OGH 13Os159/04

OGH13Os159/0415.6.2005

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Juni 2005 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Hon. Prof. Dr. Ratz, Hon. Prof. Dr. Schroll und Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Krammer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Franz G***** wegen der Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Steyr als Schöffengericht vom 10. November 2004, GZ 11 Hv 22/04x-9, nach öffentlicher Verhandlung in Gegenwart des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Weiss, sowie in Anwesenheit des Angeklagten Franz G***** jedoch in Abwesenheit eines Verteidigers zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben und das angefochtene Urteil, das im Übrigen (Punkt 1. des Schuldspruches) unberührt bleibt, im Punkt 2. des Schuldspruches sowie demgemäß im Strafausspruch aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen. Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf den kassatorischen Teil der Entscheidung verwiesen. Dem Angeklagten fallen auch die durch den erfolglos gebliebenen Teil seiner Nichtigkeitsbeschwerde verursachten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Franz Leopold G***** wurde des Verbrechens (wegen Tatmehrheit: der Verbrechen) des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 15. Oktober 2003 in Enns als Beamter des Gendarmeriepostens Enns mit dem Vorsatz, dadurch den Staat an seinem konkreten Recht auf Verfolgung des Täters einer Verwaltungsübertretung (Pkt 1.) und die Z***** AG in ihrem konkreten Recht „auf Übermittlung wahrheitsgemäßer Anzeigebestätigungen" (Pkt 2.) zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem er zu GZ 4589/03-Grub des Gendarmeriepostens Enns während eines Sektorstreifendienstes

1. eine Verkehrsunfallanzeige an die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land betreffend den Wildunfall seines Neffen Markus W***** vom 12. Oktober 2003 abfasste, in welcher er wahrheitswidrig anführte, dass von Markus W***** am 12. Oktober 2003 um ca 6.30 Uhr eine Verständigung des Gendarmeriepostens Enns gemäß § 4 Abs 5 bzw 5a (§ 99 Abs 6 lit a) StVO 1960 erfolgt sei,

2. eine Anzeigebestätigung zur Vorlage an die „W*****" (nunmehr Z***** AG, vgl S 9) als Kaskoversicherer verfasste und an Markus W***** übermittelte, die er mit 13. Oktober 2003 datierte, obwohl der bezughabende Wildunfall seines Neffen Markus W***** erst am 14. Oktober 2003 dienstlich protokolliert wurde und eine Verständigung gemäß § 4 StVO am 12. Oktober 2003 nicht erfolgt ist. Hiezu stellte das Erstgericht fest, dass der damals außer Dienst befindliche Angeklagte am Abend des 12. Oktober 2003 von seinem Neffen Markus W***** (privat) darüber informiert wurde, dass er am Morgen dieses Tages nach 6.00 Uhr früh einen Wildunfall gehabt habe, durch den sein PKW an der Frontseite beschädigt worden sei. Da Markus W***** für seine Kaskoversicherung eine Anzeigebestätigung benötigte, erklärte sich der Angeklagte zu deren Erstellung bei der nächsten Dienstverrichtung bereit. Als der Angeklagte am 15. Oktober 2003 Sektorenstreifendienst versah, verfasste er im Sinn dieser Zusage die (an die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land weiterzuleitende) Verkehrsunfallsanzeige sowie die zur Vorlage an die Kaskoversicherer W*****s benötigte Anzeigebestätigung. Durch die im Spruch wiedergegebenen unrichtigen Datums- bzw Zeitangaben in den genannten (öffentlichen) Urkunden, mit denen dokumentiert werden sollte, dass ihm die Verständigung vom Unfallbeteiligten W***** unmittelbar nach dem Unfall zugegangen sei, wollte der Angeklagte zum einen eine etwaige Verfolgung seines Neffen wegen Fahrerflucht verhindern (zu 1.) und ihn andererseits (zu 2.) bei der Geltendmachung (zu ergänzen: seines Anspruches aus der Kaskoversicherung) gegenüber der Versicherung unterstützen (US 3 und 4).

Dagegen richtet sich die auf Z 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Rechtliche Beurteilung

Fehl gehen die gegen Punkt 1. gerichteten Beschwerdeausführungen. Entgegen der undifferenziert gemeinsam ausgeführten Mängel- und Tatsachenrüge (Z 5 und 5a) betrifft die unerörtert gebliebene Verantwortung des Angeklagten, wonach es am Gendarmerieposten Enns durchaus üblich sei, dass Gendarmeriebeamte privat mitgeteilte Sachverhalte später auf der Dienststelle zur Anzeige bringen und dann auch selbst weiterbearbeiten, keine für die rechtliche Beurteilung der Tat entscheidende Tatsache. Denn nicht durch die dienstliche Erledigung eines ihm außer Dienst zur Kenntnis gebrachten Sachverhaltes hat der Angeklagte seine amtlichen Befugnisse als Gendarmeriebeamter missbraucht, sondern durch die unrichtige Ausführung des Zeitpunktes der Anzeigeerstattung (durch W*****) in der von ihm erstellten Verkehrsunfallanzeige.

Das Vorbringen ist auch nicht geeignet, sich aus den Akten ergebende erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der diesen Schuldspruchteil stützenden Feststellungen entscheidenden Tatsachen zu erwecken. Dies gilt gleichfalls für die Behauptung, ihm sei beim Ausfüllen des EDV-Formulars „Verkehrsunfall mit Sachschaden (Wild)" bloß ein (fahrlässiger) Protokollierungsfehler in Ansehung des Zeitpunktes seiner Verständigung vom Wildunfall unterlaufen, mit welcher aber auch kein Begründungsmangel zur Konstatierung dargetan wird, nach welcher auf Grund der „Präzisität" der Darstellung keineswegs von einem Irrtum des Angeklagten ausgegangen werden könne, er vielmehr seinen Neffen vor einer eventuellen Verfolgung wegen Fahrerflucht schützen wollte (US 4).

Die gegen Punkt 1. des Schuldspruches gerichtete Rechtsrüge (Z 9 lit a) macht unter Hinweis auf die seinerzeitigen Angaben Markus W*****s, wonach das Reh nach der Kollision mit dem von ihm gelenkten PKW davongelaufen sei (S 57), das Fehlen einer Feststellung darüber geltend, ob durch den von Markus W***** verursachten Wildunfall „fremder Sachschaden" entstanden sei. Eine Bestrafung wegen § 302 Abs 1 StGB sei nämlich dann nicht zulässig, wenn dem Staat ein konkretes Recht auf Bestrafung des Markus W***** wegen einer Verwaltungsübertretung (gemeint wohl: § 99 Abs 3 lit b StVO) infolge fehlenden Verstoßes gegen die Bestimmung des § 4 Abs 5 StVO ohnehin nicht zugekommen wäre. § 4 Abs 5 StVO setze aber voraus, dass bei einem Verkehrsunfall Sachschaden entstanden ist, der nicht bloß im Vermögen des einzigen Unfallverursachers eingetreten ist. Denn nur in diesem Fall sei (unter der weiteren Voraussetzung, dass der Verursacher des Verkehrsunfalls und der Geschädigte einander ihren Namen und ihre Anschrift nicht nachweisen konnten) vom Unfallverursacher die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle vom Verkehrsunfall ohne unnötigen Aufschub zu verständigen. Mit diesem Vorbringen übersieht die Beschwerde, dass beim Amtsmissbrauch der erweiterte (zumindest bedingte Schädigungs-)Vorsatz des Täters sich zwar auf ein konkretes Recht eines anderen beziehen muss, ein tatsächlicher Schadenseintritt hingegen nicht erforderlich ist. Denn das Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt ist bereits mit dem Befugnismissbrauch vollendet; der vom Täter beabsichtigte Schaden (hier: Verhinderung einer Strafverfolgung Markus W*****s wegen Fahrerflucht) muss demnach gar nicht eingetreten sein; der Täter ist sogar dann nach § 302 StGB strafbar, wenn der (an sich mögliche) Schaden, den er in seinem Vorsatz aufgenommen hat, gar nicht eintritt (15 Os 71/99, 13 Os 43/04, Bertel in WK2 § 302 Rz 119, 120) etwa weil ein Schaden eines Dritten (Jagdberechtigten) aus dem (nicht unverzüglich angezeigten) Wildunfall nicht erweislich ist. Insoweit war die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen.

Der Sache nach zu Recht macht die Beschwerde hingegen zu Punkt 2. des Schuldspruches ein Fehlen von Feststellungen zur subjektiven Tatseite deshalb geltend, weil den Feststellungen nicht zu entnehmen ist, inwiefern er durch die Ausstellung der (zur Weiterleitung an den Kaskoversicherer bestimmten) inhaltlichen richtigen, lediglich mit einem falschen Ausstellungsdatum versehenen Anzeigebestätigung den Kaskoversicherer Markus W*****s am Vermögen schädigen wollte. Tatsächlich haben die Tatrichter in den Gründen offengelassen, in welchem konkreten Recht nach Vorstellung der Angeklagte der Kaskoversicherer durch die beschriebene Tathandlung geschädigt werden sollte. Ebenso wie das Recht des Staates auf Abfassung wahrheitsgemäßer Urkunden durch seine Beamten unter Beachtung der hiefür erlassenen Dienstvorschriften, stellt auch das im Urteilsspruch umschriebene Recht des Kaskoversicherers „auf Übermittlung wahrheitsgemäßer Anzeigenbestätigungen" zufolge der spezifischen Urkundendelikte (§§ 228, 311 StGB) nur ein allgemeines (abstraktes) und kein konkretes Recht dar, sodass dessen angestrebte Verletzung allein für die vorliegende Verurteilung nach § 302 Abs 1 StGB nicht ausreicht (ÖJZ-LSK 1983/48, SSt 56/67, 13 Os 130/90). Der bezeichnete Rechtsfehler zufolge fehlender Feststellungen zur subjektiven Tatseite erfordert, ohne dass auf die bezüglichen Ausführungen in der Mängel- und Tatsachenrüge eingegangen werden musste - in Übereinstimmung mit der Meinung der Generalprokuratur - die Aufhebung von Punkt 2. des Schuldspruches, demnach auch des Strafausspruches, und diesbezüglich die Anordnung der Verfahrenserneuerung.

Dabei wird zu beachten sein, dass eine Bestrafung des Angeklagten nach § 302 Abs 1 StGB zu 2. wegen Ausstellung der rückdatierten Anzeigebestätigung nur dann in Betracht kommt, wenn nach dem zwischen dem Kaskoversicherer (Z***** AG) und Markus W***** bestehenden Kaskoversicherungsverhältnis der Versicherungsnehmer oder der Unfalllenker nach einem Wildschadenunfall (ähnlich wie nach § 4 Abs 5 StVO) unverzüglich Anzeige bei der nächsten Polizei- oder Gendarmeriedienststelle zu erstatten hätte und allenfalls dem Kaskoversicherer bei Verletzung einer derartigen Obliegenheitsverpflichtung ein konkretes Vermögensrecht (etwa die Geltendmachung eines Selbstbehaltes) zukommt. Anhaltspunkte hiefür bieten die im Akt erliegenden „Allgemeinen Z***** Bedingungen für die Kollisionskaskoversicherung (KKB 2000)" und die „Besonderen Bedingungen AK 583", in denen eine derartige Obliegenheit des Versicherungsnehmers oder Lenkers festgeschrieben ist (vgl Art 5.2.2. der Allgemeinen Bedingungen und Punkt 4.3. der Besonderen Bedingungen; S 45 und 53). Ob die bezeichneten Versicherungsbedingungen auf das Kaskoversicherungsverhältnis W*****s mit der Z***** AG Anwendung finden und welche Konsequenz der Kaskoversicherer aus einer Verletzung der Obliegenheitsverpflichtung ableiten könnte, wird zu klären sein. Sollte eine Bestrafung des Angeklagten zu Punkt 2. nach § 302 Abs 1 StGB (etwa wegen Fehlens eines derartigen konkreten Rechtes des Kaskoversicherers) ausscheiden, wird sodann noch die (gegenüber § 302 StGB subsidiäre) allfällige Strafbarkeit nach § 311 StGB zu prüfen sein. Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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