OGH 2Nc11/04x

OGH2Nc11/04x14.4.2004

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko und Dr. Tittel als weitere Richter in der Rechtssache des Antragstellers Wolfgang P*****, vertreten durch Petsch, Frosch & Klein, Rechtsanwälte in Wien, wegen Bestimmung der Zuständigkeit nach § 28 JN, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Zur Verhandlung und Entscheidung über die vom Antragsteller aus dem Verkehrsunfall vom 9. 11. 2000 in der Nähe der Stadt Nasu/Japan einzubringende Klage gegen die Tokio M***** mit dem Sitz in Tokio*****, wird das Landesgericht für Zivilrechtssachen in Wien bestimmt.

Text

Begründung

Der Antragsteller beabsichtigt, gegen die Tokio M***** Japan eine Forderung (Schmerzengeld EUR 65.000,--, Verdienstentgang EUR 530.000,--, in eventu Zahlung einer Rente von EUR 3.200,-- monatlich, Zahlung von EUR 70.000,-- an vorprozessualen Kosten) sowie ein Begehren auf Feststellung der Haftung der genannten Company für alle künftigen Schäden aus einem Verkehrsunfall vom 9. 11. 2000 geltend zu machen.

Der Antragsteller habe sich am 9. 11. 2000 im Rahmen einer Dienstreise in Japan befunden und sei dort bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt worden. Das den Unfall verschuldende Fahrzeug sei bei der Tokio M***** mit dem Sitz in Tokio haftpflichtversichert gewesen. Für die erlittenen Verletzungen sei ein Schmerzengeld von EUR 65.000,-- Verdienstentgang von EUR 530.000,--, in eventu eine Rente von monatlich EUR 3.200,-- angemessen.

Zur Begründung seines Ordinationsantrages führte der Antragsteller aus, es lägen keine Anknüpfungspunkte für einen örtlichen Gerichtsstand in Österreich vor, weil sich der Unfall in Japan ereignet habe und sich die in Anspruch zu nehmende Partei ebenfalls in Japan befinde. Die Rechtsverfolgung im Ausland sei unzumutbar und mit außerordentlich hohen Kosten verbunden.

Ein inhaltlich gleichlautender Ordinationsantrag wurde zunächst mit Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom 4. 3. 2004 (2 Nc 8/04f) abgewiesen.

Im nunmehrigen Ordinationsantrag verweist der Antragsteller, dass er im konkreten Fall aus finanziellen Gründen nicht in der Lage sei, seine Ansprüche in Japan gerichtlich geltend zu machen, weil er die Anwaltskosten, die für das erstinstanzliche Verfahren mindestens EUR 78.000,-- betrügen, und auch die vorprozessualen Kosten nach japanischem Recht selbst zu tragen hätte. Die japanische Zivilprozessordnung kenne zwar das Institut der Prozesskostenhilfe, doch mangle es an den Voraussetzungen für die Befreiung von den Gerichtskosten (Verfahrenskostenhilfe) und die Übernahme von Rechtsanwaltskosten ("Legal Aid") weil er infolge der ihm zustehenden Invaliditätspension nicht bedürftig sei. Die Übernahme von Rechtsanwaltskosten ("Legal Aid") stehe nur jenen Ausländern zu, die in Japan ihren Wohnsitz hätten. Die Entscheidung eines österreichischen Gerichtes sei auch vollstreckbar. Die zu klagende Tokio M***** sei Alleingesellschafterin des englischen Unternehmens Tokio M***** mit Sitz in London. Weiters sei sie an der englischen Gesellschaft Tokio M***** Europe ***** mit dem Sitz in London beteiligt. Das Urteil eines österreichischen Gerichtes werde auf Grundlage der EuGVO in Großbritannien anerkannt und dort vollstreckbar. Die Pfändung (und Verwertung) von Geschäftsanteilen englischer Gesellschaften sei auch dann in Großbritannien möglich, wenn der Verpflichtete und Eigentümer desselben seinen Sitz in Japan habe.

Rechtliche Beurteilung

Der Ordinationsantrag ist berechtigt.

Vorauszuschicken ist, dass der Ordinationsantrag an keine Frist gebunden ist und - gegebenenfalls mit den notwendigen Inhaltsangaben versehen - jederzeit nachgeholt werden kann. Die Abweisung eines inhaltlich nicht ausreichend begründeten oder nicht ausreichend bescheinigten Antrags bildet daher kein Hindernis für die Entscheidung über einen neuen (ergänzten) Antrag (Matscher in Fasching, Zivilprozessgesetze I2 Rz 130 zu § 28 JN). Sind für eine bürgerliche Rechtssache die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichtes nicht gegeben oder nicht zu ermitteln, so hat der Oberste Gerichtshof aus den sachlich zuständigen Gerichten eines zu bestimmen, welches für die fragliche Rechtssache als örtlich zuständig zu gelten hat, wenn

1.) Österreich auf Grund eines völkerrechtlichen Vertrages verpflichtet ist oder

2.) der Kläger österreichischer Staatsbürger ist oder seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Inland hat und im Einzelfall die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder zumutbar wäre,

3.) die inländische Gerichtsbarkeit, nicht aber ein örtlich zuständiges Gericht vereinbart worden ist (§ 28 Abs 1 JN idF Art VI Z 3 WGN 1997, BGBl I 1997/140). Nach § 28 Abs 4 leg cit hat in streitigen bürgerlichen Rechtssachen der Kläger das Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs 1 Z 2 oder 3 zu behaupten und zu bescheinigen.

Die im § 28 Abs 1 Z 1 JN angeführte Voraussetzung kommt hier nicht in Betracht; die des Abs 1 Z 3 wurde nicht behauptet; eine Ordination wäre daher nur möglich, wenn eine Rechtsverfolgung in Japan nicht möglich oder unzumutbar wäre (Z 2).

Der erkennende Senat hat zwar in seiner Vorentscheidung ausgesprochen, dass "sich das Prozesskostenargument grundsätzlich bei Distanzprozessen für beide Parteien jeweils mit umgekehrten Vorzeichen stellt und daher im Allgemeinen nach dem Grundsatz, dass der Kläger den Beklagten an dessen Wohnsitz zu folgen habe, zu Lasten des Klägers gehe" und dass "dieser Grundsatz von der Rechtsprechung trotz der in den Materialien zur WGN 1997 (898 BlgNR XX. GP RV ErlBem 33) bekundeten, jedoch aus der Neuformulierung des Gesetzestextes des § 28 Abs 1 Z 2 JN nicht hervorgehenden Intention, die Kostspieligkeit der Führung eines Rechtsstreites im Ausland stärker zu berücksichtigen, aufrechterhalten worden sei" (2 Nc 8/04f). Der Antragsteller hat nunmehr aber bescheinigt, das ihm auf Grund der ihm zustehenden Invaliditätspension (mangels "Bedürftigkeit") eine Befreiung von den Gerichtskosten Japan nicht gewährt werden würde und auch die Übernahme von Rechtsanwaltskosten ("Legal Aid") nicht in Betracht käme, weil er seinen Wohnsitz nicht in Japan hat (vgl dazu Petersen, Das internationale Zivilprozessrecht in Japan, 361 FN 203). Damit würde der Antragsteller die von ihm jetzt bescheinigten (hohen) Anwaltskosten in Japan vorläufig selbst zu tragen haben. Die zu klagende Kapitalgesellschaft dagegen ist ein Weltkonzern mit Beteiligungen an europäischen Großunternehmen des Versicherungswesens. Unter diesen Umständen erscheint dem Kläger die Rechtsverfolgung im Ausland auf Grund der von ihm zu tragenden hohen Prozesskosten und im Hinblick auf die unterschiedlichen finanziellen Verhältnisse der Beteiligten tatsächlich nicht zumutbar. Schließlich ist ein in Österreich ergehendes Urteil in Großbritannien nach der EuGVO vollstreckbar; der Antragsteller hat durch ein Rechtsgutachten auch bescheinigt, dass ein in Österreich ergangenes Urteil nach englischem Recht gegen die an englischen Kapitalgesellschaften beteiligte Gegnerin trotz ihres Sitzes in Japan auch vollstreckt werden könnte, weshalb ein in Österreich zu schaffenden Titel nicht bloß ein "praktisch wertloses Urteilspapier (vgl 7 Nd 504/89)" wäre.

Da nunmehr der Antragsteller die Voraussetzungen für eine Ordination zureichend bescheinigt hat, war das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien antragsgemäß als örtlich zuständiges Gericht zu bestimmen.

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