OGH 1Ob85/05i

OGH1Ob85/05i10.5.2005

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Dr. Hradil, Univ. Doz. Dr. Bydlinski und Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** GesmbH, *****, vertreten durch Mag. Dr. Georg Backhausen, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Stadt Wien, vertreten durch Dr. Georg Angermaier, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 26.817,68 sA, infolge Revision und Revisionsrekurses der beklagten Partei (Revisionsinteresse EUR 20.887,08) gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien als Berufungs- und Rekursgericht vom 22. Dezember 2004, GZ 11 R 113/04z-45, mit der der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 25. August 2004, GZ 30 Cg 22/03f-38, abgeändert und ein Teilurteil gefällt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1. Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss (Punkt 2. erster Absatz) wird mit der Maßgabe bestätigt, dass er zu lauten hat:

„Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Dem Erstgericht wird die meritorische Entscheidung über das Begehren auf Zahlung von EUR 20.887,08 sA aufgetragen."

2. Aus Anlass der Revision wird das angefochtene Teilurteil als nichtig aufgehoben.

3. Die Kosten des Verfahrens vor dem Obersten Gerichtshof werden gegeneinander aufgehoben.

Text

Begründung

Die klagende Partei begehrte von der beklagten Partei aus dem Titel des Schadenersatzes letztlich EUR 26.817,68 samt Zinsen und brachte im Wesentlichen vor, Kosten in dieser Höhe seien ihr entstanden, weil die beklagte Partei bei einer Ausschreibung gegen vergaberechtliche Normen verstoßen habe. Einerseits seien ihr frustrierte Kosten für die Prüfung der Ausschreibungsunterlagen und die Erstellung eines Angebots erwachsen, andererseits habe sie Aufwendungen gehabt, um beim Vergabekontrollsenat die Nichtigerklärung der (ersten) Ausschreibung wegen ihres rechtswidrigen, diskriminierenden Inhalts zu erreichen.

Die beklagte Partei beantragte die Zurückweisung der Klage wegen des Fehlens der Zulässigkeitsvoraussetzungen gemäß § 109 Abs 2 WLVergG. Hilfsweise beantragte sie, die Klage als unbegründet abzuweisen, da die Ausschreibung nicht rechtswidrig gewesen sei und sie jedenfalls kein Verschulden an einer allfälligen Rechtswidrigkeit treffe, weil ihre Rechtsauffassung über den zulässigen Inhalt der Ausschreibung vertretbar gewesen sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren im Umfang von EUR 20.887,08 zuzüglich Zinsen wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück und das weitere Begehren von EUR 5.930,60 samt Zinsen ab. Bei den im Verfahren vor dem Vergabekontrollsenat aufgelaufenen Kosten handle es sich um vorprozessuale Kosten, für die der Klageweg nicht offen stehe, auch wenn sie aus dem Titel des Schadenersatzes geltend gemacht werden. Für die Geltendmachung der darüber hinausgehenden Schadenersatzansprüche sei eine Feststellung des Vergabekontrollsenats gemäß § 99 Abs 1 Z 2 WLVergG gar nicht möglich und somit nicht Voraussetzung für eine Klageführung. Die Verletzung von Vergabevorschriften könne im vorvertraglichen Raum nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo die Verpflichtung des Rechtsträgers zu Schadenersatz zur Folge haben. Die beklagte Partei habe jedoch den sie treffenden Entlastungsbeweis, dass sie an der Rechtswidrigkeit der Ausschreibung kein Verschulden treffe, erbracht, wobei von einer ex ante-Betrachtung auszugehen sei.

Dagegen richtete sich das als „Berufung" bezeichnete Rechtsmittel der klagenden Partei, mit dem sie sich ausdrücklich sowohl gegen das Urteil des Erstgerichts als auch gegen den in die Urteilsausfertigung aufgenommenen Beschluss wandte und erklärte, beide Entscheidungen vollinhaltlich anzufechten. In ihrem Rechtsmittelantrag begehrte sie die Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinne einer vollständigen Klagestattgebung.

Das Berufungs-(und Rekurs-)gericht hob die angefochtene Entscheidung in ihrem klageabweisenden Teil auf und trug dem Erstgericht insoweit eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf (dieser Entscheidungsteil wurde - mangels Zulassung eines Rekurses an den Obersten Gerichtshof - nicht bekämpft). Darüber hinaus sprach das Gericht zweiter Instanz aus, dass der angefochtene (Zurückweisungs-)Beschluss ersatzlos aufgehoben werde, fällte aber zugleich ein Teilurteil, mit dem die beklagte Partei schuldig erkannt wurde, der klagenden Partei EUR 20.887,08 samt Zinsen zu zahlen; es erklärte die ordentliche Revision gegen das Teilurteil für zulässig, weil der Oberste Gerichtshof über die rechtliche Qualifikation der Kosten des Vergabeverfahrens bis zur Zuschlagserteilung noch nicht eindeutig entschieden habe. Zur „ersatzlosen" Aufhebung des Zurückweisungsbeschlusses wurde ausgeführt, dass die Verletzung der Vergabevorschriften im vorvertraglichen Raum nach der Grundsätzen der culpa in contrahendo die Verpflichtung des Rechtsträgers zum Schadenersatz zur Folge haben könne. Der Antrag auf Nichtigerklärung der Ausschreibung habe den wesentlichen Zweck verfolgt, die mit dem Vergaberecht nicht in Einklang stehende Ausschreibung zu beseitigen, um letztlich die Teilnahme des Antragstellers an einem ordnungsgemäß durchgeführten Ausschreibungsverfahren zu ermöglichen. Die mit diesem Verfahren verbundenen Kosten der klagenden Partei stellten daher einen grundsätzlich ersatzfähigen „Vertrauensschaden" dar. Keineswegs handle es sich um vorprozessuale Kosten, für die eine Geltendmachung im Klageweg unzulässig wäre; die Entscheidung 7 Ob 112/04b betreffe einen ganz anderen Sachverhalt, nämlich Verfahrenskosten in einem zur Vorbereitung eines Schadenersatzprozesses geführten vergaberechtlichen Feststellungsverfahren nach Zuschlagserteilung, in dem die (für den Prozess bindende) Feststellung angestrebt wurde, dass der übergangene Bieter eine echte Chance auf Zuschlagserteilung gehabt hätte.

Gegen diese Entscheidung richtet sich das als „Revision" bezeichnete Rechtsmittel der beklagten Partei, das inhaltlich aber auch einen Revisionsrekurs gegen die Aufhebung des erstgerichtlichen Zurückweisungsbeschlusses enthält.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig (der Zulässigkeitsausspruch des Berufungs- und Rekursgerichts erfasst ersichtlich auch die Entscheidung über den angefochtenen Zurückweisungsbeschluss), jedoch nicht berechtigt. Aus Anlass der Revision ist ein Nichtigkeitsgrund von Amts wegen aufzugreifen.

In den (auch) dem Revisionsrekurs zuzuordnenden Rechtsmittelausführungen verteidigt die beklagte Partei die Auffassung des Erstgerichts, das Begehren auf Zahlung von EUR 20.887,08 beziehe sich auf vorprozessuale Kosten, für deren Geltendmachung der Rechtsweg unzulässig sei. Dem ist nicht zu folgen, wobei auf die zutreffenden Ausführungen des Rekursgerichts zu verweisen ist. Dass Kosten im Zusammenhang mit einem auf Nichtigerklärung einer vergaberechtswidrigen Ausschreibung gerichteten Verfahren typischerweise dazu dienen, diese Ausschreibung zu beseitigen und die ausschreibende Stelle zu einer gesetzmäßigen (neuen) Ausschreibung zu verhalten, bedarf keiner näheren Begründung und wird von der Rechtsmittelwerberin auch keineswegs widerlegt. Sie behauptet zwar, die Aufwendungen der klagenden Partei hätten auf die Geltendmachung eines Schadenersatzanspruches abgezielt, vermag aber nicht einmal anzudeuten, die prozessuale Betreibung welchen Schadenersatzanspruchs die klagende Partei allenfalls beabsichtigt haben könnte. Ist evident, dass bestimmte Kosten verursachende Maßnahmen in erster Linie einen anderen Zweck verfolgen als die Vorbereitung eines gerichtlichen Verfahrens, so steht deren Geltendmachung als materiell-rechtliche Schadenersatzforderung auch nicht entgegen, dass das Ergebnis dieser Maßnahmen gegebenenfalls auch eine spätere Prozessführung fördern könnte (JBl 2001, 459 ua). Eine ausreichende Ähnlichkeit mit dem zu 7 Ob 112/04b entschiedenen Fall ist nicht zu erkennen.

Darüber hinaus vertritt die beklagte Partei offenbar die Auffassung, die Schadenersatzklage sei deshalb unzulässig, weil die klagende Partei einen nach § 109 Abs 2 WLVergG geforderten Feststellungsbescheid nicht erwirkt habe. Dabei übersieht sie, dass § 109 Abs 2 WLVergG ausschließlich die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Geltendmachung der durch dieses Gesetz geregelten Ersatzansprüche normiert, wogegen der hier geltend gemachte Ersatzanspruch bereits vom Rekursgericht zutreffend als allgemeiner Schadenersatzanspruch nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo qualifiziert wurde. Die in § 109 Abs 2 WLVergG vorgesehene Erwirkung eines Feststellungsbescheids des Vergabekontrollsenats gemäß § 99 Abs 1 Z 2 WLVergG ist auch auf die dort geregelten Fälle beschränkt, nämlich auf Ausschreibungsverfahren, in denen ein Zuschlag erteilt wurde. Ist es jedoch wie im vorliegenden Fall gar nicht zu einer Zuschlagserteilung gekommen, weil die Ausschreibung wegen Rechtswidrigkeit aufgehoben wurde, liegt eine gesetzliche Grundlage für eine Feststellungsentscheidung des Vergabekontrollsenats nicht vor.

Es fehlt somit auch an keiner Zulässigkeitsvoraussetzung für die Klageführung, weshalb sich die Aufhebung des Zurückweisungsbeschlusses als zutreffend erweist. Dieser ist mit der Maßgabe zu bestätigen, dass dem Erstgericht eine meritorische Entscheidung aufgetragen wird.

Das Rekursgericht hat sich nicht darauf beschränkt, den angefochtenen Zurückweisungsbeschluss aufzuheben und dem Erstgericht eine Entscheidung in der Sache aufzutragen, sondern fällte durch Teilurteil selbst eine Sachentscheidung, weil es der Auffassung war, die Sache sei bereits spruchreif. Dabei hat es jedoch übersehen, dass es als Rekursgericht funktionell nicht dazu berufen ist, (erstmalig) eine meritorische Entscheidung über das Klagebegehren zu fällen. Dass damit der Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs 1 Z 3 ZPO verwirklicht wurde, ist von Amts wegen wahrzunehmen. Dieser ist unter anderem dann erfüllt, wenn das Urteil von einem Gericht gefällt wurde, das auch nicht durch ausdrückliche Vereinbarung der Parteien für die betreffende Rechtssache sachlich oder örtlich zuständig gemacht werden konnte. Eine solche unprorogable Unzuständigkeit ist im vorliegenden Fall gegeben, weil die funktionelle Zuständigkeit durch Parteienvereinbarung nicht geändert werden kann (vgl nur Simotta in Fasching2 I § 104 JN, Rz 83, 175; Mayr in Rechberger2 § 104 JN Rz 14).

Das vom Rekursgericht gefällte Teilurteil ist daher als nichtig aufzuheben.

Die Kostenaufhebung beruht auf § 51 Abs 2 ZPO, weil die Nichtigkeit keiner der Prozessparteien als Verschulden zuzurechnen ist. Da das Schwergewicht des Rechtsmittels die Revisionsausführungen bilden und der darin darüber hinaus enthaltene Revisionsrekurs kostenmäßig nicht ins Gewicht fällt (§ 43 Abs 2 ZPO sinngemäß), erfasst die Kostenaufhebung die gesamten Kosten des Verfahrens vor dem Obersten Gerichtshof.

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