OGH 12Os82/05h (12Os83/05f)

OGH12Os82/05h (12Os83/05f)6.10.2005

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. Oktober 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber, Dr. Philipp, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wagner als Schriftführer, in der Strafsache gegen Mag. Sandra S***** und einen anderen Angeklagten wegen des Vergehens der schweren Sachbeschädigung nach §§ 125, 126 Abs 1 Z 4 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 10 Hv 105/03z des Landesgerichtes für Strafsachen Graz, über die vom Generalprokurator gegen die Urteile (1.) des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 24. Juni 2003 (ON 18), sowie (2.) des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 19. November 2003, AZ 9 Bs 472/03, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Weiß sowie des Verteidigers Dr. Lehofer zu Recht erkannt:

 

Spruch:

I. Die Urteile des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 24. Juni 2003, GZ 10 Hv 105/03z-18, und des Oberlandesgerichtes Graz 19. November 2003, AZ 9 Bs 472/03 (ON 25), verletzen in den Aussprüchen

1. der Herbeiführung der Sachbeschädigung an einer Sache von allgemein anerkanntem wissenschaftlichem Wert, die sich in einer allgemein zugänglichen Sammlung befindet, das Gesetz in der Bestimmung des § 126 Abs 1 Z 4 StGB und

2. in der Annahme des Wertes des Diebsgutes mit 2.000 EUR übersteigend das Gesetz in der Bestimmung des § 128 Abs 1 Z 4 StGB.

II. Das Urteil des Berufungsgerichtes wird zur Gänze, jenes des Einzelrichters, das im Übrigen unberührt bleibt, im Punkt A./1. in der Annahme der Qualifikation nach § 128 Abs 1 Z 4 StGB, im Punkt A./2. in der Annahme der Qualifikation nach § 126 Abs 1 Z 4 StGB sowie im Strafausspruch aufgehoben und dem Erstgericht die neue Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung aufgetragen. Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 24. Juni 2003, GZ 10 Hv 105/03z-18, wurde Mag. Sandra S***** der Vergehen des schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4 StGB (A./1.) und der (idealkonkurrierend begangenen) schweren Sachbeschädigung nach §§ 125, 126 Abs 1 Z 4 StGB (A./2.) schuldig erkannt und hiefür - unter Anwendung des § 37 Abs 1 StGB - zu einer Geldstrafe verurteilt. Vom weiteren Vorwurf des Vergehens der Beweismittelfälschung nach § 293 Abs 1 StGB wurden die Genannte (ebenso wie Dr. Joachim Gerolf P*****) gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Demnach hat sie (A.) zu nicht genau bekannten Zeitpunkten zwischen Mitte des Jahres 2002 und Anfang April 2003 dadurch, dass sie in mehreren Angriffen insgesamt 74 Originalaufsätze und Beiträge aus wissenschaftlichen Zeitschriftenheften, gebundenen Zeitschriftenbänden und Sammelbänden (Festschriften) des Bestandes der Fakultätsbibliothek des Institutes für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie der K*****-Universität ***** herausriss und mitnahm,

1. fremde bewegliche Sachen in einem „2000 EUR" übersteigenden Wert einem anderen mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern und

2. wissenschaftliche Zeitschriften, gebundene Zeitschriftenbände und Sammelbände (Festschriften), mithin Sachen von allgemein anerkanntem wissenschaftlichen Wert, die sich in einer allgemein zugänglichen Sammlung oder sonst an einem solchen Ort oder in einem öffentlichen Gebäude befanden, beschädigt und unbrauchbar gemacht. Der gegen den Freispruch und den Ausspruch über die Strafe hinsichtlich Mag. Sandra S***** erhobenen Berufung der Staatsanwaltschaft wegen Schuld und Strafe gab das Oberlandesgericht Graz mit Urteil vom 19. November 2003 nicht Folge (ON 25). Das Berufungsgericht sah sich - entgegen der Anregung der Oberstaatsanwaltschaft Graz (Seite 5 der Rechtsmittelentscheidung) - zu einer amtswegigen Wahrnehmung (§§ 477 Abs 1, 489 Abs 1 StPO) des Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs 1 Z 10 StPO nicht veranlasst, sondern erachtete die erstgerichtliche Annahme echter Idealkonkurrenz von Diebstahl und Sachbeschädigung in der jeweils angenommenen Qualifikation für zutreffend (US 7 f).

Nach den wesentlichen - vom Berufungsgericht übernommenen - Feststellungen benötigte die Angeklagte zur Verfassung ihrer Dissertation verschiedene Aufsätze und wissenschaftliche Beiträge, war jedoch - aufgrund ihrer angespannten finanziellen Situation - nicht bereit, Kopien anzufertigen, sondern riss insgesamt 74 Originalaufsätze und Beiträge aus wissenschaftlichen Zeitschriftenheften, gebundenen Zeitschriften, Bänden und Sammelbänden (Festschriften) des Bestandes der Fakultätsbibliothek des Institutes für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie der Universität Graz und nahm sie mit. „Durch ihr Vorgehen" entstand ein - zwischenzeitig gutgemachter - „Schaden" in Höhe von 5.000 EUR. Sie handelte „jeweils mit (zumindest) bedingtem Vorsatz", wobei die Sachwegnahme mit dem erweiterten Vorsatz erfolgte, sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern.

Rechtliche Beurteilung

Die Urteile des Landesgerichtes für Strafsachen Graz und des Oberlandesgerichtes Graz stehen - wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde im Ergebnis zutreffend aufzeigt - (zum Teil) mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Beide Gerichte haben die Rechtsfrage, ob die der Angeklagten Mag. Sandra S***** zur Last gelegte Sachbeschädigung nach § 126 Abs 1 Z 4 StGB qualifiziert ist, unrichtig gelöst:

§ 126 Abs 1 Z 4 StGB schützt als Qualifikation des Grunddelikts der Sachbeschädigung (ua) die „Sache von anerkanntem wissenschaftlichem Wert", die sich „in einer allgemein zugänglichen Sammlung oder sonst an einem solchen Ort oder in einem öffentlichen Gebäude" befindet. Solcherart geht es nicht nur um Eigentumsschutz, sondern um das Allgemeininteresse an der Erhaltung wissenschaftlicher Werte, mit der weiteren tatbestandsmäßigen Einschränkung einer öffentlich zugänglichen Sammlung. Der wissenschaftliche Wert eines Buches, Zeitschriften- oder sonstigen Sammelbandes ist aber nicht das selbe wie der „Marktwert wissenschaftlicher Produkte", allenfalls erkennbar aus einer überdurchschnittlich hohen Zitierung der Arbeit, sondern kann nur in dessen Einzigartigkeit liegen. Wesentlicher Parameter ist die wirtschaftliche Austauschbarkeit der beschädigten Sache, die dann vorliegt, wenn der Austausch keine nennenswerte Änderung im Vermögen des Geschädigten herbeiführt. Dies ist der Fall, wenn Gleichartigkeit und Gleichwertigkeit der Sachen gegeben ist (vgl dazu die schadenersatzrechtlichen Grundsätze der Naturalrestitution des § 1323 ABGB, Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht I3 9/16f; insoweit einschränkend auch EBRV 1971 [30 BlgNR XIII. GP 268] am Beispiel eines „leicht wieder zu beschaffenden Stückes Gestein einer Mineraliensammlung" im Gegensatz zu einem „wertvoll unersetzlichem Bild in einer Galerie"). Wenn auch den Urteilsfeststellungen nicht mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, um welche Werke es sich in concreto handelt (siehe aber die markierten Literaturangaben S 69 bis 139), ergibt sich doch aus der Konstatierung, dass der „entstandene Schaden" zur Gänze wiedergutgemacht wurde (S 273), dass die Restitution möglich war. Demzufolge können die gegenständlichen „wissenschaftlichen Zeitschriften, gebundene Zeitschriftenbände und Sammelbände (Festschriften)" nicht als Sachen von „allgemein anerkanntem wissenschaftlichen Wert" iSd § 126 Abs 1 Z 4 StGB qualifiziert werden.

Auch der Schuldspruch wegen Diebstahls ist teilweise mit Nichtigkeit behaftet:

Zutreffend weist die Generalprokuratur darauf hin, dass echte Konkurrenz von Sachbeschädigung und Diebstahl, soweit die Delikte nicht - wie in der Regel - aufgrund andersartiger Tathandlungen und unterschiedlichem Vorsatz exklusiv sind, grundsätzlich möglich ist (Bertel in WK2 § 127 Rz 37 und Kienapfel BT II3 § 125 Rz 67). Der einen gänzlichen Freispruch vom Diebstahlsvorwurf anstrebenden Beschwerde zuwider scheiden jedoch aus einem Buch, einer Zeitschrift oder einem gebundenen Zeitschriftenband herausgerissene einzelne Blätter keinesfalls ausnahmslos als Objekte des Diebstahls aus. Werden nämlich - wie vorliegend - vollständige wissenschaftliche Beiträge aus Druckwerken entfernt, ergibt sich der Gebrauchswert schon aus der damit eröffneten Möglichkeit, diese jederzeit und überall für fachspezifische Zwecke (etwa wie hier) zur Verfassung einer Dissertation zu verwenden (S 272 f). Dass zugleich auch ein - in den angefochtenen Urteilen der Höhe nach nicht konstatierter - Tauschwert (vgl Kienapfel/Schmoller, Studienbuch Strafrecht BT II § 127 Rz 23) besteht, ergibt sich einerseits aus der Übertragbarkeit der in Rede stehenden gebrauchswerten Sachen und andererseits aus der Tatsache, dass sich die Täterin die ansonsten anfallenden Kopierkosten ersparte (S 273).

In den angefochtenen Urteilen finden sich - wie bereits dargestellt - keine Feststellungen zu diesem Wert, sondern bloß zum (nicht differenzierten) „Schaden" (wobei der Akteninhalt Anhaltspunkte dafür bietet, dass darin auch strafrechtlich unbeachtliche Aufwendungen berücksichtigt wurden), der im erstgerichtlichen Urteil mit 5.000 EUR angenommen wurde (S 273), und fallbezogen daher uU mit dem Wert des Diebsgutes nicht gleichzusetzen ist.

Es war daher spruchgemäß zu verfahren.

Im weiteren Verfahren wird zu klären sein, wie hoch der Schaden an den „gebundenen Zeitschriften, Bänden und Sammelbänden (Festschriften)" tatsächlich ist, insbesondere ob ein (seit dem Budgetbegleitgesetz 2005 relevanter) 3.000 EUR übersteigender Sachschaden vorliegt (§ 126 Abs 1 Z 7 StGB) und ob der Wert des Diebsgutes die in Rede stehende Wertgrenze (§ 128 Abs 1 Z 4 StGB) übersteigt. Allenfalls werden die Voraussetzungen des § 42 StGB zu prüfen sein.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte