OGH 15Os28/06s

OGH15Os28/06s19.4.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. April 2006 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Danek, Hon. Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Solé und Mag. Lendl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Hennrich als Schriftführerin in der Strafsache gegen Christian R***** wegen des Vergehens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Schöffengericht vom 4. August 2005, GZ 40 Hv 71/05y-32, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Christian R***** der Vergehen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (1.) und der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (2.) schuldig erkannt. Danach hat er

1. am 24. März 2004 in Großgmain Claudia N***** mit Gewalt zur Duldung geschlechtlicher Handlungen genötigt, indem er seinen Arm um ihre Schulter legte, sie festhielt und gegen die Wand drückte und sie mit einer Hand an der Brust und an der Scheide betastete;

2. am 20. Juni 2004 in Abtenau Johann R***** dadurch, dass er ihn aus dem geöffneten Seitenfenster seines PKW am Pullover erfasste und 50 bis 100 m mitschleifte, ihn anschließend würgte und schlug, „in Form von Prellungen des Kopfes, der Nase, des Brustkorbes, der Bauchdecke, des linken Armes und am Rücken sowie einer Schwellung an der Nase und Abschürfungen am linken Arm und am Hals" am Körper verletzt.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Angeklagten aus den Gründen des § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 5a und 9 lit a StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde verfehlt ihr Ziel.

Die Verfahrensrüge (Z 4) kritisiert zu Schuldspruch 1. die Abweisung des Antrags auf Vernehmung der Zeugen Aktar S***** und Werner R*****. Der Erstgenannte wurde zum Nachweis dafür geführt, dass Claudia N***** sich anderen männlichen Personen aufzudrängen versuchte habe. Der Zeuge R***** wurde zum Beweis dafür beantragt, „dass die Zeugin N***** unrichtig angegeben hat, der Beschuldigte habe einen grauen Bademantel im Zimmer oder einen solchen besessen und dass der Pfleger genau diese Frage überprüft hat und feststellte, dass ein brauner Bademantel im Kasten des Zimmers des Beschuldigten aufgehängt war". Die Abweisung dieser Anträge bedeutete keine Schmälerung der Verteidigerrechte, weil die genannten Beweisthemen für die Schuldfrage ohne Bedeutung waren.

Weshalb es zum Beweis dafür, „dass die Zeugin N***** bei ihrer Einvernahme durch die Gendarmerie widersprüchliche Angaben gemacht habe", der Vernehmung der dazu beantragten Zeugin Evelyn S***** bedurft hätte, ist nicht ersichtlich. Im Übrigen besteht nach dem betreffenden Protokoll kein wie im Beweisthema behaupteter Widerspruch.

Der Beschwerdeführer reklamiert in seiner Verfahrensrüge auch die Abweisung des Antrages (S 299) auf Ergänzung der kontradiktorischen Vernehmung der Zeugin N*****. Ein Teil ihrer Aussage in der Länge von ca. 15 bis 30 Sekunden sei technisch nicht in Ordnung gewesen und das Protokoll weise „ganz maßgebliche Auslassungen" auf. So sei insbesondere nicht protokolliert, dass die Berührung nicht mit zwei Fingern, sondern mit einem Finger passiert sei.

Ein diesbezüglicher Protokollberichtigungsantrag wurde vom Erstgericht nach nochmaligem Videostudium abgelehnt; demnach wurde die Übertragung fehlerfrei vorgenommen.

Die beantragte Beweisaufnahme im Sinn einer weiteren Vernehmung durch den Untersuchungsrichter (ON 5) ist nach der StPO nicht vorgesehen. Ein Beweisthema, das auf Klärung einer erheblichen Tatsache durch Vernehmung in der Hauptverhandlung bezogen war, wurde nicht genannt. Der Antrag auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens betreffend die Zeugin N***** war ebenso wenig zielführend. Zwar könnte der Umstand, dass ein Zeuge bereits wegen Verleumdung oder falscher Beweisaussage zur Verantwortung gezogen wurde, eine unter dem Gesichtspunkt der Glaubwürdigkeitsbeurteilung erhebliche Tatsache darstellen. Voraussetzung einer solchen Erheblichkeit sind Anhaltspunkte für eine habituelle und demzufolge die Aussagen im Strafverfahren erschütternde Falschbezichtigungstendenz des Zeugen oder für einen Zusammenhang früherer falscher Angaben mit dem Verfahrensgegenstand (vgl 15 Os 54/05p). Derartiges wurde hier nicht vorgebracht.

Ein Antrag auf Durchführung eines Lokalaugenscheins zur „Rekonstruktion des Zeitaufwandes betreffend den Zeitpunkt vom Betreten der Anstalt des Beschuldigten" sowie „der notwendigen Zeit für das Hinaufgehen von der Garderobe bis zum Zimmer des Beschuldigten" wurde der Beschwerde zuwider nicht gestellt (vgl S 300). Im Übrigen lässt das Begehren auf „Rekonstruktion des Zeitaufwandes ..." (vgl oben) die erforderliche Spezifizierung der Umstände vermissen, welche die behauptete Unmöglichkeit erweisen könnten.

Der Antrag auf Vernehmung des Zeugen „Gerhard N zum Beweis dafür, dass der Angeklagte nachmittags am 20. Juni" (ersichtlich gemeint 24. März 2004) „bis kurz vor 17.30 Uhr sich noch bei diesem in Großgmain aufgehalten hat" (S 301), ist angesichts des Tatzeitraumes (US 4 f) für die Schuldfrage nicht von Bedeutung.

Zu Schuldspruch 2. kritisiert die Verfahrensrüge zunächst die Ablehnung der zum Beweis dafür, „dass nicht der Beschuldigte mit dem PKW im fraglichen Zeitraum gefahren ist und nicht der Beschuldigte gerauft hat", als Zeugin beantragten Tochter der Elisabeth S*****. Die Abweisung (S 250) erfolgte zu Recht. Die vom Erstgericht zur Begründung des Zwischenerkenntnisses aufgrund der Aussage der Elisabeth S***** geäußerte Annahme, dass die Zeugin nichts diesbezügliches sehen konnte, ist nachvollziehbar. Die Mutter der beantragten Zeugin gab nämlich an, dass nicht einmal sie selbst, als ihr beim Joggen mit ihrer kleinen Tochter ein PKW entgegen kam, den Lenker erkennen konnte (S 213 iVm S 111).

Der im Zusammenhang mit der Behauptung, Johann R***** habe betreffend eine Nasenbeinfraktur mehrfach die Unwahrheit gesagt, gestellte „Beweisantrag, was seine Alkoholkonsumgewohnheiten im Tatzeitraum betrifft", auf „Einholung eines diesbezüglichen ärztlichen Sachverständigengutachtens und Beischaffung aller Krankengeschichten und Befunde des Zeugen R*****" (S 301) wurde gleichfalls ohne Schmälerung von Verteidigerrechten abgewiesen. Die Frage der „Alkoholkonsumgewohnheiten" des Zeugen hatte keine erkennbare Eignung zur Klärung entscheidungswesentlicher Tatsachen.

Die Ablehnung der beantragten Vernehmung des Zeugen Christian D***** erfolgte zu Recht. Dieser wurde zum Beweis dafür geführt, „dass der Zeuge Johann R***** des öfteren von anderen Personen geschlagen wurde, insbesondere auch vom Zeugen D*****" (S 300). Die angestrebte Beweisaufnahme betraf demnach nicht den Prozessgegenstand. Die Mängelrüge (Z 5) erweist sich nicht als zielführend. Aktenwidrig im Sinn des § 281 Abs 1 Z 5 fünfter Fall StPO ist ein Urteil nur dann, wenn es den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer gerichtlichen Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 467; Fabrizy StPO9 § 281 Rz 47); eine Feststellung des Erstgerichtes - hier zur Tatzeit - kann demnach nicht im Sinn der Z 5 aktenwidrig sein.

Entgegen der vom Beschwerdeführer behaupteten Unvollständigkeit der Begründung (Z 5 zweiter Fall) hat das Erstgericht die Feststellung, dass der Angeklagte, nachdem er in die Anstalt gekommen war, zwischen 17.00 und 17.30 Uhr auf Claudia N***** traf und dann das inkriminierte Verhalten setzte, sehr wohl vollständig begründet. Dabei hob es hervor, dass die Zeugin und der Angeklagte laut dessen eigener Aussage schon vor dem Zimmer am Gang zusammentrafen. Auf den genauen Tatzeitpunkt kommt es angesichts der kurzen Dauer des Vorfalls nicht an.

Entgegen der Beschwerde lieferte das Erstgericht durchaus eine Begründung dafür, warum den Angaben der Zeugin N***** hinsichtlich eines Tatzeitpunktes vor 17.00 Uhr nicht gefolgt wurde (US 8). Das Vorbringen des Angeklagten zum Grund seines Aufenthaltes im Rehabilitationszentrum Großgmain entbehrt jeder Kritik am Urteil und bleibt daher einer Erwiderung unzugänglich.

Die auf eigenen Beweiswerterwägungen zu verschiedenen Aussagen beruhende Tatsachenrüge (Z 5a) vermag keine sich aus den Akten ergebenden erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen zu wecken. Zum Teil bezieht sich das Vorbringen überhaupt auf Unmaßgebliches.

So betrifft der Einwand gegen die Feststellungen des Erstgerichtes zu Schuldspruch 2., wonach der PKW ohne Kennzeichen fuhr, unerhebliche Umstände.

Die zum Schuldspruch 1. erhobene Rechtsrüge (Z 9 lit a), in welcher Feststellungen zur subjektiven Tatseite vermisst werden und die rechtliche Annahme von Gewalt bestritten wird, orientiert sich nicht am festgestellten Sachverhalt.

Der Angeklagte wendet ein, das Erstgericht habe nicht festgestellt, dass er nach der Aufforderung der Zeugin, die geschlechtlichen Handlungen zu unterlassen, weiterhin Gewalt angewendet habe. Er geht davon aus, dass erst die Überwindung eines ernst gemeinten Widerstandes der Zeugin den erforderlichen Vorsatz ergeben hätte. Der Beschwerdeführer vernachlässigt jedoch, dass er nach den Urteilsannahmen Claudia N***** umklammerte, ihr eine Hand um die Schulter legte, sie gegen die Wand drängte und sie festhielt, um ihr mit der Hand unter Jogginganzug und T-Shirt über dem Büstenhalter an die Brust zu greifen sowie sie unter der Unterhose zu berühren, und eine diesbezügliche Willensausrichtung konstatiert wurde (US 5). Weshalb erst eine darüber hinausgehende Aktivität im Sinne einer Beugung eines tatsächlich geleisteten Widerstandes zur Erfüllung des Tatbestandes des § 202 Abs 1 StGB erforderlich sein soll, wird nicht aus dem Gesetz abgeleitet.

Der Einwand, der ganze Annäherungsversuch habe nur wenige Sekunden gedauert, weshalb es an dem für eine „Nötigung" erforderlichen Vorsatz fehle, geht ins Leere, weil er sich nicht an den Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes orientiert (US 5). Das Vorbringen des Beschwerdeführers zur Erheblichkeit der sexuellen Zudringlichkeit entzieht sich mangels jeglicher gegen den Schuldspruch gerichteter Argumentation einer inhaltlichen Erwiderung. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der dazu erstatteten, auf die Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde verweisenden Äußerung des Angeklagten - bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Gerichtshofs zweiter Instanz zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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