OGH 8ObS4/04b

OGH8ObS4/04b12.3.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Lovrek sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Lukas Stärker und Gerhard Loibl als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Roman E*****, vertreten durch Dr. Albin Walchshofer, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei IAF Service GmbH, ***** vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17-19, wegen Insolvenz-Ausfallgeld in Höhe von EUR 6.887,21 netto, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. Oktober 2003, GZ 11 Rs 88/03w-9, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Steyr als Arbeits- und Sozialgericht vom 4. November 2002, GZ 25 Cgs 4/02w-5, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 499,39 EUR (darin enthalten 83,23 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war ab 2. 6. 1997 als "angestellter" Kraftfahrer bei der L***** Handels GmbH beschäftigt. Der Geschäftsführer seiner Dienstgeberin kündigte das Dienstverhältnis am 19. 2. 2001 zum 28. 2. 2001. Mit Urteil vom 25. 9. 2001 des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht zu 31 Cga 81/01w wurden dem Kläger gegenüber seiner ehemaligen Dienstgeberin 221.017,48 S (16.061,97 EUR) brutto an Abfertigung, Urlaubsentschädigung, Kündigungsentschädigung und restlichen Diäten unter anderem mit der Begründung zugesprochen, das Dienstverhältnis habe am 28. 2. 2001 durch fristwidrige Dienstgeberkündigung vom 19. 2. 2001 geendet. Tatsächlich wäre eine Kündigung erstmals zum 30. 6. 2001 möglich gewesen. Dieses Urteil ist rechtskräftig.

Mit Beschluss des Landesgerichtes Steyr als Konkursgericht vom 19. 3. 2002 wurde über das Vermögen der ehemaligen Dienstgeberin des Klägers der Konkurs eröffnet.

Der Kläger begehrt 5.269,69 EUR netto an Insolvenz-Ausfallgeld (Kündigungsentschädigung samt aliquoter Urlaubsersatzleistung für den Zeittraum 18. 3. bis 30. 6. 2001) und anteilige Kosten von 1.617,52 EUR. Die beklagte Partei habe ihm mit der Begründung, für ihn sei der Kollektivvertrag für Handelsarbeiter anzuwenden, Kündigungsentschädigung samt aliquoter Urlaubsersatzleistung lediglich bis 17. 3. 2001 zuerkannt. Dabei habe die beklagte Partei das auch sie bindende Urteil im arbeitsgerichtlichen Verfahren missachtet. Überdies sei der Kläger nicht Arbeiter, sondern Angestellter gewesen.

Die beklagte Partei wendet ein, die behauptete Anwendbarkeit des AngG könne sich nur auf eine vertragliche Vereinbarung stützen. Damit seien aber die hier geltend gemachten Ansprüche nicht gemäß § 3 Abs 3 IESG gesichert. Eine Bindung der beklagten Partei an das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht bestehe nicht.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Rechtlich vertrat es die Auffassung, dass die beklagte Partei zwar gemäß § 7 IESG bei der Beurteilung des Vorliegens eines gesicherten Anspruches an eine hierüber ergangene gerichtliche Entscheidung gebunden sei. Die Frage allerdings, ob die arbeitsrechtlichen Ansprüche auch gesichert seien, sei von der beklagten Partei eigenständig zu beantworten. Der Kläger sei lediglich kraft vertraglicher Regelung bei seiner ehemaligen Dienstgeberin als Kraftfahrer in einem Angestelltenverhältnis beschäftigt gewesen. Nach § 3 Abs 3 IESG seien der Berechnung des Insolvenz-Ausfallgeldes für gesicherte Ansprüche nur die gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen unter Bedachtnahme auf die Kündigungstermine und die gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen zugrundezulegen. Die beklagte Partei habe daher ihrer Berechnung zu Recht die Anwendung des Kollektivvertrages für Handelsarbeiter und damit eine Kündigungsmöglichkeit des Arbeitgebers unter Einhaltung einer dreiwöchigen Frist zum folgenden Samstag zugrunde gelegt.

Über Berufung des Klägers änderte das Berufungsgericht das Urteil im Sinne einer gänzlichen Stattgebung des Klagebegehrens ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur Frage, ob hinsichtlich der einem Vertragsangestellten nach dem AngG gebührenden Kündigungsentschädigung die Anspruchsbegrenzung des § 3 Abs 3 IESG Platz greife, höchstgerichtliche Judikatur nicht vorliege.

In seiner rechtlichen Beurteilung ging das Berufungsgericht davon aus, dass die Verwaltungsbehörde in der Beurteilung von Anspruchsbegrenzungen - etwa jener nach § 3 Abs 3 IESG - und Anspruchsausschlüssen in allen Fragen frei bleibe, die im gerichtlichen Verfahren von vornherein nicht zu prüfen gewesen seien oder mangels Einwendung nicht geprüft worden seien. Im Arbeitsgerichtsverfahren sei in diesem Sinn bindend entschieden worden, dass der hier gegenständliche Klageanspruch teils aus (Schadenersatz)Ansprüchen auf Kündigungsentschädigung, teils aus - im bezeichneten Verfahren rechtskräftig zuerkannten - Kostenersatzansprüchen bestehe und daher gemäß § 1 Abs 2 Z 2 und 4 lit a IESG zu den gesicherten Ansprüchen gehöre. Die beklagte Partei habe allerdings zu prüfen, ob dieser Anspruch nach den Bestimmungen des IESG begrenzt sei, weil diese Frage im Vorprozess nicht releviert worden sei. Nach § 3 Abs 3 IESG seien - mit hier nicht relevanten Ausnahmen bei der einzelvertraglichen Anrechnung von Vordienstzeiten - für gesicherte Ansprüche nur die gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen unter Bedachtnahme auf die Kündigungstermine und gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen zugrundezulegen. Der Kläger habe bereits in seiner mit dem Antrag auf Insolvenz-Ausfallgeld gekoppelten Forderungsanmeldung die Anwendbarkeit des Kollektivvertrages für Handelsangestellte behauptet. Nach den unbekämpften Urteilsannahmen des Erstgerichtes sei der Kläger kraft vertraglicher Vereinbarung mit seinem damaligen Arbeitgeber in ein Angestelltenverhältnis übernommen worden. Individualarbeitsrechtlich komme es durch die Vereinbarung des Angestelltenstatus zur Anwendung des Angestelltengesetzes als Vertragsschablone, ohne dass dadurch der grundsätzliche Unterschied zwischen Arbeiter und Angestellten beseitigt werde. Daher seien die unabdingbaren Ansprüche des Arbeitnehmers nach den tatsächlich verrichteten Diensten zu bestimmen. Die vertragliche Zuerkennung der Angestellteneigenschaft finde in zwingenden gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Bestimmungen des Arbeiterrechts ihre Grenzen. Zusätzlich seien die günstigeren Regeln des Angestelltengesetzes anzuwenden. Das bedeute nichts anderes, als dass auch für Angestellte ex contractu die Kündigungsfristen und Termine des Angestelltengesetzes anzuwenden seien. Wenn auch der Angestelltenstatus des Klägers an sich bloß vereinbart worden sei, sei die für ihn kraft dieser Vereinbarung geltende Kündigungsfrist gleichwohl eine gesetzliche, die als solche nach dem klaren Wortlaut des § 3 Abs 3 IESG auch der Berechnung des Insolvenz-Ausfallgeldes zugrundezulegen sei. Die gegenteilige Lösung wäre unbillig. Wenngleich es sich beim Anspruch auf laufendes Entgelt und dem Anspruch auf Kündigungsentschädigung um grundsätzlich verschiedene Ansprüche handle, wäre es doch sachlich nicht zu rechtfertigen, dem vor Konkurseröffnung fristgerecht Gekündigten die Ansprüche auf laufendes Entgelt während einer vereinbarungsgemäß längeren Kündigungsfrist mit Hinweis auf § 3a Abs 1 IESG zur Gänze zuzuerkennen, dem unter sonst gleichen Voraussetzungen vom Dienstgeber fristwidrig Gekündigten die Ansprüche auf Kündigungsentschädigung hingegen zu versagen. Nach § 20 Abs 2 AngG, auf den auch der Kollektivvertrag für Handelsangestellte in der zum Kündigungszeitpunkt geltenden Fassung verweise, sei der frühestmögliche gesetzliche Kündigungstermin der 30. 6. 2001 gewesen. Das Klagebegehren bestehe daher zur Gänze zu Recht.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von der beklagten Partei erhobene Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; die Revision ist jedoch nicht berechtigt.

Das Berufungsgericht bejahte den Anspruch des Klägers auf Zuerkennung von Insolvenz-Ausfallgeld zutreffend. Es reicht daher insoweit aus, auf die Begründung des Berufungsgerichtes zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO). Ergänzend ist anzumerken:

Zutreffend und in Übereinstimmung mit Lehre und Rechtsprechung (Liebeg IESG² § 7 Rz 6; RIS-Justiz RS0064724; 8 ObS 234/97p; SZ 71/86) hat das Berufungsgericht erkannt, dass zwar für die Frage, ob und welcher Anspruch gegen den Arbeitgeber vorliegt, die Entscheidung des Gerichtes bindend ist, die beklagte Partei aber in der Beurteilung von Anspruchsbegrenzungen und Anspruchsausschlüssen, die im gerichtlichen Verfahren nicht geprüft wurden, frei ist.

§ 3 Abs 3 IESG idF der Novelle BGBl I 107/1997 sieht vor, dass der Berechnung des Insolvenz-Ausfallgeldes (IAG) für gesicherte Ansprüche unbeschadet des zweiten Satzes nur die gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen unter Bedachtnahme auf die Kündigungstermine und die gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen zugrundezulegen sind. Grund für die Einfügung der Urfassung des § 3 Abs 3 IESG durch BGBl 1986/395 war das Bestreben, zur Vermeidung allfälliger Missbräuche die Zahlung von IAG insoweit zu begrenzen, als dieses bei laufendem Entgelt, Sonderzahlungen und Kündigungsentschädigungen nur bis zum Ablauf der nach Gesetz oder KollV zustehenden Kündigungsfrist unter Bedachtnahme auf die Kündigungstermine und die gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen gebühren sollte (vgl Liebeg IESG1 121 mH auf die Gesetzesmaterialien). Die nun anzuwendende Fassung des § 3 Abs 3 IESG bewirkt lediglich eine Verdeutlichung, dass gemäß § 3 Abs 3 IESG der Berechnung des IAG für gesicherte Ansprüche grundsätzlich nur die gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen unter Bedachtnahme auf die Kündigungstermine und die gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen zugrundezulegen sind. Die Einschränkung des § 3 Abs 3 IESG aF, die auf die Kündigung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber vor der Eröffnung des Konkurses oder des Ausgleichsverfahrens oder danach nach § 25 Abs 1 KO bzw gemäß §§ 20b, 20c AO abgestellt hat, ist weggefallen (vgl 8 ObS 2339/96w mwN). Die Regelung des § 3 Abs 3 IESG kommt nur dort zum Tragen, wo bei der Bestimmung des Ausmaßes des Insolvenz-Ausfallgeldes auf die Kündigungsfristen überhaupt Bezug genommen wird (8 ObS 121/02f). Diese Voraussetzung trifft hier deshalb zu, weil die Beurteilung, in welcher Höhe dem Kläger Kündgigungsentschädigung gebührt, unmittelbar davon abhängt, welche Kündigungsfrist bei Ausmessung der Kündigungsentschädigung zugrundezulegen ist. Weil § 3 Abs 3 IESG das Ausmaß der gesicherten Ansprüche längstens für die Zeit bis zum Ablauf der gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen beschränkt, können vertraglich vereinbarte Verlängerungen der Kündigungsfrist keine anspruchserhöhende Berücksichtigung finden (DRdA 1993, 217 [Holzer]; 8 ObS 3/98v; 8 ObS 2339/96w). Im hier zu beurteilenden Fall war der Kläger "angestellter" Kraftfahrer seiner früheren Dienstgeberin. In arbeitsvertraglicher Hinsicht bewirkt die Zuerkennung der Angestellteneigenschaft die vertragsmäßige Behandlung des Arbeitnehmers als Angestellten. Sie macht ihn deshalb zwar nicht zum Angestellten; vielmehr erfüllt das AngG hier die Funktion einer Vertragsschablone (RIS-Justiz RS0027842; SZ 69/269). Orientiert am Wortlaut des § 3 Abs 3 erster Satz IESG ist dem Berufungsgericht jedoch darin beizupflichten, dass hier zwischen dem Kläger und seiner früheren Dienstgeberin keine Kündigungsfrist "vereinbart" wurde. Vereinbart wurde vielmehr nur die Anwendung des AngG, dessen Kündigungsfrist somit als "gesetzliche" Kündigungsfrist anzusehen ist. Diese Auslegung steht auch im Einklang mit dem erwähnten Zweck der Regelung des § 3 Abs 3 erster Satz IESG, allfällige Missbräuche zu vermeiden. Von einem Missbrauch zu Lasten der beklagten Partei kann bei Vereinbarung der Angestellteneigenschaft des Klägers nicht ausgegangen werden: Immerhin hält sich die hier von den Arbeitsvertragsparteien getroffene Vereinbarung des Angestelltenstatus an ein vom Gesetzgeber selbst geregeltes Modell (§ 41 Abs 3 2. Satz ArbVG)

Das Berufungsgericht hat daher zutreffend eine Sicherung der Kündigungsentschädigung und der darauf entfallenden anteiligen Kosten auch insoweit bejaht, als der Zeitraum ab 18. 3. 2001 bis 30. 6. 2001 betroffen ist.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 ASGG.

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