Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Patrick P***** von der wider ihn erhobenen Anklage (ON 14), er habe in Wien mit dem am 4. Mai 1994 geborenen Michael K*****, sohin einer unmündigen Person, eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, und zwar
1./ zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt vor dem 24. Jänner 2004 einen Oralverkehr, indem er sein Glied in die Mundhöhle des Genannten einführte (laut Aktenlage indes: „indem er an Michael K***** einen Oralverkehr vornahm - vgl S 21, 87),
2./ am 24. Jänner 2004 einen Analverkehr, indem er sein Glied in den After des Genannten einführte,
(sowie - wiewohl unangebracht, vgl Fabrizy StPO9 § 259 Rz 16 - von der juristischen Kategorie)
gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Den maßgeblichen Urteilskonstatierungen zufolge versuchte der Angeklagte am 24. Jänner 2004 mit seinem Penis in den After des (damals) 9 1/2-jährigen Michael K***** einzudringen, was ihm nicht oder nur minimal gelang. Ob der zu 1./ inkriminierte Oralverkehr stattfand, konnte nicht geklärt werden (US 7). Patrick P***** war bei den Tathandlungen diskretionsfähig, jedoch auf Grund seiner psychisch-emotionalen und sozialen Unreife, seiner Neigung zu kindlich-regressivem Verhalten mit eingeschränkter Antizipationsfähigkeit und eingeschränkter Fähigkeit zur Impulskontrolle nicht in der Lage, dieser Einsicht gemäß zu handeln (US 7).
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen aus Z 4 und Z 5 des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft kommt - wie die Generalprokuratur in ihrem Croquis zutreffend ausführt - keine Berechtigung zu.
Im Umfang des Freispruches zu 1./ (Oralverkehr) versagt die Beschwerde, weil die Konstatierung unbekämpft bleibt, wonach dem Angeklagten diese Tat - unabhängig von seiner Dispositionsunfähigkeit - nicht nachzuweisen war (US 7).
Die Verfahrensrüge (Z 4) moniert die Abweisung des Antrages auf Einholung eines weiteren (dritten) Sachverständigengutachtens. Vorliegend erstattete die Sachverständige Dr. B***** im Vorverfahren ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten, demzufolge der Angeklagte trotz Vorliegens eines geistig seelischen Entwicklungsrückstandes mit leichter Intelligenzminderung und einer dadurch bedingten emotionalen und sozialen Unreife - wenngleich eingeschränkt - in der Lage war, das Unrecht der gegenständlichen Tat(en) einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln (ON 7, v.a. S 113 ff).
Nach dem im Zwischenverfahren eingeholten psychiatrischen Gutachten der Sachverständigen DDr. W***** war Patrick P***** bei den Tathandlungen zwar diskretionsfähig, jedoch auf Grund seiner psychisch-emotionalen und sozialen Unreife, seiner Neigung zu kindlich-regressivem Verhalten mit eingeschränkter Antizipationsfähigkeit und eingeschränkter Fähigkeit zur Impulskontrolle zu einsichtsgemäßem Handeln nicht in der Lage (ON 23, v. a. S 29 f).
Anlässlich der mündlichen Gutachtenserörterung in der Hauptverhandlung (ON 25) setzte sich DDr. W***** auch ausführlich mit dem dort verlesenen (S 259), wegen unterbliebener Testuntersuchungen zur sozialen Antizipationsfähigkeit des Angeklagten allerdings auf einer schmäleren Befundgrundlage erstellten Gutachten Dris. B***** auseinander (S 249 ff).
Der Antrag der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft auf Einholung „eines weiteren Sachverständigengutachtens" zur Frage, „ob sich Dispositionsunfähigkeit mit Intelligenzminderung und einer geistigen Abartigkeit in Übereinstimmung bringen lässt" (S 257), wurde mit der - prozessordnungswidrig (§ 238 Abs 2 StPO), wenngleich hier mangels spezifischer, auf Einhaltung der Formerfordernisse gerichteter Antragstellung nicht nichtigkeitsbegründend (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 316) erst im Urteil nachgetragenen - Begründung abgewiesen, dass „der Schöffensenat vom schriftlichen Gutachten der Sachverständigen DDr. W***** als auch von ihren mündlichen Ausführungen völlig überzeugt war und diese keine Widersprüche in sich bargen" (S 257 iVm US 10).
Die Anklagebehörde, die ihren Obliegenheiten nach § 281 Abs 3 zweiter Satz StPO entsprach (S 259), meint in der Verfahrensrüge mit Bezug auf die in Fabrizy StPO9 § 126 Rz 1 zitierte Judikatur, dass die Antragsablehnung im Hinblick auf die aktuelle Divergenz der Gutachten der Sachverständigen zur Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten Nichtigkeit iSd § 281 Abs 1 Z 4 StPO bewirke, eine Mängelbehebung durch nochmalige Vernehmung der Sachverständigen nur bei Widersprüchen in einem Gutachten, nicht aber bei zwei einander widersprechenden Expertisen geboten sei und das vom Schöffengericht für schlüssig und zureichend erachtete Gutachten der Sachverständigen DDr. W***** Widersprüche enthalte.
Im „Verfahren bei Zweifeln über Geistesstörungen oder über Zurechnungsfähigkeit" (§ 134 StPO) gilt der Grundsatz, dass in der Regel ein Sachverständiger (Arzt) genügt (§ 118 Abs 1 StPO) und ein zweiter nur ausnahmsweise bei Schwierigkeit der Beobachtung oder Begutachtung (§§ 134 Abs 1, 118 Abs 2 StPO) oder bei Mangelhaftigkeit des bereits vorliegenden Gutachtens (§§ 125, 126 StPO) beizuziehen ist. Gemäß § 126 Abs 1 StPO ist das Gutachten eines oder zweier anderer Sachverständiger einzuholen, wenn sich Widersprüche oder Mängel (iSd § 125 StPO) in Bezug auf das Gutachten ergeben oder sich zeigt, dass es Schlüsse enthält, die aus den angegebenen Vordersätzen nicht folgerichtig gezogen sind und sich die Bedenken nicht durch eine nochmalige Vernehmung der Sachverständigen beseitigen lassen. Demnach sind für die Befassung weiterer Experten aus demselben Fachgebiet zwei kumulative Voraussetzungen erforderlich, nämlich einerseits das (alternative) Vorliegen einer der bezeichneten Gutachtensmängel und andererseits ein erfolglos gebliebenes Verbesserungsverfahren. Aus dem Wortlaut des § 126 Abs 1 StPO („... nochmalige Vernehmung der Sachverständigen...") und der für Befundmängel relevanten Bestimmung des § 125 StPO, die ua bei erheblich abweichenden Angaben zweier Sachverständiger über die von ihnen wahrgenommenen Tatsachen deren neuerliche Vernehmung anordnet, ergibt sich - dem Beschwerdestandpunkt zuwider - eindeutig, dass Divergenzen zwischen den Gutachten zweier Experten zunächst durch deren abermalige Befragung zu beseitigen sind (vgl Wedrac Vorverfahren, 200; SSt 51/59 ua), zumal (nach der Gesetzesintention) im Fall einer dabei erzielten Einigung (bei sonstiger Mängelfreiheit der bisher vorliegenden Gutachten) kein weiterer Experte beauftragt werden muss (§ 118a StPO!). Ein drittes Gutachten aus demselben Fachgebiet ist somit erst nach erfolglos gebliebenem Verbesserungsversuch einzuholen (vgl Ratz aaO Rz 351). Zur Sicherung der Verfahrensrüge aus Z 4 des § 281 Abs 1 StPO wäre zunächst durch begründete Antragstellung auf die Schaffung der in § 126 Abs 1 StPO statuierten Bedingungen hinzuwirken gewesen. Weil fallaktuell mangels einer darauf gerichteten Antragstellung die für die Befassung eines dritten Experten notwendige Voraussetzung des fruchtlos gebliebenen Verbesserungsverfahrens fehlte, wurde der bezeichnete Antrag zu Recht abgewiesen.
Davon abgesehen zielte er schon nach seiner Formulierung, „ob sich Dispositionsunfähigkeit mit Intelligenzminderung und einer geistigen Abartigkeit in Übereinstimmung bringen lässt", auf unzulässige Erkundungsbeweisführung (Ratz aaO § 281 Rz 330 ff; Mayerhofer StPO5 § 281 Abs 1 Z 4 E 87b ff).
Ferner ist dem allgemeinen Vorbringen ein auf den Nachweis der Dispositionsfähigkeit gerichtetes Beweisthema nicht eindeutig entnehmbar.
Die im Rechtsmittel bezüglich der Expertise der Sachverständigen DDr. W***** erstmals vorgebrachten Mängel sind zufolge des Neuerungsverbotes verspätet und daher unbeachtlich (Ratz aaO § 281 Rz 325; Mayerhofer aaO § 281 Z 4 E 40 f).
Vollständigkeitshalber sei angemerkt, dass angesichts der sinnfälligen Divergenz zwischen den Gutachten der Sachverständigen zur Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten das Schöffengericht von Amts wegen (§§ 3, 232 Abs 2, 254 StPO) zu einem Vorgehen nach § 126 Abs 1 StPO verpflichtet gewesen wäre (Mayerhofer aaO § 126 E 8). Diese Missachtung grundlegender Anordnungen konnte die Staatsanwaltschaft im Nichtigkeitsverfahren allerdings nicht bekämpfen (§ 281 Abs 2 zweiter Fall StPO).
Auch die Mängelrüge (Z 5) versagt.
Der Beschwerde (Z 5 zweiter Fall) zuwider setzten sich die Erstrichter sehr wohl mit dem Gutachten Dris. B***** inhaltlich auseinander (US 8 f) und begründeten mit dem Hinweis auf die zusätzlich von DDr. W***** durchgeführten - von Dr. B***** jedoch unterlassenen - Testuntersuchungen zur sozialen Antizipationsfähigkeit des Angeklagten (und damit zur Erfassung seiner Persönlichkeitsstörung) logisch und empirisch einwandfrei, warum sie dieser für schlüssig und ausreichend erachteten Expertise den Vorzug gaben und die Zurechnungsunfähigkeit des Angeklagten darauf stützten (US 9).
Das weitere Vorbringen (Z 5 vierter Fall), die im Gutachten Dris. Brenneis unterbliebene Verwertung der Informationen des behandelnden Arztes Dr. A***** und des vernehmenden Polizeibeamten, wonach der Angeklagte die Tragweite seines Handelns nicht abschätzen könne (S 91, 97), sei im Hinblick auf deren unklaren Aussageinhalt kein (zusätzliches) Argument für die Mangelhaftigkeit dieser Expertise (vgl US 8 f), bekämpft mit eigener Beweisinterpretation in unzulässiger Weise die tatrichterlichen Erwägungen und ignoriert prozessordnungswidrig die übrigen Ausführungen zur Unbedenklichkeit des Gutachtens der Sachverständigen DDr. W***** (Ratz aaO § 281 Rz 394, 451).
Bei der Behauptung, „es wäre Sache des Erstgerichtes gewesen, Dr. A***** und den vernehmenden Polizeibeamten zu laden und zum Bedeutungsinhalt ihrer vorbezeichneten Erklärung zu befragen", wird verkannt, dass unterlassene Beweisaufnahmen von vornherein kein Gegenstand der Mängelrüge sind (Ratz aaO § 281 Rz 457). Mit dem allgemeinen Verweis auf die Argumente in der Verfahrensrüge werden keine formellen Begründungsdefizite konkretisiert (Ratz aaO § 285d Rz 10).
Der (sinngemäße) Einwand, die Erfolglosigkeit bisheriger Therapien sei unerwähnt geblieben, ist ein nur einer Berufung gegen die Gefährlichkeitsprognose zugängliches Argument (Ratz aaO § 281 Rz 720; Mayerhofer aaO § 435 E 5a, 7b). Außerdem wird dabei übersehen, das zur essentiellen Einweisungsvoraussetzung des § 21 Abs 1 StGB, wonach die Zurechnungsunfähigkeit auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruhen muss, gar keine Feststellungen getroffen wurden.
Der abschließenden Kritik (Z 5 zweiter Fall) zuwider war das Erstgericht - entsprechend dem Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) - nicht verpflichtet, die im Rechtsmittel isoliert herausgegriffenen und prozessordnungswidrig mit eigenen Beweiswerterwägungen angereicherten Aspekte des insgesamt als schlüssig und ausreichend beurteilten Gutachtens der Sachverständigen DDr. W***** in jedem Detail zu erörtern (Ratz aaO § 281 Rz 428; Mayerhofer aaO § 270 E 105; § 281 Z 5 E 7 f). Die Nichtigkeitsbeschwerde war demnach bereits bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
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