OGH 3Ob242/05t

OGH3Ob242/05t15.2.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner und Dr. Sailer, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Grohmann und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Musger als weitere Richter in der Vollstreckbarerklärungs- und Exekutionssache der betreibenden Partei B***** GmbH, ***** Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Dr. Christian Moser, Rechtsanwalt in Graz, wider die verpflichtete Partei C ***** GmbH, ***** vertreten durch Schmid & Horn, Rechtsanwälte in Graz, wegen 5.077,33 EUR sA, infolge ordentlichen Revisionsrekurses der Antragsgegnerin und verpflichteten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 28. Juni 2005, GZ 4 R 54/05y-6, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Graz vom 17. November 2004, GZ 10 E 7057/04m-2, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die verpflichtete Partei ist schuldig, der betreibenden Partei die mit 399,74 EUR (darin 66,62 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Parteien sind Gesellschaften mbH mit Sitz in Deutschland (betreibende Partei) bzw. Österreich (verpflichtete Partei). In einem deutschen Mahnverfahren erging zugunsten der betreibenden Partei ein Mahnbescheid über 5.077,33 EUR. Die nicht rechtsfreundlich vertretene verpflichtete Partei erhob dagegen Widerspruch, worauf beim deutschen Landgericht Amberg das ordentliche Verfahren eingeleitet wurde. In diesem Verfahren wurde der verpflichteten Partei aufgetragen, binnen bestimmter Frist durch einen Rechtsanwalt die Verteidigungsabsicht anzuzeigen und auf das Klagevorbringen zu erwidern. Die verpflichtete Partei beantragte daraufhin Verfahrenshilfe (Prozesskostenhilfe) durch Beigabe eines Rechtsanwalts und begründete dies damit, dass die eingeklagte Forderung aufgrund von höheren Gegenforderungen nicht zu Recht bestehe, sie sich aber derzeit keinen Anwalt für ihre Verteidigung leisten könne.

Das Landgericht Amberg wies diesen Antrag mit Beschluss vom 22. Jänner 2004 zurück, weil Prozesskostenhilfe nach dem (damaligen) § 116 Abs 1 Z 2 der deutschen Zivilprozessordnung (dZPO) nur inländischen, somit deutschen juristischen Personen gewährt werden könne. Am selben Tag erließ dieses Landgericht ein Versäumnisurteil über 5.077,33 EUR samt Zinsen und einen Kostenfestsetzungsbeschluss. Die gegen die Verweigerung der Prozesskostenhilfe erhobene Beschwerde der verpflichteten Partei wurde vom Oberlandesgericht Nürnberg mit Beschluss vom 22. Juni 2004 als verspätet und unbegründet mit der Begründung verworfen, dass das (deutsche) Gesetz keine Prozesskostenhilfe für ausländische juristische Personen vorsehe. Auf Antrag der antragstellenden und betreibenden Partei erklärte das Erstgericht das Versäumnisurteil und den Kostenfestsetzungsbeschluss für in Österreich vollstreckbar und bewilligte zugleich die Fahrnisexekution zur Hereinbringung von 5.077,33 EUR samt Nebengebühren.

Die verpflichtete Partei erhob dagegen Rekurs und wandte - soweit noch relevant - ein, die Vollstreckbarerklärung verstoße gegen die öffentliche Ordnung (ordre public) iSd Art 34 Nr 1 EuGVVO. Sie habe in Deutschland Prozesskostenhilfe beantragt, weil sie nicht in der Lage gewesen sei, sich einen Rechtsanwalt zu leisten. Durch die formalistische Behandlung ihrer Eingaben sei ihr der durch Art 6 Abs 1 EMRK gewährleistete Zugang zum Recht verwehrt worden. Zudem habe die Vorgangsweise der deutschen Gerichte auch gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen, weil es sich dabei um eine sachlich nicht gerechtfertigte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und des freien Warenverkehrs gehandelt habe. Eine ausdrückliche Behauptung, dass die verpflichtete Partei die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe erfüllt hätte, enthielt der Rekurs nicht, ebenso wenig ein entsprechendes Beweisanbot.

Die betreibende Partei brachte in ihrer Rekursbeantwortung vor, dass das deutsche Verfahren weder gegen Art 6 EMRK noch gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen habe. Zudem habe die verpflichtete Partei die vermögensrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung der Prozesskostenhilfe unabhängig davon, ob Prozesskostenhilfe auch ausländischen juristischen Personen gewährt werden konnte, nicht erfüllt.

Das Rekursgericht bestätigte die angefochtene Entscheidung. Auf den angeblichen ordre-public-Verstoß sei in der Sache nicht einzugehen, weil die verpflichtete Partei in ihrem Rekurs nicht behauptet habe, dass sie die Voraussetzungen für die Beigabe eines Rechtsanwalts nach deutschem Prozesskostenhilferecht erfüllt hätte, wenn diese Regelung nicht auf deutsche juristische Personen beschränkt gewesen wäre. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rsp zur Frage eines möglichen ordre-public-Verstoßes fehle, wenn dem Beklagten im Ursprungsstaat schon aufgrund des Gesetzes die Verfahrenshilfe zu versagen gewesen sei.

Der Revisionsrekurs der verpflichteten Partei ist entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichts, der den Obersten Gerichtshof nicht bindet, wegen des Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 78 EO, § 528 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

1.) Das Rekursgericht hat richtig erkannt, dass es für die Entscheidung über die Verweigerung der Anerkennung nicht darauf ankommt, ob das im Verfahren des Ursprungsstaates angewendete Recht im Einklang mit den Grundwertungen des im Vollstreckungsstaat geltenden Rechts (dessen ordre public) stand oder offensichtlich nicht. Die Anerkennung wäre nämlich nur dann zu verweigern, wenn sie im konkreten Fall gegen den ordre public des Zweitstaates verstieße (RIS-Justiz RS0110743; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht8, Art 34 Rz 10; Burgstaller/Neumayr in Burgstaller, IZVR, Art 34 EuGVVO Rz 9 mwN in FN 1260). Entscheidend ist das Ergebnis der Anwendung des fremden Rechts, nicht dessen vom konkreten Fall losgelöster Inhalt (4 Ob 199/00v = SZ 73/142; 5 Ob 131/02d = SZ 2002/89). Ein Verstoß gegen den österreichischen ordre public könnte daher nur dann angenommen werden, wenn die verpflichtete Partei, abgesehen von § 116 Abs 1 Z 2 dZPO aF, im konkreten Fall die vermögens- und anspruchsbezogenen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe erfüllt hätte. Nur dann stellte sich nämlich die Frage, ob durch die Verweigerung der Prozesskostenhilfe gegen Art 6 EMRK oder gegen das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot verstoßen wurde. Ein solcher Verstoß wäre ausgeschlossen, wenn sich die verpflichtete Partei ohnehin einen Anwalt hätte leisten können oder wenn ihre Rechtsverfolgung von vornherein aussichtslos gewesen wäre.

2.) Wegen der Eventualmaxime des § 84 Abs 2 Z 2 EO (3 Ob 201/05p [dort irrtümlich § 84 Abs 1 Z 2 EO] u.a.; Burgstaller/Höllwerth in Burgstaller/Deixler-Hübner, EO, § 84 Rz 17) hätten hier diesbezügliche Behauptungen schon im Rekurs ON 3 gegen die Vollstreckbarerklärung erhoben werden müssen. Ob das der Fall war, hängt von der Auslegung des Rekursvorbringens ab und stellt daher - abgesehen von einer hier nicht vorliegenden auffallenden Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz - keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung dar (stRsp, RIS-Justiz RS0042828). Zudem lässt der Revisionsrekurs jegliche Auseinandersetzung mit diesem die Rekursentscheidung tragenden Argument vermissen. Abgesehen vom Fehlen eines Vorbringens im Rekurs und im Revisionsrekurs zur hier relevanten Frage, ob die verpflichtete Partei beim Verfahren vor dem deutschen Landgericht Amberg im konkreten Fall die vermögens- und anspruchsbezogenen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe erfüllt hätte, fehlte im Rekurs dazu auch jegliches Beweisanbot.

Daher stellt sich die vom Rekursgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage nicht. Es ist nicht in abstracto darüber zu entscheiden, ob die - inzwischen geänderte - Vorschrift des § 116 Abs 1 Z 2 dZPO im Widerspruch zu Art 6 EMRK oder zum gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverbot stand oder nicht. Diese Frage wäre nur relevant geworden, wenn es ein ausreichendes Vorbringen zu einem konkreten ordre-public-Verstoß gegeben hätte.

Der Revisionsrekurs ist zurückzuweisen.

Da die betreibende Partei in ihrer Rechtsmittelbeantwortung auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hinwies, hat sie Anspruch auf Ersatz der damit verbundenen Kosten.

Stichworte