OGH 12Os36/06w

OGH12Os36/06w1.6.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 1. Juni 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner, Dr. Schwab, Dr. Lässig und Dr. Solé als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Dachler als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Dejan N***** wegen der Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall SMG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Schöffengericht vom 8. November 2005, GZ 18 Hv 21/05f-36, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Dejan N***** der mehrfachen Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall SMG, teilweise im Form der Beitragstäterschaft nach § 12 dritter Fall StGB schuldig erkannt. Danach hat er in Vorarlberg den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in einer mehrfach großen Menge (§ 28 Abs 6 SMG) in Verkehr gesetzt oder dazu beigetragen, und zwar

I. 1. von Mitte 2003 bis Frühjahr 2004 insgesamt rund 3.000 Gramm Marihuana, minimal beinhaltend 120 Gramm reines THC an Markus M***** verkauft,

2. von 2003 bis Frühjahr 2004 insgesamt 70 bis 100 Gramm Kokain, minimal beinhaltend 15 Gramm reine Kokainbase, an Markus M***** verkauft,

II. 1. im Herbst/Winter 2004 die Übergabe von rund 80 Gramm Kokain, minimal beinhaltend 30 Gramm reine Kokainbase, durch den abgesondert verfolgten Marcel K***** an Markus M***** vermittelt,

2. Anfang 2005 insgesamt rund 48 Gramm Kokain, minimal beinhaltend 9 Gramm reine Kokainbase, an den abgesondert verfolgten Dzevad S***** zum Weiterverkauf übergeben,

3. von Dezember 2004 bis Anfang Jänner 2005 die Übergabe von insgesamt rund 30 Gramm Kokain, minimal beinhaltend 6 Gramm reine Kokainbase durch Marcel K***** an Dzevad S***** vermittelt.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil gerichtete, auf § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht im Recht. Die Mängelrüge (Z 5) behauptet eine Unvollständigkeit der Urteilsgründe und das Vorliegen einer offenbar unzureichenden Begründung.

Das Gericht ist gemäß § 270 Abs 2 Z 5 StPO verpflichtet, die schriftliche Urteilsbegründung in gedrängter Darstellung abzufassen und darin mit Bestimmtheit anzugeben, welche Tatsachen als erwiesen oder als nicht erwiesen angenommen wurden und aus welchen Gründen dies geschah. Dabei hat es die Beweismittel nicht nur einzeln, sondern (vor allem) in ihrem inneren Zusammenhang sorgfältig zu prüfen und nicht nach starren Beweisregeln, sondern nach freier, aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismitteln gewonnenen Überzeugung zu entscheiden (§ 258 Abs 2 StPO).

Es ist jedoch nicht gehalten, den vollständigen Inhalt sämtlicher Verfahrensergebnisse in extenso zu erörtern und darauf zu untersuchen, wie weit die einzelnen Angaben oder Beweismittel für oder gegen diese oder jene Darstellung sprechen. Auf alle denkbaren Einwände eines Rechtsmittels im Vorhinein einzugehen, wäre faktisch unmöglich und kann daher in keiner Weise postuliert werden (Fabrizy StPO9 § 281 Rz 43).

Die mit Nichtigkeitssanktion bewehrte Begründungspflicht besteht ausschließlich für den Ausspruch über entscheidende Tatsachen, also solche, die entweder auf die Unterstellung der Tat unter das Gesetz oder auf die Wahl des anzuwendenden Strafsatzes Einfluss üben. Davon sind die erheblichen Tatumstände zu unterscheiden. Das sind Verfahrensergebnisse, welche die Eignung haben, die dem Gericht durch die Gesamtheit der übrigen Beweisergebnisse vermittelte Einschätzung von Vorliegen oder Nichtvorliegen einer entscheidenden Tatsache maßgebend zu beeinflussen. Mit ihnen muss sich die Beweiswürdigung bei sonstiger Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) auseinandersetzen. Keine oder nur eine offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) liegt vor, wenn für den Ausspruch über eine entscheidende Tatsache entweder überhaupt keine oder nur solche Gründe angegeben sind, aus denen sich nach den Denkgesetzen oder den grundlegenden Erfahrungswerten über Kausalzusammenhänge ein Schluss auf die zu begründende Tatsache nicht ziehen lässt. Der gegen bloß willkürlich getroffene Feststellungen gerichtete Nichtigkeitsgrund liegt jedoch nicht vor, wenn die angeführten Gründe bloß nicht genug überzeugend scheinen oder wenn neben dem nichtigkeitsfrei gezogenen Schluss auch noch andere Folgerungen denkbar sind (12 Os 38/04 mwN; zuletzt 12 Os 129/05w).

Im vorliegenden Fall haben die Tatrichter alle wesentlichen Beweisergebnisse ausführlich gewürdigt (US 10 bis 19) und den Schuldspruch insbesondere auf die ihnen glaubwürdig und überzeugend erscheinende Aussage des Zeugen Markus M***** gestützt. Seine Angaben haben sie anhand der Depositionen der Zeugen Marc Daniel P*****, Peter Ke*****, Dzevad S***** und Murisa M***** überprüft und daraus insgesamt den Denkgesetzen und allgemeinen Erfahrungswerten nicht widersprechende Schlüsse gezogen. Damit erachteten sie die (großteils) leugnende Verantwortung des Angeklagten sowie die sie stützende Aussage des Zeugen Marcel K***** als widerlegt. Die Mängelrüge greift nur jeweils einzelne, zudem nicht wesentliche Teile der Aussagen der Zeugen heraus und versucht damit Widersprüche in den Angaben der Belastungszeugen aufzuzeigen, die bei Gesamtbetrachtung in Wahrheit jedoch nicht vorliegen. Damit wird aber keine Nichtigkeit aufgezeigt, sondern lediglich das Beweiswürdigungsermessen des Schöffengerichtes nach Art einer nicht zulässigen Schuldberufung bekämpft.

Soweit zu Urteilsfaktum I 2 eine Scheinbegründung geltend gemacht wird, übergeht die Beschwerde sämtliche zur Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit des Zeugen „Marcel" (gemeint offenbar: Markus) M***** im Urteil angeführte Gründe (US 11 zweiter Absatz letzter Teil).

Auch mit der Qualität des Suchtgiftes hat sich das Erstgericht ausführlich auseinandergesetzt (US 17 und 18). Aus den Angaben der Zeugen über die jeweilige Beschaffenheit des Suchtgiftes und aus dem Wirkstoffgehalt der in letzter Zeit im Raume Vorarlberg sichergestellten Suchtmittel hat es Schlüsse auf den Reinheitsgehalt der dem Schuldspruch zugrunde liegenden Suchtgiftmengen gezogen. Die Beschwerde hingegen versucht nur spekulativ, aus den Angaben „äußerst schlechte Qualität" oder „sehr schlechte Qualität" andere Prozentsätze an Kokainbase abzuleiten, ohne diese Annahmen jedoch näher zu begründen.

Ein Begründungsmangel liegt daher nicht vor.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) wiederholt im Wesentlichen die Argumente der Mängelrüge, greift neuerlich lediglich einzelne Teile von Zeugenaussagen heraus, versucht aus diesen für den Angeklagten erfolgversprechende Schlüsse abzuleiten und bezichtigt den Belastungszeugen Markus M***** der Lüge. Da der Beschwerdeführer dabei den inneren Zusammenhang der Beweismittel außer Acht lässt (§ 258 Abs 2 StPO), ist das Vorbringen nicht geeignet, erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen zu erzeugen. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu gemäß § 35 Abs 2 StPO erstatteten Äußerung - als unbegründet bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 Z 2 StPO).

Daraus folgt, dass zur Entscheidung über die Berufungen der Gerichtshof zweiter Instanz zuständig ist (§ 285i StPO). Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Stichworte