OGH 1Ob267/03a

OGH1Ob267/03a12.10.2004

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Erwin H*****, vertreten durch Mag. Klaus P. Pichler, Rechtsanwalt in Dornbirn, wider die beklagte Partei "P*****" *****gesellschaft mbH in Liquidation, *****, vertreten durch Dr. Michael Wukoschitz, Rechtsanwalt in Wien, wegen 72.669 EUR sA infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 4. August 2003, GZ 11 R 68/03f-23, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 10. Jänner 2003, GZ 26 Cg 8/02s-19, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Das Revisionsverfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften über den vom Oberlandesgericht Innsbruck am 14. Jänner 2002 zu 4 R 276/01x gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen.

Das Verfahren wird nur über Parteienantrag fortgesetzt.

Text

Begründung

Der in der Schweiz ansässige Kläger begehrte die Zahlung von 72.669 EUR, weil ihm die beklagte Partei in einer an ihn persönlich gerichteten Zusendung einen Gewinn zugesagt habe. Gemäß § 5j KSchG habe die beklagte Partei den zugesagten Gewinn auszuzahlen.

Die beklagte Partei wendete ein, dass aufgrund des Aufenthaltsorts des Klägers Schweizerisches Recht anzuwenden sei, dieses aber keinen § 5j KSchG vergleichbaren Anspruch gewähre. Im Übrigen sei die Gewinnanforderung des Klägers bei ihr nicht eingegangen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die dem Kläger übermittelte Zusendung sei als Gewinnzusage zu werten und der Sachverhalt unter § 5j KSchG zu subsumieren. Es sei aber gemäß Art 5 EVÜ das Recht des Verbraucherwohnsitzstaates anzuwenden, also Schweizerisches Recht, und diese kenne keine dem § 5j KSchG vergleichbare Bestimmung.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil dahin ab, dass es die beklagte Partei zur Zahlung von 72.669 EUR verurteilte; es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Das Erstgericht habe die Gewinnzusage zutreffend unter § 5j KSchG subsumiert, zumal die gerichtliche Einforderung einer Gewinnzusage nicht von einer gleichzeitigen Bestellung abhängig sei und die genannte Gesetzesstelle voraussetze, dass beim Verbraucher der Eindruck erweckt werde, er habe einen bestimmten Preis gewonnen. Entscheidend sei die Rechtsnatur des Anspruchs nach § 5j KSchG, weil bei Einordnung dieses Anspruchs als "verbrauchervertraglich nach Art 5 EVÜ zwingend das Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts des Verbrauchers anzuwenden sei. Sehe man die Gewinnzusage als selbständiges einseitiges Schuldgeschäft an - "wozu das Berufungsgericht tendiere" -, dann liege kein vertraglicher Anspruch vor und seien zur Beurteilung des maßgeblichen Rechts nicht die Bestimmungen des EVÜ, sondern die des IPRG heranzuziehen. Es sei nach der "stärksten Beziehung" (§ 1 Abs 1 IPRG) anzuknüpfen; diese bestehe zum Sitz des Verpflichteten, der den Gewinn zugesagt habe, und es sei demnach österreichisches Recht anzuwenden. § 5j KSchG müsse aber selbst bei "Einstufung des § 5j KSchG" als verbrauchervertraglicher Anspruch "über Art 7 EVÜ" angewendet werden, denn die österreichische Verbraucherschutzvorschrift entfalte zwingende Wirkung im Sinne des letztgenannten Artikels. Dem Argument der beklagten Partei, das Erstgericht habe nicht festgestellt, dass die Gewinnanforderung bei ihr eingetroffen sei, sei entgegenzuhalten, dass aus der vom Erstgericht gewählten Form der doppelten Verneinung ("es kann nicht festgestellt werden, dass diese Briefsendung nicht bei der Beklagten eingelangt ist") unzweifelhaft vom Einlangen der Gewinnabforderung bei der beklagten Partei auszugehen sei.

Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Partei, die davon ausgeht, es sei Schweizerisches Recht anzuwenden, dieses kenne keinen dem § 5j KSchG vergleichbaren Anspruch, und das Klagebegehren sei schon deshalb abzuweisen. Die Abweisung des Klagebegehrens sei aber auch deshalb geboten, weil die Gewinnanforderung des Klägers als empfangsbedürftige Willenserklärung nie bei der beklagten Partei eingelangt sei; ein derartiger Beweis sei ihm nicht gelungen. Schließlich habe die an den Kläger gerichtete Zusendung auch nicht den Eindruck eines bereits gewonnenen Preises vermitteln können.

Der Kläger beantragt, die Revision der beklagten Partei als unzulässig zurückzuweisen bzw ihr in eventu nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Das Revisionsverfahren ist aus folgenden Erwägungen zu unterbrechen:

Vorweg ist klarzustellen, dass die Ansicht der Vorinstanzen, die konkrete Gewinnzusage sei - bei Anwendung österreichischen Rechts - unter § 5j KSchG zu subsumieren, nicht zu beanstanden ist. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass die gerichtliche Einforderung einer Gewinnzusage nicht von einer gleichzeitigen Bestellung abhängig ist, und dass beim Verbraucher der Eindruck erweckt werden muss, er habe einen bestimmten Preis gewonnen (RdW 2004, 20; 1 Ob 132/03y; RdW 2003, 696; WBl 2003, 601; EvBl 2003/99; siehe Haberer, Neues zu Gewinnzusagen, in RdW 2004, 386; WBl 2003, 553). Der Text und die Aufmachung der an den Kläger gerichteten Zusendung entspricht den von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien, weshalb tatsächlich davon auszugehen ist, dass mit der Zusendung beim Kläger der Eindruck erweckt wurde, er werde bei Rücksendung des beigelegten Muster-Schecks ohne Hinzukommen weiterer Voraussetzungen den Gewinn von 200.000 sfr erhalten.

Die Ausführungen der beklagten Partei, aufgrund der von den Vorinstanzen getroffenen und oben zitierten Negativfeststellung sei davon auszugehen, dass die Gewinnanforderung nicht bei der beklagten Partei eingelangt sei, sind nicht stichhältig. Das Einlangen ist bei einer empfangsbedürftigen Willenserklärung grundsätzlich stets vom Erklärenden zu beweisen, und es gibt keinen Erfahrungssatz, dass von der Österreichischen Post beförderte Briefe immer ankommen, weshalb der dem Absender obliegende Beweis des Zugangs einer Erklärung nicht prima facie durch den Beweis der Aufgabe bei der Post geführt werden kann (JBl 1984, 487 ua). Dies gilt aber, wie schon aus der Entscheidung JBl 1984, 487 zu erkennen ist, nicht für eingeschriebene Briefe, für die judiziert wird, dass der Nachweis, eine Sendung mittels eingeschriebenen Briefes aufgegeben zu haben, die überwiegende Wahrscheinlichkeit des Zugangs der Sendung an den Adressaten begründet und diesem daher die Beweislast dafür auferlegt wird, nicht in den Besitz der Sendung gelangt zu sein (WBl 1990, 26; Rummel in Rummel, ABGB3 Rz 9 zu § 862a). Festgestellt ist, dass der Kläger den "Muster-Scheck" mit eingeschriebener Briefsendung an die beklagte Partei retournierte (S 4 des Ersturteils) und damit seinen Gewinn einforderte. Demnach wäre es in diesem Fall Sache der beklagten Partei als Adressatin gewesen, zu beweisen, dass sie nicht in den Besitz der Sendung gelangt sei. Dieser Beweis ist ihr nicht gelungen, denn die Vorinstanzen haben festgestellt, es könne nicht festgestellt werden, dass diese Briefsendung nicht bei der beklagten Partei eingelangt sei (S 4 des Ersturteils).

Sind nun zwar materiell die Voraussetzungen für das Bestehen eines Anspruchs nach § 5j KSchG zu bejahen, so bleibt doch noch zu prüfen, ob diese Gesetzesbestimmung aus kollisionsrechtlichen Erwägungen überhaupt Anwendung finden kann. Hiezu ist auszuführen:

Streitentscheidend ist, ob ein Verbrauchervertrag iSd Art 5 EVÜ vorliegt und ob mangels Rechtswahl der unter den in Art 5 Abs 2 EVÜ bezeichneten Umständen zustandegekommene Vertrag gemäß Art 5 Abs 3 EVÜ nach dem Recht des Staates zu beurteilen ist, in dem der Verbraucher (= Kläger) seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Die im Abs 2 des Art 5 EVÜ bezeichneten Umstände sind in ihrem ersten - und hier entscheidungswesentlichen - Teil identisch mit den im Art 13 Nr 3 lit a und b EuGVÜ bezeichneten Umständen und Art 13 EuGVÜ regelt die Frage, ob eine "Verbrauchersache" vorliegt. Unter anderem zur Auslegung von Art 13 Nr 3 EuGVÜ, nämlich ob ein Anspruch nach § 5j KSchG vorliegt, behängt ein Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 14. 1. 2002, AZ 4 R 276/01x (siehe ecolex 2004, 697). Die Vorlagefrage wurde wie folgt formuliert:

"Ist der in § 5j des österreichischen Konsumentenschutzgesetzes (KSchG) ... den Verbrauchern eingeräumte Anspruch, von Unternehmern den scheinbar gewonnenen Preis gerichtlich einfordern zu können, wenn letztere Gewinnzusagen oder andere vergleichbare Mitteilungen an bestimmte Verbraucher senden (gesendet haben) und durch die Gestaltung dieser Zusendung den Eindruck erwecken (erweckt haben), dass der Verbraucher einen bestimmten Preis gewonnen habe, im Sinn des Brüsseler Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. 9. 1968 (EuGVÜ) auch dann

1. ein vertraglicher Anspruch nach Art 13 Nr 3 oder

2. ein vertraglicher Anspruch nach Art 5 Nr 1 oder

3. ein Anspruch aus unerlaubter Handlung nach Art 5 Nr 3,

wenn ein verständiger Verbraucher nach den ihm übermittelten Unterlagen davon ausgehen konnte, dass der für ihn bereit gehaltene Betrag nur noch durch Retournierung eines beiliegenden Auszahlungsbescheides angefordert werden müsse und sohin die Gewinnauszahlung nicht von der Bestellung und Lieferung von Waren bei dem den Gewinn zusagenden Unternehmen abhängig gemacht wird, gleichzeitig mit der sogenannten Gewinnzusage dem Verbraucher aber ein Warenkatalog desselben mit einem unverbindlichen Test-Anforderungs-Schein übermittelt wurde?"

Die Antwort auf diese Frage, insbesondere ob ein vertraglicher Anspruch nach Art 13 Nr 3 EuGVÜ vorliegt, ist im Ergebnis für den hier vorliegenden gleichartigen Sachverhalt von Bedeutung, weil der Wortlaut des Art 5 EVÜ insoweit dem des Art 13 Nr 3 EuGVÜ gleicht und demnach nur eine gleichartige Auslegung des "Verbrauchervertrags" bzw der "Verbrauchersache" möglich ist. Zumal die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs alle Gerichte der Mitgliedsstaaten auch für andere Fälle binden und objektives Recht schaffen, wäre es sinnwidrig, Art 13 Nr 3 EuGVÜ anders auszulegen als die zuvor zitierte Bestimmung des Art 5 Abs 2 EVÜ, sodass im Ergebnis über die gleiche Frage zu entscheiden ist, derentwegen bereits ein Vorabentscheidungsverfahren anhängig ist. Demnach ist die Unterbrechung des Revisionsverfahrens bis zur Vorabentscheidung geboten (7 Nd 520/99; SSV-NF 12/100).

Auf die Frage, ob Art 7 EVÜ Anwendung zu finden hätte, ist derzeit nicht einzugehen.

Das Revisionsverfahren ist sohin zu unterbrechen, es wird über Antrag fortgesetzt werden.

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