OGH 8ObS22/05a

OGH8ObS22/05a16.11.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Glawischnig sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Ernst Galutschek und Thomas Albrecht als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Franz G*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Miller, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei IAF-Service GmbH, *****, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen Insolvenzausfallgeld EUR 2.702,06, über die ordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. Juni 2005, GZ 9 Rs 17/05v-13, mit dem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 2. Dezember 2004, GZ 15 Cgs 122/04x-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 818,98 (darin enthalten EUR 136,50 USt) bestimmten Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war ab 1. 9. 1997 bei der Firma A***** GmbH als Angestellter beschäftigt. Das Dienstverhältnis wurde einvernehmlich mit 31. 10. 2002 aufgelöst. Am 20. 3. 2004 erhob der Kläger zu 27 Cga 56/03g des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien gegen seinen Arbeitgeber Klage über EUR 20.688,72 sA. Mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 16. 12. 2004 wurde über das Vermögen des Arbeitgebers der Konkurs eröffnet und das Verfahren vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien unterbrochen.

Der Kläger begehrte von der Beklagten Insolvenzausfallgeld für Gehalt 1. 5. bis 31. 10. 2002, Sonderzahlungen 1. 1. bis 31. 10. 2002, Abfertigung von drei Monatsentgelten, Zinsen und Kosten des Verfahrens vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien sowie der Forderungsanmeldung im Konkurs. Mit Teil-Bescheid vom 30. 8. 2004 gewährte die Beklagte dem Kläger Insolvenzausfallgeld für 1. 5. bis 31. 7. 2002 sowie aliquote Sonderzahlungen für 1. 1. bis 31. 7. 2002 von insgesamt EUR 7.425 brutto (= EUR 5.550 netto) als Mindestsicherung gemäß der RL 80/978/EWG (Insolvenzrichtlinie). Mit Bescheid vom 31. 8. 2004 lehnte die Beklagte das Mehrbegehren des Klägers ab.

Der Kläger begehrt nach Einschränkung Insolvenzausfallgeld für die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten in Höhe von EUR 2.702,06. Dabei handle es sich um die tarifmäßigen Kosten der rechtsfreundlichen Vertretung im Verfahren gegen seinen Arbeitgeber vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien sowie der Forderungsanmeldung im Konkurs jeweils auf Basis einer Bemessungsgrundlage von EUR 7.425 brutto (entspricht den von der Beklagten bescheidmäßig zuerkannten Insolvenzausfallgeld).

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und wendete ein, dass die nunmehrige Gemeinschuldnerin und Arbeitgeberin des Klägers seit Jahren finanzielle Schwierigkeiten gehabt habe. Es sei nie zu einem Gewinn gekommen. Auch das Gehalt des Klägers sei immer mit Verzögerungen ausbezahlt worden. In den letzten sechs Monaten des Dienstverhältnisses habe der Kläger keine Zahlungen mehr erhalten. Im Jahr 1999 habe er ein eigenes Sparbuch zugunsten der Beklagten als Sicherstellung bei der Bank hinterlegt, um die Aufrechterhaltung des Betriebs zu ermöglichen. Der Kläger zähle somit nicht zu dem vom IESG geschützten Typus des Arbeitnehmers, dem der Einblick in die wirtschaftlichen Verhältnisse des Dienstgebers verwehrt sei. Vielmehr habe der Kläger im Bewusstsein weitergearbeitet, dass er die Gegenleistung für seine Arbeit nicht vom Dienstgeber, sondern vom Insolvenzausfallgeldfonds bekommen könnte. Dabei handle es sich um eine gemäß § 879 ABGB sittenwidrige und daher unzulässige Überwälzung des Finanzierungsrisikos für das Arbeitsentgelt auf den Insolvenzausfallgeldfonds. Nach der Rechtsprechung fielen die offenen Forderungen des Klägers nicht unter den Schutzzweck des IESG. Der Kläger habe daher Anspruch auf Insolvenzausfallgeld nur nach der Insolvenzrichtlinie 80/987/EWG. Danach sei nur das Arbeitsentgelt für die letzten drei Monate des Dienstverhältnisses gesichert.

Das Erstgericht gab dem - der Höhe nach unstrittigen - Klagebegehren statt. Gemäß § 1 Abs 2 Z 4 lit d IESG seien unter anderem auch Prozesskosten, die dem Arbeitnehmer in einem Verfahren zur Durchsetzung seiner Ansprüche, das aufgrund der Konkurseröffnung unterbrochen wurde, entstanden seien, gesichert. Ansprüche auf Insolvenzausfallgeld unterlägen grundsätzlich den Bestimmungen des IESG. Das nationale Recht sei dabei richtlinienkonform auszulegen. Da die EU-Insolvenz-Richtlinie die Frage von gesicherten Kostenansprüchen nicht regle, komme diesbezüglich das IESG zur Anwendung.

Das Berufungsgericht änderte über Berufung der beklagten Partei das erstgerichtliche Urteil im Sinn einer Klagsabweisung ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Der Kläger begehre Insolvenzausfallgeld nur für Kosten und verfolge die von der Beklagten abgelehnten Grundansprüche ausdrücklich nicht weiter. Dementsprechend sei für alle weiteren Überlegungen davon auszugehen, dass dem Kläger Insolvenzausfallgeld für Grundansprüche nur nach Maßgabe der Insolvenzrichtlinie 80/987/EWG also im Umfang des europarechtlichen Mindestschutzes zustehe. Auf dieser Grundlage halte die Berufung dem Erstgericht zu Recht entgegen, dass ein „atypisch" gestaltetes Dienstverhältnis vorliege, das insgesamt aus dem Schutzbereich des IESG falle. In diesem Fall sei das IESG überhaupt nicht anwendbar. Dementsprechend habe der Kläger aber nach nationalem Recht überhaupt keinen Anspruch auf Insolvenzausfallgeld. Die Insolvenzrichtlinie gebe eine Sicherung von Kostenansprüchen nicht vor. Danach komme ein Zuspruch von Insolvenzausfallgeld für Kosten nicht in Betracht. Die Frage der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts stelle sich somit gar nicht.

Die Revision sei zuzulassen, da zum verfahrensgegenständlichen Problemkreis noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist zulässig und im Ergebnis auch berechtigt.

Der Revisionswerber bekämpft erkennbar die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes, wonach ein „atypisch" gestaltetes Dienstverhältnis vorliege, das insgesamt aus dem Schutzbereich des IESG falle.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt dargestellt, dass nach der geltenden Rechtslage (§§ 3 Abs 2 und 3a Abs 1 IESG idF BGBl I 142/2000) die Sicherung auf die in den letzten sechs Monaten vor dem (arbeitsrechtlichen) Ende des Arbeitsverhältnisses bzw vor Klagseinbringung entstandenen Entgeltansprüche eingeschränkt ist und im Hinblick auf diese Erfassung und ausdrückliche Bewertung des Problems des „Stehenlassens" des laufenden Entgelts durch den Gesetzgeber, regelmäßig allein aus der zeitlichen Komponente des „Stehenlassens" von Entgeltansprüchen nicht darauf geschlossen werden kann, dass der Arbeitnehmer missbräuchlich das Finanzierungsrisiko auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds überwälzen wolle (8 ObS 254/01p, 8 ObS 195/02p, 8 ObS 206/02f, 8 ObS 3/05g). Allerdings wurde auch im Anwendungsbereich dieser Bestimmungen davon ausgegangen, dass im Einzelfall dann, wenn zu dem „Stehenlassen" die Entgeltansprüche weitere Umstände hinzutreten, die konkret auf den Vorsatz des Arbeitnehmers schließen lassen, hier das Finanzierungsrisiko auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds zu überwälzen, trotzdem die Geltendmachung eines Anspruchs auf Insolvenzausfallgeld missbräuchlich sein kann (8 ObS 195/02p, 8 ObS 22/04z, 8 ObS 3/05g ua). In diesem Zusammenhang hat der Oberste Gerichtshof auch darauf hingewiesen, dass dies nicht im Widerspruch zur Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 11. 9. 2003 in der Rechtssache Walcher zu C-201/01 steht, da auch dort ausgesprochen wurde, dass Missbrauchsfälle iSd Art 10 der RL 80/987/EWG ausgeschlossen werden können. Gibt doch Art 10 dieser Richtlinie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit zur Vermeidung von Missbräuchen die nötigen Maßnahmen zu treffen und auch Einschränkungen vorzunehmen, wenn sich herausstellt, dass die Erfüllung der Verpflichtung wegen des Bestehens besonderer Verbindungen zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber und gemeinsame Interessen, die sich in einer Kollision zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausdrücken, nicht gerechtfertigt ist.

Der vorliegende - spärliche - Sachverhalt bietet nun keinerlei Anhaltspunkte für das Vorliegen des von der beklagten Partei in der Klagebeantwortung behaupteten Missbrauchs.

Derartige Feststellungen sind jedoch hier entbehrlich.

Gewährt die Beklagte nämlich wie hier, unter ausdrücklicher Bezugnahme auf § 1 Abs 2 des IESG Insolvenzausfallgeld (Bescheid vom 30. 8. 2004) geht sie - ungeachtet der (später geäußerten) Rechtsmeinung, dass nur die „Mindestsicherung" iSd RL 80/987/EWG zustehe - davon aus, dass gerade kein von der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache Walcher (C-201/01 ) nicht berührter Missbrauchsfall im Sinn der bisherigen Judikatur des Obersten Gerichtshofes vorliegt, da in einem solchen Fall ja überhaupt kein Anspruch auf Insolvenzausfallgeld besteht.

Schon deshalb sind die anteiligen (akzessorischen) Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung des bescheidmäßig zugesprochenen Betrags, die hier der Höhe nach außer Streit stehen, gesichert.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 ASGG, § 50 ZPO.

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