OGH 4Nc37/03h

OGH4Nc37/03h19.1.2004

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Kodek als Vorsitzenden und durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß und Dr. Schenk als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj Tobias R*****, geboren am 1. Juli 1999, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Linz-Land vom 15. Dezember 2003, GZ 14 P 28/03f-24, gemäß § 111 Abs 1 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache des mj Tobias R***** an das Bezirksgericht Feldkirch wird nicht genehmigt.

Text

Begründung

Die Ehe der Kindeseltern wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts Linz-Land vom 21. 1. 2003 im Einvernehmen geschieden. Im zugleich abgeschlossenen Scheidungsvergleich vereinbarten die Eltern gemeinsame Obsorge. Sie kamen überein, dass sich das Kind überwiegend bei der Mutter aufhalten werde. Mutter und Kind wie auch der Vater lebten im Zeitpunkt der Ehescheidung und der Einleitung des Pflegschaftsverfahrens im Sprengel des Landesgerichts Linz-Land. Der Scheidungsvergleich ist in seinem Punkt über die Obsorge noch nicht pflegschaftsbehördlich genehmigt. Schon am 5. 2. 2003 stellte die Mutter den Antrag, ihr die alleinige Obsorge zu übertragen. Am 29. 4. 2003 beantragte sie, den Scheidungsvergleich nicht zu genehmigen, weil er dem Kindeswohl nicht entspreche. Schließlich beantragte auch der Vater, ihm die alleinige Obsorge zu übertragen (ON 8). Auf übereinstimmenden Antrag der Eltern, ein kinderpsychologisches Gutachten einzuholen, nahm das Erstgericht die Bestellung des Sachverständigen Dr. Klaus G***** in Aussicht und trug den Eltern den Erlag von Kostenvorschüssen auf.

Mit Schriftsatz vom 11. 12. 2003 teilte die Mutter mit, sie sei mit dem Kind in den Sprengel des Bezirksgerichtes Feldkirch verzogen und beantrage die Übertragung der Zuständigkeit an das Bezirksgericht des neuen Wohnsitzes.

Mit der Behauptung, ein weiterer Verbleib des Kindes bei der Mutter gefährde das Kindeswohl, die Mutter führe einen unsteten Lebenswandel und kümmere sich kaum mehr um den Sohn, beantragte der Vater schließlich, ihm die einstweilige alleinige Obsorge bis zur endgültigen Entscheidung des Gerichts über die widerstreitenden Obsorgerechtsanträge zuzuteilen.

Mit Beschluss vom 15. 12. 2003 übertrug das Bezirksgericht Linz-Land die Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Feldkirch. Im Hinblick auf den nunmehrigen Aufenthalt des Kindes sei es zweckmäßiger, wenn das Bezirksgericht am Wohnort des Kindes die Pflegschaftssache führe.

Das Bezirksgericht Feldkirch verweigerte die Übernahme des Pflegschaftsverfahrens unter Hinweis auf die noch offenen Anträge, insbesondere auf den vom Vater gestellten Antrag auf vorläufige Obsorge.

Die vom Bezirksgericht Linz-Land verfügte Übertragung der Zuständigkeit ist nicht gerechtfertigt.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 111 Abs 1 JN kann das Pflegschaftsgericht seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des dem Pflegebefohlenen zugedachten Schutzes voraussichtlich gefördert wird. Diese Voraussetzungen liegen im Allgemeinen vor, wenn die Pflegschaftssache dem Gericht übertragen wird, in dessen Sprengel der Mittelpunkt der Lebensführung des Kindes liegt. Auch offene Anträge sind kein grundsätzliches Übertragungshindernis (RIS-Justiz RS0047032). Es hängt aber von den Umständen des einzelnen Falls ab, ob die Entscheidung über offene Anträge durch das bisherige Gericht zweckmäßiger ist. Ist - wie hier - über die widerstreitenden Anträge der Eltern, ihnen jeweils allein die Obsorge über das Kind zuzuweisen, noch nicht entschieden, ist die Übertragung der Zuständigkeit an ein anderes Gericht in aller Regel unzweckmäßig (4 Nd 501/94; RIS-Justiz RS0047027). Grund für die Verweigerung der Zuständigkeitsübertragung ist in diesen Fällen vor allem, dass vor Entscheidung über die Obsorge noch nicht feststeht, ob das Kind im Sprengel des Gerichtes bleiben wird, an das die Zuständigkeit übertragen werden soll.

Im vorliegenden Fall haben sowohl die mit dem Kind in den Sprengel des Bezirksgerichts Feldkirch verzogene Mutter als auch der im Sprengel des bisher zuständigen Bezirksgerichts Linz-Land wohnhafte Vater den Antrag auf alleinige Obsorge gestellt. Der Vater hat überdies beantragt, ihm bis zur endgültigen Sorgerechtsentscheidung die vorläufige Obsorge zu übertragen, weil das Kindeswohl bei der Mutter gefährdet sei. Es ist daher in keiner Weise geklärt, wem von beiden Eltern die Obsorge übertragen wird und es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass - sollte der Vater mit seinen Anträgen durchdringen - eine Rückübertragung der Zuständigkeit an das Bezirksgericht Linz-Land erforderlich würde. Vor Entscheidung über die widerstreitenden Obsorgeanträge der Kindeseltern steht nicht fest, ob das Kind tatsächlich im Sprengel jenes Gerichtes bleiben wird, an das die Zuständigkeit übertragen werden soll. Dies hindert eine Zuständigkeitsübertragung im vorliegenden Verfahrensstadium. Die Übertragung der Zuständigkeit wird daher nicht genehmigt. Es wird Sache des Bezirksgerichts Linz-Land sein, über die widerstreitenden Sorgerechtsanträge der Kindeseltern wie auch über den Antrag des Vaters auf einstweilige Obsorge zu entscheiden. Erst nach dieser Entscheidung kann von einem stabilen Aufenthalt des Kindes ausgegangen werden, der eine Übertragung der Zuständigkeit rechtfertigen könnte.

Stichworte