OGH 11Os28/06m

OGH11Os28/06m25.4.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. April 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Westermayer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Oguz Y***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten Raubes nach §§ 142 Abs 1, 15 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 34 Ur 15/06dh des Landesgerichtes Wiener Neustadt, über die Grundrechtsbeschwerde des Oguz Y***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Beschwerdegericht vom 10. März 2006, AZ 21 Bs 87/06g, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Oguz Y***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Über den am 10. August 1991 geborenen Jugendlichen Oguz Y***** wurde mit Beschluss des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 22. Jänner 2006 wegen des dringenden Verdachtes, die Verbrechen des versuchten schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 dritter Fall StGB und des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB sowie der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB begangen zu haben, die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 2 und Z 3 lit a, b StPO iVm § 35 Abs 1 JGG (S 187/I) verhängt. Mit Beschluss vom 3. Februar 2006 (ON 34) wurde die Untersuchungshaft aus denselben Haftgründen und nunmehr auch wegen des dringenden Verdachtes des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 2 StGB bis längstens 3. März 2006, ferner mit Beschluss vom 24. Februar 2006 aus den Haftgründen des § 180 Abs 2 Z 2 (bis 19. März 2006) und Z 3 lit b StPO mit Wirksamkeit bis 24. April 2006 fortgesetzt (ON 51).

Mit dem angefochtenen Beschluss (ON 66) gab das Oberlandesgericht Wien der gegen den Fortsetzungsbeschluss ON 51 gerichteten Beschwerde des Oguz Y***** keine Folge und setzte die Untersuchungshaft aus dem Grund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO mit Wirksamkeit bis 10. Mai 2006 fort. Dabei ging es vom dringenden Verdacht aus, Oguz Y***** habe die Verbrechen des vollendeten und des versuchten Raubes nach § 142 Abs 1 StGB bzw §§ 15, 142 Abs 1 StGB, der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1, Abs 2 zweiter Fall StGB sowie der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB und das Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 2 StGB begangen. Nach der dringenden Verdachtslage soll er im November 2005 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit den Mitangeklagten Tolga Ö***** und Ramazan Ö***** den Alexander M***** vorsätzlich am Körper verletzt sowie am 8. Jänner 2006 gemeinsam mit den Vorgenannten versucht haben, Johannes S***** durch Schläge und Drohungen mit einem Messer und Anzünden einer CO2 Spraydose Wertgegenstände abzunötigen und ihn ferner durch Ankündigung einer Todesdrohung zur Abstandnahme von der Anzeigeerstattung genötigt haben. Schließlich soll er am 19. Jänner 2006 gemeinsam mit Ramazan Ö***** dem Unterstandslosen Christoph O***** durch Schläge und Tritte insgesamt 115 EUR abgenötigt haben.

Weil das Oberlandesgericht den Tatverdacht in Bezug auf die Verwendung von Messer und Spray-Dose als Mittel zur Sachwegnahme nicht als dringend ansah und für die - zusätzliche - Annahme des Vergehens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB kein Sachverhaltssubstrat vorliegt, reduziert sich der zu überprüfende dringende Tatverdacht auf die Begehung der Verbrechen des versuchten (§§ 15, 142 Abs 1 StGB) und des vollendeten Raubes (§ 142 Abs 1 StGB), der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB) und des Vergehens der Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 2 StGB.

Zu bemerken ist, dass die beiden Raubtaten und die schwere Nötigung sowie die Körperverletzung zum Nachteil des Alexander M***** zuzüglich zweier weiterer Körperverletzungsdelikte unter der Qualifikationsannahme der §§ 83 Abs 1, 84 Abs 3 StGB sowie das Vergehen der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB Gegenstand der mittlerweile infolge Einspruchsverzichtes des Beschwerdeführers in Rechtskraft erwachsenen Anklageschrift sind (ON 60, S 3 g verso).

Rechtliche Beurteilung

Der das Vorliegen des angezogenen Haftgrundes bestreitenden und - schwergewichtig - die Unverhältnismäßigkeit und Substituierbarkeit der Untersuchungshaft behauptenden Grundrechtsbeschwerde des Oguz Y***** kommt aus den in der Stellungnahme der Generalprokuratur zutreffend angeführten Gründen keine Berechtigung zu. Die rechtliche Annahme der Gefahr, der Angeklagte werde auf freiem Fuße ungeachtet des gegen ihn geführten Strafverfahrens eine strafbare Handlung mit nicht bloß leichten Folgen begehen, die gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet ist wie die ihm nunmehr wiederholt angelasteten Handlungen (§ 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO), wird vom Obersten Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens dahin geprüft, ob sie aus den in der angefochtenen Entscheidung angeführten bestimmten Tatsachen abgeleitet werden durfte, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als willkürlich angesehen werden müsste (RIS-Justiz RS0118185 und RS0117806). Eine derartige Willkür wird in der Beschwerde jedoch nicht aufgezeigt.

Das Oberlandesgericht leitete die begründete Gefahr der Begehung von Straftaten der vorliegenden Art aus der nach der Verdachtslage wiederholten Begehung schwerwiegender, von beträchtlicher Gewaltanwendung gekennzeichneter strafbedrohter Handlungen im Kontext mit der nach der Aktenlage (vgl ON 27) hinreichend indizierten, manifesten Neigung des Oguz Y***** zu Gewalt- und Vermögensdelinquenz ab. Damit wurde die Annahme der Tatbegehungsgefahr gesetzmäßig begründet.

Soweit der Beschwerdeführer die Substituierbarkeit der Untersuchungshaft insbesondere aus den Gründen des § 35 Abs 1 JGG reklamiert, lässt er jene sorgfältigen und formell einwandfrei unter Einbeziehung der mit der Haft verbundenen (psychischen) Konsequenzen dargelegten Erwägungen des Beschwerdegerichtes unbeachtet, denenzufolge die für Haftsurrogate maßgeblichen Aspekte fallbezogen verneint wurden. Mit der punktuellen Hervorhebung ohnedies mitberücksichtigter Einzelaspekte, vor allem der mit der Untersuchungshaft angeblich verbundenen psychischen Schäden (Stress, Schlafprobleme, Nachtzittern vor Wut) verfehlt er solcherart den vom Gesetz (§§ 1 Abs 1, 3 Abs 1 GRBG) geforderten Bezugspunkt. Weshalb die leugnende Verantwortung des Beschwerdeführers fallspezifisch für das eigenständige Prüfkriterium der „Bedeutung der Tat" (richtig: Sache; vgl § 180 Abs 1 letzter Satz erster Fall StPO) relevant sein und deswegen die Haftfortsetzung mit der Unschuldsvermutung (Art 6 Abs 2 EMRK) unvereinbar sein soll, ist nicht nachvollziehbar. Denn die aus dem gesamten Beweissubstrat ohne Verstoß gegen Logik und allgemeine Erfahrungssätze deduzierte Annahme der dringenden Verdachtslage steht mit der Unschuldsvermutung keineswegs in Widerspruch (vgl Hager/Holzweber GRBG § 2 E 34 f; Mayerhofer Nebenstrafrecht5 Art 6 MRK E 20 aa; statt vieler 12 Os 130/05t).

Mit der unsubstantiierten Gegenthese, die Bestellung eines (vorläufigen) Bewährungshelfers wäre fallbezogen ein adäquates Haftsurrogat (vgl § 180 Abs 5 Z 8 StPO), wird ein Begründungsdefizit nicht vorschriftsgemäß aufgezeigt.

Beim Antrag auf Einleitung eines Normprüfungsverfahrens betreffend den als „gesetzwidrig" gerügten Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO (Art 89 Abs 2 B-VG) wird - auch in der zur Stellungnahme der Generalprokuratur eingebrachten Äußerung - verkannt, dass dieser keineswegs die mit der Unschuldsvermutung unvereinbare Feststellung der tatsächlichen Begehung einer Ersttat verlangt, sondern - arg „nunmehr … angelastet" in § 180 Abs 2 Z 3 lit b zweiter Fall StPO im Gegensatz zum dort vorgenannten „verurteilt" - ausdrücklich auf den Verdacht der Begehung mehrerer gegen dasselbe Rechtsgut gerichteter strafbarer Handlungen mit nicht bloß leichten Folgen abstellt.

Angesichts der nach der dringenden Verdachtslage zufolge § 5 Z 4 JGG aktuellen Strafdrohung des § 142 Abs 1 StGB von Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren kann von einer Unverhältnismäßigkeit der im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung etwa eineinhalb Monate dauernden Untersuchungshaft auch mit Bedacht auf mit der Untersuchungshaft allenfalls verbundene Nachteile für die Persönlichkeitsentwicklung und das Fortkommen des Jugendlichen (§ 35 Abs 1 zweiter Satz JGG) keine Rede sein. Überlegungen über eine mögliche Gewährung bedingter Strafnachsicht im Falle eines Schuldspruchs aber haben bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung außer Betracht zu bleiben (15 Os 34/04, 14 Os 141/05z).

Eine Grundrechtsverletzung liegt daher nicht vor, weshalb die Beschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.

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