OGH 10ObS19/98m

OGH10ObS19/98m9.2.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Dr.Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter OSR Dr.Friedrich Weinke und MR DI Gustav Poinstingl (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr.Bernhard S*****, praktischer Arzt, ***** vertreten durch Dr.Johann Strobl und Mag.Wolfgang Lichtenwagner Partnerschaft, Rechtsanwälte in Rohrbach, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert Stifter-Straße 65, 1200 Wien, vertreten durch Dr.Vera Kremslehner und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22.Oktober 1997, GZ 12 Rs 238/97z-9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 22.Juli 1997, GZ 7 Cgs 92/97y-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist freiberuflich tätiger Arzt und gemäß § 2 FSVG unfallversichert. Seine Ordination befindet sich in einem Bungalow, der ca 25 m von seinem Wohnhaus entfernt ist. Dazwischen liegt eine Grünfläche, um die eine Zufahrtstraße herumführt, die die beiden Häuser miteinander verbindet. In das Wohnhaus ist eine Doppelgarage integriert, von der im Inneren eine Tür in das Stiegenhaus führt. Der Weg durch die Garage ist, von der Straße kommend, der kürzeste Weg, um über das Stiegenhaus in die Wohnräume zu gelangen. In der Garage wird neben dem Ordinationswagen des Klägers auch ein privater PKW abgestellt, der gelegentlich auch betrieblich genützt wird. Der Kläger verwahrt in der Garage verschiedene Geräte bzw einen Notfallkoffer, die er für die Ausfahrt bei den Einsätzen im Rahmen seiner Arztpraxis benötigt. Außerdem liegt in der Garage gelegentlich ein größerer Vorrat an Verbandsmaterial.

Als der Kläger am 18.10.1996 gegen Mitternacht von einer privaten Feier zurückkam, begab er sich zunächst in seine Ordination und sortierte dort seine Hausapotheke, da noch eine größere Lieferung vom Vortag einzuordnen war. Gegen 1.30 Uhr beendete der Kläger seine Arbeit in der Ordination, um zu Bett zu gehen. Er begab sich zu Fuß über die Zufahrtsstraße zur ebenerdig gelegenen Garage seines Wohnhauses, betrat diese durch das linke Garagentor und ging weiter in Richtung Stiegenhaus. Dabei verzichtete er darauf, das Licht einzuschalten, und tastete sich im Dunkeln zwischen den beiden abgestellten Fahrzeugen in Richtung Stiegenhaustür. Er dachte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr daran, daß er am Vorabend drei Arzttaschen vor Antritt der Privatfahrt auf dem Garagenboden abgestellt hatte. Diese übersah er im Dunkeln, stolperte darüber und kam zu Sturz, wobei er sich Halswirbelsäulenverletzungen zuzog, die eine Querschnittsymptomatik mit vorübergehenden Lähmungserscheinungen verursachten.

Mit Bescheid vom 21.5.1997 lehnte die Beklagte eine Anerkennung des Unfalls des Klägers vom 19.10.1996 als Arbeitsunfall ab und wies den Anspruch des Klägers auf Leistungen aus diesem Unfall ab. Der Unfallsort sei der privaten Wohnsphäre zuzuordnen, es bestehe kein Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung.

Dagegen richtet sich die Klage des Klägers, mit der zuletzt wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 19.10.1996 eine vorläufige Versehrtenrente im Ausmaß der Vollrente samt Zusatzrente und zwei Kinderzuschüssen ab 19.1.1997 im gesetzlichen Ausmaß begehrt wurde. Die Garage, in der sich der Unfall ereignet habe, diene wesentlich betrieblichen Zwecken.

Die Beklagte wendet ein wie im bekämpften Bescheid.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren unter Zugrundelegung des eingangs wiedergegebenen Sachverhaltes ab. In rechtlicher Hinsicht verneinte es das Vorliegen eines Wegunfalles gemäß § 175 Abs 2 Z 1 ASVG, weil der Versicherungsschutz auf einem Weg zu einer außerhalb des Wohnhauses gelegenen Arbeitsstelle erst an der Front des Wohnhauses (Haustor oder Garagentor) beginne und dort auch wieder ende. Innerhalb des Wohnhauses zurückgelegte Wege seien schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht als Wege "zur oder von der Arbeitsstätte" anzusehen (§ 175 Abs 2 Z 1 ASVG). Der Versicherte sei innerhalb des Wohnhauses auch nicht den für einen Arbeitsweg typischen Gefahren ausgesetzt, gegen die er in der Unfallversicherung geschützt werden solle. Die Gefahren innerhalb des Wohnhauses gingen im allgemeinen auf die Umstände des Privatbereiches zurück. Da der Kläger nicht in der Garage gegangen sei, um dort eine betriebliche Tätigkeit zu verrichten, sondern vielmehr beabsichtigt habe, nach Beendigung seiner Arbeit schlafen zu gehen, komme der im Wohnhaus integrierten Garage für die Entscheidung keine Bedeutung zu.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Berufungsgericht der Berufung des Klägers nicht Folge. Es billigte die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes und ergänzte, daß der Kläger seine betriebliche Tätigkeit in seiner Ordination zum Unfallszeitpunkt bereits beendet gehabt und sich auf dem Weg zu seinem privaten Wohnbereich befunden habe, ohne dabei die Absicht zu verfolgen, in der Garage noch eine berufliche Tätigkeit zu verrichten. Der Weg durch die Garage sei nur deshalb gewählt worden, weil er die kürzeste Verbindung gewesen sei, um zum Schlafraum zu gelangen. Es müsse daher bei der allgemeinen Regel der Rechtsprechung bleiben, daß der Versicherungsschutz bei Erreichen des Haus- bzw Garageneinganges ende und der weitere Weg bereits dem privaten Lebensbereich zuzuordnen sei. Ein kausaler Zusammenhang des Unfalles mit der betrieblichen Tätigkeit könne nicht hergestellt werden.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Klagestattgebung abzuändern.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes ist zutreffend; es kann daher auf dessen Ausführungen verwiesen werden (§ 510 Abs 3 ZPO). Ergänzend und zusammenfassend ist den Ausführungen des Revisionswerbers entgegenzuhalten:

Ob es sich im Fall der Garage des Klägers um einen wesentlich betrieblichen Zwecken dienenden Teil des Wohnhauses handelt, kann auf sich beruhen. Wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat, sind die innerhalb des Wohnhauses zurückgelegten Wege des Versicherten schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht als Wege "zur oder von der Arbeitsstätte" anzusehen (§ 175 Abs 2 Z 1 ASVG). Der Versicherte ist innerhalb des Wohnhauses auch nicht den für einen Arbeitsweg typischen Gefahren ausgesetzt, gegen die er in der Unfallversicherung geschützt werden soll, sondern es gehen die Gefahren auf die Umstände des Privatbereichs zurück, die dem Versicherungsschutz im allgemeinen nicht unterliegen (SSV-NF 5/75, 6/144, 10/47). Dies gilt auch für das Stolpern und den Sturz des Klägers über die von ihm vor Antritt einer Privatfahrt in der Garage abgestellten Arbeitstaschen. Der Unfall ereignete sich in der Sphäre des allgemeinen Lebensriskos des Klägers. Es bestand kein ausreichender Zusammenhang mehr zur betrieblichen Tätigkeit (vgl Gitter in ZAS 1989, 15 f; Müller in ZAS 1989, 149 f).

Nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung beginnt bzw endet der Versicherungsschutz an der Außenfront des Wohnhauses, also in der Regel an dem ins Freie führenden Haustor oder Garagentor (SSV-NF 2/17 mwN; SSV-NF 5/75). Besteht eine direkte Verbindung zwischen Wohnhaus und Garage, so ist beim Ein- und Mehrfamilienhaus die Garagentür eine der Außentüren, mit deren Durchschreiten der Versicherungsschutz beginnt bzw beim Heimweg endet (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung Band II 485p). Der Kläger hat sich daher bei seinem Gang durch die Garage nicht mehr auf einem mit der Beschäftigung zusammenhängenden Weg von der Arbeitsstätte befunden (§ 175 Abs 2 Z 1 ASVG iVm § 3 Abs 2 FSVG). Er stand daher bei seinem Sturz nicht mehr unter Unfallversicherungsschutz. Die Annahme von Grenzpunkten des Weges zur oder von der Arbeitsstätte bringt zwangsläufig eine differenzierte Betrachtung der einzelnen Unfälle mit sich, je nach dem ob sie sich vor oder nach diesen Grenzpunkten ereignet haben. Die Differenzierung zwischen den Unfällen, die sich auf einem mit der Beschäftigung zusammenhängenden Weg zur oder von der Arbeitsstätte ereignen, und den Unfällen, auf die dies nicht zutrifft, folgt aus dem Unfallversicherungsrecht; eine "unsachliche" Differenzierung vermag der Oberste Gerichtshof dabei nicht zu erblicken.

Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers ist der Oberste Gerichtshof in dem zu SSV-NF 2/2 veröffentlichten Fall nicht vom Grundsatz abgewichen, daß der Versicherungsschutz an der Außenfront des Wohnhauses beginnt oder endet. In diese Entscheidung war kein Wegunfall nach § 175 Abs 2 Z 1 ASVG, sondern ein Arbeitsunfall nach § 175 Abs 1 ASVG beim Sturz des Versicherten auf einer Treppe zu beurteilen. Auch in der Entscheidung zu SSV-NF 10/47 wurde nicht vom Grundsatz, daß der Versicherungsschutz an der Außenfront des Wohnhauses beginnt oder endet, abgegangen. Im Zusammenhang mit dem dort zu beurteilenden Sturz des Versicherten auf einer der Erreichung des privaten Wohnbereiches dienenden Treppe wurde ausgesprochen, daß dann, wenn sich in einem Haus Wohnung und betrieblich genutzte Räume in verschiedenen Geschoßen befinden, der Versicherungsschutz grundsätzlich nicht einsetzen könne, bevor die betrieblich genutzten Räume betreten werden; ein geschützter Arbeitsweg innerhalb des Hauses komme sohin nicht in Frage, weshalb der Weg über die Treppe auch nicht nach § 175 Abs 2 Z 1 ASVG dem Schutz der Unfallversicherung unterliegen könne. Die bloße Absicht, eine betriebliche Tätigkeit auszuüben oder der Gang zu einer beabsichtigten beruflichen Arbeit innerhalb des Hauses begründen keinen Versicherungsschutz. Umsoweniger kann bei Fehlen einer derartigen Absicht - wie im vorliegenden Fall - ein Versicherungsschutz begründet sein.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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