Spruch:
Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung selbst zu tragen.
Text
Begründung
Die Klägerin war von 1979 bis 1996 Patientin des als Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe tätig gewesenen Beklagten. Letztmals ließ die Klägerin am 31. 10. 1996 eine Vorsorgeuntersuchung durch den Beklagten vornehmen, bei der er einen Krebsabstrich durchführte, diesen berechtigter Weise selbst befundete und keine Auffälligkeiten feststellte. Am 23. 5. 1997 suchte die Klägerin einen anderen Arzt auf, der zur Vorbereitung einer beabsichtigten Sterilisation eine PAP-Abstrich-Untersuchung vornahm und in deren Folge eine schwere Dysplasie mit invasivem Gebärmutterhalskarzinom und Lymphknotenbefall befundet wurde.
Mit ihrer am 10. 9. 2003 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte die Klägerin vom Beklagten 123.550 EUR, welcher Betrag sich aus Schmerzengeld (35.500 EUR), pauschalen Nebenkosten (1.500 EUR), Verdienstentgang bis 3. 9. 2002 (85.364 EUR) sowie Kosten für Krankenhausaufenthalte (1.186 EUR) zusammensetze. Sie sei durch einen 2002 veröffentlichten Zeitungsartikel darüber "informiert" worden, dass bei korrekter Vorsorgeuntersuchung ihr Krankheitsverlauf hätte vermieden werden können. Deshalb habe sie im Juni 2002 über eine Patientenanwaltschaft dem Beklagten und dessen Haftpflichtversicherung gegenüber Ansprüche geltend gemacht. Mangels Einigung sei am 16. 7. 2003 ein fachärztliches Gutachten eingeholt worden, das einen Kunst- bzw Behandlungsfehler des Beklagten attestiert habe. Dieser hätte schon vor 1996 die präinvasive Phase ihrer Krebserkrankung erkennen und durch entsprechende Behandlung den später eingetretenen Schaden verhindern können. Der Beklagte habe eine Verletzung der Dokumentationspflicht zu vertreten, weil das von ihm aufzubewahrende Glasplättchen mit dem Krebsabstrich der Klägerin in Verlust geraten sei.
Der Beklagte wendete ein, dass es sich bei der Krebserkrankung der Klägerin um einen schicksalhaften Verlauf handle. Infolge Tiefenwachstums (des Karzinoms) sei die Erkrankung weder bei der letzten Untersuchung durch ihn ersichtlich noch durch den Krebsabstrich diagnostizierbar gewesen. Die Klagsansprüche seien verjährt. Sowohl der Schaden (Krebsbefall) wie auch der behauptete Schädiger (= Beklagter) seien nach Vorliegen der Untersuchungsergebnisse im Jahre 1997 bekannt gewesen. Die Klägerin sei darüber aufgeklärt worden, dass entweder eine schicksalhafte Entwicklung seit der Unterschung vom 31. 10. 1996 oder ein Behandlungsfehler des Beklagten die von ihr behaupteten Schäden verursacht hätten. Der Beklagte sei seiner Dokumentationspflicht nachgekommen; die Krebsabstrichblätter seien im Zuge der Auflösung seiner Ordination im Jahr 2000 von dritter Seite entfernt worden. Die Klägerin wäre verpflichtet gewesen, im Falle des Verdachts einer allfälligen Fehlbehandlung durch den Beklagten ehestmöglich ein Gutachten einzuholen, um den Eintritt der Verjährung zu verhindern. Im Übrigen liege ein Kunst- oder Behandlungsfehler nicht vor. Schließlich sei das Klagebegehren der Höhe nach unschlüssig, weil eine Aufschlüsselung geboten sei.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Klägerin sei 20 Jahre hindurch Patientin des Beklagten gewesen. Bei der letzten Untersuchung am 31. 10. 1996 habe er keine Auffälligkeiten festgestellt. Die Klägerin habe gewusst, dass die PAP-Untersuchung bzw der Abstrich der Krebsprävention diene. Im Zuge einer Routinekontrolle aus Anlass der am 3. 6. 1997 vorgenommenen Sterilisation habe der Krebsabstrich den für den behandelnden Arzt überraschenden Befund eines "relativen Krebsverdachts" ergeben, und aufgrund einer weiteren Untersuchung sei ein Karzinom im Anfangsstadium befundet worden. Der die Klägerin behandelnde Arzt habe sie dahin aufgeklärt, dass sich eine derartige Erkrankung sehr schnell entwickeln könne. Die Klägerin habe nach Beendigung der Bestrahlungstherapie im September oder Oktober 1997 Einsicht in ihre Krankengeschichte genommen. Nach Bekanntwerden "des Falles eines anderen Gynäkologen" sei die Klägerin zur Patientenanwältin gegangen und habe daraufhin die Karteikarte des Beklagten erhalten. Die Glasplättchen, auf denen die Abstriche aufbewahrt gewesen seien, habe der Beklagte nicht zur Verfügung stellen können, weil diese im Zuge der Ordinationsauflösung im Jahr 2000 verloren gegangen seien.
In rechtlicher Hinsicht meinte das Erstgericht, das das Verfahren auf die Verjährungsfrage eingeschränkt hatte, die Ansprüche der Klägerin seien verjährt. Ihre Erkrankung sei derart eklatant gewesen, dass sie sich hätte fragen müssen, wie es möglich sei, dass bereits sieben Monate nach der letzten Vorsorgeuntersuchung beim Beklagten eine Krebserkrankung habe diagnostiziert werden können. Demnach seien ihr der Kausalzusammenhang und auch der potentielle Schadensverursacher sowie dessen mögliches Verschulden erkennbar gewesen. Es stelle Allgemeinwissen dar, dass ein Krebsabstrich der Vorsorge diene, um eine Krebserkrankung möglichst früh zu erkennen. Der Umstand, dass im Juli 1997 Krebsbefall an der Klägerin festgestellt wurde, habe nur zwei Möglichkeiten offen gelassen: entweder ein rasches Wachsen des Krebses nach der letzten Untersuchung oder eine unrichtige Diagnose infolge eines Kunstfehlers. Demnach wäre es der Klägerin zumutbar gewesen, innerhalb von drei Jahren ab der Diagnose der Krebserkrankung Erkundigungen dahin einzuholen, ob dem Beklagten tatsächlich ein Diagnosefehler anzulasten sei. Insbesondere hätte sie damals die Herausgabe des Abstriches verlangen können, um diesen neuerlich kontrollieren zu lassen.
Das Berufungsgericht hob diese Entscheidung auf und sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Es sei nicht zweifelhaft, dass der Klägerin bewusst gewesen sei, dass ein Krebsabstrich dazu diene, Krebsbefall festzustellen, und dass die im Juni 1997 erfolgte Feststellung des Krebses lediglich die vom Erstgericht dargelegten beiden Möglichkeiten offen gelassen habe. Daraus sei aber noch keine weitergehende Erkundigungspflicht der Klägerin, insbesondere deren Verpflichtung zur Einholung eines fachärztlichen Gutachtens, abzuleiten. Im konkreten Fall sei die Klägerin von dem sie danach behandelnden Arzt dahin aufgeklärt worden, dass sich eine derartige Erkrankung sehr schnell entwickeln könne. Demnach sei es für die Klägerin denkbar gewesen, dass dem Beklagten die Krebserkrankung im Zuge der letzten Untersuchung nicht habe auffallen können bzw müssen. Deshalb sei sie nicht verhalten gewesen, ein Sachverständigengutachten einzuholen, von dem nach ihrem Informationsstand auch nicht unbedingt erwartbar gewesen sei, dass es eine eindeutige Klärung brächte. Somit habe der Beklagte nicht beweisen können, dass die Klägerin bereits vor dem Jahre 2002 eine die Verjährungsfrist auslösende hinreichende Kenntnis vom Kausalzusammenhang und vom Verschulden des Beklagten gehabt habe. Die Ansprüche der Klägerin seien also nicht verjährt. Wenngleich das Klagebegehren - insbesondere im Umfang des begehrten Verdienstentgangs - unschlüssig geblieben und diese Unschlüssigkeit vom Beklagten sogar zweimal eingewendet worden sei, sei die Klage nicht wegen Unschlüssigkeit abzuweisen, weil das Erstgericht ohne weitergehende Erörterung des Unschlüssigkeitseinwands schon zu Beginn der einzigen Verhandlungstagsatzung das Verfahren auf die Verjährungsfrage "eingeschränkt" habe, sodass für die Klägerin noch kein zwingender Anlass bestanden habe, das Klagebegehren schlüssig zu stellen.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs des Beklagten ist unzulässig.
Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung ist aus § 226 Abs 1 ZPO der Schluss zu ziehen, dass ein Kläger die rechtserzeugenden Tatsachen (= den Klagegrund), auf die sich sein Anspruch stützt, knapp, aber vollständig anzugeben hat. Die vom Kläger behauptete Rechtsfolge muss sich aus diesem Vorbringen ableiten lassen (SZ 65/2). Nun mag es zutreffen, dass die von der Klägerin eingebrachte Klage (noch) nicht schlüssig ist, weil die einzelnen Teilansprüche nicht entsprechend aufgeschlüsselt wurden. Die Verfassung einer schlüssigen Klage ist auch keinesfalls Aufgabe des zur Anleitung verpflichteten Gerichts; dies muss vielmehr dem Rechtsvertreter einer Partei vorbehalten bleiben. Die Klägerin hätte der Forderung des Beklagten nach Schlüssigstellung des Klagebegehrens bereits in der einzigen Verhandlungstagsatzung im erstinstanzlichen Verfahren nachkommen können. Eine solche Forderung des Beklagten ist aber nicht einer richterlichen Aufforderung zur Schlüssigstellung der Klage gleichzuhalten (EvBl 2002/85 mwN); eine solche wird - sollte die Klägerin nicht schon ohne eine derartige Aufforderung ihr Klagebegehren schlüssig stellen - nötig sein, um der Klägerin eindringlich vor Augen zu führen, dass ihr Begehren ansonsten zumindest zum Teil schon deshalb abgewiesen werden müsste.
Das Erstgericht hat eine derartige Anleitung offensichtlich deshalb unterlassen, weil es sich auf die Prüfung der Verjährungsfrage beschränkte und letztlich auch zur Auffassung gelangte, die Klagsforderung sei verjährt. Im fortzusetzenden Verfahren ist nach diesen Ausführungen der Klägerin die Möglichkeit zur Schlüssigstellung ihres Klagebegehrens zu geben. Diese Vorgangsweise entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, sodass insoweit keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufgezeigt wird oder vorliegt.
Das Berufungsgericht hat aber auch die Frage, ob die Klagsforderung verjährt sei, im Einklang mit der Judikatur des Obersten Gerichtshofs gelöst:
Die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB beginnt mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Ersatzberechtigte sowohl den Schaden als auch den Ersatzpflichtigen so weit kennt, dass eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erhoben werden kann. Die Kenntnis muss dabei den ganzen den Anspruch begründenden Sachverhalt umfassen, insbesondere auch die Kenntnis des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Schaden und einem bestimmten, dem Schädiger anzulastenden Verhalten. Ein Geschädigter darf sich nicht passiv verhalten und es darauf ankommen lassen, dass er von maßgeblichen Tatsachen eines Tages zufällig Kenntnis erlange. Diese Erkundigungspflicht darf aber auch nicht überspannt werden. Die Grenzen einer solchen Pflicht hängen von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Kann ein Geschädigter die für eine erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen, dann gilt die Kenntnisnahme schon in dem Zeitpunkt erlangt, in dem sie ihm bei angemessener Erkundigung zuteil geworden wäre. Im Allgemeinen ist im Rahmen der Erkundigungspflicht die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht zu fordern. Es kann aber nach einer gewissen Überlegungsfrist ein Geschädigter auch dazu verpflichtet sein, ein Sachverständigengutachten einzuholen, sofern davon die Beweisbarkeit anspruchsbegründender Tatsachen zu erwarten und das Kostenrisiko zumutbar ist (WoBl 2003, 362; 6 Ob 273/98k; JBl 1991, 654; SZ 63/53 uva).
Kommt jemand durch einen ärztlichen Kunstfehler zu Schaden, dann beginnt die Verjährungsfrist nicht, solange die mangelnde Kenntnis davon, dass es sich um einen Kunstfehler handelt, andauert, mögen auch der Schaden und die Person des (möglichen) Schädigers an sich bekannt sein. Ist nämlich ein Geschädigter Laie und setzt die Kenntnis der verschuldensbegründenden Umstände Fachwissen voraus, dann beginnt die Verjährungsfrist regelmäßig erst zu laufen, wenn der Geschädigte durch ein Sachverständigengutachten Einblick in die Zusammenhänge erlangt hat (ecolex 2001, 44; 6 Ob 273/98k). Bloße Mutmaßungen über die anspruchsbegründenden Umstände genügen nicht. Muss ein Geschädigter bestimmte Umstände nicht als wahrscheinlich betrachten, dann beginnt für die dadurch bedingten Schäden die Verjährungsfrist erst mit deren positiven Kenntnis durch den Geschädigten zu laufen (SZ 74/14).
Ausgehend von dieser einhelligen Judikatur hat das Berufungsgericht die Verjährungsfrage im konkreten Einzelfall richtig gelöst. Die Klägerin war von dem sie behandelnden Arzt dahin informiert worden, dass sich die bei ihr aufgetretene Krebserkrankung (grundsätzlich) sehr schnell entwickeln könne (S 6 des Ersturteils). Trotz dieser (sachverständigen) Mitteilung mag bei der Klägerin zwar durchaus der Verdacht bestanden haben, der Beklagte hätte ihre Erkrankung bereits im Zuge der letzten Vorsorgeuntersuchung erkennen können, doch bestanden keine auch nur halbwegs verlässlichen Anhaltspunkte dafür, dass dieser - allfällige - Verdacht berechtigt sein könnte, weshalb es der Klägerin auch nicht angelastet werden kann, dass sie zur Abklärung eines allenfalls von ihr vermuteten Kunstfehlers des Beklagten ein (kostenintensives) Sachverständigengutachten in Auftrag gibt. Es ist durchaus nachvollziehbar, dass sich der bei der Klägerin allenfalls bestandene Verdacht eines Kunstfehlers aufgrund der Lektüre eines Zeitungsartikels, in dem über einen Kunstfehler eines anderen Gynäkologen berichtet wurde, insoweit verdichtete, als sie dann konkret annahm, dem Beklagten sei bei der letzten an ihr vorgenommenen ärztlichen Tätigkeit ein Fehler unterlaufen. Ab diesem Zeitpunkt war sie gewiss dazu verhalten, entsprechende Erkundigungen einzuziehen, um die Verjährung ihrer Ansprüche hintanzuhalten. Dieser Verpflichtung ist sie nachgekommen.
Damit steht die Entscheidung des Berufungsgerichts im Einklang mit der oben dargelegten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs; den Umständen des konkreten Falls wurde entsprechend Rechnung getragen; deshalb ist deren Lösung im Sinne obiger Ausführungen auch nicht zu beanstanden (vgl 6 Ob 273/98k).
Somit erweist sich der Rekurs des Beklagten als nicht zulässig und ist zurückzuweisen. An den gegenteiligen Ausspruch des Gerichts zweiter Instanz ist der Oberste Gerichtshof gemäß § 526 Abs 2 ZPO nicht gebunden.
Die Klägerin hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung selbst zu tragen, zumal sie auf die Unzulässigkeit des Rekurses des Beklagten nicht hingewiesen hat.
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