Spruch:
Dem Erneuerungsantrag wird stattgegeben.
Die Urteile des Landesgerichts St. Pölten vom 21. Juni 1996, GZ 31 E Vr 993/95-10, und des Oberlandesgerichts Wien vom 3. März 1997, AZ 18 Bs 390/96, werden aufgehoben und es wird die Sache zur Erneuerung des Verfahrens an das Landesgericht St. Pölten verwiesen.
Text
Gründe:
In der Straf- und Medienrechtssache der Privatanklägerin und Antragstellerin Barbara R***** gegen den Angeklagten Hans-Henning Sch***** sowie die (damalige) Antragsgegnerin N***** Verlagsgesellschaft mbH & Co KG wurde Hans-Henning Sch***** mit Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 21. Juni 1996, GZ 31 E Vr 993/95-10, des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB schuldig erkannt und zu einer für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Geldstrafe von 40 Tagessätzen a 1.500 Schilling sowie die Antragsgegnerin N***** Verlagsgesellschaft mbH & Co KG gemäß § 6 Abs 1 MedienG zur Zahlung einer Entschädigung in der Höhe von 30.000 Schilling an die Antragstellerin Barbara R***** verurteilt. Ferner wurden gemäß § 33 Abs 1 MedienG die noch zur Verbreitung bestimmten Medienstücke eingezogen und die vorgenannte Medieninhaberin nach § 34 Abs 1 MedienG zur Urteilsveröffentlichung in gekürzter Form sowie gemäß § 35 Abs 1 MedienG zur Haftung für die verhängte Geldstrafe (im Falle ihres Vollzuges) und für die Kosten des Verfahrens verpflichtet.
Nach den Urteilsfeststellungen erschien in der Zeitschrift N***** Nr. 41 vom 12. Oktober 1995 auf Seite 31 unter dem Titel "Braun statt Schwarz und Rot?" ein von Hans-Henning Sch***** verfasster Artikel mit nachfolgendem Text: "Gewaltszene. Braune Schläger, Brandstifter und Bombenwerfer sind aus der FPÖ hervorgegangen. Führungsfiguren des braunen Terrors wie Bu*****, Ha*****, Ho***** oder Kü***** begannen ihre Karriere bei den Freiheitlichen. Unter St***** hatten die alten Kellernazis die Partei verlassen. Unter Hai***** kehren sie zurück und dürfen sogar kandidieren. Namen wie Be*****, Bl*****, Di*****, Dü*****, Go*****, Gr*****, Hab*****, Hat*****, Ka*****, Mau*****, Mi*****, R*****, Sei*****, Schi*****, St*****, Su*****, W***** und andere belegen, dass die von Ha***** immer wieder behauptete Abgrenzung in Wirklichkeit nie stattgefunden hat."
Nach dem konstatierten Bedeutungsinhalt verstehe ein durchschnittlicher Medienkonsument der Zeitschrift N***** im Zusammenhang mit dem Artikelkontext unter dem Begriff "Kellernazi" eine Person, die nationalsozialistisches Gedankengut vertritt und auch dafür eintritt, dies allerdings nicht in der Öffentlichkeit, sondern im Verborgenen, nämlich im "Keller" (US 7). Da die Zugehörigkeit zu einem derartigen Personenkreis den Vorwurf einer verächtlichen Gesinnung und eines unehrenhaftes Verhaltens bedeute, sei die im inkriminierten Artikel vorgenommene Unterstellung, Barbara R***** gehöre zum Kreis der "Kellernazis", tatbildlich im Sinn des § 111 Abs 1 und 2 StGB. Der Wahrheitsbeweis sei misslungen, weil Barbara R***** keine geheimen nationalsozialistischen Aktivitäten nachgewiesen werden konnten, die ihre Bezeichnung als "Kellernazi" rechtfertigen würden (US 7 f).
Der dagegen vom Angeklagten und der Antragsgegnerin wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe erhobenen Berufung gab das Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom 3. März 1997, AZ 18 Bs 390/96 (ON 15), keine Folge.
Mit Erkenntnis vom 13. November 2003 (Hans-Henning Sch***** und N***** Verlagsgesellschaft gegen Österreich Nr. 39394/98; veröffentlicht in MR 2003, 365) stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) fest, dass durch die Verurteilung des Hans-Henning Sch***** wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB sowie die der N***** Verlagsgesellschaft gemäß § 6 Abs 1 MedienG auferlegte Entschädigungszahlung eine Verletzung des Art 10 EMRK stattfand, weil die österreichischen Gerichte mit den Grundsätzen des Art 10 EMRK nicht vereinbare Maßstäbe anwendeten, keine ausreichenden Gründe für den Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit anführen konnten und somit den engen Ermessensspielraum überschritten, der den Mitgliedsstaaten bei der Einschränkung der Debatte über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse zukommt, sodass der Eingriff unverhältnismäßig zum verfolgten Ziel und daher in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig war (Z 45 iVm Z 41 des zitierten Erkenntnisses). Gestützt auf diese Entscheidung beantragen Hans-Henning Sch***** sowie die Verlagsgruppe N***** Beteiligungsgesellschaft GmbH & Co KG und die Verlagsgruppe N***** GmbH als Rechtsnachfolgerinnen der vormaligen Antragsgegnerin N***** Verlagsgesellschaft mbH & Co KG gemäß § 363a StPO die Erneuerung des Strafverfahrens.
Rechtliche Beurteilung
Diese Anträge sind berechtigt. Ausgehend von der Rechtsansicht des EGMR (vgl Reindl, WK-StPO Vor §§ 363a - c Rz 8), der die Verurteilung des Hans-Henning Sch***** wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB und die der N***** Verlagsgesellschaft mbH & Co KG gemäß § 6 Abs 1 MedienG auferlegte Entschädigungszahlung als Verletzung des Art 10 EMRK betrachtet, ist die Möglichkeit nicht auszuschließen, dass die festgestellte Konventionsverletzung einen nachteiligen Einfluss auf den Inhalt der strafgerichtlichen Entscheidungen der ersten und zweiten Instanz ausüben konnte (§ 363a Abs 1 StPO).
Demnach war gemäß § 363b Abs 3 StPO bei nichtöffentlicher Beratung den Erneuerungsanträgen des Hans-Henning Sch***** sowie der Verlagsgruppe N***** Beteiligungsgesellschaft GmbH & Co KG und Verlagsgruppe N***** GmbH stattzugeben. Die Urteile des Landesgerichtes St. Pölten sowie des Oberlandesgerichtes Wien waren zur Gänze aufzuheben und es war die Sache zur Erneuerung des Verfahrens an das Landesgericht St. Pölten zu verweisen.
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