OGH 9ObA155/05t

OGH9ObA155/05t29.3.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Komm.Rat Mag. Paul Kunsky und Robert Hauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache des Antragstellers Österreichischer Rundfunk, 1136 Wien, Würzburggasse 30, vertreten durch Dr. Clemens Goschler, gegen den Antragsgegner Zentralbetriebsrat des Österreichischen Rundfunks, 1136 Wien, Würzburggasse 30, vertreten durch Heinz Fiedler, Vorsitzender des Antragsgegners, über den gemäß § 54 Abs 2 ASGG gestellten Antrag auf Feststellung, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Antrag auf Feststellung, dass aufgrund des am 7. Dezember 2004 zwischen den Parteien abgeschlossenen Kollektivvertrags über Fragen der Arbeitszeit im Österreichischen Rundfunk, welcher am 1. August 2005 in Kraft getreten ist,

a) eine 8,5te tägliche Arbeitsstunde den gleichen Regeln des Mehrarbeit-Zeitausgleichs unterliegt wie eine neunte tägliche Arbeitsstunde und

b) der im Antrag bezeichnete Kollektivvertrag nach seinem Erlöschen am 31. 12. 2005 für Arbeitsverhältnisse, die unmittelbar vor seinem Erlöschen durch ihn erfasst waren, Nachwirkung iSd § 13 ArbVG entfaltet,

wird abgewiesen.

Text

Begründung

Die Kollektivvertragsfähigkeit der Parteien ergibt sich aus § 48 Abs 5 ORF-Gesetz. Beide sind daher iSd § 54 Abs 2 letzter Satz ASGG als Parteien des besonderen Feststellungsverfahrens legitimiert. Der Antragsteller beantragt wie aus dem Spruch ersichtlich und bringt dazu im Wesentlichen folgenden Sachverhalt vor:

Am 7. 12. 2004 schlossen die Parteien den „Kollektivvertrag über Fragen der Arbeitszeit im Österreichischen Rundfunk" (in der Folge: KV), der mit 1. 8. 2005 in Kraft trat. Der Abschnitt II (Bestimmungen über die Verteilung der Normalarbeitszeit) und der Abschnitt II (Gemeinsame Bestimmungen) gelten - abgesehen von den Mitgliedern des Orchesters - für alle Arbeitnehmer des ORF, die einen Normaldienst oder unregelmäßigen Dienst gemäß den §§ 19 bzw 11 des Kollektivvertrags vom 17. 3. 2003 bzw § 11 der Freien Betriebsvereinbarung (FBV) leisten. Es sind insgesamt mehr als 3.000 Arbeitnehmer betroffen.

Regelungsgegenstand des KV ist die Flexibilisierung der Arbeitszeit, die dem Bedarf eines arbeitsteiligen Medienunternehmens, in dem 24 Stunden täglich und an 365 Tagen im Jahr gearbeitet wird, entspricht. Wesentlicher Teil des KV sind die Bestimmungen des Abschnitts II über eine Verlängerung der täglichen und wöchentlichen Normalarbeitszeit auf der Grundlage der Bestimmungen des § 4 AZG. Eine zentrale Bestimmung ist die Ausdehnung der Normalarbeitszeit auf höchstens neun Stunden täglich bzw 45 Stunden wöchentlich, wenn innerhalb des Durchrechnungszeitraums die wöchentliche Normalarbeitszeit im Durchschnitt der vertraglichen Normalarbeitszeit entspricht. Die neunte tägliche Arbeitsstunde wird als Mehrarbeit bezeichnet und ist durch „Mehrarbeit-Zeitausgleich" grundsätzlich kompensierbar. Der mit großem betriebswirtschaftlichen und organisatorischen Aufwand implementierte KV stellt einen Interessenausgleich dar. Er wurde - nicht zuletzt wegen der neu eingeführten Zulagen für Rufbereitschaft - allgemein akzeptiert. Dennoch hat der Antragsgegner den KV bereits eineinhalb Monaten nach seinem Inkrafttreten mit Schreiben vom 16. 9. 2005 zum 31. 12. 2005 aufgekündigt. Maßgebend dafür sind unterschiedliche Rechtsauffassungen der Parteien.

Übereinstimmend wird die Ausgleichsfähigkeit der neunten täglichen Arbeitsstunde anerkannt. Der KV steht in unleugbarem Sachzusammenhang mit den anderen für den ORF geltenden Kollektivverträgen bzw der FBV. Halbe Überstunden (und damit 8,5 tägliche Arbeitsstunden) sind in den Arbeitszeitregelungen des ORF schon seit Jahren gebräuchlich. Trotz der unangezweifelten Ausgleichsfähigkeit der neunten Arbeitsstunde vertritt der Antragsgegner die Ansicht, dass die 8,5te tägliche Arbeitsstunde nicht nach den Regeln ausgleichsfähig sei, wie sie für die neunte tägliche Arbeitsstunde gelten.

Aus diesem Grund - andere Gründe wurden nicht genannt - hat sich der Antragsgegner zur Kündigung des für das Unternehmen wichtigen KV entschlossen. Der Antragsgegner bestreitet überdies die Rechtsansicht des Antragstellers, wonach dem KV nach seinem Erlöschen Nachwirkung iSd § 13 ArbVG zukommt.

Die Rechtsausführungen des Antragstellers lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Die Ausgleichsfähigkeit der neunten täglichen Arbeitsstunde sei unbestritten. Es sei daher unerfindlich, warum die 8,5te tägliche Arbeitsstunde nicht ausgleichsfähig sein solle. Die Auslegung des KV nach den durch den Obersten Gerichtshof judizierten Prinzipien führe zu einem dem Standpunkt des Antragstellers entsprechenden Ergebnis. Dass die Inhaltsnormen eines Kollektivvertrags Nachwirkungen iSd § 13 ArbVG entfalten, sei unbestritten. Zu den Inhaltsnormen gehöre alles, was typischerweise in Arbeitsverträgen geregelt werde. Der KV gestalte das Arbeitsverhältnis der Arbeitnehmer zum ORF in Arbeitszeitfragen (Durchrechnungszeitraum, Normalarbeitszeit, Mehrarbeit-Zeitausgleich, Rufbereitschaft etc) selbst. Die Bestimmungen des KV seien daher Inhaltsnormen, die der Nachwirkung fähig seien. Auch wenn man sie als Zulassungsnormen bezeichne, ändere dies nichts daran, dass sie auch als Inhaltsnormen zu qualifizieren seien, weil es nicht auf die Bezeichnung der Norm sondern auf ihren Regelungsinhalt ankomme.

Im Sinne der in der Lehre geführten Diskussion über die Nachwirkung von Zulassungs- bzw Inhaltsnormen seien zwei Fallgruppen auseinander zu halten: Zur einen Gruppe gehöre der Kollektivvertrag, der von der gesetzlichen Möglichkeit nur insoweit Gebrauch mache, als er Abweichungen vom Gesetz - in Betriebsvereinbarung oder Einzelvertrag - bloß zulasse. Zur anderen Gruppe gehöre der Kollektivvertrag, der überdies die Rechtslage zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber - wie auch sonst eine Inhaltsnorm - gestalte. Der hier zu beurteilende KV gehöre zur zweiten Gruppe, für die die Nachwirkung gemäß § 13 ArbVG jedenfalls zu bejahen sei.

Die Antragsgegnerin beantragte, dem Feststellungsantrag nicht Folge zu geben.

Arbeitszeitkollektivverträge wie der hier zu beurteilende führten unter dem Gesichtspunkt der „Flexibilisierung" zu einer Minderung von Arbeitnehmerrechten, und zwar insbesondere im Zusammenhang mit Überstunden und der darauf bezogenen Zuschlagspflicht. Bei Wegfall eines Arbeitszeitkollektivvertrags trete eine Verbesserung für die Arbeitnehmer ein; es komme nicht zu einem regelungslosen Zustand, sondern zur Anwendung der präzisen Regelungen des AZG. § 13 ArbVG solle verhindern, dass nach dem Erlöschen eines Kollektivvertrages lückenhafte Arbeitsverhältnisse entstehen. Dies könne hier in Bezug auf die abweichende Verteilung der Arbeitszeit nicht eintreten, weil ohnedies die gesetzlichen Begrenzungen der Normalarbeitszeit wieder eingreifen könnten. Dazu komme, dass nach dem AZG die Ausdehnung der Normalarbeitszeit und damit der Entfall von Überstundenentlohnung an die Übereinkunft der Kollektivvertragspartner geknüpft werden solle. Diese Übereinkunft ende jedoch mit dem Erlöschen des Kollektivvertrags. Zudem sei eine Arbeitszeitregelung eine betrieblich bedingte Maßnahme, die nicht davon abhängig gemacht werden könne, ob ein Dienstnehmer schon zu Zeiten der Wirksamkeit des Kollektivvertrags beschäftigt gewesen sei oder erst nach dessen Erlöschen in das Unternehmen eingetreten sei. Eine derart unterschiedliche Behandlung von Dienstnehmern im gleichen Betrieb sei völlig unpraktikabel und gleichheitswidrig.

Die kollektivvertraglichen Regelungen seien jedenfalls Zulassungsnormen, zumal sie nicht - wie Inhaltsnormen - die Rechtslage zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern gestalten sondern Abweichungen vom Gesetz zulassen. Eine Nachwirkung iSd § 13 ArbVG trete daher nicht ein.

Zur Ausgleichsfähigkeit der 8,5ten Arbeitsstunde sei zunächst darauf zu verweisen, dass § 9 des KV eine Schlichtungsstelle vorsehe, deren Aufgabe es sei, Streitigkeiten aus dem KV zu schlichten und endgültig zu entscheiden. Im Übrigen sei der KV - wie jeder Vertrag - zunächst nach seinem Wortlaut auszulegen. Im gesamten KV sei aber nur von Arbeitsstunden und von keiner anderen Einheit die Rede. Würde man nicht die Arbeitsstunde als Maßeinheit normieren, hieße dies, den Arbeitnehmer hinsichtlich der Arbeitszeit völlig der Disposition bzw der Willkür des Arbeitgebers auszuliefern. Schließlich könnte Zeitausgleich dann auch in Minutenschritten gewährt werden, was Arbeitszeitregelungen, wie sie das AZG kenne, überhaupt beseitigen würde. Bei der Entlohnung auch einer halben Überstunde handle es sich um eine Begünstigung des Arbeitnehmers, während Arbeitszeitkollektivverträge wie der gegenständliche zu einer Schmälerung der Arbeitnehmerrechte führten.

Arbeitszeitüberschreitungen von einer halben Stunde könnten daher nicht durch Zeitausgleich abgegolten werden, sondern nur durch Überstundenentlohnung.

Rechtliche Beurteilung

Der Feststellungsantrag ist nicht berechtigt:

Das besondere Feststellungsverfahren nach § 54 Abs 2 ASGG setzt ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung eines (näher bezeichneten) Rechtes oder Rechtsverhältnisses voraus (Kuderna, ASGG² § 54 Anm 12 iVm Anm 6). Dieses rechtliche Interesse ist vom Obersten Gerichtshof auf der Grundlage des vom Antragsteller zu behauptenden Sachverhalts von Amts wegen zu prüfen (RIS-Justiz RS0085712; 9 ObA 150/03d). Sein Fehlen führt zur Abweisung des Feststellungsantrags (9 ObA 150/03d uva).

Recht oder Rechtsverhältnis im Sinne des § 54 ASGG können nur bestimmte, durch den vorgetragenen Sachverhalt gegebene und konkretisierte rechtlich geregelte Beziehungen von Personen untereinander oder von Personen zu einem Gegenstand bzw die rechtlichen Folgen einer solchen Rechtsbeziehung sein (Kuderna, ASGG² § 54 Anm 12 iVm Anm 6; RIS-Justiz RS0085596; Arb 11.001; 8 ObA 118/01p).

Auf dieser Grundlage ist der vorliegende Feststellungsantrag aus folgenden Überlegungen abzuweisen:

Jener Teil des Feststellungsantrags, der sich mit der behaupteten Nachwirkung des KV befasst, beschränkt sich auf die Behauptung und auf das Begehren der Feststellung, der KV entfalte nach seinem Erlöschen am 31. 12. 2005 für Arbeitsverhältnisse, die unmittelbar vor seinem Erlöschen durch ihn erfasst waren, Nachwirkungen iSd § 13 ArbVG. Dazu wird im Wesentlichen vorgebracht, dass die Bestimmungen des KV ungeachtet ihrer möglichen Einstufung als Zulassungsnorm jedenfalls auch Inhaltsnormen seien und daher von § 13 ArbVG umfasst seien. Abgesehen von Hinweisen auf bestimmte Abschnitte des KV (die allerdings mehrere, nicht zwangsläufig gleich zu behandelnde Bestimmungen umfassen) werden konkrete Bestimmungen im Antrag nicht erläutert oder auch nur genannt.

Schon ein erster Blick auf den vorgelegten KV zeigt aber, dass darin

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