OGH 1Ob299/04h

OGH1Ob299/04h25.1.2005

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache des Antragstellers Mag. Kurt S*****, vertreten durch Dr. Lothar Hofmann, Rechtsanwalt in Wien, wider die Antragsgegnerin Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen 72.672,83 EUR, infolge der Revisionsrekurse beider Teile gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 28. Oktober 2004, GZ 43 R 444/04v-66, womit infolge der Rekurse beider Teile der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 11. Juni 2004, GZ 59 Nc 26/03t-57, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revisionsrekurse werden zurückgewiesen.

Beide Teile haben die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortungen selbst zu tragen.

Text

Begründung

Der am 24. 10. 1932 geborene Antragsteller, ein österreichischer Staatsbürger, wurde am 6. 11. 1952 auf Grund einer Verfügung der damaligen sowjetischen Besatzungsmacht in Österreich verhaftet und im sowjetischen Militärgefängnis in Baden angehalten. Am 16. 12. 1952 verurteilte ihn ein sowjetisches Militärtribunal wegen Spionage zu einer Freiheitsstrafe von 25 Jahren. Danach wurde er auf dem Weg über einige "Schublager" in ein russisches "Spezialgefängnis" verbracht und war dort unter "unmenschlichen Bedingungen" inhaftiert. Der Antragsteller durfte nicht arbeiten, er wurde geschlagen, dauernd verhört, schlecht verpflegt und von der Außenwelt abgeschnitten. Nach der Unterzeichnung des Staatsvertrags von Wien wurde er am 25. 6. 1955 freigelassen. Daraufhin kehrte er nach Österreich zurück. Mit Verfügung der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation vom 5. 8. 1997 wurde er als ein Opfer politischer Repression rehabilitiert. "Hätte Österreich im Staatsvertrag 1955 nicht zu Lasten seiner Staatsangehörigen auf Ansprüche irgendwelcher Art gegen die Alliierten und assoziierten Mächte, soweit sie sich unmittelbar aus dem zweiten Weltkrieg oder aus Nachkriegsmaßnahmen ergaben, verzichtet, so hätte der Antragsteller Anspruch auf Entschädigung nach dem Gesetz der Russischen Föderation über die Rehabilitierung von Opfern politischer Repression in Höhe von 69 EUR gehabt. Durch den Verzicht Österreichs konnte der Antragsteller die ihm nach dem Rehabilitierungsgesetz zustehende Entschädigung nicht mit Aussicht auf Erfolg geltend machen."

Das Erstgericht erkannte dem Antragsteller 69 EUR zu und erwähnte im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung auch, das Rehabilitationsgesetz der Russischen Föderation gewähre ausländischen Staatsbürgern "keine finanzielle Abgeltung der Naturalleistungen" nach dessen Art 16. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, "weil ein vergleichbarer Fall ... bisher noch nicht entschieden" worden sei "und eine allfällige Rechtsfortbildung dem Höchstgericht überlassen werden" müsse.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionsrekurse sind unzulässig.

I. Zum Rechtsmittel des Antragstellers:

1. Der Oberste Gerichtshof erläuterte die Rechtslage bereits in den

in dieser Rechtssache ergangenen Vorentscheidungen 1 Ob 219/01i (= SZ

74/180) und 1 Ob 149/02x (= JBl 2003, 454). Der Antragsteller will

diese Rechtslage nicht zur Kenntnis nehmen. Bereits in der Entscheidung 1 Ob 149/02x wurde unmissverständlich klargelegt, der Antragsteller könne gegen die Republik Österreich keinen höheren Entschädigungsanspruch als den erstreiten, der ihm gegen die Russische Föderation nach deren Gesetz vom 18. 10. 1991 „über die Rehabilitierung von Opfern politischer Repression" ohne den in Art 24 StV 1955 vereinbarten völkerrechtlichen Verzicht zugestanden wäre. Deshalb habe der Bund nur für einen Anspruch einzustehen, auf den er (auch) zu Lasten des Antragstellers gegenüber der Sowjetunion bzw nunmehr der Russischen Föderation verzichtet habe. Der Antragsteller kann somit von der Republik Österreich nicht mehr erhalten, als er von der Russischen Föderation erhalten hätte.

2. Es steht nicht fest, dass der Antragsteller - ohne den von der Republik Österreich gemäß Art 24 StV 1955 erklärten Verzicht - gegen die Russische Föderation neben einer Entschädigung von 69 EUR andere geldwerte Vergünstigungen erfolgreich hätte geltend machen können. Soweit sich der Antragsteller gegen die Rechtsansicht des Erstgerichts wendet, Art 16 des Gesetzes der Russischen Föderation „über die Rehabilitierung von Opfern politischer Repression" sehe für ausländische Staatsbürger "keine finanzielle Abgeltung der Naturalleistungen" vor, ist er bloß daran zu erinnern, dass fremdes Recht nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wie in seinem ursprünglichen Geltungsbereich anzuwenden ist und es in erster Linie auf die Anwendungspraxis nach der Rechtsprechung des betreffenden Auslandsstaats ankommt. Eine erhebliche Rechtsfrage würde insoweit nur dann aufgeworfen, wenn die Vorinstanzen gegen diese Rechtsanwendungsgrundsätze verstoßen und bei ihrer Entscheidung eine im ursprünglichen Geltungsbereich des maßgeblichen fremden Rechts in Rechtsprechung und Lehre gefestigte Ansicht hintangesetzt hätten (RIS-Justiz RS0113594, RS0042940). Der Antragsteller setzt sich mit dem Kernargument des Erstgerichts, er hätte als Ausländer keinen Anspruch auf "finanzielle Abgeltung der Naturalleistungen" nach Art 16 des erörterten Gesetzes der Russischen Föderation gehabt, gar nicht auseinander. Er verliert daher auch kein Wort über eine entgegenstehende russische Rechtspraxis.

3. Der soeben erläuterte Gesichtspunkt trifft auch auf die Argumentation des Antragstellers gegen die von den Vorinstanzen auf dem Boden des Art 15 des erörterten Gesetzes der Russischen Föderation ausgemittelte Entschädigung zu. Insoweit der Antragsteller - offenkundig vor dem Hintergrund des vom Erstgericht eingeholten Rechtsgutachtens - "90 (!) gesetzliche und untergesetzliche Rechtsakte" auf lokaler Ebene der Russischen Förderation betreffend "weitere Kompensationszahlungen an Repressionsopfer" ins Treffen führt, bleibt er jede Erläuterung dafür schuldig, auf Grund welcher bestimmten derartigen Norm gerade er als ein nicht im Gebiet der Russischen Föderation wohnhafter Ausländer Entschädigungsansprüche gegen einen bestimmten (lokalen) Rechtsträger hätte geltend machen können, wenn der durch die Republik Österreich nach Art 24 StV 1955 erklärte Verzicht unterblieben wäre.

4. Schließlich verficht der Antragsteller noch den Standpunkt, sein Entschädigungsbegehren stütze sich insbesondere auch auf Ansprüche, die er ohne den von der Republik Österreich gemäß Art 24 StV 1955 erklärten Verzicht "nach österreichischem Recht gegen die Sowjetunion bzw deren Rechtsnachfolgerin" gehabt hätte. Diese Ansicht lässt im Dunkeln, auf welcher Grundlage österreichischen Rechts der Antragsteller privatrechtliche Ersatzansprüche gegen die Sowjetunion oder die Russische Föderation infolge eines jenem Staat zuzurechnenden fehlerhaften Hoheitsakts gehabt haben könnte. Dem Antragsteller dürfte vorschweben, er hätte - ohne den gemäß Art 24 StV 1955 vereinbarten Verzicht - auf Grund einer österreichischen Rechtsnorm einen einem Amthaftungsanspruch nach nationalem Recht vergleichbaren Anspruch gegen die Sowjetunion bzw deren Rechtsnachfolgerin gehabt. Eine konkrete Rechtsgrundlage dafür vermag er indes nicht ins Treffen zu führen, eine solche ist auch nicht ersichtlich. Ferner ist der Antragsteller nur noch auf die bereits in der Entscheidung 1 Ob 149/02x erörterte Rechtslage zu verweisen, dass nämlich nach den Regeln des Völkerrechts im Bereich der Staatenverantwortlichkeit keine Rechtsnachfolge in höchstpersönliche Rechte und Pflichten stattfindet und deshalb mit dem Untergang eines souveränen Staats auch dessen völkerrechtliche Verantwortlichkeit für das ihm zuzurechnende Unrecht erlischt. Somit hätte aber der Antragsteller gegen die Russische Föderation nur solche durch sowjetisches Unrecht begründbaren Ansprüche erfolgreich geltend machen können, die ihm durch die Rechtsordnung der Russischen Föderation eingeräumt wurden.

II. Zum Revisionsrekurs der Antragsgegnerin

1. Der Bund führt im nunmehrigen Revisionsrekurs erstmals ins Treffen, das bisherige Verfahren sei für nichtig zu erklären und der Entschädigungsantrag zurückzuweisen. Er beruft sich dafür auf das im Rahmen des Budgetbegleitgesetzes 2001, BGBl I 2000/142, als Art 70 erlassene Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz, sei doch über Ansprüche nach diesem Gesetz - ein solcher Anspruch stehe offenkundig auch dem Antragsteller zu - im Verwaltungsrechtsweg abzusprechen. Das ins Treffen geführte Gesetz ist nach dessen § 23 am 1. 1. 2001 in Kraft getreten. Im Revisionsrekurs wird übergangen, dass die Entscheidung zu 1 Ob 149/02x erst am 30. 9. 2002 erging, demnach zu einem Zeitpunkt, als das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz bereits wirksam war. Der Oberste Gerichtshof hätte daher, wäre die Ansicht der Antragsgegnerin richtig, bereits seinerzeit von Amts wegen das nunmehr angestrebte Ergebnis erzielen müssen. An die die Entscheidung 1 Ob 149/02x tragende Rechtsansicht ist der Oberste Gerichtshof aber selbst gebunden. Bereits deshalb kann dem Revisionsrekurs im behandelten Punkt kein Erfolg beschieden sein. Die von der Antragsgegnerin ausgeführten Gründe sind überdies unzutreffend:

Das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz ist kein Ausführungsgesetz zu Art 24 Z 1 und 2 StV 1955, sondern die Republik Österreich erfüllte mit dessen Erlassung, wie in den Gesetzesmaterialien ausdrücklich festgehalten wurde, lediglich eine "moralische Verpflichtung" (RV 311 BlgNR 21. GP 240). Die Entscheidung 1 Ob 149/02x hat dagegen nicht eine moralische Pflicht des Bundes zum Gegenstand, sondern betrifft eine von ihm auf Grund des Staatsvertrags 1955 zu erfüllende Rechtspflicht.

2. Im Übrigen will auch die Antragsgegnerin die Rechtslage nach den Erwägungen in der Entscheidung 1 Ob 149/02x nicht zur Kenntnis nehmen. Der erkennende Senat verdeutlichte bereits in dieser Vorentscheidung, es liege an der Antragsgegnerin, zu beweisen, dass österreichische Staatsbürger, die durch ein der Sowjetunion als Besatzungsmacht in Österreich zurechenbares völkerrechtswidriges Verhalten geschädigt wurden, von Entschädigungsansprüchen nach dem Gesetz der Russischen Föderation vom 18. 10. 1991 „über die Rehabilitierung von Opfern politischer Repression" - ungeachtet des nach Art 24 StV 1955 erklärten Verzichts - nicht ausgeschlossen sind. Dieser Beweis ist der Antragsgegnerin nicht gelungen.

3. Der Bund meint überdies, aus dem nach Ergehen der Entscheidung 1 Ob 149/02x von einer Mitarbeiterin des Forschungsinstituts für mittel- und osteuropäisches Wirtschaftsrecht der Wirtschaftsuniversität Wien über das Recht der Russischen Föderation erstattete Gutachten ergebe sich eine andere Rechtslage, sei doch die Gutachterin "eindeutig zum Ergebnis gelangt, dass Entschädigungsansprüche nach dem RehabG nicht vom Verzicht in Art 24 StV 1955 erfasst" seien. Demnach wäre dem Antragsteller nach diesem Gesetz der Russischen Föderation - auch ohne den erörterten Verzicht - in Wahrheit kein Anspruch zugestanden. Darauf ist zu entgegnen:

Die Gutachterin referierte in ihrem Hauptgutachten (ON 39 S. 5 f) zunächst wörtlich den Art 24 StV 1955 und zog daraus - ohne jeden Beleg - den Schluss, der geltend gemachte Entschädigungsanspruch sei nach ihrer Ansicht auf Grund des Wortlaut des Staatsvertrags 1955 kein solcher „aus Krieg und Besetzung", „da die Verhaftung und Verurteilung des Antragstellers erst nach Kriegsende wegen Spionage erfolgte und der Freiheitsentzug nicht in direktem Zusammenhang mit der Besatzung stand". Dieser Standpunkt weicht von der in der Entscheidung 1 Ob 149/02x entwickelten Ansicht zur Auslegung der betroffenen Bestimmung des Staatsvertrags 1955 ab. Dass diese Sicht der - insoweit auch nationalen - Rechtslage durch die Rechtsgutachterin nicht widerlegbar ist, liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Erörterung. Die Gutachterin gelangte in ihrem Ergänzungsgutachten letztlich selbst zu diesem Ergebnis (ON 50 S. 2). Mit der anschließenden Wendung, "wäre der Anspruch auf Entschädigung ... vom Staatsvertrag erfasst, so würde sich der Verzicht Österreichs im Namen seiner Staatsangehörigen auch auf den gegenständlichen Anspruch erstrecken und dem Antragsteller stünde gar nichts zu", wird verkannt, dass in der Entscheidung 1 Ob 149/02x ein Entschädigungsanspruch gegen den Bund gerade an einen solchen Verzicht angeknüpft wurde. Weshalb im Übrigen die Verhaftung und Einkerkerung des Antragstellers "nicht im direkten Zusammenhang mit der Besatzung" gestanden sein soll, ist nicht zu erkennen, wurde er doch von Organen der Sowjetunion in Österreich auf Grund der von dieser Besatzungsmacht auf österreichischem Territorium ausgeübten Hoheitsgewalt festgenommen, verurteilt und deportiert. Der Antragsteller wurde ferner nach Art 3 des Gesetzes der Russischen Föderation "über die Rehabilitierung von Opfern politischer Repression" vom 18. 10. 1991 rehabiliert (Beilage ./A), sodass er nach dessen Art 15 (siehe zum Gesetzeswortlaut Beilage ./H) - auch nach Ansicht der Rechtsgutachterin (ON 39 S. 7) - einen Entschädigungsanspruch gehabt hätte. Angesichts dieser Rechtslage wurde auch die Verjährungsfrage bereits durch die Entscheidung 1 Ob 149/02x abschließend geklärt, sodass auch der Versuch, diese Frage neuerlich aufzurollen, scheitern muss.

III. Ergebnis

1. Aus allen bisherigen Erwägungen folgt, dass in keinem der Rechtsmittel eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufgeworfen wird, von deren Lösung die Entscheidung abhinge. Beide Revisionsrekurse sind somit als unzulässig zurückzuweisen.

2. Dem Antragsteller steht für sein erfolgloses Rechtsmittel kein Kostenersatz zu. Er ist jedoch auch für die Kosten der Revisionsrekursbeantwortung der Antragsgegnerin nicht ersatzpflichtig (SZ 74/180). Es hat aber auch der Antragsteller keinen Kostenersatzanspruch; für seine Revisionsrekursbeantwortung deshalb, weil er auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels des Bundes nicht hinwies und der erörterte Schriftsatz daher einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht dienlich war (7 Ob 135/02g).

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