Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Unterlassung der rechtlichen Unterstellung der Tat auch weiteren strafbaren Handlungen sowie im Strafausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Text
Gründe:
Der zum Tatzeitpunkt jugendliche Samwel S***** wurde mit dem angefochtenen Urteil des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB schuldig erkannt.
Danach hat er am 22. November 2003 in Wien fremde bewegliche Sachen, nämlich vier Pullover im Gesamtwert von 79,60 Euro Verfügungsberechtigten der Firma C***** mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz wegzunehmen versucht.
Das Erstgericht stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:
Der Angeklagte nahm am 22. November 2003 in Wien in einem Geschäftslokal der Firma C***** vier Pullover in Diebstahlsabsicht an sich und verließ mit ihnen das Geschäft. Er wurde hiebei von der Kaufhausdetektivin Monika G***** beobachtet, die ihren Kollegen Aleksandar K***** verständigte, der den Angeklagten sodann außerhalb des Geschäftes stellte. Der Kaufhausdetektiv forderte den Angeklagten auf, die Pullover herauszugeben, und erfasste diesen am Arm, worauf der Angeklagte seine Absicht, mit der Beute zu flüchten, aufgab, die Sachen fallen ließ uns sich losriss.
Aleksandar K***** erfasste dann den Angeklagten neuerlich am rechten Oberarm, wogegen sich der Angeklagte wehrte, wobei es zu einem Gerangel mit gegenseitigem Versetzen von Schlägen kam. Der Angeklagte versetzte auch Fußtritte und traf dabei die hinzukommende Monika G*****, die aber unverletzt blieb. Seine Tätlichkeiten setzte der Angeklagte, weil er sich nicht am Arm festhalten lassen wollte. Er hatte aber keine Fluchtabsicht und auch nicht die Absicht, Erhebungen gegen ihn oder eine Anzeigeerstattung zu verhindern. Zu den von Aleksandar K***** erlittenen Verletzungen traf das Erstgericht keine Feststellungen.
Das Landesgericht Wiener Neustadt lehnte sowohl die anklagekonforme Unterstellung der Tat unter die Qualifikationsnorm des § 131 StGB als auch die Subsumtion der Gewalthandlungen unter die Strafbestimmung des § 105 Abs 1 StGB ab, während es zu der vom Anklagevorwurf mitumfassten (§§ 262, 267 StPO, vgl S 93) Körperverletzung keinen Ausspruch traf.
Die Staatsanwaltschaft bekämpft dieses Urteil im Unterbleiben der Unterstellung des Sachverhaltes unter §§ 15, 105 Abs 1 und 83 Abs 1 StGB mit einer auf den Nichtigkeitsgrund der Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.
Rechtliche Beurteilung
Dem Vorbringen kommt Berechtigung zu:
Liegen hinreichende Gründe für die Annahme vor, dass eine Person eine mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung ausführe, unmittelbar vorher ausgeführt habe, oder dass nach ihr wegen einer solchen Handlung gefahndet werde, so ist gemäß § 86 Abs 2 StPO jedermann berechtigt, diese Person auf angemessene Weise anzuhalten; er ist jedoch verpflichtet, die Anhaltung unverzüglich dem nächsten Sicherheitsorgan anzuzeigen. Unter Anhaltung ist in diesem Sinne nicht nur das Gefangenhalten, sondern auch die diesem vorangehende Festnahme zu verstehen (vgl die später erfolgte Regelung des § 47 SPG, die bereits zwischen Festnahme und Anhaltung unterscheidet). Das Vorgehen des Kaufhausdetektives erfolgte in Ausübung dieses Anhalterechtes, wobei das Festhalten des Angeklagten - der kurz zuvor noch einen Fluchtversuch unternommen hatte - am Arm ein angemessenes Mittel zur Festnahme darstellte. Dieser Festnahme suchte sich der Angeklagte vorsätzlich mit Gewalt zu entziehen; nicht anders ist die Feststellung des Erstgerichtes zu verstehen, dass sich der Angeklagte nicht am Arm festhalten lassen wollte. Daran ändert der Umstand nichts, dass der Angeklagte - nach den Urteilskonstatierungen - weder eine Fluchtabsicht noch die Absicht hatte, die Erhebungen gegen ihn oder eine Anzeigeerstattung zu verhindern. Da der Angeklagte durch seine Gewalttätigkeit nur eine unerhebliche Verzögerung seiner Festnahme erreichte, ließe das vom Erstgericht konstatierte Tatsachensubstrat eine Subsumtion als Vergehen der Nötigung in der Erscheinungsform des Versuches (§§ 15, 105 Abs 1 StGB) zu (vgl auch 13 Os 42/00).
Hingegen hat das Erstgericht über die Zufügung von Verletzungen am Körper des Aleksandar K***** keine Feststellungen getroffen, obwohl die Ergebnisse des Beweisverfahrens solche indiziert haben (S 13, 19 iVm S 105). Die Beurteilung, ob der Angeklagte durch die konstatierte Gewalttätigkeit - in eintätigem Zusammentreffen (vgl 9 Os 137/75, EvBl 1979/145, S 403 = JBl 1979, 551 ff, 13 Os 43/01, 13 Os 77/02) mit dem Vergehen der versuchten Nötigung - auch das Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 oder Abs 2 StGB zu verantworten hat, ist daher mangels Feststellungen derzeit nicht möglich. Da das vom Erstgericht festgestellte Tatsachensubstrat somit für eine umfassende und abschließende rechtliche Beurteilung nicht ausreicht, kommt eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst nicht in Betracht.
Somit war der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Folge zu geben und das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, im Unterbleiben der Beurteilung der Tathandlungen auch als Vergehen der versuchten Nötigung nach den §§ 15, 105 Abs 1 StGB und als Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 bzw 2 StGB sowie im Strafausspruch aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.
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