OGH 2Ob249/03m

OGH2Ob249/03m13.11.2003

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Erwin R*****, vertreten durch Dr. Gottfried Forsthuber, Rechtsanwalt in Baden, gegen die beklagte Partei Gabriele B*****, vertreten durch Dr. Johann Grandl, Rechtsanwalt in Mistelbach, wegen Wiederaufnahme (Feststellung der Vaterschaft), infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes Korneuburg als Rekursgericht vom 8. Mai 2003, GZ 25 R 73/03t-15, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluss des Bezirksgerichtes Mistelbach vom 3. Februar 2003, GZ 6 C 20/02f-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat der beklagten Partei die mit EUR 300,10 (darin EUR 50,02 USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Kläger begehrt mit seiner am 9. 7. 2002 beim Erstgericht eingelangten Klage die Wiederaufnahme des Verfahrens C 104/55 des Bezirksgerichtes Wolkersdorf und die Behebung des Urteils vom 18. 4. 1956, mit welchem die Vaterschaft zur Beklagten festgestellt wurde, sowie die Feststellung, dass er nicht der Vater der Beklagten sei.

Dem Urteil des Bezirksgerichtes Wolkersdorf sei ein Sachverständigengutachten mit der Untersuchung der klassischen Blutgruppen und der Faktoren M, N zugrunde gelegen, wonach die Vaterschaft des Klägers zur Beklagten nicht ausgeschlossen werden könne. Er habe kurz vor Einbringung der Wiederaufnahmsklage Kenntnis erlangt, dass die damals angewendete Untersuchungsmethode nach heutigem wissenschaftlichen Stand veraltet und überholt sei. Mit der Anwendung eines neueren Untersuchungsverfahrens , der DNA-Analyse, könne im wiederaufzunehmenden Verfahren mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen werden, dass er nicht als Vater der Beklagten in Frage komme. Diese Umstände seien dem Kläger am 1. 7. 2002 in einem Gespräche mit einem Arzt des Institutes für Gerichtliche Medizin, bestätigt mit Schreiben vom 4. 7. 2002 bekannt geworden.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Frist des § 534 Abs 1 ZPO sei zum Zeitpunkt der Einbringung der Klage abgelaufen, weil sie bereits im Jänner 2002 ein Schreiben des Rechtsvertreters der Klägers erhalten habe, aus dem hervorgehe, dass der Kläger beabsichtige, eine DNA-Analyse durchzuführen. Nach Rücksprache mit dem Gerichtsmedizinischen Institut in Wien im Jänner 2002 sei für eine Analyse ein Testergebnis von der Beklagten und deren Mutter erforderlich.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und traf folgende wesentliche Feststellungen:

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Wolkersdorf vom 18. 4. 1956 wurde der Kläger als Vater der Beklagten festgestellt. Im damaligen Verfahren wurde ein Sachverständigengutachten über die Verteilung der Blutgruppen und M, N Faktoreneigenschaften der Beurteilung zugrunde gelegt. Kurz vor Jänner 2002 nahm der Kläger Kontakt mit dem Gerichtsmedizinischen Institut in Wien auf, da er von seiner beruflichen Tätigkeit her wusste, dass dort Blutgruppen nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft untersucht werden. Im Anschluss daran verfasste der Rechtsvertreter des Klägers mit dessen Wissen und Zustimmung ein Schreiben an die Beklagte, mit dem das Ersuchen um Kontaktaufnahme erging, weil der Kläger eine DNA-Analyse bezüglich der zu ihr festgestellten Vaterschaft beabsichtige, wofür nach Rücksprache mit dem Gerichtsmedizinischen Institut in Wien ein Testergebnis der Beklagten und deren Mutter erforderlich sei. In einem weiteren Schreiben vom 15. 2. 2002 wurde der Beklagten mitgeteilt, dass der Kläger immer noch Zweifel an der festgestellten Vaterschaft habe und nunmehr mittels eines DNA-Tests die Möglichkeit bestehe, die Vaterschaft mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festzustellen. Die Beklagte lehnte es ab, sich freiwillig einer DNA-Analyse zu unterziehen.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahingehend, die Frist des § 534 Abs 2 Z 4 ZPO beginne, sobald der Wiederaufnahmskläger die neuen Tatsachen und Beweismittel soweit kenne, dass er ihre Eignung für ein allfälliges Verfahren prüfen könne. Bereits im Jänner 2002 habe der Kläger Kenntnis über die Möglichkeit der Überprüfung der Vaterschaft mittels DNA-Analyse gehabt und sei im Stande gewesen, das ihm bekannt gewordene Beweismittel bei Gericht vorzulegen. Er habe auch beabsichtigt, eine DNA-Analyse durchführen zu lassen. Nicht ausschlaggebend sei, dass der Kläger nicht gewusst habe, welche Untersuchungsmethoden und mögliche Vorgangsweise vorzunehmen und welche Personen in die Begutachtung mit einzubeziehen seien. Es genüge das Wissen des Klägers, dass die DNA-Analyse nach dem heutigen Stand der Wissenschaft als verlässliches Beweismittel zur Verfügung stehe. Dies komme im Schreiben des Rechtsvertreters vom 15. 2. 2002 zum Ausdruck, weshalb die Frist des § 534 ZPO versäumt sei.

Das Gericht zweiter Instanz gab der als Rekurs aufzufassenden Berufung des Klägers nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Es stellte seinen Ausführungen voran, das Erstgericht hätte die Wiederaufnahmsklage mit Beschluss als verspätet zurück- und nicht abweisen müssen, weshalb die Berufung als Rekurs aufzufassen sei.

Der Oberste Gerichtshof habe in einem vergleichbaren Fall den Beginn des Fristenlaufes des § 534 Abs 2 Z 4 ZPO mit jenem Tag angenommen, an dem dem Rechtsvertreter des Wiederaufnahmeklägers ein Schreiben des Vorstandes des Gerichtsmedizinischen Institutes in Graz zugegangen war, wonach es mit der DNA-Frequenzanalyse, ein neues Verfahren gebe, nach dessen Durchführung ein Vaterschaftsausschluss des Klägers denkmöglich wäre. Mit Erhalt dieses Schreibens sei der Kläger in die Lage versetzt worden, die ihm bekannt gewordene neue Untersuchungsmethode als Beweismittel bei Gericht zu beantragen. (4 Ob 25/00f). Dem Kläger sei bereits im Februar 2002 bekannt gewesen, dass mittels DNA-Analyse die Möglichkeit bestehe, die Vaterschaft mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festzustellen, weshalb er ab diesem Zeitpunkt im Stande gewesen sei, das ihm bekannt gewordene neue Beweismittel bei Gericht vorzubringen, was den Fristenlauf ausgelöst habe.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes uneinheitlich sei.

Seit der Entscheidung 8 Ob 599/92 (SZ 66/10) werde judiziert, die objektive Frist von 10 Jahren nach § 534 Abs 3 ZPO sei auf Wiederaufnahmsklagen gegen Urteile, mit denen die Vaterschaft zu einem unehelichen Kind festgestellt worden sei, nicht anzuwenden. Solche Klagen seien also nicht objektiv befristet. Mit der Entscheidung 4 Ob 25/00f sei aber ausgesprochen worden, dass die unterschiedlichen subjektiven Fristen bei Bekämpfung eines Vaterschaftsanerkenntnisses (§ 164b ABGB) und für die Wiederaufnahmsklage zur Bekämpfung eines Vaterschaftsfeststellungsurteiles (§ 534 Abs 1 ZPO) aus folgenden Gründen sachlich gerechtfertigt seien: im Abstammungsverfahren komme ein die Vaterschaft feststellendes rechtskräftiges Urteil erst nach Durchführung eines Beweisverfahrens und nach (allfälliger) Überprüfung der Gesetzmäßigkeit des Verfahrens im Instanzenzug zustande, wobei der Grundsatz der materiellen Wahrheitsforschung gelte. Ein Vaterschaftsanerkenntnis gründe sich allein auf den guten Glauben des anerkennenden Mannes ohne vorangegangene Prüfung der wahren Abstammung des Kindes. Da die Rechtskraft eines nach einem Verfahren mit amtswegiger Wahrheitsforschung ergangenen Urteils schutzwürdiger sei als die Rechtswirksamkeit eines nur auf die subjektive Überzeugung gegründeten Anerkenntnisses, erscheine es gerechtfertigt, dem Anerkennenden eine längere Frist zur gerichtlichen Anfechtung des Anerkenntnisses einzuräumen als dem Wiederaufnahmskläger.

Das Rekursgericht führte dazu weiters aus, eine konsequente Weiterverfolgung dieser Argumentation müsse zu dem Ergebnis führen, für die Wiederaufnahmsklage sei ebenfalls die objektive Frist des § 534 Abs 3 ZPO anzuwenden, weshalb die Klage schon aus diesem Grund als verspätet zurückzuweisen wäre. Dies erscheine aber im Hinblick auf die seit der Entscheidung 8 Ob 599/92 bestehende Judikatur sowie die langsame Weiterentwicklung medizinischer Untersuchungsergebnisse problematisch. Folge man dieser letztgenannten Entscheidungskette, dürfe auch die subjektive Frist des § 534 Abs 1 ZPO auf diese spezielle Wiederaufnahmsklage nicht angewendet werden, weshalb die Klage als rechtzeitig eingebracht angesehen werden könnte. Auf diese Problematik sei auch in der Entscheidung 4 Ob 25/00f hingewiesen worden.

Der Kläger beantragt in seinem Revisionsrekurs, die Beschlüsse der Vorinstanzen zu beheben und dem Erstgericht die Einleitung des Verfahrens aufzutragen.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs des Klägers zurückzuweisen, hilfsweise, ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Klägers ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Zutreffend hat das Rekursgericht auf die seit der Entscheidung 8 Ob 599/92 (SZ 66/10 = ÖA 1994,32 = EFSlg 72.998 = EFSlg 73.034 = EFSlg 73.048) bestehende Judikaturkette verwiesen, wonach die (objektive) Frist des § 534 Abs 3 ZPO auf Wiederaufnahmsklagen gegen Urteile, mit denen die Vaterschaft zu einem unehelichen Kind festgestellt wurde, nicht anzuwenden ist (RIS-Justiz RS0044469; RS00444350 je mwN).

In der Entscheidung 4 Ob 25/00f (SZ 73/25 = EvBl 2000/129) wurde ausgesprochen, die (subjektive) Frist des § 534 Abs 1 ZPO sei in Abstammungsverfahren ohne Einschränkung anzuwenden. Dies lasse sich daraus ableiten, dass in Abstammungsverfahren ein die Vaterschaft feststellendes rechtskräftiges Urteil erst nach Durchführung eines Beweisverfahrens und (gegebenenfalls) nach Überprüfung der Gesetzmäßigkeit des Verfahrens im Instanzenzug zustande komme, während ein Vaterschaftsanerkenntnis alleine auf dem guten Glauben des anerkennenden Mannes ohne vorangegangene Prüfung der wahren Abstammung des Kindes gründe, wobei der Anerkennende in aller Regel zuvor noch nicht mit Gerichten in Kontakt gekommen sei. Da die Rechtskraft eines nach einem Verfahren mit amtswegiger Wahrheitsforschung ergangenen Urteiles schützwürdiger sei als die Rechtswirksamkeit eines nur auf die subjektive Überzeugung gegründeten Anerkenntnisses, erscheine es gerechtfertigt, dem Anerkennenden eine längere Frist zur gerichtlichen Anfechtung des Anerkenntnisses einzuräumen. Es müsse nicht erörtert werden, ob diese Erwägungen entgegen der in SZ 66/10 vertretenen Auffassung auch die objektive Frist des § 534 Abs 3 ZPO, die bei der Bekämpfung des Vaterschaftsanerkenntnisses fehle, rechtfertigen können.

Dazu wurde erwogen:

Nach der bisherigen auch vom erkennenden Senat geteilten Rechtsprechung wurde in Fällen der Abstammungsfeststellung bei der Ermittlung des Beginns des Laufes der Frist gem § 534 Abs 1 ZPO kein strenger Maßstab angelegt, aber gleichzeitig ausgesprochen, dies bedeute nicht, die Frist wäre überhaupt unbeachtlich (2 Ob 557/95 = EvBl 1996/36 = ÖA 1996,33). Der erkennende Senat hält an dieser Rechtsansicht fest. Das gerichtliche Abstammungsverfahren ist von amtswegiger Wahrheitsforschung geprägt (Art V Z 5 UeKG; SZ 49/34; Schwimann in Schwimann ABGB² Rz 18 zu § 163 mwN), weshalb es geboten erscheint, auf die neuesten medizinischen Erkenntnisse zurückzugreifen, um die wahre biologische Vaterschaft festszustellen. Nach den Materialen zum UeKindG (RV 6 BlgNR 12. GP 12f) war es die Absicht der Neuregelung der Vaterschaft zu einem Kind, die wahre biologische Abstammung festzustellen. Aus diesem Grund soll der medizinischen Weiterentwickung Rechnung getragen werden können, weshalb weiterhin die objektive Frist des § 534 Abs 3 ZPO, die ja bei Bekämpfung eines Anerkenntnisses nicht gilt, auf Wiederaufnahmsklagen gegen Urteile, mit denen die Vaterschaft zu einem unehelichen Kind festgestellt wurde, nicht anzuwenden ist.

Anderes gilt aber für die (subjektive) Frist des § 534 Abs 1 ZPO. Wie der vierte Senat des Obersten Gerichtshofes zu 4 Ob 25/00f ausgesprochen hat, erscheint die Rechtskraft eines nach einem Verfahren mit amtswegiger Wahrheitsforschung ergangenen Urteils schutzwürdiger als die Rechtswirksamkeit eines nur auf subjektive Überzeugung gegründeten Anerkenntnisses. Eine Wiederaufnahmsklage bedeutet aber einen schwerwiegenden Eingriff in die Rechtskraft einer Entscheidung, weshalb der Wiederaufnahmskläger durch die bestehende Notfrist des § 534 Abs 1 ZPO verhalten werden soll, unverzüglich nach Bekanntwerden eines Wiederaufnahmegrundes das Verfahren einzuleiten. Der erkennende Senat vertritt daher ebenso wie der vierte Senat des Obersten Gerichtshofes die Ansicht, dass in Abstammungsverfahren § 534 Abs 1 ZPO uneingeschränkt zur Anwendung zu kommen hat.

Dass die Klage auf Wiederaufnahme des Verfahrens - im Falle der Geltung der Frist des § 534 Abs 1 ZPO - verspätet ist, zieht der Revisionsrekurs nicht in Zweifel.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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