OGH 9ObA88/05i

OGH9ObA88/05i25.1.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Carl Hennrich und ADir. Reg. Rat Winfried Kmenta als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. Helmut J*****, Facharzt, *****, vertreten durch Klein, Wuntschek & Partner, Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Robert Kronegger, Rechtsanwalt in Graz, wegen EUR 4.428,22 brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. März 2005, GZ 8 Ra 10/05k-18, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 9. Dezember 2004, GZ 32 Cga 57/04g-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:

Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei EUR 4.428,22 brutto sA zu zahlen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 927,34 bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin EUR 154,56 Umsatzsteuer) und die mit EUR 1.006,96 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin EUR 97,16 Umsatzsteuer und EUR 424 Barauslagen) zu ersetzen.

Die klagende Partei ist ferner schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 929,74 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin EUR 66,62 Umsatzsteuer und EUR 530 Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger gehört seit 4. 12. 2000 dem Kreis der begünstigten Behinderten iSd BEinstG an.

Mit Bescheid des Behindertenausschusses beim Bundessozialamt Steiermark vom 16. 9. 2002 wurde dem Antrag der Beklagten auf Zustimmung zur (noch nicht ausgesprochenen) Kündigung des mit dem Kläger bestehenden Dienstverhältnisses stattgegeben. Einer gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung des Klägers gab die Berufungskommission beim Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen- und Konsumentenschutz (in der Folge: Berufungskommission) mit Bescheid vom 2. 9. 2003 nicht Folge.

Mit Schreiben der Beklagten vom 10. 10. 2003 wurde der Kläger zum 31. 3. 2004 unter Hinweis auf den Kündigungsgrund des § 130 Abs 2 Z 2 des Dienst- und Besoldungsrechts der Bediensteten des Landes Steiermark gekündigt.

Am 11. 11. 2003 erhob der Kläger gegen den Bescheid der Berufungskommission vom 2. 9. 2003 eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, die er mit dem Antrag verband, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofs vom 17. 12. 2003 wurde dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung Folge gegeben. Dieser Beschluss wurde dem Klagevertreter am 8. 1. 2004 zugestellt.

Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshof vom 24. 2. 2004 wurden Anträge der Beklagten, den Beschluss vom 17. 12. 2003 als nichtig aufzuheben und den Antrag des Klägers, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, abgewiesen.

Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofs vom 3. 3. 2004 wurde die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

Dem vom Kläger auch beim Verwaltungsgerichtshof gestellten Antrag, seiner Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 11. 6. 2004 nicht Folge gegeben.

Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Zahlung von EUR 4.428,22 brutto an Gehalt für April 2004 bis 7. 5. 2004. Die mit Schreiben vom 10. 10. 2003 erfolgte Kündigung seines Dienstverhältnisses sei rechtsunwirksam. Da der Verfassungsgerichtshof seiner Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt habe, habe der Bescheid auf Zustimmung zur Kündigung bis zur Benachrichtigung des Klägers von der Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof keine Wirkung entfaltet.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung habe nur für die Dauer des verfassungsgerichtlichen Verfahrens Geltung und wirke ex nunc. Da die Kündigung dem Kläger bereits vor dem Beschluss zugestellt wurde, mit dem seiner Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde, sei sie wirksam ausgesprochen worden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Begriff der aufschiebenden Wirkung werde in einem sehr weiten Sinn, nämlich im Sinne des Aufschubs aller Rechtswirkung des Bescheids, verstanden. Das bedeute, dass die Kündigung des Klägers nicht wirksam sei.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Nach § 85 Abs 3 VfGG habe die Behörde im Falle der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung den Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes aufzuschieben und die hiezu erforderlichen Vorkehrungen zu treffen. Der durch den angefochtenen Bescheid Berechtigte dürfe die Berechtigung nicht ausüben. Der Bescheid über die Zustimmung zur Kündigung habe daher ab dem Zeitpunkt, zu dem der Beschwerde des Klägers aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde, keine Rechtswirkungen hervorgerufen, weshalb auch alle Maßnahmen zu unterbleiben hätten, die der Verwirklichung des Bescheides dienten und der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vorgreifen würden. So hätten etwa Behörden die Rechtslage so zu beurteilen, als wäre der Bescheid nicht ergangen. Die bereits vor Einbringung der Verfassungsgerichtshofbeschwerde ausgesprochene Kündigung sei gerade wegen der Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde von Anfang an - ungeachtet der formellen Rechtskraft - nur schwebend wirksam gewesen. Dieser Schwebezustand hätte erst mit dem fruchtlosen Ablauf der Beschwerdefrist geendet. Dies sei der Beklagten aus der Rechtsmittelbelehrung des Bescheides des Bundesministeriums für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz bekannt, sodass sie nicht voll auf die Wirksamkeit der Kündigung hätte vertrauen dürfen. Damit stünden dem Kläger jedenfalls die hier strittigen Gehaltsansprüche für April 2004 und für die Zeit vom 1. bis zum 7. 5. 2004 zu. Andernfalls wäre dem Umstand, dass einer nach Ausspruch der Kündigung eingebrachten Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt wird, überhaupt der Boden entzogen.

Die Revision sei zuzulassen, weil zur hier zu beurteilenden Frage Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, es im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.

Der Kläger beantragte, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem von der zweiten Instanz angeführten Grund zulässig. Sie ist auch berechtigt.

Die vom Verfassungsgerichtshof einer Beschwerde nach § 85 Abs 3 VfGG zuerkannte aufschiebende Wirkung bedeutet, dass der Bescheid vorläufig keine Rechtswirkung hervorzurufen vermag. Es haben daher alle Maßnahmen zu unterbleiben, die der Verwirklichung des Bescheides im weiteren Sinn dienen und die der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs über die Beschwerde vorgreifen würden. Nicht nur die belangte Behörde, sondern alle, Behörden, somit auch die Gerichte, haben den vorläufigen Nichteintritt der mit dem Bescheid verbundenen Rechtswirkungen zu beachten. Die Behörden haben die Rechtslage so zu beurteilen, als wäre der angefochtene Bescheid nicht ergangen (Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht9 Rz 1213; RdW 1995, 142). Allerdings hat die aufschiebenden Wirkung nur einen Aufschub der Wirkungen des Bescheids zur Folge, sie führt aber nicht zur Rückgängigmachung bereits gesetzter Vollzugshandlungen (VfGH, 16. 3. 2005, B 181/05; VfGH, 27. 7. 2004, B 952/04 uva).

Hier hat sich die Beschwerde des Klägers, der aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde, gegen den Bescheid gerichtet, mit dem der Beklagten die Zustimmung zur Kündigung erteilt wurde. Die aufschiebende Wirkung der Beschwerde kann daher nur bedeuten, dass die Wirkung dieses Bescheids - also die Berechtigung zum Ausspruch der Kündigung - vorläufig aufgeschoben wird, also bis zur Entscheidung über die Beschwerde „ruht". Zum Zeitpunkt, in dem der Beschwerde dieses Wirkung zuerkannt wurde - nämlich mit der Zustellung des Zuerkennungsbescheids am 8. 1. 2004 - war aber die Kündigung bereits wirksam ausgesprochen. Im Sinne der dargestellten Rechtslage macht aber die nachträglich der Beschwerde zuerkannte aufschiebende Wirkung die bereits eingetretenen Rechtswirkungen des Ausspruchs der Kündigung nicht mehr rückgängig. Einfluss auf die Wirksamkeit der Kündigung hätte nur eine der Beschwerde stattgebende Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs entfalten können, die aber nicht erging.

Mit der negativen (noch vor Ablauf der Kündigungsfrist gefällten, dem Kläger allerdings erst am 7. 5. 2005 zugestellten) Entscheidung über die Beschwerde des Klägers durch den Verfassungsgerichtshof ist die aufschiebende Wirkung der Beschwerde weggefallen. Ab diesem Zeitpunkt steht fest, dass alle Rechtswirkungen des Bescheides weiter bestehen bleiben.

Zum maßgebenden Entscheidungszeitpunkt (Schluss der Verhandlung erster Instanz) steht daher fest, dass der Bescheid des Behindertenausschusses über die Zustimmung zur Kündigung wirksam ist und die wirksam ausgesprochene Kündigung wirksam bleibt. Damit steht aber fest, dass die uneingeschränkt wirksame Kündigung das Dienstverhältnis zum 31. 3. 2004 beendet hat.

In Stattgebung der Revision waren daher die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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