück. Das Steiermärkische LandesvergabeG in seiner im vorliegenden Verfahren anzuwendenden Fassung LGBl 1998/74 und LGBl 2000/66 kenne eine Feststellungsbefugnis des Vergabekontrollsenats bzw des Unabhängigen Verwaltungssenats im Falle eines Widerrufs der Ausschreibung nur in § 105 Abs 2, der die Zuständigkeit regle, nicht jedoch in § 109 Abs 4 über das Verfahren vor dem Vergabekontrollsenat bzw dem Unabhängigen Verwaltungssenat. Aus der Systematik des Gesetzes ergebe sich aber, dass nach Zuschlagserteilung nur die Feststellung in Betracht kommt, ob der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt worden sei, im Falle eines Widerrufs hingegen die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Widerrufs. § 118 Abs 2, der als Voraussetzung für eine Schadenersatzklage die Feststellung einer Rechtsverletzung gemäß § 109 Abs 4 anordne, sei planwidrig unvollständig. Das einer Klagseinbringung vorgeschaltete Verfahren vor dem Vergabekontrollsenat bzw dem Unabhängigen Verwaltungssenat führe zu einer Arbeitsteilung mit den Zivilgerichten. Zweck sei, die behauptete Vergaberechtswidrigkeit von auf Vergabefragen spezialisierten Kontrollbehörden prüfen zu lassen, die übrigen Voraussetzungen einer Schadenersatzpflicht aber von den Zivilgerichten. Daher sei die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Widerrufs durch die Kontrollbehörden als Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Schadenersatzklage zu erachten. Diesen „Quasiinstanzenzug" habe die (Rechtsvorgängerin der) Klägerin nicht eingehalten. Die Klage sei gemäß § 42 Abs 1 JN zurückzuweisen. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei; es bestehe uneinheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Schadenersatzklage bei Widerruf eines Vergabeverfahrens. Das Rekursgericht verneinte zwar das Vorliegen einer planwidrigen Gesetzeslücke. Es teilte aber die Auffassung des Erstgerichts, dass nach den Bestimmungen des Steiermärkischen VergabeG 1998 nach Widerruf der Ausschreibung und somit Abschluss des Vergabeverfahrens vor Anrufung der ordentlichen Gerichte „ein entsprechender Feststellungsbescheid bei ansonsten Unzulässigkeit des Rechtsweg vorzuliegen" habe. Im Übrigen könnte ein Schaden nur dem potenziellen Bestbieter entstanden sein, hätte bei einem Zuschlag doch nur er einen Vorteil gehabt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig. Dass das Rekursgericht den erstinstanzlichen Beschluss vollinhaltlich bestätigt hat, ändert daran nichts; nach § 528 Abs 2 Z 2 ZPO gilt der Grundsatz der Unanfechtbarkeit von Konformatsbeschlüssen nämlich dann nicht, wenn die Klage - wie hier - ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückgewiesen worden ist (6 Ob 59/06d mwN). Der Revisionsrekurs ist auch berechtigt.

1. Die Klägerin begehrt den Ersatz von Vertretungskosten, die ihrer Rechtsvorgängerin im Vergabeverfahren der beklagten Partei entstanden sein sollen. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs steht der Geltendmachung derartiger Kosten als materiell-rechtliche Schadenersatzforderung nicht entgegen, dass das Ergebnis der Kosten verursachenden Maßnahmen gegebenenfalls auch eine spätere Prozessführung fördern könnte, wenn evident ist, dass die Maßnahmen in erster Linie einen anderen Zweck verfolgten als die Vorbereitung eines gerichtlichen Verfahrens; dazu gehören etwa auch Kosten im Zusammenhang mit einem auf Nichtigerklärung einer vergaberechtswidrigen Ausschreibung gerichteten Verfahren (1 Ob 85/05i = RPA 2005, 328 mwN). Die Klägerin macht demnach nicht vorprozessuale Kosten geltend, für die der Klagsweg nicht offen stünde.

2. Nach § 20 Abs 1 und 3 des derzeit in Geltung stehenden Steiermärkischen Gesetzes über die Nachprüfung von Entscheidungen im Rahmen der Vergabe von öffentlichen Aufträgen, LGBl Nr. 43/2003, trat das Steiermärkische VergabeG, LGBl Nr. 74/1998, mit 1. 7. 2003 außer Kraft. Es ist aber auf Vergabeverfahren, die vor seinem Außerkrafttreten durch einen nach außen in Erscheinung tretenden Akt der Auftraggeberin/des Auftraggebers eingeleitet oder beim Unabhängigen Verwaltungssenat anhängig wurden, hinsichtlich der Nachprüfung weiterhin anzuwenden. Den Vorinstanzen ist daher darin beizupflichten, dass auf den vorliegenden Sachverhalt noch das Steiermärkische VergabeG, LGBl Nr. 74/1998, anzuwenden ist, und zwar in der Fassung LGBl Nr. 66/2000.

3. In dem hier zu beurteilenden Vergabeverfahren ist es zu einer Zuschlagserteilung nicht gekommen. Es wurde vielmehr durch Widerruf der Ausschreibung beendet, und zwar im Stadium nach Anbotseröffnung und vor Zuschlagserteilung. Ein Verfahren zur Feststellung der Rechtswidrigkeit des Widerrufs hat die (Rechtsvorgängerin der) Klägerin nicht eingeleitet. Die Vorinstanzen haben daher gemäß § 118 Abs 2 Steiermärkisches VergabeG, § 42 Abs 1 JN den Rechtsweg für die Schadenersatzklage der Klägerin für unzulässig erklärt. Die Klägerin hält dem unter Berufung auf Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Verfassungsgerichtshofs entgegen, in Anwendung der Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG sei nach Widerruf einer Ausschreibung grundsätzlich mit einem auf Nichtigerklärung des Widerrufs gerichteten Nachprüfungsantrag vorzugehen und nicht mit einem Feststellungsantrag. Die beklagte Partei wiederum meint in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, es wäre der Klägerin freigestanden, „sämtliche Rechtsbehelfe in Ansehung der zugrundeliegenden Entscheidung des UVS auszunutzen"; im Vergabeverfahren sei ihr Standpunkt jedenfalls nicht geteilt worden. Sie wirft der Klägerin insbesondere vor, nicht eventualiter die Einleitung eines Feststellungsverfahrens beantragt zu haben. Der Oberste Gerichtshof hat erst jüngst (4 Ob 23/06w) im Zusammenhang mit dem Steiermärkischen Gesetz über die Nachprüfung von Entscheidungen im Rahmen der Vergabe von öffentlichen Aufträgen ausgeführt, im Hinblick auf § 341 Abs 2 BundesvergabeG 2006 sei eine zivilrechtliche Schadenersatzklage - wie grundsätzlich schon bisher - nur zulässig, wenn die zuständige Vergabekontrollbehörde bestimmte Rechtswidrigkeiten des Vergabeverfahrens festgestellt hat; die Zuständigkeit für eine solche Feststellung liege nach Art 14b Abs 1 und5 B-VG iVm § 2 des erwähnten Landesgesetzes beim Unabhängigen Verwaltungssenat für das Bundesland Steiermark; ohne eine solche Feststellung sei der Rechtsweg unzulässig. Nach § 341 Abs 2 Z 3 BundesvergabeG 2006 hat die zuständige Vergabekontrollbehörde unter anderem festzustellen, ob die Erklärung des Widerrufs eines Vergabeverfahrens ... rechtswidrig war.

Nach § 105 Abs 2 des im vorliegenden Verfahren noch maßgeblichen Steiermärkischen VergabeG 1998 in der Fassung LGBl Nr. 66/2000 hingegen war der Vergabekontrollsenat zwar unter anderem zuständig festzustellen, ob die Ausschreibung entgegen den Vorschriften dieses Gesetzes widerrufen wurde. § 118 Abs 2 iVm § 109 Abs 4 machte die Zulässigkeit einer Schadenersatzklage aber nur von einer Feststellung des Vergabekontrollsenats abhängig, wenn der Zuschlag wegen eines Verstoßes gegen das Steiermärkische VergabeG 1998 oder die hiezu ergangenen Verordnungen nicht dem Bestbieter erteilt wurde. Eine dem § 341 Abs 2 Z 3 BundesvergabeG 2006 vergleichbare Zulässigkeitsvoraussetzung bei Widerruf einer Ausschreibung enthielt das Steiermärkische VergabeG 1998 jedoch nicht.

Die Vorinstanzen meinten, „der Gesetzgeber [habe] jedenfalls beabsichtigt ..., dass vor Anrufung der ordentlichen Gerichte ein entsprechender Feststellungsbescheid bei ansonsten Unzulässigkeit des Rechtswegs vorzuliegen" habe. Sie begründeten dies mit der Wortfolge „nach Zuschlagserteilung oder nach Abschluss des Vergabeverfahrens" in § 109 Abs 4 iVm § 54 Abs 1 (danach endet das Vergabeverfahren mit dem Zustandekommen des Leistungsvertrags oder mit dem Widerruf der Ausschreibung). Allerdings wurden - im Gegensatz zu § 105 Abs 2 - durch LGBl Nr. 66/2000 weder § 109 Abs 4 noch § 54 Abs 1 geändert; auch die Materialien zu § 105 Abs 2 führen lediglich aus, hier solle - der Rechtsprechung des Vergabekontrollsenats folgend - im Interesse der Rechtssicherheit klargestellt werden, dass ein rechtswidriger Widerruf der Ausschreibung einen Verstoß gegen das Gesetz bildet, der vom Vergabekontrollsenat festgestellt werden kann.

Damit lässt sich aber weder dem Gesetzestext noch den Materialien hiezu entnehmen, dass eine derartige Feststellung nunmehr auch Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Schadenersatzklage sein sollte. Damit haben die Vorinstanzen zu Unrecht die Zulässigkeit des Rechtswegs von einem Feststellungsbescheid abhängig gemacht. In Abänderung ihrer Entscheidungen war die diesbezügliche Einrede der beklagten Partei zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 52 Abs 1, hinsichtlich der Rechtsmittelkosten in Verbindung mit § 50 ZPO. Die beklagte Partei hat mit ihrer Einrede einen Zwischenstreit ausgelöst, in dem die Klägerin erfolgreich geblieben ist. Das Erstgericht hat die Verhandlung auf die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs eingeschränkt; die Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 21. 9. 2005 diente ausschließlich diesem Zweck. Weder im Rekurs- noch im Revisionsrekursverfahren waren Pauschalgebühren zu entrichten (TP 2 und 3 GGG).

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