OGH 11Os70/05m

OGH11Os70/05m23.8.2005

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. August 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Hon. Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Besenböck als Schriftführer, in der Strafsache gegen Wolfgang A***** wegen der Verbrechen der Schändung nach § 205 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 24. Februar 2005, GZ 42 Hv 72/04w-177, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Dr. Sperker, des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Ebner zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Aus ihrem Anlass wird das angefochtene Urteil - das im Übrigen unberührt bleibt - in der rechtlichen Unterstellung der Tat unter das Verbrechen der Schändung nach § 205 Abs 1 StGB in der Fassung vor dem StRÄG 2004 sowie im Strafausspruch (mit Ausnahme des Ausspruchs über die Vorhaftanrechnung) aufgehoben und gemäß § 288 Abs 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Wolfgang A***** hat durch die im Ersturteil festgestellten Tatsachen die Verbrechen des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB in der Fassung des StRÄG 2004 (BGBl I 2004/15) begangen und wird hiefür nach dieser Gesetzesstelle zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren verurteilt.

Gemäß § 21 Abs 2 StGB wird er in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Ihm fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen - auch einen in Rechtskraft erwachsenen Teilfreispruch enthaltenden - Urteil wurde Wolfgang A***** der Verbrechen der Schändung nach § 205 Abs 1 StGB (in der Fassung vor dem StRÄG 2004) schuldig erkannt, zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt und gemäß § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er Personen weiblichen Geschlechts, die wegen einer Geisteskrankheit unfähig waren, die Bedeutung des Vorganges einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, vorsätzlich zum außerehelichen Beischlaf missbraucht, indem er mit ihnen mehrfach den Geschlechtsverkehr vollzog, und zwar I. zwischen 13. und 16. Dezember 2003 in Loidesthal die psychisch kranke Elisabeth M***** und II. zwischen 19. und 21. Juli 2003, zwischen l. und 3. September 2003 sowie zwischen 25. November und l. Dezember 2003 in Wien und Loidesthal die psychisch kranke Monika K*****.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft das Urteil mit einer auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a, 9 lit b sowie 11 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde; diese schlägt fehl.

Der unter Z 9 lit a erhobene Vorwurf mangelnder Feststellungen zu einem für den Beschwerdeführer erkennbaren, von seinem Vorsatz umfassten Fehlen der Diskretions- und (richtig: oder) Dispositionsfähigkeit seiner Opfer übergeht, dass die Tatrichter im Urteil die schwerwiegende psychische Beeinträchtigung der Monika K***** auf US 6 und jene der Elisabeth M***** auf US 7 samt ihren Auswirkungen detailliert anführten, weiters festhielten, dass beide Frauen auf Grund der schwerwiegenden psychischen Beeinträchtigungen nicht in der Lage waren, Widerstand gegen die an ihnen durchgeführten, von ihnen nicht gewollten sexuellen Handlungen zu leisten, und dass die schwerwiegenden psychischen, jeweils eine Dispositionsunfähigkeit bewirkenden Erkrankungen der Opfer dem Angeklagten bewusst waren (US 6, 8 erster Absatz und 11) und er die Frauen trotz ihrer (von seinem Vorsatz umfassten) Unfähigkeit zur Gegenwehr unter gezielter Ausnutzung dieses Umstandes (US 11) zum außerehelichen Beischlaf missbrauchte. Mangels Orientierung an der Gesamtheit der zur subjektiven Tatseite getroffenen Feststellungen wird der materiellrechtliche Nichtigkeitsgrund nicht prozessförmig zur Darstellung gebracht.

Entgegen dem das Vorliegen eines Rechtsirrtums relevierenden Vorbringen (Z 9 lit b, sachlich auch Z 5) ist ein solcher aus den getroffenen Feststellungen nicht ableitbar und hat sich der Beschwerdeführer in seiner Verantwortung auch nicht auf eine Unkenntnis der Strafbarkeit der ihm angelasteten Tathandlungen berufen. Er bestritt vielmehr der Sache nach das Vorliegen eines dem § 205 Abs 1 StGB entsprechenden Vorsatzes. Diese Verantwortung wurde von den Tatrichtern, gestützt auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. Pfolz zum Geisteszustand des Beschwerdeführers (ON 38, 52, S 203/III) und zu jenem seiner Opfer (ON 40, 65) im Zusammenhalt mit den Depositionen der die Opfer im Psychiatrischen Krankenhaus unter anderem behandelnden Ärztin Dr. Liljana D***** (S 397 ff/II) und des Pflegers Hans M***** (S 405/II) mit eingehender, den Grundsätzen logischen Denkens und empirischen Erkenntnissen nicht zuwider laufender Begründung abgelehnt (US 10 f). Letztlich bot auch die beim Beschwerdeführer vorliegende, eine Zurechnungsunfähigkeit nicht begründende, geistig seelische Abartigkeit höheren Grades, die von erhöhter Aggressionsbereitschaft und sexueller Triebhaftigkeit gekennzeichnet ist, den Tatrichtern keinen Anlass, auf das Vorliegen eines Verbotsirrtums einzugehen.

Den Unterbringungsausspruch bekämpft der Beschwerdeführer unter Z 11 mit der Behauptung von Feststellungsmängeln hinsichtlich der zu befürchtenden strafbaren Handlungen als solche mit schweren Folgen. Aus den auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. Pfolz (ON 38 iVm ON 52) gestützten Feststellungen, dass beim Angeklagten eine geistig seelische Abartigkeit höheren Grades vorliegt und auf Grund der nachhaltigen Behandlungsresistenz sowie der Art der ihm gegenständlich zur Last gelegten Taten eine negative Prognose besteht, weswegen zu befürchten ist, dass der (bereits dreimal wegen strafbarer Handlungen nach dem zehnten Abschnitt des StGB zum Nachteil von Frauen vorbestrafte) Beschwerdeführer unter dem Einfluss seiner geistigen Abartigkeit weitere mit Strafe bedrohte Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung mit jeweils schweren Folgen begehen werde (US 6), lässt das Erstgericht jedoch gerade noch hinreichend deutlich erkennen (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 19), dass die Tatrichter zumindest von Prognosetaten wie jenen ausgegangen sind, deretwegen der nunmehrige Schuldspruch erfolgte. Ob die zu befürchtende strafbedrohte Handlung eine solche mit schweren Folgen darstellt, ist an Hand aller konkreten Tatauswirkungen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu beurteilen, sohin nach Art, Ausmaß und Wichtigkeit aller effektiven Nachteile sowohl für den davon im Einzelnen Betroffenen als auch für die Gesellschaft im Ganzen. Eine Tathandlung, durch die eine wehrlose, psychisch im Sinne des § 205 StGB beeinträchtigte Person, die mangels Diskretions- oder Dispositionsfähigkeit außer Stande ist, durch verstandesmäßige Erwägungen über den eigenen Körper in geschlechtlicher Hinsicht zu verfügen und dem an sie gestellten Verlangen zur Vornahme eines Geschlechtsverkehrs mit freier Entscheidung zu begegnen, zum Beischlaf missbraucht wird, hat einen ganz erheblichen sozialen Störwert. Sie stellt daher - der Beschwerde zuwider ungeachtet der Gewaltlosigkeit ihrer Begehung - eine strafbare Handlung mit schweren Folgen iSd § 21 StGB dar. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch gemäß § 290 Abs 1 StPO, dass im angefochtenen Urteil das Gesetz zum Nachteil des Angeklagten unrichtig angewendet worden ist. Durch die Unterstellung der Taten unter das Verbrechen der Schändung nach § 205 Abs 1 StGB (in der Fassung vor dem StRÄG 2004, BGBl I 2004/15) ist dem Erstgericht eine materielle Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) unterlaufen. Nach der zu den Tatzeiten, nicht mehr jedoch zum Urteilszeitpunkt geltenden Bestimmung bestand für die dem Angeklagten zur Last liegenden Taten ein Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. Durch das mit l. Mai 2004 in Kraft getretene StRÄG 2004 wurden die früher als Verbrechen der Schändung bezeichneten Tatbestände des § 205 StGB durch das Verbrechen des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person ersetzt. Nach Abs 1 der neuen Strafbestimmung wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft, wer eine wehrlose Person oder eine Person, die wegen einer Geisteskrankheit, wegen Schwachsinns, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen einer anderen schweren, einem dieser Zustände gleichwertigen seelischen Störung unfähig ist, die Bedeutung des Vorgangs einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, unter Ausnützung dieses Zustands unter anderem dadurch missbraucht, dass er an ihr eine geschlechtliche Handlung vornimmt. Der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt lässt sich auch unter die Strafbestimmung des § 205 Abs 1 StGB in der Fassung nach dem StRÄG 2004 subsumieren; denn dem im neuen Recht verwendeten Begriff „wehrlos" kommt derselbe Bedeutungsinhalt wie dem Ausdruck „widerstandsunfähig" in der alten Fassung zu (294 BlgNR 22. GP 19; 14 Os 138/04). Da die Strafdrohung der neuen Bestimmung keine Untergrenze aufweist, ist das neue Gesetz im konkreten Fall für den Angeklagten in seinen Gesamtauswirkungen günstiger als das zur Zeit der Tat in Geltung befindliche, sodass es nach § 61 StGB anzuwenden ist.

Das Urteil war daher in der rechtlichen Unterstellung der Tat unter das Verbrechen der Schändung nach § 205 Abs 1 StGB in der Fassung vor dem StRÄG 2004 sowie im Strafausspruch aufzuheben und gemäß § 288 Abs 2 Z 3 StPO in der Sache selbst zu erkennen, dass der Angeklagte die Verbrechen des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB in der Fassung des StRÄG 2004 begangen hat.

Bei der dadurch erforderlichen Strafneubemessung waren als erschwerend das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen derselben Art sowie die einschlägigen Vorstrafen zu werten, als mildernd hingegen, dass der Angeklagte durch seine Aussage wesentlich zur Wahrheitsfindung beigetragen hat. Der rasche, jedoch nicht einschlägige Rückfall stellt hingegen keinen eigenen Erschwerungsgrund dar; die Selbststellung des Angeklagten wirkt nicht mildernd, weil das Verfahren keine Anhaltspunkte für die Annahme erbracht hat, dass er leicht hätte fliehen können oder unentdeckt bleiben werde. Von einer unverhältnismäßig langen Verfahrensdauer (rund 14 Monaten bis zum Urteil erster Instanz) kann in Hinblick auf die Vielzahl der vorgeworfenen und zu untersuchenden Taten, verbunden mit der Notwendigkeit der Einholung mehrerer Sachverständigengutachten, nicht die Rede sein.

Unter Rücksichtnahme auf die dargestellten Strafzumessungsgründe, den beträchtlichen Unrechtgehalt der - wenngleich ohne Gewaltanwendung begangenen - Taten, die Täterschuld und die gravierend vorbelastete Täterpersönlichkeit entspricht die vom Obersten Gerichtshof in der oberen Hälfte des gesetzlichen Strafrahmens ausgemessene Sanktion einer dreijährigen Freiheitsstrafe den Anforderungen der §§ 32 ff StGB.

Im Einklang mit der Einschätzung des Schöffengerichts ist - vor allem gestützt auf das Gutachten Dris. Pfolz - nach der Person und dem Zustand des Angeklagten sowie der Art seiner Taten davon auszugehen, dass dieser unter dem Einfluss seines Zustands zumindest erneut in Richtung § 205 StGB delinquieren werde, sodass die Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB zu erfolgen hatte.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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