OGH 1Ob77/06i

OGH1Ob77/06i11.7.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Ing. Manfred B*****, und 2. Verlassenschaft nach Stefanie S*****, wohnhaft gewesen in *****, beide vertreten durch Dr. Peter Eigenthaler, Rechtsanwalt in Lilienfeld, wider die beklagte Partei Romana I*****, vertreten durch Mag. Dr. Fancisco J. Rumpf, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 14. Dezember 2005, GZ 39 R 354/05f-13, womit das Urteil des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 21. Juli 2005, GZ 5 C 1/05f-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird eine neuerliche Entscheidung aufgetragen. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Erstkläger und die Zweitklägerin sind zu 5/8 bzw 3/8-Anteilen grundbücherliche Eigentümer einer Liegenschaft mit einem darauf befindlichen Haus. Die Beklagte mietete im Jahr 1985 die im Haus gelegene Wohnung Top Nr. 3, welche sie bis ins Jahr 2003 regelmäßig benutzte.

Die klagenden Parteien kündigten die Wohnung auf und begehrten die Übergabe des Bestandgegenstandes. Als Kündigungsgrund machten sie geltend, die Beklagte sei seit geraumer Zeit ausgezogen und habe kein dringendes Wohnbedürfnis mehr an der Wohnung . Dass sie die Wohnung nicht mehr bewohne, ergebe sich schon daraus, dass der Strom abgemeldet sei.

Die Beklagte wendete ein, die Wohnung diene nach wie vor zur Befriedigung ihres dringenden Wohnbedürfnisses. Die Entfernung von ihrem Zweitwohnsitz in ***** zu ihrem in Wien gelegenen Arbeitsplatz betrage etwa 50 km. Wegen der Länge der Anfahrtszeiten nutze sie die Wohnung mindestens dreimal wöchentlich. Auch ihr ebenfalls in Wien berufstätiger Gatte benutze die Wohnung regelmäßig mehrmals wöchentlich.

Das Erstgericht erkannte die Kündigung für rechtswirksam und die Beklagte schuldig, das Mietobjekt geräumt zu übergeben. Seitdem die Beklagte im Jahr 2003 gemeinsam mit ihrem Gatten ein in ***** gelegenes Haus gekauft habe, nächtige sie maximal zweimal pro Woche in der von ihr gemieteten Wohnung. Sie arbeite dreimal wöchentlich jeweils von 10 Uhr bis 18 Uhr als teilzeitbeschäftigte Verkäuferin in einer in der Wiener Innenstadt gelegenen Boutique. Die Nächtigungen in der Wohnung fänden dann statt, wenn sie am nächsten Tag wieder arbeiten müsse. Im Sommer 2004 habe die Klägerin den Strom- sowie den Gasanschluss abgemeldet. Seither verfüge die Wohnung über kein elektrisches Licht, keine Heizung, kein Warmwasser und keine Kochmöglichkeit. Der Ehegatte der Beklagten halte sich hin und wieder kurzfristig in der Wohnung auf; er nächtige fast ausschließlich im gemeinsamen Haus. Seit dem Hauskauf hätten die Eheleute nur zweimal gemeinsam in der Wohnung übernachtet. Die Wohnung diene bloß als Absteigequartier zu Nächtigungszwecken, nicht jedoch als zumindest teilweiser wirtschaftlicher und familiärer Mittelpunkt. Schon auf Grund der fehlenden Versorgung mit Strom und Gas sei die Wohnung zu Wohnzwecken nicht geeignet. Als Miteigentümerin eines Hauses habe die Beklagte kein schutzwürdiges Interesse an der Aufrechterhaltung des Mietverhältnisses.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil dahin ab, dass es die Aufkündigung für rechtsunwirksam erklärte und das Räumungsbegehren abwies. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Die Situation der Beklagten sei mit jener vieler „Pendler" zu vergleichen, die ihre Wohnung frühmorgens verlassen, die Mahlzeiten auswärts einnehmen, unter der Woche ihre Wohnung erst in den Abendstunden ausschließlich zu Übernachtungszwecken aufsuchen und am Freitag nachmittags zu ihren auswärts wohnenden Familien zurückkehren. Die Wohnung sei als „teilweises Zentrum der wirtschaftlichen Interessen der Beklagten" und damit als zur regelmäßigen Befriedigung deren Wohnbedürfnisses anzusehen. Daran ändere auch nichts, dass die Beklagte offensichtlich wenig Anforderungen an modernen Wohnkomfort lege. Die regelmäßige Verwendung zu Wohnzwecken liege vor, sodass der dringende Wohnbedarf nicht mehr zu prüfen sei. Da der Berufung bereits aus diesen Erwägungen Folge zu geben sei, erübrige sich ein Eingehen auf die Tatsachen- und Mängelrüge.

Die Revision der klagenden Parteien ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Aufkündigung nach § 30 Abs 2 Z 6 MRG setzt das vom Vermieter zu beweisende (RIS-Justiz RS0079253) Fehlen einer regelmäßigen Verwendung der Wohnung zu Wohnzwecken voraus (WoBl 2001, 222; Würth in Rummel, ABGB³, § 30 MRG Rz 31). Die regelmäßige Verwendung zu Wohnzwecken ist zu bejahen, wenn der Mieter die Wohnung wenigstens während eines beachtlichen Zeitraums im Jahr als wirtschaftlichen und familiären Mittelpunkt nützt; unter dieser Vorraussetzung erfüllt auch die Benützung zweier Wohnungen noch nicht den Kündigungstatbestand. Es ist nicht nur auf den Nutzungszeitraum abzustellen, sondern es genügt, wenn die Wohnung zumindest in mancher Beziehung auch Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit und des Familienlebens ist (RIS-Justiz RS0079240; 3 Ob 165/00m mwN). Maßgeblich für den wirtschaftlichen Mittelpunkt ist der Haushalt (3 Ob 165/00m). Bei bloßer Benützung der Wohnung als Absteigequartier, aus Bequemlichkeit, oder als Freizeitwohnung liegt der Kündigungsgrund vor (Würth aaO Rz 32).

Von diesen Grundsätzen der Rechtsprechung ist das Berufungsgericht abgegangen:

Nach den bisherigen Feststellungen ist die Wohnung nicht einmal in mancher Beziehung Mittelpunkt des familiären Lebens; dieser liegt allein in dem in Niederösterreich gelegenen Haus. Mangels wesentlicher Voraussetzungen für eine Haushaltsführung (fehlende Kochmöglichkeit, nur Kaltwasser, kein Strom und Gas) fehlt es auch an einem wirtschaftlichen Mittelpunkt, sodass die zweimalige wöchentliche Nutzung der Wohnung als reines Absteigequartier verbleibt, um die Anfahrtswege zum Arbeitsplatz abzukürzen. Der Meinung des Berufungsgerichts, das Abmelden von Strom und Gas lasse nicht auf den mangelnden wirtschaftlichen Mittelpunkt, sondern nur darauf schließen, die Beklagte „stelle wenig Anforderungen an modernen Wohnkomfort", kann nicht beigetreten werden. Auch der Vergleich mit der Situation eines „Wochenpendlers" ist nicht überzeugend, nutzt die Beklagte die Wohnung doch nicht nur in einem ganz geringen zeitlichen Ausmaß, sondern fehlen auch die wesentlichen Voraussetzungen für eine - wenngleich auf Minimalerfordernisse eingeschränkte - Haushaltsführung. Zudem ist die Entfernung zwischen dem in ***** gelegenen Haus und der Wiener Innenstadt nicht derart groß, dass unter Berücksichtigung der von der Beklagten einzuhaltenden Arbeitszeit eine Übernachtung in Wien unumgänglich erforderlich erschiene.

Da das Berufungsgericht - ausgehend von seiner vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht - die in der Berufung der beklagten Partei erhobenen Rügen wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie unrichtiger Tatsachenfeststellungen auf Grund unrichtiger Beweiswürdigung unerledigt ließ, ist das Berufungsurteil aufzuheben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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