OGH 13Os43/04

OGH13Os43/043.11.2004

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. November 2004 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Hon. Prof. Dr. Ratz, Hon. Prof. Dr. Schroll und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Diewok als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Johann W***** wegen der Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Schöffengericht vom 19. Jänner 2004, GZ 602 Hv 38/03a-17, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Der Angeklagte wurde des Verbrechens (richtig wegen Faktenmehrheit: der Verbrechen) des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er in der Zeit von Juni 2002 bis Anfang 2003 in G***** als Gendarmeriebeamter des Bezirksgendarmeriekommandos W*****, Kommandant des Gendarmeriepostens G*****, sohin als Beamter mit dem Vorsatz, den Staat in seinen Rechten auf Strafverfolgung zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes bzw des Landes Niederösterreich als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem er es unterließ, nachstehende in seinen Dienstberichten festgehaltene verwaltungsübertretungsrelevante Sachverhalte einer ordnungsgemäßen Erledigung zuzuführen bzw die erfassten Anzeigen an die zuständige Bezirksverwaltungsbehörde weiterzuleiten, und zwar:

1) eine Lärmerregung nach dem Niederösterreichischen Polizeistrafgesetz, begangen am 16. Juni 2002 durch Helmut F***** in G*****, durch lautes Radiospielen zur Nachtzeit;

2) eine Übertretung nach der Straßenverkehrsordnung, begangen am 20. Juni 2002 durch den Lenker des KKW, polizeiliches Kennzeichen *****;

3) eine Übertretung nach der StVO begangen am 20. Juni 2002 durch den Lenker des KKW, polizeiliches Kennzeichen *****;

4) eine Übertretung nach dem KFG, begangen am 20. Juni 2002 durch Josef P*****;

5) eine Übertretung nach der StVO, begangen am 29. Juni 2002 durch Thomas D***** als Lenker des PKWs mit dem polizeilichen Kennzeichen *****;

6) eine Übertretung nach der StVO, begangen am 31. Juni 2002 durch Rudolf G*****;

7) mehrere Übertretungen nach der StVO, dem KFG und dem FSG, begangen am 4. August 2002 durch Nazim T***** als Lenker des PKW mit dem polizeilichen Kennzeichen *****;

8) eine Verwaltungsübertretung, begangen am 4. August 2002 durch die Zulassungsbesitzerin Gülcan T***** durch Überlassung ihres Fahrzeuges, polizeiliches Kennzeichen *****, in verkehrswidrigem Zustand;

9) eine Übertretung nach der StVO begangen am 24. August 2002 durch Anton S***** durch Lenken eines Fahrzeuges im alkoholisierten Zustand.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 5, 5a, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, welche jedoch nicht berechtigt ist.

Zu Punkt 1. des Schuldspruches hat sich der Angeklagte damit verantwortet, dass anlässlich der Stornierung des Aktes zwar fälschlich als deren Grund die Bezahlung eines Organmandates eingetragen worden wäre, die Anzeigeerstattung jedoch wegen Erteilung einer Abmahnung unterblieben wäre. Dass eine solche erfolgt sei, habe auch der Zeuge Jürgen F***** ausgesagt (S 150/II) und der Zeuge Helmut F***** habe hiezu angegeben, dass der Angeklagte nicht mit ihm telefoniert und ihm lediglich über seinen Neffen Jürgen F***** "ausgerichtet" hätte, dass es zu einer Abmahnung gekommen sei. Das Erstgericht hat der Verantwortung des Angeklagten hiezu keinen Glauben geschenkt und dazu ausgeführt, dass eine Abmahnung, welche "wohl nur direkt" erfolgen könne, vom Angeklagten weder in einem Aktenvermerk dokumentiert noch sonst irgendwie ersichtlich gemacht worden wäre. Er könne sich somit mangels eines Vermerks zum Zeitpunkt, als er die (zugestanden) wahrheitswidrige Eintragung vornahm, unmöglich gemerkt, dass er in diesem konkreten Fall mit einer Abmahnung vorgegangen wäre, zumal er die Eintragung erst ein knappes halbes Jahr später gemacht hätte. Daraus gehe eindeutig hervor, dass der Angeklagte am 19. Dezember 2002 "sehr wohl gewusst hätte, dass es sich um einen weiterleitungswürdigen Sachverhalt handelte und er Helmut F***** nicht direkt abgemahnt" hätte. Dazu moniert die Mängelrüge aus Z 5 vierter Fall (S 214/II, S 8 Mitte der Rechtsmittelschrift), das Erstgericht habe sich in unvertretbarer Weise von grundlegenden Erfahrungssätzen entfernt, wenn es meint, eine Erinnerung an ein Geschehen, das etwa 6 Monate vor dem relevanten Zeitpunkt stattfand (nämlich eine vorgenommene Abmahnung, deren Form hier dahingestellt bleiben kann), sei unmöglich. Gleiches treffe auf Punkt 5. des Schuldspruches zu. Auch bei diesem sei die Konstatierung des Unterbleibens einer Abmahnung mit dem Hinweis auf die Unmöglichkeit der Erinnerung nach sechs Monaten (trotz der die Verantwortung bestätigenden Aussage des Zeugen Thomas D*****; S 153/II, US 13 unten) als entscheidende Tatsache offenbar unzureichend begründet.

Bei der Frage der Ermahnung, handelt es sich doch insoweit um keine entscheidende Tatsache, weil unter den im § 21 Abs 1 erster Satz VStG beschriebenen Voraussetzungen - auch ohne Ermahnung - von einer Anzeige abgesehen werden kann. Die Behauptung aber, dass der Angeklagte durch eine Abmahnung, die Voraussetzungen des Absehens von einer Anzeige (§ 21 Abs 2 VStG) angenommen habe, wird so im Rechtsmittel nicht aufgestellt; die diesbezüglich anders lautende Feststellung ist im Urteil (S 7, 9) durchaus begründet getroffen worden. Im Urteil blieb dabei keineswegs undeutlich, dass dem Angeklagten die unterlassenen Strafanzeigen als Befugnismissbrauch angelastet werden.

Der Beschwerde zu Punkt 2. entgegen haben die Tatrichter die auch die Konstatierung der inneren Tatseite stützende Feststellung, dass dem Angeklagten die mangelnde Registrierung des in der Anzeige vermerkten Kennzeichens nicht bekannt war (US 6), logisch und empirisch durchaus vertretbar auch aus der Tatsache hiezu fehlender schriftlicher Nachweise gegründet (US 12). Zu hypothetischen Überlegungen, ob es die Anfrage für das betreffende (nicht existente) Kennzeichen selbst im elektronischen Weg ohne schriftliche Dokumentation gegeben haben könne, war das Erstgericht zufolge seiner Verpflichtung zur gedrängten Darstellung der Gründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) nicht verhalten.

Ebenfalls kein Begründungsmangel wird zu Punkt 3. mit dem Hinweis auf die Verantwortung des Angeklagten und die Möglichkeit von Irrtümern und Versehen und den unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang aufgezeigt; im Übrigen lässt die Beschwerde die mängelfrei festgestellte Ortsverschiedenheit (US 5 f, 12 f) unbeachtet. Zu Punkt 4. wird eine Aktenwidrigkeit behauptet, jedoch unter Verkennung deren maßgeblichen Kriteriums der unrichtigen Wiedergabe des Inhalts einer Urkunde oder gerichtlichen Aussage. Mit welcher Behauptung der Angeklagte nämlich die Vorlage von Lichtbildern verbunden haben soll (US 13), ist den Entscheidungsgründen nicht zu entnehmen.

Aus welchem Motiv wissentlich Amtsmissbrauch begangen wurde, betrifft keine entscheidende Tatsache.

Die die subjektive Tatseite der Wissentlichkeit des Befugnismissbrauchs zu den Punkten 6. und 9. des Schuldspruches in Abrede stellenden Ausführungen missachten den mängelfrei festgestellten Wissensstand des Angeklagten als langjähriger Kommandant des Gendarmeriepostens G*****, nach welchem für das Aufsichtsorgan vom Gesetz im Falle des Verdachts der Fahrerflucht (§ 4 StVO - Punkt 6.) bzw der Alkoholisierung (§ 5 StPO - Punkt 9.) kein Ermessenspielraum, sondern Anzeigepflicht besteht (§ 99 Abs 2 lit a und Abs 1 lit a iVm § 100 Abs 5 StVO). Mit der Wiederholung der eigenen Verantwortung und der Betonung deren Richtigkeit werden Begründungsmängel gleichfalls nicht aufgezeigt.

Der daraus und aus weiteren Umständen (US 10 iVm US 15 f) gezogene Schluss auf den Schädigungsvorsatz (durch Ausschaltung der Überprüfung des Verdachts von verwaltungsrechtlich strafbarer Handlungen durch die hiefür zuständige Behörde, wobei es auf den Sachausgang nicht ankommt) ist weder unlogisch noch grundlegenden Erfahrungssätzen widersprechend.

Soweit die Rüge aus Z 5 (inhaltlich aus Z 9 lit a) Feststellungen über die teilweise allfällige Verjährung der Verwaltungsstrafdelikte zum Zeitpunkt der im Nachhinein angefertigten schriftlichen Vermerke bzw Eingaben ins EDV-System vermisst und meint, dass "in diesem Fall der Staat durch die Falscheintragung von vornherein in seinem Strafverfolgungsrecht nicht mehr geschädigt werden konnte" orientiert sie sich nicht am gesamten Sachverhaltssubstrat, nach welchem der Angeklagte seine Amtsbefugnis durch Unterlassen der Erstattung von Anzeigen bei den zur Verfolgung berufenen Behörden mit Schädigungsvorsatz - ohne Annahme einer allfälligen Verjährung durch den Angeklagten, der sich damit auch nie verantwortet hat - wissentlich missbraucht hat, und unterlässt es aus dem Gesetz darzulegen, aus welchen Gründen (entgegen der Rechtsprechung und Lehre) der Amtsmissbrauch nicht vollendet sein und es auf den Eintritt eines Schadens oder dessen Möglichkeit ankommen soll (15 Os 1/95; Bertel, WK2 § 302 Rz 119, 120).

Die Tatsachenrüge (Z 5a) zeigt mit dem (im Übrigen urteilsfremden: US 10) Argument eines fehlenden Motivs unter Kritik der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Angeklagten durch das Erstgericht keine erhebliche, sich aus den Akten ergebende Bedenken gegen die Richtigkeit der die Schuldsprüche stützenden Feststellungen entscheidender Tatsachen auf.

Das aus Z 9 lit a gegen den Punkt 2. erstattete Vorbringen, es habe von vornherein kein Strafanspruch bestanden, weil das Kennzeichen gar nicht vergeben worden wäre, orientiert sich nicht am gesamten Tatsachensubstrat des Urteils, insbesondere daran, dass ihm dieser Umstand nicht bekannt war (US 6) und er Nachforschungen darüber mit Schädigungsvorsatz unterlassen hat (vgl Bertel aaO Rz 119, 120). Soweit die Rechtsrüge nicht nur zu diesem Faktum, sondern "allgemein" Feststellungen darüber vermisst, dass der Angeklagte immer berücksichtigt hätte, ob ein aufrechter Strafverfolgungsanspruch des Staates mit realistischer Aussicht auf Bestrafung gegeben gewesen sei, wird die Urteilsannahme übergangen, wonach der Verantwortung des Beschwerdeführers, es seien seiner Meinung nach nicht anzeigewürdige Sachverhalte vorgelegen, ausdrücklich unter Konstatierung des zumindest bedingten Schädigungsvorsatzes nicht gefolgt wurde (US 15, 16).

Das zu den Schuldspruchpunkten 7. und 8. bezüglich angeblich vorgenommener Abmahnungen behauptete Feststellungsdefizit lässt die (bereits bei der Behandlung der Mängelrüge zu den Fakten 1. und 5. erwähnten) Konstatierungen des Vorliegens verwaltungsbehördlich zu ahndenden strafbaren Verhaltens und der diesbezüglich angenommenen subjektiven Tatseite außer Acht (US 9).

Die "vorsichtshalber" erhobene Subsumtionsrüge (Z 10) für den Fall, "dass doch ein Urkundendelikt angenommen würde" bleibt undeutlich und unbestimmt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war somit bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO), sodass über die Berufung das Oberlandesgericht Wien zu entscheiden hat (§ 285i StPO). Die Kostenentscheidung gründet sich auf die Gesetzesstelle.

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