OGH 2Ob301/03h

OGH2Ob301/03h15.1.2004

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des am 17. Juli 1962 geborenen Andreas S*****, infolge Revisionsrekurses des Betroffenen und des Sachwalters Christoph L*****, beide vertreten durch die Rechtsanwaltsgemeinschaft Mory & Schellhorn OEG in Salzburg, gegen den Beschluss des Landesgerichtes Salzburg als Rekursgericht vom 9. Oktober 2003, GZ 21 R 384/03x-41, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Salzburg vom 30. Juli 2003, GZ 2 P 79/02w-36, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

  1. 1.) Der Revisionsrekurs des Sachwalters wird zurückgewiesen.
  2. 2.) Dem Revisionsrekurs des Betroffenen Andreas S***** wird Folge gegeben.

    Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Mit Beschluss des Erstgerichtes vom 7. 11. 2002 wurde für den Betroffenen ein Sachwalter (Christoph L*****) bestellt. Es wurde ihm aufgetragen, folgende Angelegenheiten für den Betroffenen besorgen:

  1. a) Einkommensverwaltung;
  2. b) Vertretung vor Ämtern und Behörden.

    Am 21. 7. 2003 beantragte der Sachwalter ihn zu entheben und an seiner Stelle gemäß § 281 ABGB einen Rechtsanwalt oder einen Notar zum neuen Sachwalter zu bestellen. Er führte in dieser Eingabe aus, es sei ihm nicht gelungen, mit dem Betroffenen einen dauerhaften, konstruktiven Kontakt herzustellen. Eine Abfrage anhängiger Exekutionsverfahren habe ergeben, dass 15 verschiedene Gläubiger Exekution betrieben, weitere 10 Verfahren seien in der Abteilung 33 des Bezirksgerichtes Salzburg anhängig. Es sei zu prüfen, ob der Betroffene zum Zeitpunkt des der offenen Forderung jeweils zugrundeliegenden Rechtsgeschäftes tatsächlich geschäftsfähig gewesen sei. Bei einer Bank bestehe ein Kreditkonto mit einer offenen Forderung von EUR 14.800,-- sowie ein überzogenes Gehaltskonto von ca EUR 5.600,--. Der Betroffene habe zwei Gewerbeberechtigungen. Gegenüber der Gebietskrankenkasse bestehe ein Schuldenstand von ca EUR 5.000,--. Auf den Betroffenen sei auch ein Kraftfahrzeug zugelassen; da die Haftpflichtversicherung nicht bezahlt worden sei, sei kein Versicherungsschutz mehr gegeben. Aus diesem Grunde habe der Sachwalter an die Versicherung EUR 369,-- bezahlt. Er habe auch die offene Stromrechnung bezahlt. Beim Landesgericht Salzburg sei ein Strafverfahren gegen den Betroffenen anhängig.

    Es handle sich bei der vorliegenden Sachwalterschaft um eine außerordentlich komplexe und schwierige. Erschwerend komme hinzu, dass der Betroffene nicht bereit bzw nicht in der Lage sei, zur Klärung offener Fragen einen Beitrag zu leisten. Für die anstehenden Vertretungshandlungen in den anhängigen Exekutions- bzw Zivilrechtsverfahren und im anhängigen Strafverfahren seien vorwiegend Rechtskenntnisse erforderlich. Ebenso treffe das für eine allfällige Firmenauflösung bzw für ein Konkursverfahren zu. Allenfalls wäre auch zu überlegen, ob möglicherweise ein Privatkonkurs angestrebt werden solle. Auch dazu seien vorwiegend Rechtskenntnisse erforderlich.

    Das Erstgericht wies den Antrag mit der Begründung ab, es sei nicht klar ersichtlich, dass die Vertretung des Betroffenen in den vom Sachwalter angeführten Verfahren vorwiegend Rechtskenntnisse erfordere; es handle sich doch um bezirksgerichtliche Verfahren, für welche grundsätzlich lediglich bei einem Streitwert von über EUR 4.000,-- Anwaltszwang bestehe. Was jene Gerichtsverfahren betreffe, hinsichtlich derer die Einschreitung einer rechtskundigen Person notwendig scheine, stehe dem Antragsteller die Möglichkeit offen, einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zu stellen. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der vom Antragsteller zu besorgenden Angelegenheiten stelle eine Frage der Einkommensverwaltung dar, wozu jedenfalls nicht das Einschreiten einer rechtskundigen Person erforderlich sei.

    Gegen diesen Beschluss erhob lediglich der Betroffene Rekurs. Das Rekursgericht bestätigte die angefochtene Entscheidung und sprach aus, der ordentliche Revisionsrekurs sei nicht zulässig. Zur Rechtsfrage führte das Rekursgericht aus, die Sachwalterschaft sei an eine andere Person zu übertragen, wenn das Wohl des Pflegebefohlenen dies erfordere, wobei dem Gericht bei der Auswahl der Person, die zum Sachwalter bestellt werde, ein Ermessensspielraum eingeräumt sei; § 281 Abs 3 ABGB sei direkt nur im Bestellungsverfahren anwendbar, während die Auswahl, Belassung oder Auswechslung eines schon bestellten Sachwalters unter dem leitenden Gesichtspunkt des Wohles des Betroffenen nach billigem Ermessen geschehe. Freilich wäre eine Missachtung des im § 281 Abs 3 ABGB normierten Leitgedankens im Umbestellungsverfahren dem Wohl des Betroffenen abträglich. Es sei daher unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles zu beurteilen, ob die vom Sachwalter beantragte Umbestellung unter dem leitenden Gesichtspunkt des Wohles des Betroffenen angezeigt erscheine. Dies sei, wie bereits das Erstgericht zutreffend dargelegt habe, nicht der Fall. Unter dem leitenden Gesichtspunkt des Wohles des Betroffenen dürfe auch die von einem professionellen Vereinssachwalter am ehesten zu erwartende Ausfüllung der Personensorge und sozialarbeiterischen Komponente nicht vernachlässigt werden, was jedoch bei Bestellung einer rechtskundigen Person allenfalls zu besorgen wäre.

    Den ordentlichen Revisionsrekurs erachtete das Rekursgericht für nicht zulässig, zumal hinsichtlich fallübergreifender Fragen von einer vorhandenen Leitjudikatur des Obersten Gerichtshofes nicht abgewichen worden sei und bei der allfälligen Umbestellung des Sachwalters primär auf das konkrete Wohl des Betroffenen abzustellen sei.

    Gegen diesen Beschluss erhoben der Betroffene und der Sachwalter Revisionsrekurs und beantragten, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass dem Antrag des Sachwalters stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Sachwalters ist unzulässig, weil dieser den Beschluss des Erstgerichtes nicht angefochten hat.

Der Revisionsrekurs des Betroffenen ist aber zulässig, weil - wie im Folgenden noch darzulegen sein wird - das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist; er ist im Sinne seines Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Der Betroffene macht in seinem Rechtsmittel geltend, der gegenständliche Fall sei kein "normaler" Sachwalterschaftsfall im Rahmen dessen hin und wieder ein Zivil- oder Exekutionsverfahren vom Sachwalter zu behandeln sei. Vielmehr sei der Betroffene in insgesamt 33 Verfahren verfangen; es seien dies 10 laufende Zivilverfahren, 22 Exekutionsverfahren und ein Strafverfahren wegen Untreue. Überdies sei nunmehr auch ein Konkursverfahren anhängig. Der Sachwalter sei somit im gegenständlichen Fall mit komplexen zivilrechtlichen, strafrechtlichen und konkursrechtlichen Fragen konfrontiert. Er habe auch zu überprüfen, ob gegebenenfalls Zahlungen im Rahmen der Einkommens- und Vermögensverwaltung eine Begünstigung oder Benachteiligung von Gläubigern darstellen könnten. Darüber hinaus habe der Sachwalter in mehreren Zivilverfahren komplexe Fragen der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung und der Rechtswirksamkeit der vom Betroffenen abgeschlossenen Verträge zu beurteilen. In den Exekutionsverfahren sei zu prüfen, ob Rechtsmittel gegen die Exekutionsbewilligung erhoben werden könnten. Im Vergleich zu diesen Tätigkeiten seien die sozialarbeiterischen oder sonstigen Aufgaben des Sachwalters gering. Das Rekursgericht habe gegen § 281 Abs 3 ABGB verstoßen und stünden die Beschlüsse der Vorinstanzen auch im Widerspruch zum Wohle des Betroffenen.

Hiezu wurde erwogen:

Bei der Auswahl der Person des einstweiligen Sachwalters ist § 281 ABGB anzuwenden. Gemäß § 281 Abs 3 ABGB ist, wenn die Besorgung der Angelegenheit der behinderten Person vorwiegend Rechtskenntnisse erfordert, ein Rechtsanwalt (Rechtsanwaltsanwärter) oder Notar (Notariatskanditat) zum Sachwalter zu bestellen. Wenngleich dem Gericht bei der Auswahl jener Person, welche zum Sachwalter bestellt werden kann, ein Ermessensspielraum eingeräumt ist, ist nach dem zwingenden Wortlaut des § 281 Abs 3 ABGB dann, wenn es klar ist, dass zur Besorgung der Angelegenheiten vorwiegend Rechtskenntnisse erforderlich sind, eine rechtskundige Person im Sinne des § 281 Abs 3 ABGB zum Sachwalter zu bestellen. Die genannte Bestimmung zeigt, dass bei der Auswahl des Sachwalters besonders auf die Art der Angelegenheiten, die zu besorgen sind, zu achten ist. Soll also der Sachwalter den Behinderten in einem Rechtsstreit vertreten oder fordern die von ihm zu besorgenden Angelegenheiten sonst vorwiegend Rechtskenntnisse, so ist grundsätzlich, je nach den Umständen, ein Rechtsanwalt, Notar, Rechtsanwaltsanwärter oder Notariatskanditat zum Sachwalter zu bestellen (SZ 68/95; RIS-Justiz RS0048291). Das Gesetz (§ 281 Abs 3 ABGB) geht also davon aus, dass das Wohl des Pflegebefohlenen dann, wenn der Sachwalter diesen in einem Rechtsstreit vertreten soll oder die von ihm zu besorgenden Angelegenheiten sonst vorwiegend Rechtskenntnisse erfordern, grundsätzlich nur dann ausreichend gewahrt ist, wenn eine Person aus dem Kreise des § 281 Abs 3 ABGB zum Sachwalter bestellt wird. Dies gilt für die Bestellung eines Sachwalters, gleichermaßen aber auch bei der Frage der Auswechslung eines solchen (vgl 9 Ob 97/98z). Es kann für das Wohl des Betroffenen keinen Unterschied machen, ob es zur erstmaligen Bestellung eines Sachwalters kommt, oder ob ein schon bestellter Sachwalter durch einen anderen ersetzt werden soll. Sind die Voraussetzungen des § 281 Abs 3 ABGB gegeben, dass ist eine dort genannte Person zum Sachwalter zu bestellen, unabhängig davon, ob es sich um die erstmalige Bestellung oder um den Austausch eines schon bestellten Sachwalters handelt.

Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen kann nicht gesagt werden, dass - selbst unter Zugrundelegung der Ausführungen des Sachwalters - die Besorgung der Angelegenheiten des Behinderten nicht vorwiegend Rechtskenntnisse erfordere. Auch wenn in Verfahren vor den Bezirksgerichten in Sachen, deren Streitwert EUR 4.000,-- nicht übersteigt, kein Anwaltszwang besteht (§ 27 Abs 1 ZPO), dann heißt das nicht, dass nicht in solchen Verfahren Rechtskenntnisse nützlich und erforderlich sind. Berücksichtigt man im vorliegenden Fall, dass nach den Behauptungen des Sachwalters eine Vielzahl von Zivil- und Exekutionsverfahren und auch ein Strafverfahren anhängig ist (nach den Behauptungen im Revisionsrekurs auch noch ein Konkursverfahren), dann kann nicht ohne weiteres gesagt werden, die vom Sachwalter zu besorgenden Angelegenheiten erforderten nicht vorwiegend Rechtskenntnisse. Dies wäre nur dann der Fall, wenn es sich bei diesem Verfahren um einfache Verfahren handelte, was aber derzeit nicht beurteilt werden kann.

Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren zu prüfen haben, inwieweit der Betroffene in Zivil-, Exekutions-, Straf- und Konkursverfahren involviert ist und ob deren Besorgung nicht doch Rechtskenntnisse erfordert. Sollte dies aber der Fall sein, wird es eine Person aus dem Kreise des § 281 Abs 3 ABGB zum Sachwalter für den Betroffenen zu bestellen haben.

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