OGH 4Ob149/04x

OGH4Ob149/04x18.8.2004

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzen, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Griß und Dr. Schenk und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel und Dr. Jensik als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Rudolf K*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Blum, Dr. Michael Brandauer und Mag. Johannes Blum, Rechtsanwälte in Feldkirch, gegen die beklagten Parteien 1. Marianne M*****, vertreten durch Dr. Mai Scherbantie, Rechtsanwältin in Dornbirn, 2. Christian M*****, 3. Wierich H*****, 4. Zeki K*****, vertreten durch Gisinger, Ender & Partner, Rechtsanwälte in Feldkirch, wegen US-Dollar 31.521,26 (= 36.329,15 EUR) sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 23. Oktober 2001, GZ 5 R 45/01h-24, womit der Beschluss des Landesgerichtes Feldkirch vom 29. Mai 2001, GZ 7 Cg 182/00k-18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten Partei die mit 5.264,46 EUR (darin 877,41 EUR Umsatzsteuer) und der viertbeklagten Partei die mit 10.202,82 EUR (darin 1.700,47 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens einschließlich der Kosten des Vorabentscheidungsverfahrens vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Kläger nimmt die Beklagten, deren Wohnsitz sich in Deutschland befindet, zur ungeteilten Hand in Anspruch. Sie hätten ihm ohne entsprechend ausreichende Risikoaufklärung und unter Vorspiegelung falscher Tatsachen einen Auftrag für zwei Optionsgeschäfte und Geldmittel in Höhe von insgesamt US-Dollar 82.500 herausgelockt. Diese Beträge habe er auf Empfehlung und direkte Aufforderung der Beklagten an die P***** GmbH, deren Sitz sich gleichfalls in Deutschland befindet und deren Erfüllungsgehilfen überwiesen. Die Beklagten hätten wahrheitswidrig die absolute Risikolosigkeit der Optionsgeschäfte bzw eine garantierte Absicherung des eingesetzten Kapitals vorgespiegelt und den Kläger vor Auftragserteilung nicht über Inhalt und Natur derartiger Optionsgeschäfte aufgeklärt. Tatsächlich seien über den eingeschalteten Broker unter Mitwirkung der Beklagten hoch spekulative Call-Optionsgeschäfte zu Lasten des Klägers durchgeführt worden. Der Kläger habe zwar einen Teil des eingesetzten Kapitals rückerstattet erhalten, der eingeklagte Betrag sei jedoch nicht rücküberwiesen worden. Er nehme die Beklagten als Geschäftsführer bzw Anlageberater der P***** GmbH in Anspruch. Aufgrund ihrer gemeinsamen Beteiligung an der widerrechtlichen, deliktischen Schadenszufügung hafteten sie solidarisch. Die Zuständigkeit des angerufenen Erstgerichts ergebe sich aus Art 5 Nr 3 EuGVÜ, wonach als örtlich zuständiges Gericht auch das Gericht am Ort des Schadenseintritts herangezogen werden könne. Der Schaden sei dem Kläger an seinem Wohnsitz - dieser befinde sich im Sprengel des angerufenen Erstgerichts - entstanden.

Die Erst- und der Viertbeklagte erhoben die Einrede der mangelnden internationalen Zuständigkeit. Die Erstbeklagte machte geltend, Vertragspartnerin des Klägers sei die P***** GmbH gewesen. Die Erstbeklagte sei passiv nicht legitimiert. Art 5 Nr 3 EuGVÜ komme nicht zur Anwendung, weil Gegenstand des Verfahrens nicht eine unerlaubte Handlung sei. Die Erstbeklagte hätte daher nach Art 2 EuGVÜ an ihrem Wohnsitz in Deutschland geklagt werden müssen. Der Viertbeklagte machte geltend, der Erstschaden sei, wenn überhaupt, nicht am Wohnsitz des Klägers, sondern an der Börse in London entstanden. Die internationale Zuständigkeit der österreichischen Gerichte lasse sich auch aus Art 2 EuGVÜ nicht ableiten, sodass der Viertbeklagte an seinem Wohnsitz in Deutschland hätte geklagt werden müssen.

An den Zweitbeklagten konnte die Klage bislang nicht zugestellt werden. Die Klagebeantwortung des Drittbeklagten wurde rechtskräftig zurückgewiesen.

Das Erstgericht wies die Klage hinsichtlich der Erst-, des Dritt- und des Viertbeklagten zurück. Der vom Kläger in Anspruch genommene Gerichtsstand des Art 5 Nr 3 EuGVÜ setze voraus, dass Verfahrensgegenstand eine unerlaubte Handlung oder eine dieser gleichgestellte Handlung sei. Der Kläger mache im vorliegenden Fall nicht Schadenersatzansprüche aus unerlaubter Handlung, sondern nicht unter Art 5 Nr 3 EuGVÜ fallende Schadenersatzansprüche aus einem Vertrag geltend.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil zur Frage, ob auch der Wohnsitz eines Anlegers, der im Ausland ein Anlegerkonto bedient habe, als zuständigkeitsbegründender Ort des Eintritts eines Vermögensschadens in Frage komme, Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle. Die ausschließlich auf deliktische Ansprüche gestützte Klage könne - als Ausnahme vom Wohnsitzgerichtsstand des Art 2 Abs 1 EuGVÜ - nach Art 5 Nr 3 EuGVÜ beim Gericht jenes Ortes eingebracht werden, an dem das schädigende Ereignis eingetreten sei. Darunter seien nach der Rechtsprechung des EuGH sowohl der Ort, an dem der Schaden eingetreten sei, als auch der Ort des ursächlichen Geschehens zu verstehen. Der Kläger könne daher - sofern beide Orte in einem Vertragsstaat liegen - nach seiner Wahl entweder am Handlungs- oder am Erfolgsort klagen. Handlungsort sei jener Ort, an dem das unter Art 5 Nr 3 fallende Delikt (oder Quasi-Delikt) ganz oder teilweise ausgeführt worden sei. Bei in Briefen, Fernschreiben oder - wie hier vom Kläger behauptet - in Telefonaten begangenen Delikten liege der Handlungsort dort, wo der Täter den Brief aufgegeben oder die Nachricht gesendet habe. Diese Handlungen seien nach dem Vorbringen des Klägers von einem im Ausland gelegenen Ort aus erfolgt. Die Klageerzählung lasse aber auch nicht auf einen in Österreich gelegenen Erfolgsort schließen. Dieser befinde sich dort, wo das geschützte Gut verletzt werde. Wenngleich sich der Erfolgsort bei etwa durch Brief, Fernschreiben oder Telefonat begangenen Delikten dort befinde, wo die Äußerung den Empfänger erreiche, komme der Wohnort des Klägers im vorliegenden Fall nicht als Ort des Schadenseintritts in Frage. Nach dem Vorbringen des Klägers habe er die abhanden gekommenen Geldmittel einer im Ausland ansässigen Anlagegesellschaft überwiesen; der behauptete Verlust seiner Mittel habe sich daher im Ausland verwirklicht. Erleide ein Anleger von Geldbeträgen einen Vermögensschaden dadurch, dass sein im Ausland bei einer Vermögensverwaltungsgesellschaft mit dortigem Sitz errichtetes Anlagekonto durch treuwidriges Verhalten von Zugriffsberechtigten entwertet oder geräumt werde, so bestehe kein Deliktsgerichtsstand im Inland als dem Staat seines Wohnsitzes. Der "Erfolgsort" liege dort, wo sich das Anlagekonto befinde. Der Umstand, dass der Anleger sein Vermögen als allgemein gemindert sehe, begründe keinen weiteren "Erfolgsort" an seinem Lebensmittelpunkt. Ein in Österreich gelegener Handlungs- oder Erfolgsort komme daher nach den Klagebehauptungen als Anknüpfungspunkt im Sinn des Art 5 Nr 3 EuGVÜ nicht in Frage.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Klägers ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Inländische Gerichtsbarkeit besteht nach § 27a JN idF BGBl 1997 I/140 in bürgerlichen Rechtssachen ohne weitere Voraussetzung immer dann, wenn die örtliche Zuständigkeit eines Gerichts gegeben ist und Völkerrecht nichts anderes bestimmt. Die Zuständigkeitsprüfung hat aufgrund der Angaben des Klägers zu erfolgen (§ 41 Abs 2 JN). Ergibt diese Prüfung eine örtliche Zuständigkeit des angerufenen inländischen Gerichts, dann folgt daraus grundsätzlich auch die inländische Gerichtsbarkeit.

Der Kläger macht Ansprüche auf Ersatz von Vermögensschäden gegen die in Deutschland wohnhaften Beklagten vor einem österreichischen Gericht geltend. Er beruft sich auf den Gerichtsstand des Art 5 Nr 3 EuGVÜ. Danach kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, in einem anderen Vertragsstaat geklagt werden, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden.

Da die Klage vor dem 1. 3. 2002 eingebracht wurde, findet noch das EuGVÜ Anwendung (Art 66 Abs 1 EuGVVO).

Der EuGH definiert Klagen aus "unerlaubten Handlungen" als Klagen, "mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen Vertrag im Sinn des Art 5 Nr 1 anknüpfen" (EuGH Slg 5565, Kalfelis/Schröder). Darunter fallen auch Ansprüche auf Ersatz von Vermögensschäden, die durch deliktische Handlungen im Zusammenhang mit einer Kapitalanlage entstanden sind (sofern - wie hier nach den Klageangaben - zwischen Schädiger und Geschädigtem kein Vertragsverhältnis bestanden hat).

Örtlich zuständig für derartige Klagen ist nach Art 5 Nr 3 EuGVÜ das Gericht des Orts, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist. Diese Bestimmung wird in der Rechtsprechung des EuGH vertragsautonom dahin ausgelegt, dass sie sowohl den Ort, an dem der Schaden eingetreten ist, als auch den Ort des ursächlichen Geschehens meint (EuGHSlg 1976, 1735 - Bier/Mines de Potasse; Slg 1995 I-2719 - Marinari/Lloyds Bank).

Der Kläger vertritt in seinem Revisionsrekurs den Standpunkt, der eingeklagte Schaden sei nicht am Ort, an dem sich das Anlagekonto befunden habe (somit nicht in Deutschland), sondern an seinem Wohnsitz dadurch entstanden, dass er auf telefonische Aufforderung der Beklagten Geldbeträge überwiesen habe. Er übersieht dabei, dass der Schaden nach dem Klagevorbringen nicht durch die Überweisung des Geldes an die Anlagegesellschaft, sondern daraus erwachsen ist, dass nicht, wie mit dem Kläger angeblich besprochen, eine sichere Anlage gewählt, sondern spekulative Optionsgeschäfte durchgeführt wurden, die mit Verlusten für den Kläger verbunden waren. Im Ausmaß dieser Verluste hat der Kläger behauptetermaßen einen Schaden erlitten.

Für die Frage der internationalen Zuständigkeit des angerufenen Erstgerichts ist daher maßgeblich, ob unter dem in Art 5 Nr 3 EuGVÜ angeführten "Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist", bei reinen Vermögensschäden, die bei der Veranlagung von Vermögensteilen des Geschädigten im Ausland eingetreten sind, auch der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Geschädigten (bzw sein Wohnort) oder nur jener Ort verstanden wird, an dem sich die Vermögensteile befunden haben, die der Kläger zur Geldanlage verwendet und verloren hatte. Mit dieser Frage hatte sich der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zunächst noch nicht befasst.

Der Oberste Gerichtshof hat daher mit Beschluss vom 9. April 2002, GZ 4 Ob 40/02i, dem EuGH folgende Fragen gemäß Art 234 EG zur Vorabentscheidung vorgelegt: "Ist die in Art 5 Nr 3 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. 9. 1968 (EuGVÜ) enthaltene Wendung "Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist", so auszulegen, dass sie in Fällen reiner Vermögensschäden, die bei der Veranlagung von Vermögensteilen des Geschädigten eingetreten sind, jedenfalls auch den Ort umfasst, an dem sich der Wohnsitz des Geschädigten befindet, wenn die Veranlagung in einem anderen Mitgliedsstaat der Gemeinschaft erfolgte?".

Mit Urteil vom 10. Juni 2004, C-168/02 , hat der EuGH erkannt, dass Art 5 Nr 3 der EuGVÜ dahin auszulegen sei, "dass sich die Wendung "Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist" nicht schon deshalb auf den Ort des Klägerwohnsitzes - als Ort des Mittelpunkts seines Vermögens - bezieht, weil dem Kläger nach seinem Vorbringen durch Verlust von Vermögensbestandteilen in einem anderen Vertragsstaat ein finanzieller Schaden entstanden ist".

In seinen Erwägungsgründen führte der EuGH aus (Rz 18), der Umstand, dass sich der in einem anderen Vertragsstaat erlittene Schaden des Klägers gleichzeitig auch auf sein Gesamtvermögen auswirke, rechtfertige nicht die Zuständigkeit der Gerichte eines anderen Vertragsstaates als desjenigen, in dem das ursächliche Geschehen stattgefunden habe und der Schaden eingetreten sei. Die Wendung "Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist", könne nicht so weit ausgelegt werden, dass sie jeden Ort erfasse, an dem die nachteiligen Folgen eines Umstands spürbar werden könnten, der bereits einen - tatsächlich an einem anderen Ort entstandenen - Schaden verursacht habe. Eine derartige Auslegung würde in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens die gerichtliche Zuständigkeit von ungewissen Umständen wie dem Ort des Mittelpunkts des Vermögens des Geschädigten abhängig machen und liefe folglich einem der Ziele des Übereinkommens zuwider, nämlich den Rechtsschutz der in der Gemeinschaft ansässigen Personen dadurch zu stärken, dass ein Kläger ohne Schwierigkeiten festzustellen vermag, welches Gericht er anrufen könne, und einem verständigen Beklagten erkennbar werde, vor welchem Gericht er verklagt werden könne. Überdies würde eine derartige Auslegung zumeist die Zuständigkeit der Gerichte des Klägerwohnsitzes begründen, ein Ergebnis, dem das Übereinkommen außer in den von ihm ausdrücklich vorgesehenen Fällen ablehnend gegenüberstehe (Rz 20).

Nach der - den Obersten Gerichtshof bindenden - Rechtsmeinung des EuGH wird der Gerichtsstand nach Art 5 Nr 3 EuGVÜ nicht dadurch am Ort des Kläger-Wohnsitzes als Ort des Mittelpunkts seines Vermögens begründet, dass dem Kläger (nach seinem Vorbringen) durch Verlust von Vermögensbestandteilen in einem anderem Vertragsstaat ein finanzieller Schaden entstanden ist.

Die Vorinstanzen haben daher die inländische Gerichtsbarkeit mangels örtlicher Zuständigkeit zutreffend verneint.

Dem unberechtigten Revisionsrekurs des Klägers wird ein Erfolg versagt.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 ZPO. Zu ersetzen waren die Revisionsrekursbeantwortungen der erst- und viertbeklagten Parteien. Die im Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH eingebrachten schriftlichen Erklärungen zum Vorabentscheidungsersuchen waren mangels Vorhandenseins eines Tarifs nach § 8 AHR zu bemessen, wonach der doppelte Betrag der TP 3C zugesprochen werden konnte. Die viertbeklagte Partei beansprucht Kosten für die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung vor dem EuGH zutreffend nach TP 3C, wobei der doppelte Betrag dieser Tarifpost zuzusprechen war.

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