OGH 10Ob47/03i

OGH10Ob47/03i18.11.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Andrea R*****, Frankreich, vertreten durch Dr. Tassilo Neuwirth und andere, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Ariane G*****, Musikerin, *****, vertreten durch Dr. Marcus Bachmayr-Heyda, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 22. Jänner 2003, GZ 41 R 302/02v-15, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Klägerin hat gegen die Beklagte eine Klage auf Räumung einer Wohnung eingebracht. Die Beklagte ist sowohl bei der ersten Tagsatzung am 5. 6. 2002 als auch bei der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am 10. 7. 2002 persönlich aufgetreten. In diesem Termin wurde die Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung auf 30. 7. 2002 erstreckt. In der Streitverhandlung vom 30. 7. 2002 ist für die Beklagte "Dr. F. D***** f. Dr. T***** für Dr. Herbert R*****" erschienen, der die Beklagte ohne nähere Begründung entschuldigt hat. Die Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung wurde zur Ladung der Beklagten auf den 14. 8. 2002 erstreckt. Die Beklagte ist zu diesem Termin wiederum nicht erschienen (die Zustellung der Ladung war durch Hinterlegung ausgewiesen). Das Gericht hat daraufhin die Verhandlung geschlossen und am 9. 9. 2002 ein klagsstattgebendes Urteil erlassen, das am 17. 9. 2002 an RA Dr. Herbert R***** zugestellt wurde.

Am 11. 10. 2002 kam die Beklagte zum Amtstag beim Erstgericht und gab zu Protokoll: "Ich habe am 22. Juli 2002 in der oben angeführten Rechtssache meiner nunmehrigen Rechtsvertreterin Dr. Madeleine Z***** ... Prozessvollmacht erteilt. ... Ich wusste, dass Frau Dr. Z***** hinsichtlich der mündlichen Streitverhandlung vom 30. 7. 2002 verhindert sein würde, wie auch Dr. T*****, mit dem sie eine Kanzleigemeinschaft führt, und teilte mir diese mit, dass sie deshalb Antrag auf Verlegung stellen wird. Ab diesem Zeitpunkt hörte ich nichts mehr von ihr. In weiterer Folge erhielt ich dann ein Schreiben von RA Dr. D*****, in welchem mir dieser mitteilte, dass er zwischenzeitig die Verhandlung vom 30. 7. 2002 wahrgenommen hat und die nächste Verhandlung vom August 2002 wahrnehmen wird. Kenntnis von diesen Schreiben erlangte ich infolge Urlaubs allerdings erst Ende August. ... Bei Akteneinsicht am heutigen Tag musste ich erkennen, dass die Zustellung des Urteils vom 9. 9. 2002 an RA Dr. R*****, der mir zwar bekannt ist, den ich aber im gegenständlichen Verfahren nicht bevollmächtigt hatte, am 17. 9. 2002 erfolgt ist. ... Ich kann mir vorstellen, dass Dr. D***** ... vielleicht fälschlicherweise angenommen hat, Dr. T***** substituiere RA Dr. R*****. Ich möchte nochmals wiederholen, dass ich im gegenständlichen Verfahren ausschließlich durch Frau Dr. Z***** vertreten werde und wurde. Dr. R***** habe ich mit Sicherheit keine wie auch immer geartete Vollmacht erteilt und ist die Zustellung des Urteils vom 9. 9. mir gegenüber somit nicht erfolgt. Ich stelle daher den Antrag auf Zustellung des Urteils vom 9. 9. 2002 zuhanden meiner rechtsfreundlichen Vertretung, RA Dr. Z*****. ...."

Die Erstrichterin hat daraufhin am 14. 10. 2002 ein Telefonat mit RA Dr. R***** geführt, der ihr bestätigte, von der Klägerin tatsächlich nicht bevollmächtigt worden zu sein. Er habe die Beklagte zur Kanzlei Z*****/T***** geschickt. Das Urteil habe er am 17. 9. erhalten und mit einem Begleitschreiben, dass Dr. T***** das Gericht von der Vollmacht verständigen möge, am selben Tag an Dr. T***** weitergeleitet. Weiters hat die Erstrichterin ein Telefonat mit Dr. T***** geführt, der den Erhalt des Urteils bestätigte und eine Berufung ankündigte.

Am 17. 10. 2002 langte beim Erstgericht die am 15. 10. 2002 zur Post gegebene Berufung der Beklagten, vertreten durch RA Dr. Madeleine Z*****, ein. Als Berufungsgründe wurden Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht; eine fehlerhafte Zustellung oder eine Falschzustellung wurde nicht gerügt.

Mit Urteil vom 22. 1. 2003 gab das Berufungsgericht der Berufung der Beklagten nicht Folge. Es verneinte die gerügten Verfahrensmängel, übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens und sah die Rechtsrüge als nicht gesetzmäßig ausgeführt an, da sich diese nicht am festgestellten Sachverhalt orientiere.

Das Berufungsurteil wurde am 21. 2. 2003 an RA Dr. Madeleine Z***** zugestellt. Am 3. 3. 2003 langte ein Schriftsatz der Rechtsanwaltskanzlei Z***** - T***** - Z***** ein, wonach der Beklagtenvertreter das Vollmachtsverhältnis zur beklagten Partei aufgelöst habe.

In weiterer Folge berief sich die Beklagte gegenüber dem Erstgericht mehrfach darauf, dass noch immer keine wirksame Zustellung des Ersturteils erfolgt sei; sie beantragte daher die Zustellung des Urteils des Erstgerichts. Diesen Antrag hat das Erstgericht mit Beschluss vom 24. 3. 003 abgewiesen.

Am 21. 3. 2003 überreichte die Beklagte beim Erstgericht einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe (einschließlich Beigebung eines Rechtsanwalts) zur Erhebung der außerordentlichen Revision an den Obersten Gerichtshof. Die Verfahrenshilfe wurde bewilligt und ein Rechtsanwalt als Vertreter der Beklagten bestellt.

Dieser überreichte fristgerecht eine außerordentliche Revision, die allein darauf gestützt wird, dass die von der Kanzlei Dr. Z***** erhobene Berufung nicht rechtswirksam gewesen sei, weil das Ersturteil, gegen das sich die Berufung gewendet habe, niemals rechtswirksam zugestellt worden sei. Eine Heilung des Zustellmangels habe nicht eintreten können, weil weder in der Zustellverfügung noch auf dem Zustellstück selbst der richtige Empfänger, nämlich die von der Beklagten bevollmächtigte Rechtsanwältin Madeleine Z***** genannt gewesen sei. Es liege daher nicht eine fehlerhafte Zustellung, sondern eine Falschzustellung vor. Da der Lauf der Berufungsfrist mangels wirksamer Zustellung des Ersturteils nie begonnen habe, habe auch keine rechtswirksame Berufung eingebracht werden können. Die Entscheidung des Berufungsgerichts sei daher "nicht rechtsmäßig ergangen ... Da der Oberste Gerichtshof gleichbleibend judiziert ..., dass sowohl in der Zustellverfügung der Behörde, als auch auf dem Zustellstück selbst der nach dem anzuwendenden Verfahrensrecht richtige Empfänger genannt sein muss und dass es nicht genügt, dass dem Empfänger eine Ausfertigung des zuzustellenden Schriftstückes, die ihm gar nicht zugestellt werden sollte, von einer anderen Person zugemittelt wird ..., ist das Berufungsgericht mit seiner Entscheidung von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen".

Rechtliche Beurteilung

Mit dieser Ansicht lässt die Beklagte völlig außer Acht, dass sie nach ihrer eigenen Darstellung Vollmacht an RA Dr. Madeleine Z***** erteilt hat, die bei aufrechter Vollmacht eine rechtzeitige Berufung gegen das Ersturteil eingebracht hat. Aus allgemeinen Verfahrensgrundsätzen (unabhängig von § 7 ZustG und über ihn hinausgehend) gilt, dass kein nachträgliches Berufen auf einen Zustellmangel möglich ist, wenn dem Zustellinhalt gemäß reagiert wurde. Stummvoll (in Fasching 2 II/2 Anh § 87 ZPO [§ 7 ZustG] Rz 23) spricht hier von Heilung durch Einlassung. Dieser Gedanke kommt zB auch in § 377 Abs 2 Satz 3 Geo zum Ausdruck, wonach bedeutungslos gewordene Zustellnachweise zu vernichten sind. Auch die höchstgerichtliche Rechtsprechung hat diesen Gedanken bereits dadurch zum Ausdruck gebracht, dass eine Heilung eines Zustellmangels angenommen wird, wenn eine Verfügung über (ursprünglich mangelhaft zugestellte) Schriftstücke getroffen wurde (RIS-Justiz RS0083731 [T1] und [T2]; ebenso Gitschthaler in Rechberger, ZPO2 § 7 ZustG Rz 9).

Im konkreten Fall hat die von der Beklagten bevollmächtigte Rechtsanwältin genau so gehandelt wie von ihr zu erwarten gewesen wäre, hätte sie das Ersturteil unmittelbar durch das Gericht (und nicht über einen Umweg) zugestellt bekommen, nämlich rechtzeitig eine Berufung im Namen der Beklagten zu erheben. Es ist daher nicht zu erkennen, dass eine weiterhin aufrechte (weil noch nicht geheilte) Verletzung von Verfahrensvorschriften vorliegen soll.

Erst recht ist keine erhebliche Rechtsfrage des Verfahrensrechts iSd § 502 Abs 1 ZPO zu lösen, weshalb die außerordentliche Revision zurückzuweisen ist.

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