OGH 2Ob98/05h

OGH2Ob98/05h14.6.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Dr. Baumann, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Veith als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj Markus M*****, vertreten durch Peter und Waltraud Mühlbacher, ebendort, diese vertreten durch Rechtsanwaltspartner Pennerstorfer-Haftner-Schobel- Fischer in St. Pölten, wider die beklagten Parteien 1.) Ing. Harald H*****, und 2.) W***** V*****-AG, *****, beide vertreten durch Dr. Günther Romauch und Dr. Thomas Romauch, Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 20.000 sA und Feststellung (Streitwert EUR 2.000), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 30. November 2004, GZ 14 R 233/04v-11, womit das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 7. Juli 2004, GZ 1 Cg 99/04v-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Dem Erstgericht wird eine neuerliche Entscheidung nach

Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der 20-jährige Bruder des am 7. 4. 1993 geborenen Klägers wurde am 7. 4. 2003 bei einem vom Erstbeklagten, dessen PKW zum Unfallszeitpunkt bei der Zweitbeklagten haftpflichtversichert war, verursachten und verschuldeten Verkehrsunfall getötet.

Der Kläger begehrte von den Beklagten Zahlung von EUR 20.000 sA sowie die Feststellung deren Haftung für sämtliche künftige Schäden aus dem Unfall vom 7. 4. 2003 und brachte dazu im Wesentlichen vor:

Der Erstbeklagte habe das Fahrzeug in alkoholisiertem Zustand (0,3 mg/l Atemalkoholgehalt) mit überhöhter Geschwindigkeit gelenkt und sei dadurch mit dem rechten Räderpaar auf das Bankett und danach ins Schleudern geraten. Der PKW sei quer über die Fahrbahn auf den Fahrstreifen des Gegenverkehrs gerutscht und mit der Front des entgegenkommenden PKWs des Bruders des Klägers zusammengestoßen. Der Erstbeklagte habe dadurch grob fahrlässig den Tod des Bruders des Klägers herbeigeführt. Der Kläger habe aufgrund der Todesnachricht einen schweren Schockschaden, der Krankheitswert erreiche, erlitten; er sei mit seinem verstorbenen Bruder eng verbunden gewesen, weshalb er Anspruch auf Schmerzengeld von EUR 20.000 habe. Das Feststellungsbegehren sei berechtigt, weil Spätfolgen nicht ausgeschlossen werden könnten. Der Schmerzengeldanspruch bestehe auch dann, wenn sich herausstellen sollte, dass die seelischen Schmerzen keinen Krankheitswert erreichten, weil der Unfall vom Erstbeklagten grob fahrlässig herbeigeführt worden sei.

Die Beklagten wendeten ein, der Kläger als Bruder des Verstorbenen sei nicht als begünstigter Angehöriger anzusehen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ohne Durchführung eines Beweisverfahrens ab. Es führte aus, nach neuerer Rechtsprechung gebühre auch nahen Angehörigen eines Getöteten für den ihnen verursachten Schockschaden mit Krankheitswert ein Schmerzengeld, da sie in ihrem Recht auf körperliche Unversehrtheit als unmittelbar Geschädigte anzusehen seien. Der Angehörigenbegriff umfasse nur Personen, bei denen in der Rechtsordnung eine typische Verbindung mit der verstorbenen Person in einer Weise verankert sei, dass der Schockschaden als typische Folge der Verletzungshandlung gesehen werden könne. Geschwister des Verunfallten seien vom Kreis der nahen Angehörigen - der eng zu sehen sei, um der Gefahr des Ausuferns von Ansprüchen zu begegnen - nicht erfasst. Der Kläger zähle daher nicht zum Kreis der nahen Angehörigen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es gab die Lehre (Karner, Psychische Beeinträchtigung, Schockschäden und Angehörigenschmerzengeld in der aktuellen Judikatur, Richterwoche 2002, 335; Danzl, Schmerzengeldansprüche für Angehörige der Opfer des Unglücks von Kaprun?, ZVR 2000, 402) und auch die Schweizerische Lehre zu Art 47 OR (Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht I5, § 8 Rz 87; Berner Kommentar, Bd VI, Rz 31 zu Art 47) wieder und betonte den Umstand, dass ein allzu großes Ausufern der Ersatzansprüche vermieden werden sollte, weshalb dies für eine besonders restriktive Definition des Angehörigenkreises, aus dem man die Geschwister schlechthin herausnehmen könne, spreche. Die Heranziehung der Lehre und Judikatur zum Schweizerischen Art 47 OR verbiete sich wegen der unterschiedlichen Rechtslage. Die erstmalige Anerkennung eines Schockschadens für Geschwister sei eine Angelegenheit der Rechtsfortbildung, die dem Gesetzgeber vorbehalten bleibe; in der Ablehnung des bloß durch das Anhören der Todesnachricht verursachten Schockschadens von Geschwistern sei kein Rechtsirrtum zu erblicken.

Die ordentlichen Revision sei zulässig, weil die Entscheidung von einer Rechtsfrage des materiellen Rechts abhänge, der zur Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukomme und zu der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehle.

Gegen diese Berufungsentscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinn abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagten beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne des Eventualantrages berechtigt. Der erkennende Senat beurteilte erst jüngst in seiner Entscheidung vom 23. 5. 2005, 2 Ob 99/05f, das gleichlautende Klagebegehren der älteren Schwester des Klägers, das von den Vorinstanzen ebenfalls abgewiesen worden war. In dieser - die Urteile der Vorinstanzen aufhebenden - Entscheidung wurden unter Berücksichtigung der Lehre und der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, insbesondere der Entscheidung 2 Ob 90/05g, die Voraussetzungen dargelegt, unter denen einen Schockschaden behauptende und/oder Trauerschmerzengeld begehrende Geschwister eines Unfallopfers zum anspruchsberechtigten Kreis der „nahen Angehörigen" zu zählen sind. Danach kommt es auf das Bestehen einer intensiven Gefühls-Gemeinschaft an, wie sie zwischen nächsten Angehörigen typisch ist, und die bei einem Krankheitswert erreichenden Schockschaden und vorgelegener oder erst kurz vor dem Unfall beendeter Haushaltsgemeinschaft bereits als erwiesen anzusehen ist. Da das Vorliegen dieser Voraussetzungen auch im Falle des Klägers streitentscheidend ist, genügt es, auf die dort angeführten Erwägungen zu verweisen.

Das Erstgericht wird somit im fortgesetzten Verfahren mit den Parteien den Sachverhalt im Sinne dieser Ausführungen zu erörtern und das Verfahren sodann zu ergänzen haben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Stichworte