OGH 10ObS21/06w

OGH10ObS21/06w17.2.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Hon. Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Vera Moczarski (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. pharm. Friedrich H*****, Apotheker, *****, vertreten durch Dr. Gerhard Hoyer, Rechtsanwalt in Wels, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert-Stifter-Straße 65, 1200 Wien, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. April 1999, GZ 7 Rs 37/99h-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 11. Dezember 1998, GZ 30 Cgs 19/98x-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Das Revisionsverfahren wird von Amts wegen wieder aufgenommen. Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger war neben seiner Tätigkeit als selbständiger Apotheker vom 1. 4. 1992 bis 15. 6. 1998 Leiter der Landesgeschäftsstelle Niederösterreich der Österreichischen Apothekerkammer und vom 1. 9. 1986 bis 15. 6. 1998 Leiter der Landesgruppe Niederösterreich des Österreichischen Apothekerverbandes. Am 1. 10. 1997 erlitt er bei einem Verkehrsunfall auf dem Weg zu einem Gesprächstermin bei der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse erhebliche Verletzungen. Mit Bescheid vom 20. 1. 1998 lehnte die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt einen Anspruch des Klägers auf Entschädigung aus Anlass dieses Unfalls ab, weil mangels Versicherungsschutzes kein Arbeitsunfall iSd § 175 ASVG vorliege. Zum Zeitpunkt des Unfalls habe keine Pflichtversicherung nach dem FSVG für den Bereich der Unfallversicherung und darüber hinaus auch keine Teilversicherung in der Unfallversicherung nach § 8 Abs 1 Z 3 ASVG bestanden. Auch eine Selbstversicherung nach § 19 ASVG habe nicht festgestellt werden können.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass sein Anspruch auf Entschädigung aus Anlass des Unfalls "dem Grunde nach zu Recht bestehe"; weiters begehrt er die Gewährung der "gesetzlichen Leistungen aus der Unfallversicherung im vollen Ausmaß". Zur Begründung führt der Kläger an, er sei nach § 8 Abs 1 Z 3 lit g ASVG in der Unfallversicherung teilversichert gewesen, weshalb der Unfall als Arbeitsunfall anzuerkennen gewesen wäre.

Die beklagte Partei wendet ein, dass ein unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehender Arbeitsunfall nicht vorliege. Der Kläger habe keine freiwillige Selbstversicherung in der Unfallversicherung abgeschlossen und sei nach dem FSVG lediglich in die Pensionsversicherung einbezogen, jedoch auch nach § 8 Abs 1 Z 3 lit g ASVG nicht unfallversichert gewesen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und schloss sich der Rechtsansicht der beklagten Partei an.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und verneinte ebenfalls einen Versicherungsschutz nach § 8 Abs 1 Z 3 lit g ASVG.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klagsstattgebenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt. Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Da das Datum der Entscheidung zweiter Instanz vor dem 1. 1. 2003 liegt, ist auf die Revision gemäß Art XI Abs 6 der Zivilverfahrens-Novelle 2002, BGBl I 2002/76, § 46 ASGG in der bis 31. 12. 2002 geltenden Fassung anzuwenden. Die Revision ist nach § 46 Abs 3 Z 3 ASGG (idF vor Inkrafttreten der ZVN 2002) auch bei Fehlen der Voraussetzungen des § 46 Abs 1 ASGG aF zulässig. Mit Beschluss vom 31. 8. 1999, 10 ObS 178/99w-22, hat der Oberste Gerichtshof das Revisionsverfahren gemäß § 74 Abs 1 ASGG unterbrochen, bis über die strittige Vorfrage der Versicherungspflicht des Klägers in der Unfallversicherung als Hauptfrage im Verfahren in Verwaltungssachen entschieden worden ist, dies einschließlich eines allenfalls anhängig gewordenen Verwaltungsgerichtshofverfahrens.

Die beklagte Partei hat daraufhin mit Bescheid vom 3. 12. 1999 ausgesprochen, dass der Kläger weder aufgrund seiner Funktion als Landesgeschäftsstellenleiter der Landesgeschäftsstelle Niederösterreich der Österreichischen Apothekerkammer noch als Leiter der Landesgruppe Niederösterreich des Österreichischen Apothekerverbandes der Teilversicherung in der Unfallversicherung gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit g ASVG unterliege bzw unterlegen sei. Nachdem der Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom 22. Mai 2001 den Einspruch des Klägers als unbegründet abgewiesen hatte, stellte der Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen mit Bescheid vom 10. 12. 2001 abändernd fest, dass der Kläger aufgrund seiner Tätigkeit als Funktionär des Apothekerverbandes gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit g ASVG am 1. 10. 1997 der Unfallversicherung unterlegen sei. Mit Erkenntnis vom 14. 9. 2005, 2002/08/0071, hat der Verwaltungsgerichtshof die dagegen erhobene Beschwerde der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt als unbegründet abgewiesen. Nach § 8 Abs 1 Z 3 lit g ASVG sei der Kläger als Organ der Landesgruppe Niederösterreich des Österreichischen Apothekerverbandes, einer kollektivvertragsfähigen Berufsvereinigung der Dienstgeber, in Ausübung der ihm aufgrund dieser Funktion obliegenden Pflichten in der Unfallversicherung teilversichert. Da nunmehr die Vorfrage, ob der Kläger am Unfalltag der Pflichtversicherung in der Unfallversicherung nach dem ASVG unterlag, als Hauptfrage im Verfahren in Verwaltungssachen rechtskräftig entschieden worden ist, ist das unterbrochene Revisionsverfahren von Amts wegen aufzunehmen (§ 190 Abs 3 ZPO; 10 ObS 215/91 = SSV-NF 7/42).

In seiner Revision weist der Kläger erneut darauf hin, dass er am 1. 10. 1997 dem aus § 2 Apothekerkammergesetz hervorgehenden Auftrag, unter anderem die Standes- und wirtschaftlichen Interessen der Apotheker wahrzunehmen, entsprochen habe, indem er bei der Gebietskrankenkasse Verhandlungen mit dem zuständigen Referenten über enterale Ernährung geführt und die Abgeltung der dafür auflaufenden Kosten vereinbart habe. Die Einbeziehung der enteralen Ernährung in die Vertriebswege der Apotheken sei auch im Interesse der selbständigen und unselbständigen Apotheker gelegen, sodass er insofern als gewählter Verbandsobmann Aufgaben zur Wahrung und Förderung der Interessen des Apothekerstandes entsprechend der Satzung des Österreichischen Apothekerverbandes wahrgenommen habe. Nach § 8 Abs 1 Z 3 lit g ASVG unterliegen der Teilversicherung in der Unfallversicherung „hinsichtlich der nachstehend bezeichneten Tätigkeiten (Beschäftigungsverhältnisse)" ... „Einzelorgane und Mitglieder von Kollektivorganen der gesetzlichen beruflichen Vertretungen sowie der kollektivvertragsfähigen Berufsvereinigungen der Dienstnehmer und der Dienstgeber, der Landwirtschaftskammern, der Kammer der Wirtschaftstreuhänder, des Österreichischen Hebeammengremiums ..., die aufgrund der diese Vertretung regelnden Vorschriften bzw. aufgrund des Statuts der Berufsvereinigung gewählt oder sonst bestellt sind, in Ausübung der ihnen aufgrund ihrer Funktion obliegenden Pflichten, soweit nicht eine landesgesetzliche Regelung über Unfallfürsorge besteht;".

Ausgehend von ihrer unrichtigen Rechtsansicht, dass Leistungen aus der Unfallversicherung für den Kläger nicht in Betracht kämen, weil er am Unfalltag mangels Vertretung von entweder Dienstgeber- oder Dienstnehmerinteressen nicht der (Teil-)Versicherung in der Unfallversicherung unterlegen sei, haben es die Vorinstanzen unterlassen, Feststellungen dazu zu treffen, welche Pflichten dem Leiter der Landesgruppe Niederösterreich des Österreichischen Apothekerverbandes obliegen und ob der Kläger den Unfall in Ausübung der ihm aufgrund dieser Funktion obliegenden Pflichten erlitten hat. Auch im Fall einer Teilversicherung nach § 8 Abs 1 Z 3 lit g ASVG setzt der Unfallversicherungsschutz voraus, dass sich der Unfall in einem örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Funktion ereignet hat.

Feststellungen zu den angeführten Fragen sind im fortgesetzten Verfahren nachzutragen. Sollte sich ergeben, dass das Unfallgeschehen vom 1. 10. 1997 unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht, ist auch zu klären, welche beim Kläger eingetretenen Gesundheitsstörungen Folge des Arbeitsunfalls sind und welche Leistungen aus der Unfallversicherung dem Kläger zur Abgeltung dieser Folgen zustehen. Insoweit ist auch das allgemein „auf Entschädigung dem Grunde nach" bzw Gewährung der gesetzlichen Leistungen aus der Unfallversicherung gerichtete Klagebegehren mit dem Kläger zu erörtern. Dem Klagebegehren muss die Art der begehrten Leistung entnommen werden können (RIS-Justiz RS0085917; Kuderna, ASGG2 513). Ein allgemein gehaltenes Begehren auf den sinngemäßen Zuspruch von gesetzlichen Leistungen aus der Unfallversicherung genügt nicht (vgl 10 ObS 67/99x = SSV-NF 13/92; 10 ObS 48/03m).

Bei Abweisung des auf Leistung gerichteten Hauptbegehrens ist nach § 82 Abs 5 ASGG in den Urteilsspruch die Feststellung aufzunehmen, welche geltend gemachten Gesundheitsstörungen Folgen des Arbeitsunfalls sind (§ 65 Abs 2 ASGG).

Da es zur Abklärung der aufgezeigten Feststellungsmängel einer neuerlichen Verhandlung erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Sache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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