Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Schuld werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Strafe und über die privatrechtlichen Ansprüche sowie der Staatsanwaltschaft wegen des Ausspruchs über die Strafe werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet. Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, welches auch einen rechtskräftigen Teilfreispruch enthält, wurde Franz Ernst K***** des Vergehens (richtig: der Vergehen) des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen nach § 207b Abs 3 StGB (zu I) und des Verbrechens (richtig: der Verbrechen) des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (zu II) schuldig erkannt.
Danach hat er in Rum
I. von Februar 2003 bis Ende Juli 2003 den am 20. April 1988 geborenen Osaroba A*****, der das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, durch Geld- und Sachzuwendungen, sohin unmittelbar durch ein Entgelt, dazu verleitet, wiederholte Male eine geschlechtliche Handlung, nämlich Analverkehr, an ihm vorzunehmen oder von ihm an sich vornehmen zu lassen.
II. ab 4. Jänner 1999 bis 6. März 2000 mit dem am 7. März 1986 geborenen, sohin im Tatzeitraum unmündigen, Ümit S***** wiederholte Male aktiven und passiven Analverkehr, sohin eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung, unternommen. Diese Schuldsprüche bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Gründe der Z 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde sowie mit "Berufung wegen Schuld".
Rechtliche Beurteilung
Während die im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehene Schuldberufung als unzulässig zurückzuweisen war, kommt der Nichtigkeitsbeschwerde aus den in der Stellungnahme der Generalprokuratur angeführten Gründen keine Berechtigung zu:
In der Verfahrensrüge (Z 4) macht der Beschwerdeführer eine Verletzung von Verteidigungsrechten zunächst deshalb geltend, weil sein Widerspruch gegen Vorführung der Videoaufzeichnung über die kontradiktorische Zeugenvernehmung des Osarobo A***** vom 24. Oktober 2003 (ON 7) in der Hauptverhandlung am 19. April 2004 erfolglos geblieben und sein Antrag auf nochmalige Vernehmung dieses Zeugen in der Hauptverhandlung zu Unrecht abgewiesen worden sei (vgl S 359 bis 365). In Wahrheit habe nämlich am 24. Oktober 2003 eine "ordentliche kontradiktorische Vernehmung überhaupt nicht stattgefunden", weil "alle seine damals gestellten Fragen nicht zugelassen worden seien", sohin "der Verteidiger seine Rechte faktisch nicht wahrnehmen" habe können.
Dieses Vorbringen geht indes fehl. Abgesehen davon, dass sich der Beschwerdeführer erst geraume Zeit nach der Vorführung der Videoaufzeichnung gegen deren "Zulassung und Verwendung" ausgesprochen hat (S 359 bis 361), widerspricht die Behauptung, dem Verteidiger sei bei der Zeugenvernehmung vom 24. Oktober 2003 (ON 7) keine Gelegenheit gegeben worden, Fragen an den Zeugen zu stellen (§ 162a Abs 1 StPO), der Aktenlage. Denn danach wurden erst nach einer länger dauernden Befragung des Zeugen durch den Verteidiger weitere Fragen nicht mehr zugelassen (vgl S 127 bis 141). Aus dem Wortlaut der jeweiligen Fragen nicht ersichtliche Anhaltspunkte dafür, inwiefern sich die Hinderung der Beantwortung nachteilig für den Beschwerdeführer ausgewirkt habe, werden nicht dargetan. Im Übrigen hat sich der Angeklagte (wie auch die anderen Verfahrensparteien) in der fortgesetzten Hauptverhandlung am 23. Juli 2004 mit der Verlesung und der Verwertung des gesamten Akteninhaltes samt Beilagen (sogar unter Verzicht auf "ausdrückliche" Verlesung) einverstanden erklärt (S 459), sodass die Aussage des in Rede stehenden Zeugen jedenfalls recte Eingang in das Verfahren gefunden hat. Davon ausgehend hätte es anlässlich der in der Hauptverhandlung wiederholt gestellten (S 361, 411, 459) Anträge auf nochmalige Vernehmung des Zeugen Osarobo A***** der Darlegung bedurft, aus welchen Gründen erwartet werden könne, dass dieser Zeuge bei einer neuerlichen Einvernahme von seinen bisherigen Angaben in entscheidungswesentlichen Umständen abweichen werde. Eine derartige Begründung für das behauptete Erfordernis der beantragten nochmaligen Zeugenvernehmung hat der Angeklagte jedoch unterlassen.
Dem (an jedem Verhandlungstag wiederholten) Antrag, die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung auszuschließen, den der Angeklagte vorerst gar nicht (S 299), bei den späteren Verhandlungstagen mit dem "Vorliegen eines Sittlichkeitsdeliktes" begründete (S 381, 457), wurde vom Erstgericht "zum Schutz der Betroffenen" nur für die Dauer der Vernehmung des Zeugen Ümit S***** sowie der Abspielung der im Vorverfahren über die Vernehmung des Zeugen Osarobo A***** aufgenommenen Videokassette stattgegeben (S 299, 335 bis 359). Die darüber hinausgehende Antragstellung des Angeklagten hat das Erstgericht hingegen "mangels ausreichender Gründe im Sinn des § 229 Abs 1 StPO" abgewiesen (S 383, 457). Zu Unrecht erblickt der Angeklagte in dieser Ablehnung seiner Anträge auf (gänzlichen) Ausschluss der Öffentlichkeit eine Verletzung der Grundsätze eines fairen Verfahrens sowie seiner "wesentlichen Schutzrechte". Er übersieht nämlich, dass die (in § 228 Abs 1 StPO bei sonstiger Nichtigkeit im Sinn der Z 3 des § 281 Abs 1 StPO vorgeschriebene) Öffentlichkeit der Hauptverhandlung nur ausnahmsweise, nämlich aus Gründen der Sittlichkeit oder der öffentlichen Ordnung ausgeschlossen werden darf (§ 229 Abs 1 erster Satz StPO). Der - hier in der Hauptverhandlung geltend gemachte - Umstand allein, dass vom Gericht über ein Sittlichkeitsdelikt abzusprechen ist, reicht als Grund für den beantragten Ausschluss der Öffentlichkeit nicht hin. Im Übrigen hat sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung (wie schon im Vorverfahren) leugnend verantwortet, sodass nicht erkennbar ist, an welchem für ihn günstigeren Aussageverhalten er durch den unterlassenen Ausschluss der Öffentlichkeit für die ganze Verhandlung gehindert worden sei. Damit ist jedenfalls ein nachteiliger Einfluss auf die Entscheidung im Sinn des § 281 Abs 3 StPO auszuschließen (vgl Mayerhofer, StPO5 § 229 Rz 9; 14 Os 158/94).
Der in der allein den Schuldspruch II betreffenden Mängelrüge (Z 5) behauptete Nichtigkeitsgrund fehlender bzw unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) entscheidungswesentlicher Tatsachen liegt nicht vor.
Der Ausspruch über eine entscheidende Tatsache ist nämlich nur dann unbegründet geblieben, wenn dem Urteil nicht entnommen werden kann, wie das Gericht zu seiner Feststellung gelangte. Offenbar unzureichend begründet ist eine Feststellung wiederum nur dann, wenn sie sich auf eine willkürliche Annahme des Gerichtes stützt, dh dieses ohne Begründung aus den konkreten Umständen des Falles nach den Ergebnissen des Beweisverfahrens ungeklärt gebliebene Umstände einfach zum Nachteil des Angeklagten ergänzt hat. Eine mit einer denkrichtigen Begründung versehene Feststellung einer Tatsache unterliegt dagegen keiner Anfechtung aus Z 5 vierter Fall. Auf die Behauptung, dass aus den vorliegenden Umständen auch andere Schlüsse gezogen werden könnten und dass die Schlüsse des Urteils nicht zwingend seien, kann der Nichtigkeitsgrund der Z 5 daher nicht gestützt werden (Mayerhofer, aaO § 281 Z 5 Rz 134, 135, 145). Die bekämpfte Feststellung der schon bei Tatbegehung (zu II) vorhandenen Kenntnis des Angeklagten vom (unmündigen) Alter des Zeugen Ümit S***** wurde von den Tatrichtern damit begründet, dass der Angeklagte in einer schwarzen Mappe, in der sich ua auch die Monatspläne ab 1. Jänner 2003 befinden, den Geburtstag dieses Zeugen samt Geburtsjahr eingetragen und dass der Angeklagte auch schon in den Monatsplänen am 7. März 1999 und am 7. März 2000 den Geburtstag des Zeugen vermerkt hat (US 13).
Einen Denkfehler erblickt der Beschwerdeführer darin, dass aus der bloßen Eintragung der Geburtstage in den Monatsplänen der Jahre 1999 und 2000 die Kenntnis des Angeklagten vom (erst Jahre später vermerkten) Geburtsjahr des Ümit S***** nicht abgeleitet werden könne. Hiebei übersieht er jedoch, dass das Erstgericht seine Feststellung auch auf das Eingeständnis des Angeklagten stützen konnte, zum Tatopfer jedenfalls eine freundschaftliche Beziehung, die in gemeinsamer Freizeitgestaltung und in wiederholten Besuchen des Unmündigen in seiner Wohnung zum Ausdruck kam, gepflogen zu haben (US 6). Unter diesem Aspekt der vom Beschwerdeführer zugestandenen, vom Erstgericht jedenfalls als gegeben angenommenen, engen Beziehung zum damals noch 12-jährigen Ümit S***** schon zu Beginn der Tathandlungen in Verbindung mit dem Vermerk der Geburtstage des Genannten in den vom Angeklagten geführten Monatskalendern ist die bekämpfte Feststellung keineswegs willkürlich begründet.
Die Tathandlungen zu II konnte das Schöffengericht angesichts der leugnenden Verantwortung des Angeklagten und der sie bestätigenden (vom Erstgericht für unglaubwürdig erachteten, vgl US 13) Angaben des Zeugen Ümit S***** nur auf den Inhalt der vom Angeklagten verfertigten Monatspläne stützen. Soweit der Angeklagte in diesem Zusammenhang die Annahme des Erstgerichtes, dass das Kürzel "Ü" in den Monatsplänen "ohne Zweifel für Ümit steht" (vgl US 10), als unbegründet kritisiert, übersieht er, dass das Erstgericht seiner Beweiswürdigung auch die Verantwortung des Angeklagten zu Grunde gelegt und der Beschwerdeführer den nunmehr bekämpften Umstand bei seiner verantwortlichen Abhörung im Vorverfahren ausdrücklich bestätigt (S 157i) und in der Hauptverhandlung seine früheren Angaben aufrechterhalten hat (S 301).
Die Annahme, der Angeklagte habe auch mit dem Zeugen S***** (in gleicher Art wie mit dem Zeugen A*****) Analverkehr durchgeführt bzw solchen an sich durchführen lassen, haben die Tatrichter - der Mängelrüge zuwider - sehr wohl begründet (vgl US 12). Erörterungsbedürftige Angaben zu entscheidungswesentlichen Tatumständen sind der Zeugenaussage der Derya Y***** (Freundin des Ümit S*****), nicht zu entnehmen (vgl S 405 f). Weil das Erstgericht dem Zeugen Ümit S***** generell die Glaubwürdigkeit abspricht (US 13), war es auch nicht verhalten, dessen Angaben mit den Eintragungen des Angeklagten in den Monatsplänen zur Überprüfung ihrer Richtigkeit zu vergleichen.
Die Tatsachenrüge (Z 5a) richtet der Beschwerdeführer wiederum gegen beide Schuldspruchpunkte. Er beschränkt sich dabei indes auf eine Wiedergabe von Urteilsfeststellungen und den Verweis auf die (ausschließlich gegen den Schuldspruch II gerichtete) Mängelrüge. Mit seinem auch sonst substratlosen Hinweis auf die (unbegründete) Mängelrüge vermag der Angeklagte aber auch erhebliche Bedenken an der Richtigkeit der Feststellungen über den schweren sexuellen Missbrauch am unmündigen Ümit S***** nicht zu erwecken.
Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher schon in nichtöffentlicher Beratung als offenbar unbegründet zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichtes Innsbruck zur Entscheidung über die weiteren Berufungen des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Strafe und über die privatrechtlichen Ansprüche sowie der Staatsanwaltschaft wegen des Ausspruchs über die Strafe folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung ist in § 390a Abs 1 StPO begründet.
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