OGH 1Ob224/03b

OGH1Ob224/03b18.11.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Heinz K*****, 2. Werner S*****, 3. Helmut P*****, 4. Franz P*****, und 5. Franz R*****, alle vertreten durch Dr. Charlotte Böhm, Mag. Marina Breitenecker, Dr. Christine Kolbitsch und Dr. Heinrich Vana, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Österreichischer Gewerkschaftsbund, Wien 1., Hohenstaufengasse 10-12, vertreten durch Dr. Walter Riedl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert EUR 29.069,13) infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Mai 2003, GZ 12 R 7/03t-15, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs wurde vom Erstgericht ausdrücklich verworfen. Das Berufungsgericht hat diese Auffassung - wenn auch ohne ausdrücklichen Ausspruch - geteilt und (zutreffend) darauf hingewiesen, dass Entscheidungen von Vereinsschiedsgerichten nach einhelliger Judikatur - jedenfalls nach Ausschöpfung des vereinsinternen Instanzenzugs - auf dem Rechtsweg "bekämpft" werden können (siehe dazu nur RIS-Justiz RS0045138). Ein bereits vom Berufungsgericht verworfener vermeintlicher Nichtigkeitsgrund kann aber in der Revision nicht neuerlich geltend gemacht werden (Nachweise bei Kodek in Rechberger2 Rz 2 zu § 503 ZPO).

2. Mit 1. 7. 2002 ist das Vereinsgesetz 2002 in Kraft getreten, das in seinem § 7 Regelungen über die Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Vereinsbeschlüssen enthält. Die frühere - auf den vorliegenden Sachverhalt noch anwendbare - Rechtslage, die insoweit keine eigenen Regeln aufweist, wird in Zukunft nicht mehr anzuwenden sein. Für die Rechtseinheit, Rechtssicherheit und Rechtsentwicklung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO können daher grundsätzliche Ausführungen des Obersten Gerichtshofs zu allenfalls zweifelhaften Fragen des alten Rechts nur mehr ausnahmsweise von Bedeutung sein.

3. Es entspricht ganz herrschender Rechtsprechung, dass einem Vereinsmitglied, das sich durch einen Vereinsbeschluss beschwert erachtet, die Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit (Nichtigkeit) zu Gebote steht (vgl nur RIS-Justiz RS0038953, JBl 2003, 648 uva). Darauf, dass ein auf § 879 ABGB gestütztes Feststellungsbegehren keiner Verjährung und auch keiner Klagefrist unterliegt, weisen auch die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage des Vereinsgesetzes 2002 hin. Dort wird ausgeführt, dass nach geltender Rechtslage gesetzwidrige wie statutenwidrige Beschlüsse gleichermaßen nichtig seien, da eine Anfechtung nicht vorgesehen sei; die derzeit unbefristete Möglichkeit, die Nichtigkeit von Vereinsbeschlüssen geltend zu machen, könne jedoch zu unangenehmen Konsequenzen für den Verein führen, weshalb durch die Neuregelung dem Bedürfnis nach einer für Vereinsmitglieder weniger nachteiligen und schwerwiegenden Regelung der Rechtsfolgen in § 7 VereinsG 2002 Rechnung getragen werde (990 BlgNR 21. GP, 27 f). Die beklagte Partei beruft sich auch nicht auf besondere statutarische Normen, aus denen sich die Notwendigkeit einer unverzüglichen Geltendmachung einer Nichtigkeit ergäbe. Die "Verspätung" eines Feststellungsbegehrens könnte somit nur nach allgemeinen Grundsätzen berücksichtigt werden. Es kann jedoch weder gesagt werden, dass wegen des Ablaufs einer übergroßen Zeitspanne das Feststellungsinteresse weggefallen wäre, noch dass sich das Begehren als rechtsmissbräuchlich darstellte, noch dass aus dem vorprozessualen Verhalten der Kläger ein stillschweigender Verzicht auf eine "Bekämpfung" der Vereinsbeschlüsse abgeleitet werden könnte; Derartiges behauptet die beklagte Partei auch gar nicht.

Soweit die Revisionswerberin in diesem Zusammenhang von einer "Anfechtungszulässigkeit" sowie davon spricht, es würden die "in der Rechtsordnung einschlägig üblichen Zeiten" als angemessen anzusehen sein, was bedeute, dass jedenfalls die Überschreitung einer Frist von sechs Wochen als verspätet zu werten sei, übersieht sie, dass es hier nicht um eine Anfechtungs-, sondern vielmehr um eine Feststellungsklage geht. Darüber hinaus bleibt offen, aus welchen Bestimmungen sie die angeführte Maximalfrist von sechs Wochen ableiten will.

Selbst wenn man auch im Vereinsrecht ähnlich strenge Maßstäbe wie im Recht der Kapitalgesellschaften anlegen wollte - dies wird allerdings in den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage des Vereinsgesetzes 2002 (990 BlgNR 21. GP 28) deutlich abgelehnt -, käme als Analogiegrundlage allenfalls die die aktienrechtliche Nichtigkeitsklage betreffende Bestimmung des § 200 Abs 2 AG in Betracht (§ 41 Abs 4 GmbHG und § 197 Abs 2 AG beziehen sich dagegen auf Anfechtungsklagen). Dort wird eine Frist von drei Jahren ab Eintragung des Beschlusses in das Firmenbuch statuiert, nach deren Ablauf die Nichtigkeit nicht mehr geltend gemacht werden kann. Nachdem die angefochtenen Beschlüsse am 29. 11. 2000 und am 23. 5. 2001 gefasst werden und die Klage am 24. 12. 2001 erhoben wurde, könnte auch bei Bejahung einer Analogie von einer "Verspätung" keine Rede sein.

4. Soweit sich die Revisionswerberin schließlich darauf beruft, die mit den angefochtenen Beschlüssen zu Vereinsorganen bestellten Mitglieder seien die eigentlich von der Klageführung Betroffenen, diese seien aber entgegen Art 6 EMRK am Verfahren nicht beteiligt gewesen, geht sie mehrfach von unrichtigen Prämissen aus. Einerseits wäre sie selbst durch die Nichtbeachtung von Rechtspositionen Dritter nicht beschwert. Andererseits wirken gerichtliche Entscheidungen, soweit das Gesetz nicht ausdrücklich etwas Abweichendes anordnet, unmittelbar nur zwischen den Prozessparteien (vgl nur Fasching, Lehrbuch2, Rz 1524 ff). Abgesehen davon, dass es den gewählten Mitgliedern des Landesvorstands möglich gewesen wäre, sich als Nebenintervenienten am Prozess zu beteiligen, steht es ihnen frei, ihrerseits rechtliche Schritte zu unernehmen, sofern der Verein der in diesem Verfahren ergangenen Entscheidung Rechnung trägt und die ungültige Wahl wiederholt. (Eine abweichende Beurteilung der Nichtigkeitsfrage wäre aber wohl nur im Falle einer geänderten Tatsachengrundlage zu erwarten.)

5. Der Frage, ob das Berufungsgericht die für die konkrete Entscheidung maßgeblichen Bestimmungen der Vereinsstatuten sowie der sonstigen allgemein-abstrakten Vereinsnormen richtig angewendet hat, kommt regelmäßig keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Eine gravierende Fehlbeurteilung, die aus Gründen der Rechtssicherheit gemäß § 502 Abs 1 ZPO aufzugreifen wäre, liegt ebenfalls nicht vor. Die Auffassung des Berufungsgerichts, von der Feststellung einer bestimmten Vereinsübung sei dann abzusehen, wenn die zutreffende Vorgangsweise den einschlägigen Vereinsbestimmungen bei gesetzmäßiger Auslegung eindeutig zu entnehmen sei, ist in keiner Weise bedenklich. Die Berufung der Revisionswerberin auf eine Vereinsübung, die kleinere Einheiten verstärkt berücksichtige, ist schon deshalb unzutreffend, weil bei der letzten Wahl im Zusammenhang mit der Bestimmung des Delegiertenschlüssels gerade nicht in der nunmehr gepflogenen Weise vorgegangen worden war.

Soweit das Berufungsgericht im Ergebnis die Anordnung (§ 3 Abs 3 der Geschäftsordnung), der Wahl bzw Bestellung der Mitglieder der Organe das "Stärkeverhältnis der Wählergruppen der Landessektionen" zugrunde zu legen, als Verweis auf die den in Betracht kommenden (zwei) Wählergruppen jeweils zugezählten Stimmen (unter Einschluss der fiktiv errechneten Stimmen in den Fällen einer Bedachtnahme auf eine Personalvertretungs- oder Betriebsratswahl) verstanden hat, kann darin keine verfehlte Auslegung gesehen werden. Der (erstmalige und nicht näher konkretisierte) Hinweis auf eine Regelung im § 26a der Geschäftsordnung muss schon deshalb unbeachtlich bleiben, weil die im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegte Fassung der Geschäftsordnung keinen § 26a enthält.

Selbst wenn man aber bei der Auslegung des Begriffes "Stärkeverhältnis der Wählergruppen der Landessektionen" in erster Linie auf die "Mandatszahl", also auf die Anzahl der der einen oder der anderen Wählergruppe angehörenden Mitglieder der einzelnen Landessektionsleitungen, abstellen wollte, wäre damit für die beklagte Partei nichts gewonnen, weil sich dabei ein Gleichstand von je 85 Funktionären in den Landessektionsleitungen ergibt. Um der Anordnung des § 16 Abs 5 lit b der Geschäftsordnung, nach der der Vorsitzende aus der stärksten, ein Vorsitzender-Stellvertreter aus der zweitstärksten Wählergrupe zu wählen ist, entsprechen zu können, erscheint es jedenfalls unerlässlich, zumindest in zweiter Linie auf die Anzahl der auf die (beiden) Wählergruppen entfallenden (teils fiktiv berechneten) Stimmen abzustellen.

6. Zu Unrecht vermeint die beklagte Partei schließlich auch, es stehe einer Klagestattgebung entgegen, dass die Wahlen der Delegierten zum Landestag von den Klägern nicht "angefochten" worden sind. Da es - wie bereits dargestellt - keiner eigenen Anfechtung bedarf, um einen regelmäßig zur Unwirksamkeit führenden Verstoß gegen Vereinsbestimmungen geltend machen zu können, können sich die Kläger einfach darauf berufen, dass die auf der Basis des unwirksamen Beschlusses vom 29. 11. 2000 beruhenden Delegiertenwahlen ebenfalls nichtig seien. Dass in Ansehung der Delegiertenwahlen ein vereinsinternes Schiedsverfahren nicht eingeleitet worden wäre, macht die beklagte Partei nicht geltend. Die Kläger haben sich aber jedenfalls in einem solchen Verfahren gegen die Festsetzung des Delegiertenschlüssels gewehrt, sodass nicht zu erkennen ist, warum sich die Kläger darüber hinaus noch ausdrücklich gegen die namentliche Bestimmung der Delegierten auf Basis eben dieses Schlüssels hätten wehren müssen. Warum die "Delegiertenentsendung wegen der mangelnden Anfechtung" nicht mehr abänderbar sein solle, ist somit nicht verständlich, zumal die Rechtslage vor dem VereinsG 2002 eine auf Anfechtung gerichtete Klage gar nicht kannte.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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