OGH 6Ob219/05g

OGH6Ob219/05g3.11.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Berger Saurer Zöchbauer, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Georg E*****, vertreten durch Dr. Gustav Teicht, Dr. Gerhard Jöchl, Kommandit-Partnerschaft, Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung, Widerruf und Veröffentlichung des Widerrufs ehrverletzender Äußerungen, über die ordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 20. Mai 2005, GZ 5 R 16/05t-11, womit über die Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 20. Oktober 2004, GZ 17 Cg 24/04t-6, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie lauten:

1. Die beklagte Partei ist schuldig, die Behauptungen und/oder deren Verbreitung, die klagende Partei habe Lenker aus Drittstaaten nicht sozialversichert und/oder illegal beschäftigt und/oder sinngleiche Äußerungen zu unterlassen.

2. Die beklagte Partei ist schuldig, die oben genannten Äußerungen binnen 14 Tagen als unwahr zu widerrufen und diesen Widerruf am Eingangsportal der Website www.sjoe.at anzukündigen und unter dem Link „trotzdem" auf dieser Website auf die Dauer von sechs Monaten auf Kosten der beklagten Partei zu veröffentlichen.

3. Die beklagte Partei hat der klagenden Partei die mit 2.920,80 EUR (darin 394,30 EUR Umsatzsteuer und 555 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz und die mit 2.326,10 EUR (darin 246,35 EUR Umsatzsteuer und 848 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 2.124,80 EUR (darin 177,30 EUR Umsatzsteuer und 1.061 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist ein Transportunternehmen mit dem Sitz in Österreich. Der Firmenkern der Gesellschaft mit beschränkter Haftung besteht aus dem Familiennamen eines Gesellschafters, der auch Geschäftsführer eines Transportunternehmens mit dem Sitz in Luxemburg war. Unstrittig ist, dass dieses Unternehmen Gegenstand des sogenannten „Frächterskandals" war, über den europaweit ab dem Jahr 2002 in den Medien berichtet wurde.

Der Beklagte ist Fachsekretär der Gewerkschaft für den Bereich Transport. Im Juni 2004 sollte er in einem auf der Internetseite der Sozialistischen Jugend Österreichs veröffentlichten Interview Stellung zu den bekannt gewordenen Problemen im Transportgewerbe nehmen. Der erste Teil des Interviews lautete:

„Können Sie mir bitte die Situation bei der Firma K***** schildern. Welche Verfehlungen gab es, und wie waren die dort Beschäftigten davon betroffen?

Ganz kurz und prägnant auf den Punkt gebracht, kann festgehalten werden, die Firma hat die Lenker aus Drittstaaten nicht sozialversichert und illegal beschäftigt.

Ist das normal in dieser Branche, oder ist diese Firma da ein Ausreißer?

Nein, das wird sicher in Luxemburg und anderen Ländern, auch bei anderen Firmen so gehandhabt. Aus diesem Grund wird dieses ja jetzt genau überprüft. Das ist aber kein spezielles Problem in Luxemburg, sondern ein EU-weites Problem."

In der weiteren Folge des veröffentlichten Interviews befassten sich die Fragen und die darauf gegebenen Antworten des Beklagten mit dem allgemeinen Themenkomplex („Sozialdumping"; Touristikvisa der LKW-Lenker statt Arbeitsgenehmigungen; Zulassungen der LKWs im Ausland; fehlende Kontrollrichtlinien der EU) ohne weiteren Bezug auf ein Unternehmen „K*****".

Die Klägerin begehrt - gestützt auf § 1330 ABGB - die Unterlassung und/oder der Verbreitung der wahrheitswidrigen Äußerung, die Klägerin habe Lenker aus Drittstaaten nicht sozialversichert und/oder illegal beschäftigt. Die Klägerin sei das einzige in Österreich ansässige Transportunternehmen mit dem Firmenschlagwort „K*****" und sei daher von der wahrheitswidrigen Äußerung des Beklagten betroffen.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Es sei für jeden Mitteilungsempfänger leicht erkennbar gewesen, dass vom Vorwurf nur der Hauptbeteiligte des Frächterskandals, nämlich das Speditionsunternehmen „K*****" in Luxemburg, betroffen sei. Dieses Unternehmen habe hunderte Lenker illegal beschäftigt. Bei der Klägerin handle es sich um ein dem Publikum unbekanntes Kleinunternehmen.

Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. Es stellte neben dem Text des bekämpften Interviews noch fest, dass die Klägerin ein Transportunternehmen mit rund 120 Mitarbeitern und rund 220 Fahrzeugen sei. Gesellschafter sei unter anderem Karl K*****. Rainer K***** sei seit 1999 alleiniger Geschäftsführer. Beim sogenannten Frächterskandal, der Monate lang in den Jahren 2002 und 2003 die Öffentlichkeit und die Medien beschäftigt habe, handle es sich um den Vorwurf der illegalen Beschäftigung von Fernfahrern, vorwiegend aus den ehemaligen Oststaaten zu Niedrigstlöhnen. Der Skandal sei bei einem in Luxemburg ansässigen Transportunternehmen aufgedeckt worden. Da an diesem Unternehmen auch Karl K***** maßgeblich beteiligt sei, sei mit diesem Namen der Skandal schlechthin verbunden und auch gegen die österreichische Klägerin recherchiert worden.

In rechtlicher Hinsicht führt das Erstgericht im Wesentlichen aus, dass es für die Betroffenheit einer bestimmten Person von einer Äußerung nicht darauf ankomme, wie diese gemeint gewesen sei, sondern darauf, wie sie das Publikum auffasse und mit wem es den Vorwurf verbinde. Entscheidend sei der Gesamteindruck der Äußerung. Hier sei von der Firma K***** die Rede gewesen, also von einer einzelnen Person. Schon in der zweiten Antwort des Beklagten sei eingangs Luxemburg angeführt und noch ausgeführt worden, dass es sich um kein spezielles Problem in Luxemburg handle. Mit ausreichender Deutlichkeit sei darauf hingewiesen worden, dass die in der Einzahl genannte Firma K***** Verfehlungen in Luxemburg begangen habe. Für den durchschnittlich informierten Leser sei hinreichend deutlich geworden, dass der Beklagte damit die nach den Medienberichten hauptsächlich in den Frächterskandal involvierte luxemburgische Firma K***** angesprochen werde. Mit dem übrigen Text im Interview werde kein konkretes Transportunternehmen verächtlich gemacht. Im Gegensatz zu verschiedenen anderen Artikeln zum Frächterskandal (und der dort ebenfalls gegenständlichen Verwechslung mit der Klägerin) habe der Beklagte hier keinen geeigneten Hinweis auf ein österreichisches Unternehmen gegeben.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es verneinte eine Vergleichbarkeit mit dem Obersten Gerichtshof zu 6 Ob 92/04d entschiedenen Fall. Dort sei die Aktivlegitimation der Klägerin bejaht worden. Die bekämpfte Schlagzeile habe gelautet: „Frächteraffäre: Anklage gegen Firma K. fertig". Der Oberste Gerichtshof habe diese Schlagzeile losgelöst vom Nachfolgetext beurteilt und eine vollständige und unwahre Tatsachenbehauptung angenommen. Demgegenüber gehe es im vorliegenden Fall um ein vollständiges Interview bei dem nach dem Gesamtzusammenhang für den Durchschnittsleser mit ausreichender Deutlichkeit erkennbar gewesen sei, dass der Beklagte jene Firma in Luxemburg gemeint habe, mit der der Name „K*****" verbunden sei. Durch die Nennung von „Luxemburg" sei klar darauf hingewiesen worden, dass es sich um das Unternehmen aus dem Frächterskandal handle. Es könne nicht als erwiesen angenommen werden, dass es sich bei der Klägerin um ein in Österreich bekanntes Unternehmen handle.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision im Hinblick auf Vorentscheidungen, in denen die Aktivlegitimation der Klägerin bejaht worden sei, zulässig sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die ordentliche Revision der Klägerin mit dem Abänderungsantrag dahin, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde.

Der Beklagte beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise dem Rechtsmittel nicht stattzugeben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht bei seiner Verneinung der Betroffenheit der Klägerin von der bekämpften Äußerung von der oberstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen ist. Die Revision ist auch berechtigt.

Vorauszuschicken ist, dass der Beklagte im Revisionsverfahren (anders als noch im erstinstanzlichen Verfahren) der Behauptung der Revisionswerberin, sie führe als einziges Transportunternehmen in Österreich den Namen „K*****" in ihrer Firma, nicht mehr entgegentritt. Unstrittig ist auch, dass der Auslöser und Hauptbeteiligte der europaweiten Frächteraffäre ein in Luxemburg ansässiges Unternehmen des Karl K***** war. Dies entspricht im Übrigen dem Verfahrensergebnis eines Vorprozesses der Klägerin, der mit der zitierten Entscheidung des Senats vom 23. 9. 2004, 6 Ob 92/04d, beendet wurde. Dort ging es um den in einer Schlagzeile erhobenen Vorwurf „Anklage gegen Spedition K***** fertig". Tatsächlich war gegen die Klägerin keine Anklage erhoben gewesen. Der Oberste Gerichtshof erachtete die bekämpfte Aussage (Schlagzeilenvorwurf) als eine Tatsachenbehauptung, die wegen ihrer Vollständigkeit zumindest dann ohne Rücksicht auf den Nachfolgetext selbständig zu beurteilen sei, wenn die Titelaussage mit letzterem nicht in Einklang zu bringen sei. Nur unvollständige Titelaussagen seien ergänzungsbedürftig und müssten nach dem Gesamtzusammenhang geprüft werden. Die Betroffenheit der Klägerin wurde bejaht. Der Umstand, dass die Gesellschaftsform (GmbH) im bekämpften Text nicht aufschien, erachtete der Senat als nicht schädlich, weil im Geschäftsverkehr der Gesellschaftszusatz meist unterdrückt werde und es auf das markante Firmenschlagwort ankomme.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts und der ihr folgenden Auffassung des Beklagten in der Revisionsbeantwortung sind die in der zitierten Vorentscheidung angeführten Grundsätze im Ergebnis auch im vorliegenden Fall entscheidungswesentlich und die Betroffenheit der Klägerin daher zu bejahen:

Wohl handelt es sich hier nicht um einen ausnahmsweise isoliert zu beurteilenden Schlagzeilenvorwurf. Die bekämpfte Äußerung ist nach dem in ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung vertretenen Grundsatz, dass ehrverletzende Äußerungen nach dem Zusammenhang, in den sie fielen, zu beurteilen sind, einer Prüfung zu unterziehen. Die Ansicht, dass für den maßgeblichen verständigen Mitteilungsempfänger, der das gesamte Interview liest, völlig klar gewesen sein musste, dass vom Vorwurf nicht die Klägerin, sondern nur das in Luxemburg ansässige Transportunternehmen betroffen sei, kann aus dem Nachfolgetext nicht abgeleitet werden. Einziger Anhaltspunkt für eine solche Auslegung könnte nur der Hinweis des Beklagten auf Luxemburg in seiner Antwort auf die zweite Frage sein. Da im selben Einleitungssatz aber auf die gleiche Handhabung anderer Länder und anderer Firmen verwiesen wurde, ist keineswegs deutlich geworden, dass es sich bei der Firma K***** nur und ausschließlich um ein Unternehmen in Luxemburg handeln könne. Die ersten beiden Aussagen des Beklagten lassen den Sitz des namentlich angegriffenen Unternehmens nicht zweifelsfrei erkennen. Vom Hinweis des Beklagten auf einen Missbrauch auch in anderen Ländern war natürlich auch ein österreichisches Unternehmen betroffen. Für den Mitteilungsempfänger der Äußerung mussten zumindest Zweifel darüber verbleiben, ob sich der konkrete Vorwurf nun ausschließlich gegen ein in Luxemburg ansässiges Unternehmen mit derselben Namensbezeichnung wie die Klägerin richtet und dass diese mit dem Vorwurf gemeint ist. Nach der sogenannten Unklarheitenregel (MR 1994, 111 mwN; SZ 70/267; SZ 74/204 uva) muss der Täter bei undeutlichen, aber auch bei unvollständigen Äußerungen die für ihn ungünstigste Auslegung gegen sich gelten lassen. Darauf, dass der durchschnittliche Mitteilungsempfänger etwa schon aufgrund der Berichte in anderen Medien bereits soweit vorinformiert gewesen wäre, dass er die zweifelhafte und unvollständige Angabe „Firma K*****", im Sinne der Version des Beklagten versteht (vgl dazu 6 Ob 224/04s) beruft sich dieser in seiner Revisionsbeantwortung nicht. Notorisch ist eine solche Kenntnis des maßgeblichen Adressatenkreises jedenfalls nicht. Im Ergebnis verbleibt daher auch hier nach einer Prüfung des Nachfolgetextes nur die einem Schlagzeilenvorwurf gleichzuhaltende bekämpfte Behauptung im ersten Satz des Beklagten, die aufgrund der Verwendung des Firmenschlagworts der Klägerin deren Identifikation leicht ermöglicht, sodass ihre Betroffenheit von der Äußerung nicht verneint werden kann.

Neben dem verschuldensunabhängigen Unterlassungsbegehren ist auch dem auf Widerruf der unwahren Behauptungen und auf Veröffentlichung des Widerrufs im Internet auf der Website, auf der die Behauptungen verbreitet wurden, stattzugeben. Der Beklagte hat die Klagebehauptung, dass er der Klägerin vor seiner Äußerung keine Gelegenheit zu einer Stellungnahme eingeräumt hat, substantiell nicht bestritten und führt auch im Revisionsverfahren nichts dazu aus, weshalb schon in seiner zu Missdeutungen Anlass gebenden unvollständigen Tatsachenbehauptung ein relevantes Verschulden zu erblicken ist. Der Beklagte wurde aufgrund seiner Eigenschaft als gewerkschaftlicher Experte auf dem Gebiet des Transportwesens interviewt. Dass ihn auch außerhalb der für Journalisten geltenden Sorgfaltsregeln eine gewisse Sorgfaltspflicht vor Erhebung von Vorwürfen in Richtung eines illegalen Verhaltens traf, kann nicht ernstlich bezweifelt werden. Aus den dargelegten Gründen ist daher den Klagebegehren zur Gänze stattzugeben.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz beruht auf § 41 ZPO, diejenige über die Kosten beider Rechtsmittelverfahren auch auf § 50 Abs 1 ZPO.

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