OGH 11Os90/05b

OGH11Os90/05b18.10.2005

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Oktober 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Besenböck als Schriftführer, in der Strafsache gegen Bernhard W***** wegen des Verbrechens nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall und Abs 4 Z 3 SMG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 25. Mai 2005, GZ 35 Hv 134/04g-94, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Bernhard W***** des Verbrechens nach § 28 Abs 2 (ergänze: vierter Fall), Abs 3 erster Fall, Abs 4 Z 3 SMG schuldig erkannt.

Danach hat er zu datumsmäßig jeweils nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkten zwischen cirka Jänner 2003 und Anfang März 2003 in Innsbruck und an anderen Orten den bestehenden Vorschriften zuwider ein Suchtgift in einer großen Menge (§ 28 Abs 6 SMG), nämlich 15 kg Haschisch, durch gewerbsmäßigen Verkauf an namentlich nicht bekannte Drogenabnehmer im Verlaufe von zahlreichen, knapp aufeinander folgenden Teilgeschäften in Verkehr gesetzt, wobei er die Taten mit Beziehung auf ein Suchtgift beging, dessen Menge zumindest das 25-fache der Grenzmenge (§ 28 Abs 6 SMG) ausmachte.

Rechtliche Beurteilung

Die auf Z 3, 4, 5, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht berechtigt. Der Formalrüge (Z 3) zuwider ist der wiedergegebene Urteilsspruch im Sinne des § 260 Abs 1 Z 1 StPO ausreichend verwechslungsfrei individualisiert, weil dadurch eine nochmalige Verfolgung des Angeklagten wegen derselben Taten während der im Spruch angegebenen Zeit ausgeschlossen ist (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 268; Mayerhofer StPO5 § 260 E 45 a; 13 Os 126/02).

Die Verfahrensrüge (Z 4) versagt. Der Beweisantrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zum psychischen Gesundheitszustand des Zeugen Ronald H*****, um zweifelsfrei beurteilen zu können, ob dieser bei den den Angeklagten belastenden Aussagen (insbesondere vor dem Landesgendarmeriekomando für Tirol am 16. Oktober 2003, S 51 ff/III) über ausreichende Vernehmungsfähigkeit verfügte, wurde vom Schöffensenat mit ausführlicher Begründung abgelehnt (S 141/IV; US 8 f). Eine Auseinandersetzung mit der Sachverhaltsgrundlage dieser prozessualen Verfügung lässt die Beschwerde vollends vermissen.

Überdies gilt im „Verfahren bei Zweifeln über Geistesstörungen oder über Zurechnungsfähigkeit" (§ 134 StPO) der Grundsatz, dass in der Regel ein Sachverständiger (Arzt) genügt (§ 118 Abs 1 StPO) und ein zweiter nur ausnahmsweise bei Schwierigkeit der Beobachtung oder Begutachtung (§§ 134 Abs 1, 118 Abs 2 StPO) oder bei Mangelhaftigkeit des bereits vorliegenden Gutachtens (§§ 125, 126 StPO) beizuziehen ist. Gemäß § 126 Abs 1 StPO ist das Gutachten eines oder zweier anderer Sachverständiger einzuholen, wenn sich Widersprüche oder Mängel (iSd § 125 StPO) in Bezug auf das Gutachten ergeben oder sich zeigt, dass es Schlüsse enthält, die aus den angegebenen Vordersätzen nicht folgerichtig gezogen sind und sich die Bedenken nicht durch eine nochmalige Vernehmung der Sachverständigen beseitigen lassen. Demnach sind für die Befassung weiterer Experten aus demselben Fachgebiet zwei kumulative Voraussetzungen erforderlich, nämlich einerseits das Vorliegen einer der bezeichneten Gutachtensmängel und andererseits ein erfolglos gebliebenes Verbesserungsverfahren. Aus dem Wortlaut des § 126 Abs 1 StPO („... nochmalige Vernehmung der Sachverständigen...") und der für Befundmängel relevanten Bestimmung des § 125 StPO, die ua bei erheblich abweichenden Angaben zweier Sachverständiger über die von ihnen wahrgenommenen Tatsachen deren neuerliche Vernehmung anordnet, ergibt sich eindeutig, dass Divergenzen zwischen den Gutachten zweier Experten zunächst durch deren abermalige Befragung zu beseitigen sind (vgl Wedrac Vorverfahren, 200; SSt 51/59 ua), zumal (nach der Gesetzesintention) im Fall einer dabei erzielten Einigung (bei sonstiger Mängelfreiheit der bisher vorliegenden Gutachten) kein weiterer Experte beauftragt werden muss (§ 118a StPO!). Ein drittes Gutachten aus demselben Fachgebiet ist somit erst nach erfolglos gebliebenem Verbesserungsversuch - den der Angeklagte indes nicht beantragte - einzuholen (vgl Ratz aaO Rz 351; 12 Os 134/04).

Die begehrte Beweisaufnahme konnte überdies ohne Verletzung von Verteidigungsrechten unterbleiben, weil der behauptete Widerspruch im Sinn des § 126 Abs 1 StPO zwischen dem in diesem Verfahren eingeholten Sachverständigengutachten Dris. Heinz H***** (ON 84) und jenem von Univ. Prof. Dr. Werner L***** (Beilage zu ON 83) nicht vorliegt. Die zweite Expertise hatte Vernehmungssituationen am 22. Jänner und 19. Februar 2004 zum Gegenstand (S 53, 55/IV) und gelangte für diese hinsichtlich falscher Beweisaussage vor Gericht zu fehlender Diskretions- und Dispositionsfähigkeit, betonte aber ausdrücklich, dass H***** „nicht generell" der genannten Fähigkeit beraubt sei (S 63/IV). Dies steht in keinem Widerspruch zum - diese Überlegungen mitverarbeitenden (S 73/IV) - Kalkül, der Zeuge sei am 16. Oktober 2003 (als er den Angeklagten im diametralen Gegensatz zu seinen Angaben in der Hauptverhandlung S 139/IV schuldspruchkonform belastete) in der Lage gewesen, Fragen ihrem Sinngehalt entsprechend aufzunehmen und in freier Willensentscheidung zu beantworten (S 85, 117/IV).

Bleibt noch anzumerken, dass der Schuldspruch keineswegs ausschließlich auf die Angaben des Zeugen H***** gegründet wurde, sondern gleichermaßen auf handschriftliche Aufzeichnungen des Angeklagten über Haschischverkäufe (US 6, 7) und die gesteigerte Wahrscheinlichkeit einschlägiger Delinquenz des qualifiziert (§ 39 StGB) vorbestraften Mannes (US 9, 10). Auch unter dem Gesichtspunkt eines insgesamt fairen Verfahrens (Art 6 Abs 1 EMRK) liegt sohin keine (allenfalls grundrechtlich relevante) Beschwer vor (11 Os 117/04 ua).

Die unter Herausgreifen von Aussagesplittern behauptete offenbar unzureichende Begründung (Z 5) liegt nicht vor. Dass der Angeklagte das übernommene Suchtgift in dem zirka zweimonatigen Tatzeitraum durch die Weitergabe an unbekannte Drogenabnehmer in Teilgeschäften in Verkehr gesetzt hat, haben die Tatrichter nämlich nicht nur aus der Aussage des Zeugen Ronald H***** (vgl insbes S 87, 97/III), sondern zusätzlich aus den sichergestellten handschriftlichen Aufzeichnungen über Suchtgiftverkäufe (S 205/I = S 311/II), schließlich aber auch aus der Aussage des Zeugen Ali Reza K***** (S 281-285/I) erschlossen (US 6, 7). Ob der Angeklagte dabei in zahlreichen (US 6) oder bloß mehreren bzw wiederholten Teilakten (US 10) gehandelt hat, ist für die Lösung der Schuld- und Subsumtionsfrage nicht von Bedeutung. Dem Vorwurf der Undeutlichkeit ist daher bereits deshalb der Boden entzogen.

Die Gewerbsmäßigkeit wiederum haben die Tatrichter logisch und empirisch einwandfrei aus der Mehrzahl von Suchtgiftverkäufen, der notorischen Gewinnspanne bei im großen Umfang aus dem Ausland bezogenem Suchtgift und der Größenordnung der auf dem „Schuldenzettel" (S 205/I) aufscheinenden Geldbeträge abgeleitet (US 10).

In der Hauptverhandlung hat der Zeuge Ronald H***** das Zustandekommen dieser handschriftlichen Aufzeichnungen abweichend von seinen Angaben im Vorverfahren geschildert und seine ursprünglich belastende Aussage auf seine damalige psychische Erkrankung zurückgeführt (S 377 bis 381/III, 139 bis 141/IV). Der Beschwerde zuwider haben die Tatrichter all dies jedoch eingehend und somit nichtigkeitsfrei erörtert (US 7 bis 9).

Da das Erstgericht die den Schuldvorwurf völlig negierende Einlassung des Angeklagten (S 367 ff/III) zur Gänze als widerlegt angesehen hat, war es nicht verpflichtet, sich mit Einzelheiten seiner Verantwortung auseinanderzusetzen, um dem Gebot des § 270 Abs 2 Z 5 StPO zu genügen.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) strebt die „Feststellung" der Zurechnungsunfähigkeit oder Vernehmungsunfähigkeit des Zeugen H***** am 16. Oktober 2003 an, wendet sich damit jedoch nur in unzulässiger Weise gegen die erstgerichtliche Beweiswürdigung und orientiert sich dergestalt ebenso wenig am Verfahrensrecht wie die bloß eine Verurteilung nach § 28 Abs 2 SMG anstrebende Subsumtionsrüge (Z 10), welche die Konstatierungen zur gewerbsmäßigen Tatbegehung (US 6, 10) als bloße Vermutungen des Gerichtes bezeichnet.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits - in Übereinstimmung mit dem Croquis - nach nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Über die Berufungen hat somit das Oberlandesgericht Innsbruck zu entscheiden (§§ 280, 285i StPO).

Die Kostenentscheidung fußt auf § 390a Abs 1 StPO.

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