OGH 10ObS44/06b

OGH10ObS44/06b25.4.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Hon. Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Lukas Stärker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Peter Scherz (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hans K*****, Polizeibeamter, *****, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Josefstädter Straße 80, 1081 Wien, vertreten durch Dr. Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15. Dezember 2005, GZ 10 Rs 138/05w-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 17. August 2005, GZ 15 Cgs 92/05m-8, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Der Kläger, ein Kriminalbeamter der Bundespolizeidirektion Wien, verließ am 21. 1. 2005 zwischen 6.15 und 6.30 Uhr seine Wohnung im dritten Stock des Hauses P*****gasse 57, um seine Dienststelle aufzusuchen. Er ging durch den Innenhof von der P*****gasse zur Z*****gasse. Von dort setzte er den Weg auf dem Gehsteig in Richtung K*****straße fort und überquerte diese, um in Richtung Pf*****gasse weiterzugehen, welche er ebenfalls überquerte. Danach betrat er das etwa 300 m bis 350 m von der Wohnung entfernte Haus in der S*****gasse 2-6, in dessen Garage er sein Kraftfahrzeug abgestellt hatte. Bei diesem Haus handelt es sich um ein Wohnhaus, in dem auch zwei Arztordinationen untergebracht sind. Um von der Eingangstür zu seinem Fahrzeug zu kommen, musste der Kläger einen allgemein zugänglichen Stiegenabgang mit zirka 25 Stufen benutzen, an dessen Ende die Garagentüre aufzusperren war. Auf diesem Stiegenabgang rutschte er aus und zog sich eine Steißbein- und Wirbelsäulenprellung zu.

Mit Bescheid vom 6. 4. 2005 lehnte die beklagte Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter die Anerkennung dieses Vorfalls als Dienstunfall und die Gewährung daraus resultierender Leistungen ab. Da der Garagenbereich der Privatsphäre zuzuordnen sei und nicht zum geschützten Weg zwischen Wohnung und Dienststelle zähle, liege kein Dienstunfall vor.

Das Erstgericht wies das (so nicht gestellte, sondern nur auf Zuspruch einer Versehrtenrente gerichtete) Klagebegehren auf „Feststellung eines Dienstunfalls vom 21. 1. 2005" sowie auf Zuerkennung einer Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß für die Folgen dieses Unfalles ab. Rechtlich führte es aus, dass der Versicherungsschutz an der Außenfront des Wohnhauses beginne. Zwar sei der Kläger nach Verlassen seines Wohnhauses in der P*****gasse unter Versicherungsschutz gestanden; innerhalb des von ihm in weiterer Folge betretenen Hauses S*****gasse 2-6 habe jedoch kein Versicherungsschutz bestanden, weil innerhalb eines Gebäudes nicht jene für den Arbeitsweg typischen Gefahren vorlägen, die von der Unfallversicherung geschützt werden sollten. Rechtlich könne kein Unterschied bestehen, ob der Kläger sein Auto in einer Garage im selben Wohnhaus oder in einem anderen Wohnhaus habe, oder ob er, um zur Garage zu gelangen, das Wohnhaus verlassen müsse oder einen direkten Zugang habe. In allen diesen Fällen beginne der Versicherungsschutz erst mit dem Verlassen der Garage. Eine andere Beurteilung hätte zur Folge, dass ein Versicherter Unfallversicherungsschutz im Stiegenhaus habe, wenn er den Eingang über die öffentliche Straße nehme, während ein anderer Versicherter diesen nicht genieße, nur weil er einen direkten Zugang zum Stiegenhaus habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, hob das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Unzweifelhaft sei der Kläger ab dem Verlassen des Wohnhauses durch die Außentür unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden. Dies gelte auch dann, wenn die Garage keine bauliche Einheit mit dem Wohngebäude bilde, sondern von diesem getrennt anderswo liege. In diesem Fall bestehe der Versicherungsschutz auch in der Garage, da diese mangels Zutrittsmöglichkeit aus dem Inneren des Wohnhauses nicht zum häuslichen Wirkungskreis gehöre. Die sich auf dem Weg zur Garage verwirklichenden Gefahren seien daher typische Gefahren des Arbeitsweges. Auch wenn das Treppenhaus, in dem der Kläger gestürzt sei, innerhalb eines Hauses liege, so sei dieses Haus doch nicht das Wohnhaus des Klägers; dieses Treppenhaus (ebenso die Garage) könne nicht dem häuslichen Wirkungskreis des Klägers zugerechnet werden. Ein Hinweis darauf, dass der vom Kläger gewählte Weg zu seinem geparkten Auto ein erheblicher Abweg wäre, liege nicht vor. Da sich der Unfall des Klägers auf einem mit dem Dienstverhältnis zusammenhängenden Weg zur Dienststätte ereignet habe, sei ein Dienstunfall iSd § 90 Abs 2 B-KUVG zu bejahen.

Das Ersturteil sei aufzuheben, weil das Erstgericht keine Feststellungen zu den unfallbedingten Verletzungsfolgen und einer allenfalls daraus resultierenden medizinischen Minderung der Erwerbsfähigkeit getroffen habe.

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil die für die Entscheidung maßgeblichen Rechtsfragen bisher in der österreichischen Rechtsprechung noch nicht behandelt worden seien.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich der Rekurs der beklagten Partei aus dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Entscheidung in der Sache selbst im klagsabweisenden Sinn.

Der Kläger hat sich am Rekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig; er ist jedoch nicht berechtigt.

Das Berufungsgericht hat bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass

a) der durch die gesetzliche Unfallversicherung geschützte Arbeitsweg des Klägers iSd eindeutigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (RIS-Justiz RS0084826; ebenso BSG B 2 U 39/99 R = NJW 2002, 84 mwN) mit dem Verlassen der Außentür seines Wohnhauses begonnen hat und dass

b) dem Sachverhalt keine Hinweise zu entnehmen sind, dass sich der Unfall des Klägers auf einem im eigenwirtschaftlichen Interesse gewählten Umweg (Abweg) ereignet hätte.

Beide Punkte werden von der beklagten Partei nicht bestritten. Sie meint allerdings, dass der Unfallversicherungsschutz zwischen der Außenfront des Hauses S*****gasse 2 - 6 und dem Verlassen der Garage wieder unterbrochen worden sei, weil ansonsten diejenigen Versicherten, die ihr Fahrzeug in einer vom Wohnhaus disloziierten Garage abgestellt hätten, gegenüber solchen Versicherten, die ihr Fahrzeug in einer Garage im „eigenen" Wohnhaus parken, besser gestellt seien. Zur Vermeidung einer nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung seien bei beiden Gruppen Wege innerhalb des Gebäudes, in dem sich die Garage befinde, nicht als Arbeitswege anzusehen.

Dem kann nicht gefolgt werden. Die Judikatur hat die Grenze zwischen dem unversicherten häuslichen Lebensbereich und dem mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weg im Interesse der Rechtssicherheit starr gezogen und knüpft an objektive Merkmale an, die im Allgemeinen leicht feststellbar sind. Auch angesichts geänderter Wohnverhältnisse oder besonderer baulicher Verhältnisse des Wohnhauses - auch im Zusammenhang mit Garagen - wurden keine anderen Abgrenzungskriterien aufgestellt (siehe auch die Judikaturübersicht bei Müller, Wegunfall - Ende des UV-Schutzes, DRdA 2002, 132 f [Entscheidungsanmerkung]). Durch welche Außentür der Versicherte das von ihm bewohnte Gebäude verlässt, ist nicht relevant: Maßgeblich ist immer das erste „Durchschreiten" einer Außentür, gegebenenfalls auch einer Garagentür (10 ObS 19/98m = SSV-NF 12/24; ebenso Brackmann/Krasney, SGB VII § 8 Rz 184 mwN aus der deutschen Judikatur). Als Konsequenz dieser starren Grenze geht der Unfallversicherungsschutz durch das Betreten eines anderen Gebäudes, zB einer Garage, nicht wieder verloren (ebenso Brackmann/Krasney aaO). Vor allem aus Gründen der Rechtssicherheit ist dieser Lösung nach wie vor der Vorzug zu geben. Eine „durch nichts zu rechtfertigende Ungleichbehandlung" ist nicht erkennbar; vielmehr hält sich die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes konsequent an die bisherige Judikatur zum Beginn des Versicherungsschutzes bei Verlassen des Wohnhauses. Selbst wenn der Versicherte über einen Abstellplatz in der Tiefgarage eines Gebäudes verfügt, kann er den Weggefahren im Inneren dieses - von ihm erst von außen zu betretenden - Gebäudes typischerweise weniger begegnen als wenn er auch in dem Gebäude wohnt.

Dem Rekurs der beklagten Partei ist daher ein Erfolg zu versagen.

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