OGH 7Ob251/05w

OGH7Ob251/05w25.1.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** AG, *****, vertreten durch Mag. Guido Zorn, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. Georg U*****, vertreten durch Dr. Thomas Würzl, Rechtsanwalt in Wien, und der Nebenintervenientin Dr. Karin U*****, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 11. Mai 2005, GZ 38 R 77/05p-53, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 18. Jänner 2005, GZ 20 C 402/03y-47, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, dass sie zu lauten haben wie folgt:

„Die gerichtliche Aufkündigung vom 25. Juli 2003 zu 20 C 402/03y des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien wird aufgehoben.

Das Begehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei die Wohnung Top Nr. 13 im Haus *****, binnen 14 Tagen geräumt von eigenen Fahrnissen zu übergeben, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 4.946,38 (darin enthalten EUR 822,40 an USt und EUR 12 Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 2.153,42 (darin enthalten EUR 323,57 an USt und EUR 212 Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Parteien schlossen am 24. 7. 1996 den Mietvertrag auf unbestimmte Zeit. Ab 1999 war zwischen der Beklagten und der Nebenintervenientin ein Scheidungsverfahren anhängig. Im März 1999 zog der Beklagte aus der Wohnung aus und verpflichtete sich im Scheidungsverfahren im am 23. 6. 1999 zu 9 C 36/99k des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien geschlossenen gerichtlichen Vergleichs dazu, bis zur „Rechtskraft einer einvernehmlichen Scheidung bzw bis zur Rechtskraft eines Verfahrens nach den §§ 81 ff EheG bzw bis zum Ablauf der Frist des § 95 EheG, ohne dass eine Antragstellung nach den §§ 81 ff EheG" erfolge, die eheliche, von der Klägerin gemietete Wohnung nicht mehr zu betreten. Der Beklagte hatte dabei stets die Absicht, nach Beendigung des Scheidungsverfahrens wieder in die von der Klägerin gemietete Wohnung zurückzukehren. Er rechnete aber damit, dass „in einem streitigen Scheidungsverfahren die Mietrechte an der gegenständlichen Wohnung der Nebenintervenientin zugesprochen" würden. Der Beklagte informierte den zuständigen Mitarbeiter der Klägerin vom Abschluss des gerichtlichen Vergleiches und davon, dass er ausgezogen sei und die Wohnung nunmehr von der Nebenintervenientin bewohnt werde. Diese lebte in der Wohnung und bezahlte den Mietzins. Im Sommer 2002 verließ die Nebenintervenientin die Wohnung. Sie bot dem Beklagten nunmehr wiederholt an, in die Wohnung zurückzukehren, stellte aber die Bedingung, dass der Beklagte in der Folge den Mietzins selbst zahlen müsse und im Hinblick auf das Scheidungsverfahren keine Gegenstände aus der Wohnung verbringen dürfe. Der Beklagte lehnte die Rückkehr in die Wohnung ab, da er die Rechtsansicht vertrat, dass die Nebenintervenientin aufgrund des gerichtlichen Vergleiches zur Mietzinszahlung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Scheidungsverfahrens verpflichtet und die Bedingung der Nichtverbringung von Gegenständen aus der Wohnung für ihn inakzeptabel sei. Zur Rücknahme der Wohnung wäre er damals nur im Rahmen einer Gesamtlösung im Zuge des Scheidungsverfahrens bereit gewesen.

Die Nebenintervenientin brachte gegen die Klägerin eine gerichtliche Aufkündigung zum 30. 11. 2002 ein, die von der Klägerin akzeptiert wurde. Als der Beklagte davon erfuhr, erhob er gegen die Nebenintervenientin eine Besitzstörungsklage und einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Vorkehrung. Das Erstgericht entschied im Sinne der Anträge des Beklagten, das Rekursgericht hingegen wies die Anträge ab, da die 30-tägige Frist versäumt worden sei. Nach Zustellung der Entscheidung des Rechtsmittelgerichtes fasste der Beklagte den Entschluss, die Schlösser der von der Klägerin gemieteten Wohnung auszutauschen und in die Wohnung wieder einzuziehen. Am 29. 11. 2003 veranlasste er das Aufsperren durch einen Schlüsseldienst und wohnt seither in der aufgekündigten Wohnung. Er wollte schon früher in die Wohnung wieder einziehen, hatte aber vor, den Ausgang des Besitzstörungsverfahrens abzuwarten.

Die Klägerin stützt die Aufkündigung auf die Gründe des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall und Z 6 MRG und führt aus, dass der Mietvertrag per 30. 11. 2002 seitens der Nebenintervenientin gerichtlich aufgekündigt worden sei und das Mietobjekt weder vom Mieter noch von seiner Familie oder anderen eintrittsberechtigten Personen benötigt bzw bewohnt werde.

Der Beklagte beantragt die Aufhebung der Aufkündigung und verweist auf den im Scheidungsverfahren geschlossenen gerichtlichen Vergleich, nach dem er sich verpflichtet habe, die Wohnung nicht bis zur „Rechtskraft in einer einvernehmlichen Scheidung bzw bis zur Rechtskraft eines Aufteilungsverfahrens nach §§ 81 ff EheG" zu betreten. Der Beklagte habe seither bei seinen Eltern gewohnt und fallweise in seinen Kanzleiräumlichkeiten genächtigt. Dies stelle keine Dauerlösung dar. Der Beklagte habe immer vorgehabt, die Wohnung nach Abschluss des Scheidungsverfahrens wieder zu benützen. Jedenfalls habe er die Absicht gehabt, nach rechtskräftiger Entscheidung des Besitzstörungsverfahrens in die Wohnung zurück zu kehren.

Das Erstgericht erklärte im Hinblick auf die ihm vom Rekursgericht im ersten Rechtsgang überbundene Rechtsansicht die gerichtliche Aufkündigung für rechtswirksam, da der Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 6 MRG vorliege.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten mit der bereits im ersten Rechtsgang dargelegten und dem Erstgericht überbundenen Rechtsansicht nicht Folge, da der Beklagte nicht dargelegt habe, inwiefern die gekündigte Wohnung der Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses in naher Zukunft dienen werde. Er habe nicht erklären können, warum er trotz eines angeblich dringenden Bedarfs nicht längst in die Wohnung eingezogen sei, nachdem ihm die Nebenintervenientin dies nach ihrem Auszug im Sommer 2002 angeboten habe. Er sei schließlich auch trotz ungeklärter Rechtslage im November 2003 eingezogen. Es habe für den Beklagten im Sommer 2002 kein Hindernis bestanden, die Wohnung zu benützen. Der Beklagte habe keine schutzwürdigen Interessen an der Aufrechterhaltung des Bestandvertrages und habe auch nicht ausreichend dargelegt, dass er sein Wohnbedürfnis nicht anderweitig angemessen befriedigen könne. Er verweise auf die Wohnmöglichkeit im Haus seiner Eltern, die er anlässlich seiner Einvernahme vor Gericht dahingehend konkretisiert habe, dass die Wohnung eine maximale Größe von 40 m² und keine Küche habe, sie bestehe aus einem großen, einem kleinen und einem Badezimmer samt WC. Es ergebe sich kein Anhaltspunkt dafür, dass dies für eine Einzelperson nicht ausreichend wäre. Die erst im Kündigungsprozess gefasste Absicht, die Wohnung zu benützen, sei nicht ausreichend. Der Mieter habe es nicht in der Hand, den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 6 MRG durch nachträgliches Einziehen in die aufgekündigte Wohnung zu beseitigen.

Das Rekursgericht sprach aus, dass die außerordentliche Revision nicht zulässig sei, da der Frage, ob dem Beklagten im konkreten Fall aufgrund der festgestellten Umstände ein schutzwürdiges Interesse abzusprechen sei, keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Beklagten mit einem Abänderungsantrag, in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in ihrer vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig, sie ist auch berechtigt.

Das Berufungsgericht hat zwar die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zutreffend dargelegt, die Grundsätze aber unrichtig angewandt.

Es entspricht ständiger Judikatur zum Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 6 MRG, dass auch dann, wenn der Mieter die Wohnung nicht regelmäßig zu Wohnzwecken benützt, ein schutzwürdiges Interesse an der Aufrechterhaltung des Mietvertrages vorhanden sein kann, wenn der Mieter die Wohnung mit Sicherheit in naher Zukunft wieder benötigen wird (8 Ob 61/04k, 10 Ob 19/04y, 3 Ob 186/03d, RIS-Justiz RS0079210). Hat der Vermieter die Nichtbenützung nachgewiesen, ist es Sache des Mieters zu beweisen, dass er in die Wohnung in nächster Zukunft zurückkehren wird, die Nichtbenützung also eine absehbare, nur vorübergehende Unterbrechung darstellt (8 Ob 57/05y, 8 Ob 61/04k, 3 Ob 186/03d, RIS-Justiz RS0079350). Es kann dem Berufungsgericht nicht gefolgt werden, dass dem Beklagten das dringende Wohnbedürfnis fehlt.

Nach den Feststellungen verließ der Mieter die gemietete Wohnung nicht grundlos, sondern war dazu durch den im Scheidungsverfahren geschlossenen Vergleich verpflichtet. Schon dem Wortlaut nach zielte der Vergleich auf die Sicherung innerhalb eines bestimmbaren Zeitraums einerseits des ungestörten Gebrauchs der Wohnung durch die Nebenintervenientin und andererseits des in der Wohnung befindlichen ehelichen Gebrauchsvermögens vor dem Zugriff des Beklagten ab. Die Nebenintervenientin wohnte bis zum Sommer 2002 im Sinne des Vergleiches in der Wohnung. Die Überlassung an Eintrittsberechtigte (§ 14 Abs 3 MRG) stellt, wie sich schon aus dem Größenschluss aus der Berücksichtigung sogar des künftigen Bedarfes ergibt, keinen Kündigungsgrund dar (RIS-Justiz RS0069472). Der Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 4 MRG liegt daher nicht vor.

Ab Sommer 2002 benutzten weder der Beklagte noch die Nebenintervenientin die Wohnung. Zur Frage des schutzwürdigen Interesses an der Aufrechterhaltung des Mietverhältnisses steht fest, dass der Beklagte bei Abschluss des Vergleiches fortlaufend die Absicht hatte, nach Ablauf der vereinbarten Frist, nämlich nach der (kurz gesagt) rechtskräftigen Beendigung der genannten Verfahren, wieder in die Wohnung zurückzukehren. Mag auch diese Frist von unbekannter Dauer gewesen sein, da weder der Beklagte noch sonst jemand abschätzen konnte, wie lang sich das Scheidungsverfahren und das allenfalls daran anschließende Aufteilungsverfahren hinziehen werde, so war doch absehbar, dass die Gerichtsverfahren in näherer Zukunft abgeschlossen sein werden. Im relevanten Zeitpunkt der Kündigung hatte der Beklagte nach wie vor den Willen, demnächst in die Wohnung zurückzukehren. Ein dringendes Wohnbedürfnis ist zu bejahen. An diesen Erwägungen ändert der Umstand nichts, dass die Nebenintervenientin unter Zurücklassen des vom Vergleich geschützten ehelichen Gebrauchsvermögens die Wohnung zu einem Zeitpunkt aufgab, in dem der Beklagte nach dem Vergleich noch immer verpflichtet war, die Wohnung nicht zu betreten. Der Beklagte hat sich nicht grundlos oder wegen Änderung seiner Absicht geweigert, damals wieder in die Wohnung einzuziehen, sondern weil ihm dies nach den Feststellungen wegen des gerichtlichen Vergleiches verboten war. Die Nebenintervenientin machte ihre Zustimmung zur Rückkehr des Beklagten in die Wohnung von Bedingungen abhängig, die zeigen, dass der Streit zwischen den Ehegatten noch nicht beigelegt, sondern noch immer im Gange war. Unter diesen Umständen hätte der Beklagte zumindest mit Komplikationen hinsichtlich des in der Wohnung befindlichen ehelichen Gebrauchsvermögens rechnen müssen, wenn er in die Wohnung zurückgekehrt wäre. Das schützenswerte Interesse des Beklagten an der Aufrechterhaltung des Mietvertrages ist daher nicht dadurch weggefallen, dass er nicht sofort im Sommer 2002 wieder in die Wohnung einzog. Der Beklagte hat also sein dringendes Wohnbedürfnis im Sinne des § 30 Abs 2 Z 6 MRG bewiesen, das auch nicht durch die von vornherein als bloß vorübergehend geplante Wohnmöglichkeit bei den Eltern weggefallen ist. Die geltend gemachten Kündigungsgründe liegen nicht vor.

Die Kostenentscheidung gründet sich im erstinstanzlichen Verfahren auf § 41 ZPO, im Rechtsmittelverfahren auf §§ 50, 41 ZPO. Der dreifache Einheitssatz beträgt 150 % (hinsichtlich Berufung im ersten Rechtsgang [ON 36]).

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