OGH 16Ok17/04

OGH16Ok17/0420.12.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Kartellrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Birgit Langer als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Manfred Vogel und Dr. Gerhard Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Kommerzialräte Dr. Fidelis Bauer und Dr. Erich Haas in der Kartellrechtssache der Antragsteller 1. W***** GmbH, *****, 2. W***** & P***** GmbH, *****, 3. B***** GmbH, *****, 4. C***** GmbH, *****, 5. S***** GmbH, *****, 6. R***** AG, *****, 7. S***** GmbH, *****, 8. S***** GmbH, *****, alle vertreten durch den Kartellbevollmächtigten Alfons Eichberger, Fachverband der stein- und keramischen Industrie, 1040 Wien, Wiedner Hauptstraße 63, dieser vertreten durch Doralt Seist Csoklich Rechtsanwalts-Partnerschaft in Wien, wegen Genehmigung eines Kartells gem § 23 KartG, über den Rekurs der Antragsteller gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Kartellgericht vom 2. Juli 2004, GZ 25 Kt 200/04-8, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die Antragsteller stellen Wärmedämmverbundsysteme her, die bei Hochbauten in Verbindung mit Putz als außenseitige Wärmedämmung anstelle sonstiger Fassadenbekleidungen (nur Putz; Glasfassaden; vorgehängte Fassaden ua) eingesetzt werden. Sie erreichen im Inland einen Marktanteil von 80 %. Bei Annahme eines Gesamtfassadenmarkts unter Einschluss sämtlicher Fassadensysteme halten die Antragsteller rund 20 % Marktanteil. Ihr Umsatz mit Wärmedämmverbundsystemen betrug 2003 rund 70 Mio EUR, an Exporterlösen (vorwiegend nach Ungarn, Tschechien und in die Gebiete des ehemaligen Jugoslawien) erzielten sie rund 15,5 Mio EUR. Der inländische Marktanteil ausländischer Hersteller von Wärmedämmverbundsystemen liegt bei rund 1-3 %. Die Antragsteller haben eine für das österreichische Bundesgebiet geltende, jedoch keine Verträge mit Verbrauchern umfassende, Vereinbarung geschlossen, die den Vertragspartnern folgende Verpflichtungen auferlegt:

1) Bei Verträgen über die Lieferung von Wärmedämmverbundsystemen eine maximale Frist von fünf Jahren für die Geltendmachung von Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüchen für Mängel- und Mängelfolgeschäden sowie für Garantiezusagen oder vergleichbare Zusagen zu vereinbaren;

2) keine Haftung aus Gewährleistung, Schadenersatz oder aus anderen Rechtstiteln zu übernehmen, soweit

a) die Verarbeitung von mängelfreier Ware nicht ordnungsgemäß (dh nicht unter Berücksichtigung der produktbezogenen technischen Merkblätter, Verarbeitungsrichtlinien, Sicherheitsdatenblätter usw) durchgeführt wurde;

b) die Verarbeiter die Ware nicht unverzüglich sorgfältig geprüft haben und Mängel nicht sofort schriftlich gerügt wurden, oder

c) die aufgetretenen Schäden, Mängel oder Beanstandungen auf bauwerksbedingten Ursachen beruhen;

3) keine Solidarhaftung mit den Verarbeitern gegenüber den Auftraggebern für Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüche zu übernehmen.

Die Antragsteller beantragten am 28. 4. 2004, den zwischen ihnen abgeschlossenen Vertrag über Gewährleistungs- und Haftungszusagen der Hersteller von Wärmedämmverbundsystemen gem § 23 KartG zu genehmigen. Es liege eine horizontale Vereinbarung zwischen rechtlich selbständig bleibenden Unternehmen vor, durch die - entsprechend dem Konzept der "rule of reason", also unter Abwägung ihrer wettbewerbsfördernden und -hemmenden Wirkungen - der Wettbewerb bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise insgesamt nicht beschränkt werde. Durch starken Kostendruck in der Baubranche versuchten bestimmte Verarbeiter, durch nicht normgerechte Verarbeitung von Wärmedämmverbundsystemen möglichst geringe Preise für das fertig verarbeitete System anzubieten. Große Auftraggeber seien daher dazu übergegangen, im Objektgeschäft eine verlängerte Gewährleistung und/oder eine Solidarhaftung der Lieferanten solcher Systeme mit den Verarbeitern zu fordern. Dies sei ungewöhnlich und unsachlich, weil der Hersteller nur die Qualität des von ihm erzeugten Produkts, nicht aber auch dessen Verarbeitung zu verantworten habe. Vor diesem Hintergrund sei zu erwarten, dass die gegenständliche Vereinbarung den Wettbewerb stärke, indem durch den Wegfall unsachlicher Haftungen qualitativ minderwertige Verabeiter nicht weiter bestehen könnten oder besser verarbeiten müssten. Damit würde der Wettbewerb wieder von Leistung und Preis und nicht mehr von der unsachlichen Hereinnahme von Herstellern in die Haftung bestimmt. Selbst wenn man aber die Vereinbarung als wettbewerbsbeschränkend beurteilen wollte, sei sie volkswirtschaftlich gerechtfertigt und zu genehmigen, weil die Voraussetzungen des § 23 KartG vorlägen. Eine spürbare Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Wettbewerbs werde dadurch jedenfalls nicht bewirkt: Die Marktanteile ausländischer Hersteller seien verschwindend gering, was sich mit den hohen Transportkosten erkläre, die längere Transportwege unwirtschaftlich machten.

Die Bundeswettbewerbsbehörde vertrat in ihrer Stellungnahme (ON 4) unter Hinweis auf die am 1. 5. 2004 in Kraft getretene VO (EG) Nr 1/2003 des Rates vom 16. 12. 2002 zur Durchführung der in den Art 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (VO 1/2003 ) die Auffassung, auf Grund der Marktmacht der Antragsteller sei die Zwischenstaatlichkeit des Vertrags zu bejahen; damit komme Art 81 EG zur Anwendung. Im Gemeinschaftsrecht sei die bisher bestehende Anmelde- und Genehmigungspflicht für Vereinbarungen iSd Art 81 EG in ein System der Legalausnahmen überführt worden. Vereinbarungen iSd Art 81 Abs 1 EG, die die Voraussetzungen des Art 81 Abs 3 EG erfüllten, seien nicht verboten, ohne dass es dafür einer eigenen Entscheidung bedürfe. Sei - wie hier - Zwischenstaatlichkeit gegeben, könne ein Genehmigungsverfahren eines Kartells auf Grundlage innerstaatlichen Rechts nicht mehr durchgeführt werden. Das Erstgericht wies den Antrag zurück. Die Vereinbarung beschränke den Wettbewerb und beeinträchtige den zwischenstaatlichen Handel iSd Art 81 EG. Es liege ein horizontales Kartell vor, das sich auf das gesamte Gebiet eines Mitgliedstaates beziehe und damit schon seinem Wesen nach abschottende Wirkung der Märkte auf nationaler Ebene entfalte. Die Exporterlöse der Vertragspartner zeigten, dass die Transportkosten keine absolute Schranke für den grenzüberschreitenden Handel bildeten. Die Vereinbarung habe mittelbare Auswirkungen auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten, werde durch sie doch die Einfuhr von Wärmedämmverbundsystemen infolge der - aus Sicht der Abnehmer - geringeren Attraktivität inländischer Hersteller erleichtert. Nach den für die Beurteilung der Spürbarkeit maßgeblichen Leitlinien der Kommission über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Art 81 und 82 des EG-Vertrags (LLBeeintr) würden die dort genannten Spürbarkeitskriterien (mehr als 5 % Marktanteil und mehr als 40 Mio EUR Umsatz) im Anlassfall erfüllt. Auf den inländischen Marktanteil ausländischer Hersteller komme es hingegen nicht an. Art 81 EG komme daher zur Anwendung. Die von den Antragstellern angestrebte Genehmigung ihrer Vereinbarung als Kartell solle das in § 18 KartG verankerte Durchführungsverbot für Kartelle aufheben. Nach Art 3 Abs 2 der VO 1/2003 dürfe die Anwendung des einzelstaatlichen Wettbewebsrechts nicht zum Verbot von Vereinbarungen zwischen Unternehmen führen, die zwar den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet seien, aber den Wettbewerb iSd Art 81 Abs 1 EG nicht einschränkten oder die Bedingungen des Art 81 Abs 3 EG erfüllten. Die Anwendung eines inhaltlich abweichenden innerstaatlichen Kartellrechts und damit auch des § 18 KartG sei also nicht mehr möglich; dieses werde durch die Anwendbarkeit des europäischen Kartellrechts überlagert. Eine Genehmigung nach § 23 KartG im Bereich der parallelen Anwendung von KartellG und Art 81 EG würde eine Beurteilung des Sachverhalts nach Art 81 Abs 3 EG bedingen. Eine solche Befugnis nationaler Behörden sei in Art 5 VO 1/2003 nicht enthalten. Auch sei die Feststellung der Nichtanwendbarkeit des Art 81 EG der Kommission vorbehalten (Art 10 VO 1/2003 ). Damit sei die Genehmigung der vorgelegten Vereinbarung als Kartell auch dann nicht mehr zulässig, falls die Voraussetzungen des Art 81 Abs 3 EG vorliegen sollten.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Antragsteller wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Verfahrensfehlern mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass die Vereinbarung genehmigt und im Kartellregister eingetragen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Bundeswettbewerbsbehörde und der Bundeskartellanwalt beantragen,

dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Die Rekurswerber stellen zunächst in Frage, dass durch ihre Vereinbarung auch der zwischenstaatliche Warenverkehr spürbar beeinträchtigt werden könne. Einerseits sei nämlich zu berücksichtigen, dass der Großteil der angegebenen Exporterlöse (über 13,5 Mio EUR) Lieferungen an Schwester- oder Konzerngesellschaften der Vertragsparteien betreffe, die wettbewerbsrechtlich ohne Bedeutung seien; das Kartellgericht habe es unterlassen, diesen Umstand aufzuklären, was als Verfahrensfehler gerügt werde. Andererseits lasse das Kartellgericht Rz 83 der LLBeeintr unberücksichtigt, wonach Vereinbarungen über eine horizontale Zusammenarbeit, die auf einen einzigen Mitgliedstaat begrenzt seien und nicht direkt Einfuhren und Ausfuhren beträfen, nicht zu der Kategorie von Vereinbarungen gehörten, die ihrem Wesen nach geeignet seien, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen; solches treffe auf die angezeigte Vereinbarung zu. Art 81 EG gelange daher nicht zur Anwendung. Schließlich liege auch - wie schon im verfahrenseinleitenden Schriftsatz ausgeführt - keine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung vor. Diesen Argumenten kann nicht gefolgt werden.

Rechtliche Beurteilung

1. Vorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung

Gem Art 81 Abs 1 lit a EG zählen zu den gemeinschaftsrechtlich verbotenen wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen zwischen Unternehmen solche, die unmittelbar oder mittelbar Geschäftsbedingungen festsetzen. Derartige Absprachen sind schon ihrer Natur nach verbotene Wettbewerbsbeschränkungen, wobei es im Hinblick auf die Verbotsvorschrift keinen Unterschied macht, ob die beteiligten Unternehmen ihre gesamten Geschäftsbedingungen vereinheitlichen oder sich - wie hier die Antragsteller - nur auf die gemeinsame Verwendung bestimmter Konditionen einigen (Schröter in Schröter/Jakob/Mederer, Kommentar zum Europäischen Wettbewerbsrecht, Art 81 Abs 1 Rz 169 und Grill in Lenz/Borchardt, EU- und EG-Vertrag, Art 81 Rz 29 je mit zahlreichen Beispielen aus der Entscheidungspraxis).

Der von den Antragstellern abgeschlossene Vertrag verpflichtet die Vertragspartner, bei Verträgen über die Lieferung von Wärmedämmverbundsystemen an Unternehmer eine maximale Frist von fünf Jahren für die Geltendmachung von Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüchen für Mängel- und Mängelfolgeschäden sowie für Garantiezusagen oder vergleichbare Zusagen zu vereinbaren sowie unter bestimmten Bedingungen keine Haftung aus Gewährleistung, Schadenersatz oder aus anderen Rechtstiteln sowie keine Solidarhaftung mit den Verarbeitern gegenüber den Auftraggebern für Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüche zu übernehmen. Es liegt damit eine Absprache vor, die für die Vertragspartner einzelne Geschäftsbedingungen verbindlich festlegt. Der Tatbestand einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung gem Art 81 Abs 1 EG ist damit erfüllt.

Der von den Antragstellern vertretene Ansatz, zur Beurteilung des Vorliegens einer Wettbewerbsbeschränkung sei eine Wettbewerbsbilanz zu erstellen und die fördernden und beschränkenden Wettbewerbswirkungen der Vereinbarung gegeneinander abzuwägen ("rule of reason"), hat sich in der Entscheidungspraxis des EuGH bisher nicht durchgesetzt; dieser sprach sich vielmehr - ebenso wie das EuG - zuletzt gegen die Verwendung des Begriffs und seine Anwendung auf "Kernbeschränkungen" aus (Nachweise bei Schröter aaO Rz 108 FN 427 und Eilmansberger in Streinz, EUV/EGV Art 81 Rz 62 ff). Dieser Argumentation ist daher nicht zu folgen.

2. Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels

Das Tatbestandsmerkmal der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels soll sicherstellen, dass nur jene Kartelle und Praktiken von Art 81 EG erfasst werden, die geeignet sind, die Freiheit des Handels zwischen Mitgliedstaaten in einer Weise zu gefährden, die der Verwirklichung der Ziele eines einheitlichen Marktes zwischen den Mitgliedstaaten nachteilig sein kann (EuGH Rs 22/78 Slg 1979, 1869 - Hugin/Kommission Rn 17). Es verfolgt auch den Zweck, auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts den Geltungsbereich des Gemeinschaftsrechts von dem des innerstaatlichen Rechts abzugrenzen (Eilmansberger aaO Rz 28 mit Nachweisen zur Rsp des EuGH).

Erstreckt sich ein Kartell auf das Gesamtgebiet eines Mitgliedstaates, so hat es nach der Rechtsprechung des EuGH schon seinem Wesen nach die Wirkung, die Abschottung der Märkte auf nationaler Ebene zu verfestigen; es verhindert somit die vom Vertrag gewollte gegenseitige wirtschaftliche Durchdringung und schützt die inländische Produktion (Nachweise bei Schröter aaO Rz 202 FN 925). Dazu kommt noch, dass rein innerstaatliche Kartelle nach der Anwendungspraxis einen Zwischenstaatsbezug etwa dann aufweisen, wenn an der Vereinbarung auch Tochtergesellschaften oder Zweigstellen von Unternehmen anderer Mitgliedstaaten beteiligt sind (Nachweise zur Rsp des EuGH bei Eilmansberger aaO Rz 33 FN 111). Letzteres trifft - wie den Firmenbuchauszügen ./I und ./H zu entnehmen ist - im Anlassfall zu, ist doch die Siebentantragstellerin Teil einer französischen Unternehmensgruppe, die Achtantragstellerin Teil einer deutschen Unternehmensgruppe. Damit ist nicht zweifelhaft, dass die angezeigte Abmachung geeignet ist, den zwischenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen.

3. Spürbarkeit

Nach der Rechtsprechung des EuGH hängt die Anwendbarkeit von Art 81 Abs 1 EG auch noch davon ab, dass Wettbewerbsbeschränkung und Handelsbeeinträchtigung spürbar sind (Nachweise bei Eilmansberger aaO Rz 71 FN 232). Das wichtigste quantitative Spürbarkeitskriterium ist der Marktanteil der an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen auf dem relevanten Markt. Der Gerichtshof hat Art 81 Abs 1 EG bereits bei Anteilen um drei Prozent (Slg 1983, 1825 - Musique Diffusion Francaise Rn 83) und fünf Prozent (Slg 1978, 131 - Miller Rn 9-10; Slg 1983, 3151 - AEG Rn 58) für anwendbar erachtet. Die LLBeeintr der Kommission (die den Gerichtshof nicht bindet: Rz 5) setzt die Spürbarkeitsschwelle bei 5 % Marktanteil und 40 Mio EUR Jahresumsatz der beteiligten Unternehmen an (Rz 52). Folgt man diesen Kennziffern, überschreitet die angezeigte Vereinbarung die Spürbarkeitsschwelle bei weitem, erreichen doch die Anmelder bei Annahme eines Gesamtfassadenmarkts unter Einschluss sämtlicher Fassadensysteme rund 20 % Marktanteil und einen Umsatz von 70 Mio EUR. Auf eine - von den Rechtsmittelwerbern vermisste - nähere Aufgliederung der Exporterlöse je nach den Abnehmern in Konzerngesellschaften und Dritte kommt es damit nicht weiter an.

Der Hinweis der Rekurswerber auf Rz 83 der LLBeeintr geht schon deshalb ins Leere, weil sich dieser Abschnitt (Rz 83 - Rz 85) nur auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit in einem einzigen Mitgliedstaat bezieht, während der hier zu beurteilende Vertrag - wie zuvor ausgeführt - ein Kartell ist, auf das sich der Abschnitt Rz 78-82 der LLBeeintr bezieht. Dem Kartellgericht ist daher darin zuzustimmen, dass Art 81 Abs 1 EG auf die angezeigte Vereinbarung anzuwenden ist.

4. Rechtsfolgen der Anwendbarkeit des Art 81 Abs 1 EG Seit dem 1. 5. 2004 gilt die VO (EG) Nr 1/2003 des Rates vom 16. 12. 2002 zur Durchführung der in den Art 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (VO 1/2003 ) unmittelbar in jedem Mitgliedstaat (Art 45). Mangels entgegenstehender Übergangsbestimmungen ist diese VO auch auf zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens vor nationalen Kartellbehörden bereits anhängige Verfahren - demnach also auch im Anlassfall - anzuwenden.

Sie regelt das EG-Kartellverfahrensrecht völlig neu: Waren zuvor nur Art 81 Abs 1 und 2 EG unmittelbar durch nationale Behörden anwendbar, gilt dies nunmehr auch für das Freistellungsregime des Art 81 Abs 3 EG, dessen Anwendung bisher nach der VO 17/62 des Rates vom 6. 2. 1962 allein der Kommission vorbehalten war. Art 81 Abs 3 EG wird somit zur Legalausnahme; eine dezidierte Einzelfreistellungserklärung durch die Kommission oder auch durch die nationale Behörden ist nicht vorgesehen (Art 1 Abs 2 VO 1/2003 ). Die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen ist vielmehr Risiko der Unternehmer (Görg/Brandstätter, Das neue EG-Verfahrensrecht, RdW 2003, 297 ff) und erfolgt endgültig nur ex post durch eine nationale Behörde oder die Kommission (Miribung, Die Dezentralisierung des EG-Kartellrechts, ecolex 2003, 307 ff, 310).

Mit dieser neuen Rechtslage sind die mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden und Gerichte nun zu einer kumulativen Anwendung europäischen Kartellrechts in all jenen Fällen verpflichtet, in denen ein den zwischenstaatlichen Handel beeinträchtigender Kartell- bzw Missbrauchssachverhalt nach nationalem Kartellrecht beurteilt wird. Gelangt die nationale Behörde bei der Anwendung europäischen und nationalen Kartellrechts zu unterschiedlichen Ergebnissen, so setzt sich in Anknüpfung an das Vorrangprinzip das europäische gegen das nationale Kartellrecht durch. Verletzt eine Abrede also zB das Verbot des Art 81 Abs 1 EG, so ist eine Erlaubnis dieser Abrede nach nationalem Recht nicht mehr möglich. Fällt sie hingegen unter die Ausnahmebestimmungen des Art 81 Abs 3 EG oder erfüllt sie die in Ausführung dazu ergangenen Bedingungen einer GVO, so ist eine Untersagung der Kartellabrede nach nationalem Recht nicht mehr möglich (Art 3 Abs 2 S 1 VO 1/2003 ). Dies bedeutet im Ergebnis, dass künftig alle Vereinbarungen, die zu einer Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels geeignet sind, nur mehr am wettbewerblichen Schutzniveau des Art 81 EGV zu messen sind; ein strengeres oder milderes Schutzniveau aufgrund nationaler Kartellbestimmungen hat für derartige Abreden keine Bedeutung mehr (Stillfried/Stockenhuber, Vollzug des EG-Kartellrechts nach der neuen EG-Verfahrensverordnung Nr 1/2003, ÖZW 2003, 45 ff). Raum für die alleinige Anwendung nationalen Rechts besteht demnach hinkünftig nur noch im Hinblick auf solche Vereinbarungen, die lokale oder regionale Bedeutung haben (Hirsch, Anwendung der Kartellverfahrensordnung EG Nr 1/2003 durch nationale Gerichte, ZWeR 2003, 233 ff, 244), weil in diesen Fällen ein Gemeinschaftsbezug fehlt. Für den österreichischen Rechtsbereich hat dies zur Folge, dass ein lokales/regionales Kartell nach § 18 Abs 1 KartG (weiterhin) nur bei ausdrücklicher Genehmigung durch das Kartellgericht (§ 23 KartG) durchgeführt werden darf, wohingegen bei Überschreitung der gemeinschaftsrechtlichen Anwendungsschwellen ein solcher Behördenakt nicht (mehr) vorgesehen ist (Görg/Brandstätter aaO). Da die angezeigte wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung - wie zuvor dargelegt - einen Gemeinschaftsbezug aufweist, besteht keine Rechtsgrundlage für eine von den Antragstellern angestrebte Freistellungsentscheidung ex ante nach nationalem Kartellrecht; das Erstgericht hat ihren darauf abzielenden Antrag demnach zutreffend zurückgewiesen.

Dem Rekurs ist ein Erfolg zu versagen.

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