OGH 8Ob25/05t

OGH8Ob25/05t17.3.2005

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende und den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuras und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Lovrek, Dr. Fichtenau und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Nadja N*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters Peter N*****, vertreten durch Dr. Sieglinde Lindmayr ua, Rechtsanwälte-OEG in Liezen, gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 19. Jänner 2005, GZ 1 R 1/05g-36, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Gem § 203 Abs 7 AußStrG 2005 (BGBl Nr 112/2003) sind die Bestimmungen über den Rekurs und den Revisionsrekurs mit Ausnahme des § 52 (§§ 45 bis 51 und 53 bis 71) nur dann anzuwenden, wenn das Datum der Entscheidung erster Instanz nach dem 31. Dezember 2004 liegt. Auf alle vorher ergangenen Entscheidungen sind die bisher in Geltung gestandenen Vorschriften über Rechtsmittel weiter anzuwenden. Im Hinblick auf das Datum der erstinstanzlichen Entscheidung (9. 11. 2004) sind daher im Revisionsrekursverfahren die „alten" Bestimmungen anzuwenden. Im rekursgerichtlichen Verfahren galt allerdings bereits § 52 AußStrG 2005.

§ 52 erster Satz AußStrG 2005 ordnet an, dass das Rekursgericht eine mündliche Rekursverhandlung durchzuführen hat, wenn es eine solche für erforderlich erachtet. Die Regierungsvorlage (Erläut RV 224 BlgNR 22. GP 50) hält dazu wörtlich fest: „Ob eine Beweiswiederholung oder eine mündliche Verhandlung notwendig ist, hat das Rekursgericht zu entscheiden. Hält das Rekursgericht eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich, so braucht es selbst dann keine durchzuführen, wenn eine mündliche Verhandlung für das Verfahren erster Instanz zwingend vorgeschrieben ist. Bei komplexen Beweiswiederholungen könnte freilich eine mündliche Verhandlung zur Wahrung der Unmittelbarkeit und des rechtlichen Gehörs dermaßen dringend geboten sein, dass ihre Unterlassung das Rekursverfahren mangelhaft macht".

Dass die Durchführung einer mündlichen Rekursverhandlung nicht zwingend vorgeschrieben ist, ergibt sich eindeutig aus dem mit den Materialien im Einklang stehenden Gesetzeswortlaut des § 52 erster Satz AußStrG 2005. Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes liegt dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn das Gesetz selbst eine klare, das heißt eindeutige, Regelung trifft (RIS-Justiz RS0042656). Die Auslegung, dass nach § 52 erster Satz AußStrG 2005 eine mündliche Rekursverhandlung nicht zwingend vorgeschrieben ist, begründet somit keine erhebliche Rechtsfrage. Der in diesem Zusammenhang erhobene Vorwurf des Revisionsrekurswerbers, ihm sei im erstinstanzlichen Verfahren kein Gehör gewährt worden, ist unbegründet: Der im erstinstanzlichen Verfahren in Übereinstimmung mit § 5 Abs 2 des Bundesgesetzes über die Durchführung des Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (BGBl Nr. 513/1988) von einer Rechtspflegerin des Erstgerichtes ausreichend vertretene Kindesvater, dem im Rekursverfahren die Verfahrenshilfe durch Beigebung eines Rechtsanwaltes bewilligt wurde, wurde zu der vom Erstgericht am 15. 10. 2004 abgehaltenen Tagsatzung unter Hinweis darauf persönlich geladen, dass Thema dieser Tagsatzung jedenfalls auch die „Kindesentführung" sei. Der Kindesvater hat an dieser Tagsatzung ohne Hinweis auf einen konkreten Hinderungsgrund nicht teilgenommen.

Dass das Erstgericht ein Sachverständigengutachten einholte, wurde im Rekursverfahren nicht gerügt. Selbst wenn man die Nachholung dieser im Rekursverfahren nicht erhobenen Mängelrüge aus Gründen des Kindeswohls ausnahmsweise für zulässig erachten wollte, wäre damit für den Revisionsrekurswerber nichts gewonnen. Als Beweismittel kommt im Verfahren außer Streitsachen, in dem der Grundsatz der Unbeschränktheit der Beweismittel herrscht, alles in Betracht, was zur Feststellung des Sachverhaltes dienlich ist. Dazu zählen auch Sachverständige (9 Ob 23/03b mwN).

Nach Art 3 lit a und b des Haager Übereinkommens vom 25. 10. 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ) gilt das Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes als widerrechtlich, wenn dadurch ein Sorgerecht verletzt wird und dieses Recht im Zeitpunkt des Verbringens oder Zurückhaltens allein oder gemeinsam tatsächlich ausgeübt wurde oder ausgeübt worden wäre, falls das Verbringen oder Zurückhalten nicht stattgefunden hätte. Nach Art 13 Abs 1 lit b HKÜ besteht die Verpflichtung zur sofortigen Rückgabe des Kindes nur dann nicht, wenn der Elternteil, der sich der Rückgabe des Kindes widersetzt, nachweist, dass die Rückgabe mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden ist oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage bringt. Ob das Kindeswohl im Sinne dieser Bestimmung bei einer Rückgabe an den antragstellenden Elternteil gefährdet wäre, ist eine von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls abhängige Frage, der im allgemeinen keine über den zu beurteilenden Fall hinausgehende Bedeutung zukommt (RIS-Justiz RS0112662; 4 Ob 44/04f; 9 Ob 23/03b). Entgegen dem Vorwurf des Revisionsrekurswerbers ist nicht zu erkennen, warum dem Rekursgericht bei der Annahme des Ausnahmetatbestandes ein krasser Beurteilungsfehler unterlaufen sein soll. Auch nach Art 13 Abs 1 lit b HKÜ ist maßgebliches Kriterium das Kindeswohl. Dem Übereinkommen liegt der Gedanke zugrunde, dass die Rückführung des Kindes dessen Wohl dient, weil es das wirkliche Opfer der Entführung ist und Kindesentführungen durch dieses Übereinkommen verhindert werden sollen, doch kann das konkrete Kindeswohl einer Rückgabe aus den in Art 13 Abs 1 lit b genannten Gründen dennoch entgegenstehen (RIS-Justiz RS0106455; 9 Ob 23/03b). Die Vorinstanzen haben unter Zugrundelegung des Sachverständigengutachtens festgestellt, dass sich die Minderjährige in ihrer neuen Umgebung in Österreich gut eingelebt habe und dass bei einer Rückführung des Kindes zum Vater die schwerwiegende Gefahr eines seelischen Schadens der 10-jährigen Minderjährigen - die sich selbst einer Rückführung ausdrücklich widersetzt - bestehen würde. Ob das Sorgerecht des Vaters von diesem tatsächlich ausgeübt wurde, ist hier nicht wesentlich. Nach den bindenden Feststellungen der Vorinstanzen ist die Bejahung eines Rückführungshindernisse iSd Art 13 Abs 1 lit b HKÜ jedenfalls als vertretbar zu beurteilen. Es kommt daher nicht darauf an, ob die Voraussetzungen des Art 13 Abs 1 lit a HKÜ (Sorgerecht und tatsächliche Ausübung desselben - s. 6 Ob 135/03a; 8 Ob 368/97v) überhaupt kumulativ vorliegen.

Stichworte