OGH 9Ob26/04w

OGH9Ob26/04w29.9.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V***** S.p.a., *****, vertreten durch Kerres & Diwok, Baker & McKenzie, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Dobretsberger & Steininger, Rechtsanwälte in Linz, wegen EUR 552.102,23 sA (Rekursinteresse EUR 533.336,66), infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 26. November 2003, GZ 1 R 123/03v-38, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 18. Mai 2003, GZ 5 Cg 209/00f-30, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

I. Die Bezeichnung der beklagten Partei wird von "A***** M***** GmbH" auf "A*****GmbH" berichtigt.

II. Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 2.797,92 (darin EUR 466,32 USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Ad I. Die Firma der Beklagten wurde von "A***** M***** GmbH" auf "A***** GmbH" geändert (FN***** LG Linz). Die Parteibezeichnung der Beklagten war daher entsprechend zu berichtigen (§ 235 Abs 5 ZPO). Ad II. Das Berufungsgericht darf die Zulässigkeit des Rekurses in einem Aufhebungs- und Zurückweisungsbeschluss nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO nur dann aussprechen, wenn es die Voraussetzungen für gegeben erachtet, unter denen nach § 502 ZPO die Revision zulässig ist (§ 519 Abs 2 ZPO). Dies ist nach § 502 Abs 1 ZPO dann der Fall, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist.

Im vorliegenden Fall räumte das Berufungsgericht zwar ein, dass zu den einzelnen hier relevanten rechtlichen Aspekten eine ausreichende und eindeutige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliege, stützte aber die dennoch erfolgte Zulassung des Rekurses darauf, dass höchstgerichtliche Entscheidungen "zu einem vergleichbaren Sachverhalt mit dem sich daraus ergebenden Rechtsfragenkomplex" fehlen. Auch die Rekurswerberin räumt ein, dass zu jeder Rechtsfrage bereits Rechtsprechung des Oberstn Gerichtshofes existiere, wenn auch diese - ohne dass dies von ihr ausreichend substanziiert wird - "nicht immer einheitlich" sei. Entscheidend sei aber, dass bisher noch kein Sachverhalt zu beurteilen gewesen sei, der eine Verquickung aller dieser Konstellationen enthalten habe. Demnach fehle für einen derart komplexen Sachverhalt eine einheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes. In diesem Fall bedürfe es keiner Rechtsfrage besonderer Bedeutung, damit der Rechtszug an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.

Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO wird damit weder vom Berufungsgericht noch von der Rekurswerberin aufgezeigt. Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit des Rekurses an die diesbezügliche Beurteilung des Gerichtes zweiter Instanz nicht gebunden (§ 526 Abs 2 ZPO). Die Zurückweisung des Rekurses kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 528a iVm § 510 Abs 3 Satz 4 ZPO):

Dem vorliegenden Klagebegehren liegt der Bau und die Lieferung einer Anlage zur Herstellung von M***** durch die Klägerin zugrunde. Die Beklagte hält der daraus resultierenden Klageforderung mehrere Gegenforderungen entgegen, die sich unter anderem darauf gründen, dass die Klägerin den Vertrag verspätet erfüllt habe, sodass das für diesen Fall zwischen den Parteien vereinbarte Pönale zum Tragen komme; dazu komme noch ein das Pönale übersteigender entgangener Gewinn der Beklagten durch den verspäteten "Anfahrbeginn" der Anlage. Nach der Berufungsentscheidung geht es nur mehr um diese Gegenforderungen.

Das Erstgericht legte die Erklärungen der Parteien nach eingetretener Überschreitung der ursprünglich vereinbarten Vertragsstraftermine dahin aus, dass die Beklagte den neuen Liefertermin der Klägerin mit der Konsequenz zugestimmt habe, dass hiedurch neue Vertragsstraftermine ausgelöst worden seien, die die Klägerin schließlich eingehalten habe, sodass letztlich kein Pönale verwirkt worden sei und der Beklagten auch kein entgangener Gewinn zustehe. Demgegenüber legte das Berufungsgericht die Erklärungen der Parteien anlässlich des bereits eingetretenen Verzugs dahin aus, dass mit der "Aktualisierung" der Liefertermine keine Änderung der ursprünglichen Vertragsstraftermine erfolgt sei. Die Gegenforderungen der Beklagten aus dem Titel des Verzugs könnten daher nicht schon aus diesem Grund verneint werden. Sie seien aber noch nicht spruchreif, weshalb das Ersturteil insoweit aufzuheben und dem Erstgericht aufzutragen sei, sich mit den weiteren Voraussetzungen der Gegenforderungen, vor allem aber mit den sonstigen Einwendungen der Klägerin gegen diese Gegenforderungen auseinanderzusetzen.

Rechtliche Beurteilung

Der Sachverhalt mag nach Auffassung der Rekurswerberin noch so komplex sein, vorerst geht es "nur" um eine Frage der Auslegung von rechtsgeschäftlichen Erklärungen. Mangels hinreichender Klärung des Sachverhaltes ist derzeit noch nicht abschließend zu beurteilen, ob die Gegenforderungen der Beklagten zurecht bestehen, sondern nur, ob ihnen durch allenfalls von den Parteien getroffener Vereinbarungen von vornherein jede Grundlage entzogen wurde. Dies wurde vom Berufungsgericht nach sorgfältiger Auslegung der wechselseitigen Erklärungen der Parteien verneint.

An die Schlüssigkeit eines Verhaltens im Hinblick auf rechtsgeschäftlichen Willen ist nach § 863 Abs 1 ABGB ein strenger Maßstab anzulegen ("kein vernünftiger Zweifel"). Bei der Annahme eines stillschweigenden Verzichts ist besondere Vorsicht geboten (RIS-Justiz RS0014190). Der Umstand, dass ein Pönale nicht sogleich geltend gemacht wurde, rechtfertigt nicht die Annahme eines konkludenten Verzichts (RIS-Justiz RS0014259). Bloßes Schweigen hat grundsätzlich keinen Erklärungswert, insbesondere nicht die Bedeutung der Zustimmung zu einem Anbot; nur unter besonderen Umständen kann das Stillschweigen als Annahme gewertet werden (RIS-Justiz RS0013991, RS0014124 ua). Die Überlegungen der Rekurswerberin zum kaufmännischen Bestätigungsschreiben gehen an den festgestellten Erklärungen vorbei. Hierauf ist nicht weiter einzugehen. Wie letztlich eine Willenserklärung aufzufassen ist, ist jeweils nur nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Die Frage, ob irgendwelche besonderen Begleitumstände eine andere Deutung einer Willenserklärung zulassen, hat keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung (RIS-Justiz RS0042555 ua). Dies gilt insbesondere auch für die Beurteilung der Konkludenz von Willenserklärungen (RIS-Justiz RS0042776, RS0043253, RS0044298 ua). Auslegungsfragen entziehen sich zufolge ihrer Einzelfallbezogenheit im Allgemeinen generellen Aussagen. Sie begründen daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO, sofern keine auffallende Fehlbeurteilung vorliegt, die im Interesse der Rechtssicherheit wahrgenommen werden muss (RIS-Justiz RS0044358 ua). Von einem unvertretbaren Auslegungsergebnis des Berufungsgerichtes kann hier aber keine Rede sein. Ob auch eine andere Auslegung vertretbar wäre, ist keine erhebliche Rechtsfrage im vorgenannten Sinn (RIS-Justiz RS0042555, RS0042776, RS0042936, RS0044298, RS0112106 ua). Der Ansicht des Berufungsgerichtes, dass der Sachverhalt zur Beurteilung der Gegenforderungen der Beklagten noch weiter klärungsbedürftig ist, ist nicht entgegenzutreten (RIS-Justiz RS0042179 ua).

Die Kosten der Rekursbeantwortung waren der Beklagten zuzuerkennen, weil sie auf die Unzulässigkeit des Rekurses der Klägerin hingewiesen hat (RIS-Justiz RS0035962 ua).

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