OGH 1Ob192/03x

OGH1Ob192/03x16.12.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** AG, ***** vertreten durch Dr. Alfred Feitsch, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei C***** Handelsgesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Kurt Berger, Dr. Ullrich Saurer und Dr. Peter Zöchbauer, Rechtsanwälte in Wien, wegen Bucheinsicht (Streitwert EUR 200.000) infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 12. Juni 2003, GZ 3 R 60/03w-14, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Wie die Revisionswerberin selbst erkennt, hängt die Entscheidung in erster Linie von der Auslegung der Vertragspunkte IV. 4. der beiden "Entpflichtungs- und Lizenzvereinbarungen" ab, in denen der klagenden Partei das Recht eingeräumt wurde, die Richtigkeit der Lizenznehmer-Meldungen (der beklagten Partei) - erforderlichenfalls durch Bucheinsicht - regelmäßig zu überprüfen. Gibt die Formulierung einer Vertragsklausel zu keinen Unklarheiten Anlass, so liegt auch dann keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO vor, wenn dieser Vertragstext in einer Vielzahl von Verträgen mit zahlreichen Vertragspartnern verwendet wird. Anhaltspunkte dafür, dass gerade im vorliegenden Fall eine abweichende Auslegung dem Willen der Vertragsparteien entsprochen hätte, führt die Revisionswerberin nicht ins Treffen.

2. Soweit das Berufungsgericht die Auffassung vertrat, das Recht der klagenden Partei zur Überprüfung der "Richtigkeit" der Abrechnungen umfasse auch die Vollständigkeitsprüfung, kann darin - insbesondere unter Bedachtnahme auf die gesamte Rechtskonstruktion der Sammlung von Verpackungsabfällen - keine Fehlbeurteilung erblickt werden. Es besteht kein Grund dafür, den verwendeten Begriff der "Richtigkeit" isoliert zu betrachten und einer allein grammatikalischen Beurteilung zu unterziehen. Nach dem Rechtsstandpunkt der Revisionswerberin könnte sie sich jeglicher Überprüfung durch die klagende Partei allein dadurch entziehen, dass sie die vertraglich vorgesehenen Meldepflichten überhaupt nicht erfüllt, vertritt sie doch den Standpunkt, nur die tatsächlich abgegebenen Meldungen dürften auf ihre inhaltliche Richtigkeit, nämlich die darin enthaltenen Angaben über das Gewicht der Produkte und die Zuordnung zu den einzelnen Tarifen, überprüft werden. Da diese Meldungen aber unter anderem auch dazu dienen, der klagenden Partei eine Grundlage für die Berechnung des vom Vertragspartner geschuldeten Entgelts zu liefern, erscheint es naheliegend, in den Begriff der "Richtigkeit" auch die Vollständigkeit einzubeziehen. Eine unvollständige Meldung ist letztlich auch nicht richtig.

Die Revisionswerberin nimmt bei ihrer Auslegung vor allem nicht darauf Bedacht, dass sie nach Punkt I. 2. der Verträge verpflichtet ist, mit all jenen Verpackungsmateralien, auf welche die Verpackungsverordnungen anzuwenden sind, am Sammelsystem teilzunehmen, soweit nicht für bestimmte Verpackungsmaterialien "nachweislich" bereits auf einer anderen Wirtschaftsstufe eine Entpflichtung vorgenommen wurde oder für die vom Lizenznehmer selbst oder durch von ihm beauftragte befugte Personen "nachweislich" eine gesetzeskonforme Entsorgung und Verwertung ohne direkte oder indirekte Inanspruchnahme des Sammelsystems erfolgt. Auch nach der geänderten Vertragsbestimmung in der Vereinbarung für Serviceverpackungen ist der Lizenznehmer verpflichtet, mit jenen Verpackungsmaterialien, ... für welche seine Kunden eine Entpflichtung durch ihn wünschen, am Sammelsystem teilzunehmen; ungeachtet des nicht mit letzter Klarheit formulierten letzten Satzes dieser Vertragsbestimmung kann sich der Lizenznehmer dieser Verpflichtung nicht dadurch entziehen, dass er trotz eines bestehenden Kundenwunsches die entsprechenden Mengen an Verpackungsmaterial der klagenden Partei nicht meldet. Es bestehen daher keine Bedenken dagegen, das vertraglich eingeräumte Überprüfungsrecht der klagenden Partei auch auf die Vollständigkeit der abgegebenen Meldungen zu erstrecken. Die von der Revisionswerberin angestrebte Auslegung, die klagende Partei dürfe bloß Einsicht in die bei der beklagten Partei vorhandenen Unterlagen nehmen, um festzustellen, ob das Entgelt für die tatsächlich gemeldeten Produkte richtig ermittelt wurde, trägt den berechtigten - und in den entsprechenden Vertragsklauseln hinlänglich deutlich zum Ausdruck kommenden - Interessen der klagenden Partei nicht ausreichend Rechnung. Die vertraglich vereinbarte Möglichkeit zur Bucheinsicht soll der klagenden Partei ersichtlich - auch im Interesse der übrigen Vertragspartner (vgl auch Vertragspunkt IV. 5.) - eine gerechte Umlegung der Gesamtkosten des Sammelsystems auf die Produzenten und Vertreiber von (in der Folge zu Abfall gewordenen) Verpackungsmaterialien erleichtern; auch § 11 Abs 3 Z 3 VerpackVO 1996 spricht im Zusammenhang mit der angemessenen Mitwirkung der Vertragsnehmer an der Kontrolle der Mitteleinhebung ausdrücklich von einer "vollständigen Meldung der Mengen". Damit ist auch noch keine unmittelbare wirtschaftliche Belastung des einzelnen Vertragspartners der klagenden Partei verbunden. Dieser hat jedenfalls die Möglichkeit, die auf der Basis der Bucheinsicht in Rechnung gestellten Entgelte in einem allfälligen Leistungsprozess dem Grunde und/oder der Höhe nach zu bestreiten.

3. Soweit sich die Revisionswerberin in der Revision auf einen angeblichen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch die klagende Partei beruft, ist sie darauf zu verweisen, dass entsprechende Prozessbehauptungen im Verfahren erster Instanz nicht aufgestellt wurden, sodass einer nunmehrigen Geltendmachung das Neuerungsverbot entgegensteht. Im Übrigen weist die Revisionswerberin zutreffend darauf hin, dass ein solcher Missbrauch nur dann vorliegen könnte, wenn dem Vertragspartner Verpflichtungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung eines an sich legitimen Ziels entbehrlich sind und deshalb die Freiheit des Vertragspartners unbillig einschränken. Welche gelinderen Mittel der klagenden Partei zur Verfügung stehen sollten, wenn sie Bedenken gegen die Richtigkeit (einschließlich der Vollständigkeit) der von der beklagten Partei erstatteten Meldungen hat, legt die Revisionswerberin allerdings nicht dar. Auch auf die Ausführungen zu einem (nach § 35 KartG verbotenen) Behinderungsmissbrauch ist angesichts des Neuerungsverbots nicht einzugehen.

4. Davon, dass sich die klagende Partei Kontrollrechte anmaße, die nur staatlichen Behörden übertragen werden dürften, kann im Zusammenhang mit dem vertraglich vereinbarten Bucheinsichtsrecht keine Rede sein. Dieses wird auch in anderen Konstellationen häufig ausbedungen, sofern ein Vertragspartner zur Ermittlung des ihm zustehenden Entgelts sonst allein auf die Auskünfte des anderen angewiesen wäre. Ob die Vertragspartner der klagenden Partei ihrerseits berechtigt wären, Auskünfte über deren Geschäftsgebarung zu verlangen bzw diese zu überprüfen, ist hier nicht abschließend zu beurteilen; ein auffallendes Missverhältnis zwischen den Rechtspositionen der Streitteile, das zu einer Nichtigkeit der strittigen Vertragsklausel im Sinne des § 879 Abs 3 ABGB führen würde, ist jedenfalls zu verneinen. Auch in diesem Zusammenhang lässt die Revisionswerberin offen, welche gelinderen Mittel als die Bucheinsicht der klagenden Partei zur Verfügung stünden, um ihre berechtigten Vertragsinteressen zu schützen.

5. Entgegen der Auffassung der Revisionswerberin sind die dargelegten gemeinschaftsrechtlichen Fragen nach der (richtlinienkonformen) Auslegung des Begriffs des Herstellers von Verpackungen für das vorliegende Verfahren ohne Bedeutung. Die wiederholt erwähnte Vertragsklausel gibt der klagenden Partei das Recht zur Einsichtnahme in die "verpackungsrelevanten und für die Ermittlung des Lizenzentgelts maßgeblichen Bücher und Schriften" der beklagten Partei. Selbst wenn die Zweifel der beklagten Partei daran, ob bestimmte von ihr in Verkehr gebrachte Verpackungsmaterialien überhaupt von der Richtlinie 94/62/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. 12. 1994 über Verpackungen und Verpackungsabfälle erfasst sind, berechtigt wären, änderte dies nichts daran, dass sich die klagende Partei einen ausreichenden Überblick über die entgeltsrelevanten Tatsachen nur durch eine umfassende Bucheinsicht verschaffen kann. Dass es dabei auch zur Einsicht in Unterlagen kommen könnte, die sich auch auf solche Materialien beziehen, deren Qualifikation zwischen den Streitteilen strittig ist, wird dabei möglicherweise nicht zu vermeiden sein. Die beklagte Partei zeigt jedoch nicht auf, inwieweit die Entscheidungen der Vorinstanzen in diesem Sinne "überschießend" wären und inwieweit die zugestandene Bucheinsicht eingeschränkt werden könnte, ohne die berechtigten Interessen der klagenden Partei zu schmälern.

Auch die Berufung auf die "Ungültigkeit" der (gesamten?) "Entpflichtungs- und Lizenzvereinbarungen" wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage infolge Verstoßes der dem Vertrag zugrunde liegenden Bestimmungen der VerpackVO gegen den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts ist verfehlt: Der Wegfall oder das Fehlen der Geschäftsgrundlage führt nicht zur Ungültigkeit, sondern nur zur Anfechtbarkeit einer Vereinbarung in weitgehend sinngemäßer Anwendung der irrtumsrechtlichen Vorschriften (vgl nur Koziol/Welser I12 150; Rummel in Rummel3, § 901 ABGB Rz 7a); auf die Ausübung eines derartigen Gestaltungsrechts hat sich die beklagte Partei aber bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz nicht berufen.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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