Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 291,64 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin EUR 48,61 Umsatzsteuer) und die mit EUR 199,87 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin EUR 33,31 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war seit 29. 1. 2003 bei der Beklagten als Kartonagearbeiter beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde von der Beklagten zum 24. 9. 2004 gekündigt. Die am 10. 9. 2004 verfasste und zur Post gegebene schriftliche Kündigung wurde dem Kläger am 13. 9. 2004 zugestellt.
Auf das Arbeitsverhältnis ist der Kollektivvertrag für das Papier und Pappe verarbeitende Gewerbe anwendbar, nach dessen § 16 Z 3 die Kündigungsfrist für den Kläger 2 Wochen beträgt.
Die Z 4 und 5 des § 16 des Kollektivvertrages haben folgenden Wortlaut:
„4. Die schriftliche Kündigung hat spätestens am letzten Tag der betrieblichen Arbeitswoche zu erfolgen, ist dieser jedoch ein Feiertag, so tritt an seine Stelle der vorhergehende Werktag. Die Kündigung wird mit der Zustellung wirksam. Bei Einschreibebrief muss das Datum des Aufgabescheins spätestens der Kündigungstag sein.
5. Eine Umgehung dieser Bestimmungen durch schriftlichen Verzicht auf die Kündigungsfrist ist unzulässig."
Der Kläger begehrt EUR 369,18 an Kündigungsentschädigung. Mit dem ihm erst am 13. 9. 2004 zugegangenen Kündigungsschreiben habe die Beklagte die zweiwöchige Kündigungsrist nicht eingehalten. Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Nach dem anzuwendenden Kollektivvertrag werde die Kündigungsfrist - sofern die Kündigung mittels Einschreibebrief ausgesprochen werde - mit der Postaufgabe in Gang gesetzt. Die Kündigung sei daher fristgerecht erfolgt.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es sei zwar richtig, dass grundsätzlich eine Kündigung als einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung mit ihrem Zugang wirksam werde; § 16 Z 4 des Kollektivvertrags bestimmte aber, dass bei Einschreiben das Datum des Aufgabescheins spätestens der Kündigungstag sein müsse. Dies bedeute, dass die Zustellung zwar Voraussetzung für die Wirksamkeit der Kündigung sei, die Kündigungsfrist aber schon mit der Postaufgabe zu laufen beginne. Das Arbeitsverhältnis des Klägers sei daher rechtzeitig gekündigt worden.
Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens ab.
Die Kündigung entfalte als empfangsbedürftige Willenserklärung ihre Wirkung nicht schon bei der Abgabe der Erklärung, sondern erst im Zeitpunkt, in dem die Erklärung dem anderen Teil zukommt. Da der Kündigende das Risiko des effektiven Zugehens der Erklärung trage, müsse er die Tage des Postenlaufs zur Wahrung der Kündigungsfrist berücksichtigen. Auch im Kollektivvertrag werde ausdrücklich hervorgehoben, dass die Kündigung (erst) mit der Zustellung wirksam werde. Die weitere Anordnung, wonach bei Einschreibebrief das Datum des Aufgabescheins spätestens der Kündigungstag sein müsse, dürfe nicht im Sinn einer Verkürzung oder Beseitigung der Kündigungsfrist verstanden werden. Dies stünde im Widerspruch zur Intention der Kollektivvertragsparteien, den Parteien des Arbeitsvertrags die Kündigungsfrist ungekürzt zu erhalten und könnte zudem dazu führen, dass die Kündigung dem Arbeitnehmer erst nach dem Kündigungs-(end-)termin zukomme. Die strittige Bestimmung sei vielmehr dahin zu interpretieren, dass bei schriftlicher Kündigung der Zustellungstag als Kündigungstag gelte, sodass äußerstenfalls der Tag der Postaufgabe der eingeschriebenen Sendung und der Kündigungstag zusammenfallen könnten, weil ja das Datum des Aufgabescheins spätestens der Kündigungstag sein müsse. Im Regelfall werde das Datum des Aufgabescheins hingegen vor dem Kündigungstag (= Zustellungstag) liegen. So ausgelegt, entspreche die (wenngleich nach diesem Verständnis letztlich bedeutungslose) Bestimmung dem Interesse der Vertragsparteien an einer ungekürzten Kündigungsfrist, ohne dass ein Widerspruch zu der vorangehenden und der nachfolgenden Bestimmung bestehe.
Da somit durch die Zustellung der Kündigung zum 24. 9. 2004 am 13. 9. 2004 die zweiwöchige Kündigungsfrist nicht gewahrt worden sei, sei das Klagebegehren berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen dieses Urteil erhobene Revision der Beklagten ist zulässig und auch berechtigt.
Wenngleich keine Rede davon sein kann, dass die strittige Kollektivvertragsbestimmung „eindeutig" formuliert sei, erweist sich der Standpunkt der Revisionswerberin im Ergebnis als zutreffend:
Wie das Berufungsgericht richtig ausgeführt hat, ist den Kollektivvertragsparteien grundsätzlich zu unterstellen, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollen, weshalb bei mehreren an sich in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten, wenn alle anderen Auslegungsmöglichkeiten versagen, jener der Vorzug zu geben ist, die diesen Anforderungen am meisten entspricht (RIS-Justiz RS0008828). Dennoch kommt das Berufungsgericht zu einem Auslegungsergebnis, nach dem die strittige Bestimmung „letztlich ohne Bedeutung" ist. Ein solches Auslegungsergebnis ist aber mit den vom Berufungsgericht zutreffend angeführten Vorgaben für die Auslegung nur schwer in Einklang zu bringen.
Dem Berufungsgericht ist allerdings zuzugestehen, dass der äußerst missglückten Formulierung der Kollektivvertragsparteien auf den ersten Blick überhaupt kein nachvollziehbarer Sinn zu entnehmen ist; stellt man den strittigen letzten Satz der Z 4 des § 16 des Kollektivvertrags in den Zusammenhang der gesamten in der Z 4 getroffenen Regelung, ist allerdings dennoch erkennbar, was damit zum Ausdruck gebracht werden soll.
Klar ist, dass der letzte Satz der Z 4 eine Sonderreglung für eingeschrieben versendete Kündigungen ist. Um diese Sonderregel verstehen zu können, ist es erforderlich, den 2. Absatz der Z 4 im Zusammenhang mit deren ersten Absatz zu sehen. In diesem ersten Absatz wird normiert, dass die schriftliche Kündigung - mündliche Kündigungen sind entgegen der Darstellung der Revisionswerberin nach Ablauf der Probezeit gar nicht zulässig (§ 16 Z 3) - „spätestens am letzten Tag der betrieblichen Arbeitswoche zu erfolgen" hat; „ist dieser jedoch ein Feiertag, so tritt an seine Stelle der vorhergehende Werktag". Wenn nun im letzten Satz der Z 4 vom Kündigungstag die Rede ist, so ist damit offenkundig der im vorangehenden ersten Absatz der Z 4 umschriebene letztmögliche Kündigungstag gemeint, also der letzte Tag der betrieblichen Arbeitswoche bzw - wenn dieser ein Feiertag ist - der vorhergehende Werktag. Das heißt also, dass bei einer eingeschriebenen Kündigung „das Datum des Aufgabescheines spätestens" dieser Tag sein muss. Das läuft aber zwangsläufig auf die Anordnung hinaus, dass bei eingeschrieben aufgegebenen Kündigungen die Postaufgabe am im Sinn des § 16 Z 4 erster Absatz definierten letztmöglichen Kündigungstag ausreicht und fristwahrend ist.
Dass diese Anordnung im Ergebnis für den Arbeitnehmer auf eine Verkürzung der ihm ab Zugang der Kündigung verbleibenden Kündigungsfrist hinausläuft, trifft zu. Eine solche Verkürzung ist aber - sofern das einseitig zwingende Fristengleichheitsgebot des § 1159c ABGB beachtet wird - zulässig (RIS-Justiz RS0029292; RS0060120; zuletzt etwa 9 ObA 25/04y). Das Fristengleichheitsgebot ist aber hier gewahrt, weil die in Rede stehende Anordnung sowohl für Arbeitgeberals auch für Arbeitnehmerkündigungen gilt.
Der Grundsatz, dass die Kündigung - um Wirksamkeit zu erlangen - zugehen muss, wird dadurch nicht in Frage gestellt; er wird vielmehr im vorletzten Satz der Z 4 ausdrücklich betont. Wird die Kündigung daher in der Folge nicht zugestellt, wird sie (von hier nicht interessierenden Fällen einer Zugangsfiktion wegen Zugangsvereitelung abgesehen) auch nicht wirksam. Dies ändert aber nichts daran, dass bei eingeschrieben aufgegebenen Kündigungen nach dem letzten Satz der Z 4 die Postaufgabe am letzten Tag der betrieblichen Arbeitswoche (bzw am einem Feiertag vorangehenden Werktag) zur Wahrung der Kündigungsfrist reicht.
Die Kollektivvertragsparteien gingen offenkundig davon aus, dass die Abgabe der Kündigungserklärung am letzten Tag der Arbeitswoche (§ 16 Z 4) ausreichend sein solle. Insofern besteht aus der Sicht des Kündigenden zwischen einer eingeschrieben zur Post gegebenen und einer vom Kündigenden unmittelbar dem Kündigungsgegner übergebenen Kündigung kein Unterschied. Ein Unterschied besteht allerdings zur nicht eingeschrieben aufgegebenen Kündigung, bei der aber offenbar den Kollektivvertragsparteien ein Abstellen auf den Zeitpunkt der Postaufgabe mangels vergleichbarer Möglichkeiten, diesen nachzuweisen, nicht möglich erschien.
Damit erweist sich die Rechtsauffassung des Erstgerichtes, wonach die Kündigung des Klägers rechtzeitig erfolgte, als zutreffend, sodass in Stattgebung der Revision das Ersturteil wiederherzustellen war.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.
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