OGH 14Os147/04

OGH14Os147/0415.2.2005

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Februar 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner, Hon. Prof. Dr. Ratz, Dr. Philipp und Hon. Prof. Dr. Schroll als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Petö als Schriftführer, in der Strafsache gegen Roland D***** wegen der Verbrechen nach § 28 Abs 2 erster Fall SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Schöffengericht vom 13. Oktober 2004, GZ 10 Hv 21/04d-15, nach Anhörung des Generalprokurators in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch I.2., demgemäß auch im Strafausspruch - jedoch unter Aufrechterhaltung des Einziehungserkenntnisses - aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Roland D***** des Vergehens nach § 27 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG (I.1.), der Verbrechen nach § 28 Abs 2 erster Fall SMG (I.2.) und des Vergehens der Entziehung von Energie nach § 132 Abs 1 StGB (II.) schuldig erkannt. Danach hat er

I. in Franking und andernorts den bestehenden Vorschriften zuwider

1. seit mehreren Jahren bis 28. Mai 2004 Cannabisprodukte erworben und besessen,

2. zwischen Februar und 28. Mai 2004 Suchtgift zweimal in einer großen Menge (§ 28 Abs 6 SMG), nämlich insgesamt 889,9 Gramm Cannabiskraut (42 +/- 2 Gramm Delta-9-THC "Reinsubstanz"), erzeugt,

II. zwischen Mitte Februar und 28. Mai 2004 mit dem Vorsatz, sich unrechtmäßig zu bereichern, aus einer Anlage, die der Zuführung von Energie dient, nämlich der Hausanschlussleitung der Energie AG Oberösterreich für das Haus in Eggenham Nr. 15, Energie im Gesamtwert von 1.142,65 Euro entzogen, indem er über eine selbst montierte Abzweigedose eine eigene Stromleitung legte und damit verschiedene elektrische Geräte betrieb.

Rechtliche Beurteilung

Der ausschließlich gegen den Schuldspruch I.2. gerichteten, auf § 281 Abs 1 Z 4, 5a und 9a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt Berechtigung zu.

In der Verfahrensrüge (Z 4) moniert der Beschwerdeführer (im Ergebnis) zu Recht die - entgegen der zwingenden Vorschriften des § 238 StPO erfolgte - Abweisung des in der Hauptverhandlung vom 13. Oktober 2004 gestellten Antrages auf Ergänzung der kriminaltechnischen Untersuchung zum Reinheitsgehalt der sichergestellten Cannabisprodukte. Dieses Beweisbegehren begründete der Verteidiger damit, dass nur eine kleine Stichprobe von blühenden Pflanzen untersucht worden sei; würde man hingegen auch nicht in der Blüte stehende Pflanzen berücksichtigen, ergäbe sich insgesamt eine Reinsubstanz unter 20 g (S 110).

Tatsächlich erweist sich der Untersuchungsbericht der Bundespolizeidirektion Linz bzw der Kriminaltechnischen Zentralstelle beim Bundesministerium für Inneres (S 27 bis 39) als aufklärungs- und erörterungsbedürftig. Die Bundespolizeidirektion Linz (Kriminaltechnische Untersuchungsstelle) übermittelte insgesamt vier Analysenproben an die Kriminaltechnische Zentralstelle beim Bundesministerium für Inneres zur quantitativen Befundung und Beurteilung, ob eine "große Menge" iSd § 28 Abs 2 und 6 SMG vorliegt (S 27 bis 29). Laut Übermittlungsbericht der Bundespolizeidirektion Linz (S 29) bestand der sichergestellte Aufgriff S4020-G70Y aus 875,9 g Blütenständen und Blüten, wovon eine 100 Gramm-Probe (Probe 1) an die Kriminaltechnische Zentralstelle beim Bundesministerium für Inneres zur Untersuchung weitergeleitet wurde. Dagegen ist dem Untersuchungsbericht des Bundesministeriums für Inneres (S 33) zu entnehmen, dass die übermittelten 100 Gramm (S4020-G70Y) Kraut und Blüten beinhalteten. Aufgrund dieser unterschiedlichen Angaben über die Zusammensetzung der Gesamtmenge von 875,9 g und der daraus gezogenen und untersuchten Probe 1 ist eine Beurteilung darüber, ob diese Probe als ein für die Gesamtmenge repräsentativer Querschnitt angesehen werden kann, nicht möglich. Schließlich ist auch das Ergebnis der Untersuchung, wonach "hochgerechnet" der gesamte beim Angeklagten sichergestellte Aufgriff eine Reinsubstanz von 42+/-2,0 g Delta-9-THC enthalte, nicht einwandfrei nachzuvollziehen: Ausgehend von einem Delta-9-THC Gehalt von 4,7%+/-0,23% in der Probe 1 (S 37) ergibt sich hochgerechnet auf die gesamte Menge von 875,90 g richtigerweise ein Reinheitsgrad von 41,17 g und nicht 42 g Delta-9-THC. Unter Berücksichtigung der möglichen Abweichung von 0,23% nach unten errechnet sich überhaupt nur eine Reinsubstanz an Wirkstoff von 39,15 Gramm, sodass in diesem Fall das Zweifache der Grenzmenge für THC (20 g) nicht mehr erreicht wird. Ob die Reinsubstanz an THC tatsächlich dem Zweifachen entspricht, stellt aber einen erheblichen Umstand des Beweisverfahrens dar. Im Hinblick auf die (die zweifache Grenzmenge iSd § 28 Abs 6 SMG iVm Anhang V der Suchtgift-Grenzmengenverordnung gerade noch überschreitende) Reinsubstanzmenge von 42 g Delta-9-THC und die aufgezeigten Befundmängel stellt die Abweisung des Antrages auf ergänzende Untersuchung eine Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers dar.

Das Urteil war daher im angefochtenen Schuldspruch I.2. sowie demgemäß im Strafausspruch bei nichtöffentlicher Beratung sofort aufzuheben und diesbezüglich die Verfahrenserneuerung anzuordnen (§ 285e StPO).

Im nachfolgenden Verfahren wird das Erstgericht durch Ergänzung der kriminaltechnischen Untersuchung eine Klärung der tatsächlichen beim Angeklagten vorgefundenen Suchtgiftmenge vorzunehmen haben. Damit erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen. Anzumerken bleibt allerdings zum geltend gemachten Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO (der Sache nach Z 10), dass durch eine auf einem Willensakt beruhende Handlung idealkonkurrierend auch mehrere strafbare Handlungen verwirklicht werden können (vgl Ratz in WK2 Vorbemerkungen zu §§ 28-31 Rz 11 ff; Leukauf/Steininger Komm3 § 28 RN 3ff). Der Oberste Gerichtshof hat zu § 28 Abs 2 vierter Fall SMG bereits wiederholt ausgesprochen, dass es angesichts materiellrechtlicher Gleichwertigkeit von Real- und Idealkonkurrenz für die Anzahl begründeter (gleichartiger) Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall SMG keinen Unterschied macht, ob die jeweils großen Mengen (= Grenzmengen im Sinne des § 28 Abs 6 SMG) tateinheitlich oder tatmehrheitlich in Verkehr gesetzt wurden. Wird vorsätzlich eine Suchtgiftmenge in Verkehr gesetzt, deren Reinsubstanz an Wirkstoff dem Zweifachen oder Mehrfachen der Grenzmenge entspricht, werden dadurch mehrere Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall SMG verwirklicht. Für diese rechtliche Beurteilung ist es gleichgültig, ob die Suchtgiftmenge durch einen Einzelakt oder, wenn der Wille des Täters von vornherein die kontinuierliche Begehung und den daran geknüpften Additionseffekt mitumfasste, sukzessiv in Verkehr gesetzt wurde (RIS-Justiz RS0117463). Auch für den vorliegenden Fall des Erzeugens von Suchtgift nach § 28 Abs 2 erster Fall SMG gilt daher, dass nach Erreichung der Grenzmenge "gedanklich abzutrennen" ist und die weitere Menge ein weiteres Verbrechen nach § 28 Abs 2 erster Fall SMG verwirklicht, sofern die Grenzmenge neuerlich überschritten wird. Ist dies nicht der Fall, ist die Erzeugung der Restmenge nach § 27 Abs 1 dritter Fall SMG oder als versuchtes Erzeugen einer großen Menge Suchtgift nach § 15 StGB, § 28 Abs 2 erster Fall SMG zu bestrafen (vgl RIS-Justiz RS0117462). In Hinblick auf die Kassation des angefochtenen Schuldspruchs und die daraus resultierende Aufhebung des Strafausspruchs war der Angeklagte mit seiner Berufung auf diese Entscheidung zu verweisen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO (vgl Lendl, WK-StPO § 390a Rz 7).

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