OGH 14Os53/05h

OGH14Os53/05h9.8.2005

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. August 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner, Hon. Prof. Dr. Ratz, Dr. Philipp und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wagner als Schriftführer, in der Strafsache gegen Siegfried D***** wegen der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Schöffengericht vom 30. Dezember 2004, GZ 41 Hv 4/04k-58, nach Anhörung des Generalprokurators in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Siegfried D***** des (richtig: der) Verbrechen(s) des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I), der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 aF StGB (II), des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (III) und des (richtig: der) Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 (Z 1) StGB (IV) schuldig erkannt.

Danach hat er

I) von 1991 bis zum 22. Mai 1998 in Koblach, Feldkirch und Liechtenstein in wiederholten, selbständigen Angriffen mit einer unmündigen Person, nämlich mit seiner am 22. Mai 1984 geborenen Stieftochter Stefanie Maria D*****, den Beischlaf unternommen, indem er mit seinem Penis in ihre Scheide eindrang und einen Geschlechtsverkehr durchführte, sowie in zwei Fällen mit seinem Penis in ihre Scheide einzudringen versuchte;

II) von 1992 bis zum 22. Mai 1998 in Koblach und Feldkirch in wiederholten selbständigen Angriffen eine unmündige Person, nämlich seine am 22. Mai 1984 geborene Stieftochter Stefanie Maria D*****, auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, indem er sie anhielt, Oralverkehr an ihm durchzuführen, ihre Scheide leckte, Finger in ihre Scheide einführte und in einem Fall eine ca 23 cm lange Perlenkette in ihre Scheide einführte;

III) von 1991 bis zum 22. Mai 1998 in Koblach und Feldkirch in wiederholten selbständigen Angriffen außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung an einer unmündigen Person vorgenommen sowie von der unmündigen Person an sich vornehmen lassen, indem er seine am 22. Mai 1984 geborene Stieftochter Stefanie Maria D***** teilweise über der Kleidung, teilweise unter der Kleidung im Genitalbereich betastete und streichelte sowie sie anhielt, seinen Penis in die Hand zu nehmen und ihn durch Handonanie bis zum Samenerguss zu befriedigen;

IV) sein minderjähriges Stiefkind, nämlich seine am 22. Mai 1984 geborene Stieftochter Stefanie Maria D*****, „zur Unzucht missbraucht", und zwar

1) von 1991 bis zum 22. Mai 1998 in Koblach, Feldkirch und Liechtenstein in Tateinheit mit den unter Punkt I), II) und III) angeführten Taten auf die dort geschilderte Art und Weise;

2) vom 22. Mai 1998 bis zum 22. Mai 2002 in Feldkirch in wiederholten selbständigen Angriffen, indem er mit Stefanie Maria D***** Vaginal- oder Oralverkehr sowie in zwei Fällen Analverkehr durchführte, in zwei weiteren Fällen versuchte mit seinem steifen Penis in ihren After einzudringen, ihre Scheide leckte, Finger in ihre Scheide einführte, sie anhielt, ihn durch Handonanie bis zum Samenerguss zu befriedigen, sie teilweise über der Kleidung, teilweise unter der Kleidung im Genitalbereich und an den Brüsten betastete und streichelte sowie in einem Fall ihren Genitalbereich mit Rasierschaum einschmierte und begann, sie dort zu rasieren.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil gerichtete, auf § 281 Abs 1 Z 3, 4, 5, 5a und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht im Recht.

Mit dem Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 3 StPO moniert der Beschwerdeführer, dass trotz seiner Einwände die im Vorverfahren abgelegten Angaben der Zeugin Daniela S***** und darüber hinaus zwei Bestätigungen von Dr. Christiane Sch***** entgegen § 252 Abs 1 StPO verlesen worden seien.

Zunächst muss sich der Angeklagte entgegenhalten lassen, dass er insoweit widersprüchliche Prozesserklärungen abgegeben hat, als er sich zunächst gegen die Verlesung sämtlicher Aussagen aussprach, unmittelbar darauf aber die wörtliche Verlesung des gesamten Akteninhalts beantragte (S 163/III). Darüber hinaus verzichtete er ausdrücklich auf die tatsächliche Verlesung einzelner Aktenbestandteile und erklärte sich nach einem Referat über deren Inhalt damit einverstanden, dass dieser als verlesen gilt (S 181/III und S 223/III). Nach der letzten Prozesserklärung strebte er daher gerade jene Verlesungen an, die er nunmehr als unzulässig moniert. Im Übrigen übergeht der Rechtsmittelwerber, dass sich die Zeugin Daniela S***** bei ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung vom 13. Mai 2004 ausdrücklich auf ihre Angaben vor der Sicherheitsbehörde bezog (S 115/III), sodass deren Verlesung keinen Fall des § 252 Abs 1 StPO betrifft (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 230).

Die beiden Bestätigungen der Psychotherapeutin Dr. Christiane Sch***** (ON 40a und ON 55) über die Behandlung der Stefanie Maria D***** sind jeweils an den Privatbeteiligtenvertreter gerichtet und deswegen keine gerichtlichen oder sonstigen amtlichen Protokolle über die Vernehmung eines Zeugen iSd § 252 Abs 1 StPO, sodass deren Verlesung schon gemäß § 252 Abs 2 StPO zwingend geboten war (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 229).

Die Verfahrensrüge (Z 4) wendet sich gegen die Abweisung des Antrags auf neuerliche Ladung und Einvernahme der Zeugin Stefanie Maria D***** zum Beweis dafür, dass vom Angeklagten keinerlei Missbrauchshandlungen ausgegangen sind (S 223/III iVm ON 54). Das Vorbringen, diese Zeugin sei trotz des in der Hauptverhandlung vom 22. März 2004 in Anspruch genommenen Aussageentschlagungsrechtes nach § 152 Abs 1 Z 2a StPO iVm § 162a StPO (S 81/III) zu einer Aussage im Strafverfahren bereit, weil sie im von ihr als Klägerin gegen ihre Mutter und Ehegattin des Angeklagten geführten Unterhaltsprozess beim Bezirksgericht Feldkirch, AZ 9 C 50/04h, ausgesagt hatte, missachtet die im Anschluss an den schriftlich gestellten Beweisantrag vom Gericht eingeholte Erklärung der Stefanie Maria D***** vom 24. Dezember 2004, dass sie im Strafverfahren gegen ihren Stiefvater nicht mehr aussagen will (S 217/III). Somit war die beantragte Beweisaufnahme unzulässig.

Durch die gerügte Abweisung des Antrags auf Vernehmung der Zeugen Christiane R*****, Elisabeth R*****, Irene L*****, Markus L***** und Dietmar B***** zum Beweis dafür, dass Stefanie Maria D***** wiederholt gegenüber Dritten davon gesprochen hat, den Angeklagten zu erpressen (S 223/III iVm ON 54), wurden Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers nicht beeinträchtigt. Selbst wenn man davon ausginge, dass damit auf die Angaben der Zeugin Brigitte D***** in der Hauptverhandlung vom 13. Mai 2004 Bezug genommen wurde, wonach ein Mitschüler des Tatopfers erzählt habe, in der Klasse seien Fotos zur Sprache gekommen und Stefanie Maria D***** hätte gefragt, ob sie mit diesen Lichtbildern den Vater wegen ihres Unterhalts „erpressen" könne (S 163/III), lässt der Beweisantrag jegliche Konkretisierung dahingehend vermissen, weshalb diesem Umstand eine erhebliche, den Ausspruch über eine entscheidungswesentliche Tatsache beeinflussende Bedeutung zukommen sollte (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 29, 332), zumal die sichergestellten Negative dieser Fotos von den Tatrichtern herangezogen wurden, um die Täterschaft des Siegfried D***** zu untermauern (US 22 f). Die erst in der Beschwerde dazu vorgebrachten Argumente sind prozessual verspätet, weil in der Verfahrensrüge die Berechtigung des Antrags stets auf den Antragszeitpunkt bezogen zu prüfen ist (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 325).

Gleiches gilt für die Abweisung des Antrags auf Einholung eines verhaltenspsychologischen Gutachtens zum Beweis dafür, dass Stefanie Maria D***** vom Beschwerdeführer nicht missbraucht worden ist und insbesondere das Verhalten der Stefanie D***** geradezu die dem Angeklagten vergeworfene Missbrauchshandlungen ausschließen (S 223/III iVm ON 54). Auch diesem Begehren fehlt jegliche nähere Ausführung, inwieweit ein Verhaltenspsychologe aus nicht näher spezifizierten Reaktionen des Tatopfers aussagepsychologische Schlüsse zur Unrichtigkeit der von Stefanie Maria D***** erhobenen Vorwürfe ziehen könnte. In diesem Zusammenhang angestellte Beschwerdeerwägungen sind wiederum - wie oben bereits dargelegt - prozessual verspätet.

Die in der Mängelrüge (Z 5) behauptete offenbar unzureichende Begründung, weil sich das erkennende Gericht bei Feststellung einer missbrauchsbedingten traumatischen Erfahrung des Tatopfers auf die Behandlungsbestätigungen der Dr. Christiane Sch***** vom 3. Mai 2004 (ON 40a) und vom 22. Dezember 2004 (ON 55) stützte, diese aber nicht verlesen worden und solcherart auch nicht vorgekommen seien, lässt außer Acht, dass nach dem Hauptverhandlungsprotokoll der gesamte bis zur Hauptverhandlung am 30. Dezember 2004 vorhandene Band III mit Ausnahme einzelner, im Protokoll ausdrücklich genannter Passagen verlesen wurde (S 223/III). Damit wurde jedenfalls auch die Bestätigung vom 3. Mai 2004 (S 95a/III) zum Verhandlungsgegenstand. Die vom Privatbeteiligungsvertreter nach Schluss des Beweisverfahrens vorgelegte Bestätigung vom 22. Dezember 2004 (ON 55) wurde vom Vorsitzenden nicht nur zum Akt genommen, sondern - wie aus dem Hauptverhandlungsprotokoll hervorgeht - noch vor den Schlussworten des Verteidigers und des Angeklagten auch inhaltlich dargetan (S 223 ff/III). Solcherart ist dieses Schriftstück in der Hauptverhandlung vorgekommen und konnte daher auch verwertet werden. Das weitere Vorbringen zu einer widersprüchlichen Begründung zeigt nicht auf, welche Begründungsansätze im Ersturteil nach den Denkgesetzen nebeneinander nicht bestehen können. Vielmehr versucht der Beschwerdeführer mit eigenen, teils spekulativen Beweiswerterwägungen die formal fehlerfreie Beweiswürdigung der Tatrichter zu bekämpfen.

In der Tatsachenrüge (Z 5a) werden bloß einzelne Details der umfangreichen Überlegungen des erkennenden Gerichts aus dem Zusammenhang gerissen und isoliert in einem für den Rechtsmittelwerber günstigeren Licht analysiert. Insbesondere übergeht die Beschwerde die Bewertungen der Tatrichter zur gezielten Vorgangsweise des Angeklagten, der sein Tatopfer bereits im Alter von sechs bzw sieben Jahren schrittweise auf spätere sexuelle Übergriffe „vorbereitete" und die sexuellen Missbräuche mit teilweise aufwendigen Belohnungen für seine Stieftochter verbunden hatte (US 8 ff, 25 f), sodass sie - aus der Sicht des Erstgerichts - die an ihr vorgenommenen oder von ihr verlangten geschlechtlichen Handlungen geradezu als Alltäglichkeiten empfinden konnte. Diese Vorgangsweise unterstreicht nach Auffassung des erkennenden Senats andererseits auch das von Siegfried D***** bestrittene (im Hinblick auf § 212 Abs 1 Z 1 StGB iS einer Ausnutzung der Autorität als Stiefvater nicht schulderhebliche; vgl 13 Os 78/03) Abhängigkeitsverhältnis zwischen Täter und Missbrauchsopfer (US 19, 26, 40).

Inwieweit die als übergangen (Z 5 zweiter Fall) gerügten Angaben des Zeugen Josef A***** entscheidende Tatsachen betreffen, wird in der Rüge nicht dargetan.

Der Einwand, dieser jahrelange Missbrauch hätte vor der Mutter des Kindes nicht geheimgehalten werden können, übergeht die dazu angestellten Erwägungen des Schöffengerichtes, wonach der Angeklagte die oftmalige Abwesenheit der Brigitte D***** ausgenutzt hatte und die Mutter des Tatopfers nach dem Eindruck der Tatrichter bemüht war, das von ihrer Tochter geschilderte Verhalten ihres Ehegatten zu verdrängen (US 21).

Mit diesem Vorbringen vermag der Beschwerdeführer keine sich aus den Akten ergebenden erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrundegelegten Tatsachen aufzuzeigen. Die Strafbemessungsrüge (Z 11) schließlich behauptet einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot, ohne aber darzulegen, inwieweit der kritisierte, den Handlungs- und Gesinnungsunwert steigernde Umstand eines jahrelang andauernden, planvoll überlegten und intensiven sexuellen Missbrauchs strafbarkeitsbegründende oder qualifizierende Elemente betreffen sollte.

Soweit sich der Angeklagte gegen die Höhe der ausgemessenen Freiheitsstrafe wendet, führt er lediglich eine Berufung aus. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme des Generalprokurators, jedoch entgegen einer dazu gemäß § 35 Abs 2 StPO erstatteten Äußerung - als offenbar unbegründet bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO). Daraus folgt, dass zur Entscheidung über die Berufung der Gerichtshof zweiter Instanz zuständig ist (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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